TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/13 W282 2248871-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.12.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.12.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §28 Abs6
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W282 2248871-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Gambia, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2021, Zl. XXXX und wegen der Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2021 bis 09.11.2021 zu Recht:

A)       

I. Der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2021 bis 09.11.2021 wird stattgegeben und der Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in diesem Zeitraum gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 30,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag auf Kostenersatz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird gemäß
§ 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Feststellungen:

Vorverfahren:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Gambias, reiste spätestens im Jahr 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde aufgrund der Zuständigkeit Italien für das Verfahren über einen bereits dort gestellten Antrag auf internationalen Schutz gem. der §§ 4,5 AsylG 2005 zurückgewiesen.

2. Der BF hielt sich hiernach wechselweise in Italien und Österreich auf, er befand sich im Bundesgebiet im Jahr 2016 mehrere Wochen in Untersuchungshaft wegen des Verdachts von Suchtmitteldelikten. Im Mai 2016 wurde der BF vom LG für Strafsachen Wien wegen Verstoßes gegen § 27 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 9 Monaten, wobei 7 Monate bedingt nachgesehen wurden verurteilt. Diese Verurteilung ist zwischenzeitlich getilgt.

3. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder BFA) vom XXXX .2016 wurde erstmals die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung über den BF verhängt und ein Konsultationsverfahren nach der Dublin-III VO mit Italien geführt; Italien stimmte der Rückübernahme zu und wurde der BF am 18.07.2016 nach Italien abgeschoben.

4. Im Jahr 2017 wurde der BF erneut im Bundesgebiet von der Polizei aufgegriffen und festgenommen. Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX .2017 wurde erneut die Schubhaft über den BF verhängt, wobei der BF in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Erneut wurde der BF auf Basis der Dublin-III VO Mitte März 2017 nach Italien überstellt.

5. Im Jahr 2018 wurde der BF erneut im Bundesgebiet aufgegriffen und von der Polizei festgenommen. Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX .2018 wurde erneut die Schubhaft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien über den BF verhängt. Der BF verhielt sich in der Schubhaft gewalttätig und verletzte andere Häftlinge, weiters widersetzte er sich mehrmals Anweisungen von Beamten, schlug gegen Türen uä. Im April 2018 wurde der BF erneut nach Italien rücküberstellt.

6. Schon im November 2018 wurde der BF erneut bei einer Amtshandlung wegen Suchtgift aufgegriffen, wobei er einen falschen Namen angab. Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX .2018 wurde erneut die Schubhaft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien über den BF verhängt. Der BF wurde am 19.12.2018 nach Italien rücküberstellt.

7. Im April 2021 wurde der BF erneut im Rahmen einer Suchtgiftstreife der Polizei festgenommen, in ein Polizeianhaltezentrum gebracht und dort einvernommen. Mit Bescheid des BFA vom XXXX 2021 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 1 FPG erlassen, eine Abschiebung nach Gambia für zulässig erklärt, keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie ein auf 3 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs Ende Mai 2021 in Rechtskraft. Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX .2021 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Der BF presste sich aus der Schubhaft durch einen siebentägigen Hungerstreik frei und musste am 08.05.2021 wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen werden.

8. Am XXXX 2021 wurde der BF mit einem Mittäter beim Handel mit Suchtgift betreten und in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des LG f Strafsachen Wien vom XXXX .2021 wurde der BF gemäß § 27 (1) Z 1 1. Fall und 2. Fall SMG sowie § 27 (1) Z 1 8. Fall SMG wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtgift zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, bedingt nachgesehen auf drei Jahre verurteilt. Der BF hatte mit einem Mittäter Marihuana, Speed (Methamphetamin) und Extasy (MDMA) in geringen Mengen in Wien an Dritte verkauft.

9. Der BF wurde aufgrund der Verurteilung (nur) zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt und am XXXX .2021 aus der Justizhaft entlassen. Unter einem wurde er gemäß § 40 BFA-VG festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum in Wien gebracht. Dort wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen und mit dem verfahrensggst. Mandatsbescheid vom XXXX .2021 über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

7. Der BF trat hierauf in einen Hungerstreik, der von XXXX .2021 bis 08.11.2021 andauerte. Der BF wurde vom Bundesamt wegen „Wegfall des Schubhaftgrundes“ am 09.11.2021 aus der Schubhaft entlassen. Der BF wird zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr in Schubhaft angehalten.

8. Am 01.12.2021 langte die ggst. Schubhaftbeschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Bundesamt legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Stellungnahme.

2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist nicht österreichischer Staatsangehöriger. Er ist Staatsangehöriger Gambias, weiters ist er volljährig und gesund und in Österreich strafrechtlich vorbestraft. Er ist weder Asylberechtigter, noch subsidiär Schutzberechtiger. Der BF verfügt über keine gültigen Reisedokumente und keine verlässlichen Dokumente, die ihn als gambischen Staatsbürger ausweisen.

Gegen den BF liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeende Maßnahme in Hinblick auf den Herkunftsstaat Gambia samt Einreiseverbot vor.

3. Zur realistischen Möglichkeit der Durchführung einer zwangsweisen Abschiebung nach Gambia:

Die für Österreich zuständige Vertretungsbehörde Gambias in London (UK) verhält sich im Hinblick auf die Ausstellung von Heimreisezertifikaten (HRZ) nicht kooperativ. HRZ-Anfragen oder Urgenzen des Bundesamtes bei der Botschaft Gambias in London bleiben unbeantwortet. Es wurden seitens gambischer Behörden im Jahr 2020 und 2021 keine HRZ für zwangsweise Rückführungen ausgestellt. HRZ-Ausstellungen finden – so sie in der Vergangenheit überhaupt erfolgt sind - nur im Wege eines Delegationstermins, bei Anreise einer Delegation der gambischen Botschaft nach Österreich (ID-Mission) für freiwillig Ausreisende statt. Seit Ausbruch der COVID-19 Pandemie hat keine ID-Mission aus Gambia in Österreich stattgefunden, wenngleich das Bundesamt sich um die Durchführung einer solchen Mission bemüht. Zwangsweise Rückführungen von gambischen Staatsbürgern aus Österreich haben in den Jahren 2020 und 2021 vereinzelt stattgefunden; dies jedoch ausschließlich dann, wenn der/die Fremde über ein gültiges gambisches Reisedokument verfügt hat.

Festgestellt wird, dass zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft über den BF die realistische Möglichkeit der Ausstellung eines HRZ für den BF und der Durchführung der Abschiebung nach Gambia innerhalb eines absehbareren Zeitraumes nicht gegeben war.

II. Beweiswürdigung

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes und in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts sowie durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen, durch Einsichtnahme im die Anhaltedatei des BMI.

Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensablauf ergeben sich insoweit aus widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt, dem angefochtenen Bescheid sowie aus den Niederschrift der Einvernahmen des BF vor dem Bundesamt. Die Feststellung zu der strafrechtlichen Verurteilung des BF konnte aufgrund eines Strafregisterauszugs iVm der Urteilsabschrift im Verwaltungsakt getroffen werden. Dass der BF kein Reisedokument oder anderes Dokument besitzt, dass ihn als gambischen Staatsbürger ausweist, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und wird auch vom Bundesamt nicht behauptet.

Die Feststellungen zum HRZ-Prozess mit der Botschaft Gambias, der Anzahl an Rückführungen und der Tatsache, dass zwangsweise Abschiebungen nach Gambia bei Personen ohne gültiges Reisedokument und somit HRZ Ausstellungen durch Gambia seit zumindest 2 Jahren nicht mehr stattgefunden haben, basiert auf der entsprechenden Antwort der Abt. Dublin und Internationale Beziehungen/BII/1 – Rückkehrvorbereitung des Bundesamtes vom 02.12.2021, auf entsprechende Anfrage des BVwG vom 01.12.2021 (OZ 3). Daraus ergibt sich für das BVwG zweifelsfrei, dass zwangsweise Abschiebungen nach Gambia bei Fremden, die kein gültiges gambisches Reisedokument besitzen, bereits seit zumindest zwei Jahren nicht mehr stattgefunden haben und es nur eine Chance auf Verbringung von gambischen StA. in ihr Heimatland gibt, wenn diese über ein gültiges Reisedokument verfügen. Weiters geht daraus klar hervor, dass es trotz Bemühungen des Bundesamtes keinen tatsächlich funktionierenden HRZ-Prozess mit der gambischen Botschaft in London gibt, da HRZ-Anfragen und auch Urgenzen unbeantwortet bleiben. Es war daher aus diesen Gründen festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft über den BF die realistische Möglichkeit der Ausstellung eines HRZ für den BF und der Durchführung eine zwangsweise Abschiebung nach Gambia innerhalb eines absehbareren Zeitraumes nicht gegeben war.

Dem Bundesamt ist es nicht gelungen darzulegen, warum es am XXXX .2021 bei der Verhängung der Schubhaft über den BF angesichts dieser schon seit zumindest zwei Jahren bestehenden Situation davon ausgehen durfte, dass in diesem konkreten Fall nun doch ein HRZ für den BF erlangbar sein werde. Soweit die verfahrensführende Dienststelle des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme (OZ 4) anführt, es hätten im Jahr 2021 faktisch drei Abschiebungen stattgefunden, ist dies im obigen Kontext nicht stichhaltig, handelte es sich dabei doch um Personen mit gültigem gambischen Reisedokumenten, über die der BF (unstrittig) nicht verfügt. Auch konnte nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar dargelegt werden, warum bei der Inschubhaftnahme des BF eine Änderung des Verhaltens der gambischen Botschaft zu erwarten gewesen wäre.

Weitere Feststellungen waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr vorzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A):

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

3.1. Rechtsgrundlagen:
§§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) und Art. 28 VO (EU) 604/2013 lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Artikel 28

Haft

„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.“

3.1.2. Zur Judikatur allgemein:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.2 Zum konkreten Fall:

3.2.1 Zur Stattgabe der Beschwerde:

Der BF wurde am XXXX .2021 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung nach Gambia in Schubhaft genommen. Wie die Beschwerde zumindest hierzu zutreffend vorbringt, ist die Verhängung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung nur dann rechtens, wenn der Sicherungszweck, nämlich die gesicherte Abschiebung des Fremden, innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer realistisch möglich ist (VwGH 20.12.2013 2013/21/0014, jüngst: VwGH 26.11.2020, Ra 2020/21/0070):

„Bloße Bemühungen der Behörde genügen für die Annahme einer rechtzeitigen Erlangbarkeit des Heimreisezertifikats nicht, sie müssen vielmehr zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein (wobei für den zu verlangenden Wahrscheinlichkeitsgrad auch die bisherige Dauer der Schubhaft und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen können). Bisherige "Erfahrungswerte" können wesentliche Anhaltspunkte für die vorzunehmende Beurteilung bieten; das setzt aber voraus, dass diese Erfahrungswerte nachvollziehbar festgestellt werden.“

Gegenständlich hat das Beweisverfahren ergeben, dass zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme des BF am XXXX .2021 keinerlei Hinweise vorlagen, auf deren Basis das Bundesamt von der rechtzeitigen oder überhaupt der grds. Möglichkeit der Erlangbarkeit eines HRZ für eine Abschiebung hinsichtlich Gambia für den BF ausgehen konnte. Vielmehr ist es so, dass bereits seit zumindest zwei Jahren keine HRZ von gambischen Behörden für zwangsweise Rückführungen ausgestellt werden und überdies HRZ- Anfragen und Urgenzen des Bundesamtes an die Botschaft Gambias in London von dieser seit Längerem nicht beantwortet werden. Zwangsweise Rückführungen nach Gambia aus Österreich finden bzw. fanden nur dann statt, wenn der/die betreffende Fremde über ein gültiges gambisches Reisedokument verfügt(e); im ggst. Fall ist unstrittig das der BF über keine gambischen Reisedokumente verfügt (egal ob gültig oder abgelaufen) und auch nicht freiwillig nach Gambia zurückkehren will.

Somit stand bereits bei der Erlassung des ggst. Schubhaftbescheides fest, dass der im Bescheid angegebene Sicherungszweck „Sicherung der Abschiebung“ nicht in vernünftig absehbarerer Zeit durch Erlangung eines HRZ für den BF und seine darauffolgende Abschiebung realistischer Weise erreicht werden kann. Die Verhängung der Schubhaft bzw. die Erlassung des ggst. Schubhaftbescheides unter diesen Umständen erweist sich somit schon a-limine als rechtwidrig. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig war aber auch die darauf gestützte Anhaltung von XXXX .2021 bis 09.11.2021 rechtswidrig.

Auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde sowie auf die Frage des Vorliegens von Fluchtgefahr war daher – obwohl dem Bundesamt zuzustimmen ist, dass für das Vorliegen Letzterer angesichts des mehr als problematischen Vorverhaltens des BF (Hungerstreiks, jahrelange melderechtliche Verfehlungen, Täuschungsversuche durch Angabe von Alias-Identitäten, mehrfache illegale Wiedereinreise in das Bundesgebiet uam.) durchaus gewichtige Anzeichen bestehen – nicht mehr weiter einzugehen.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2021 bis 09.11.2021 gemäß § 22a Abs. 1 iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig zu erklären.

3.3 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkt III.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren ist der Beschwerdeführer obsiegende Partei, weshalb ihm Aufwandersatz im beantragten Umfang zuzusprechen war. Konkret wurde vom Beschwerdeführer lediglich der Zuspruch der Eingabegebühr iHv € 30,- beantragt, wobei diese nach hg. Rsp. ersatzfähig ist (VwGH 28.05.2020,Ra 2019/21/0336). Der Kostenersatzantrag des Bundesamtes als unterlegene Partei war abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 4 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. In der Beschwerde wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist. Gegenständlich ergab sich bereits aus der Aktenlage, dass die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form der Schubhaftverhängung für rechtswidrig zu erklären war, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen konnte.

Zu B):

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebungshindernis Einreiseverbot Heimreisezertifikat Kostenersatz Pandemie Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2248871.1.00

Im RIS seit

11.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten