TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/20 I403 2241305-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.2021
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Entscheidungsdatum

20.09.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §105 Abs1
StGB §107 Abs1
StGB §87 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
WaffG §50 Abs1

Spruch


I403 2241305-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Slowenien, vertreten durch die Rechtsanwälte OG Hochstöger Nowotny Wohlmacher, Obere Donaustr. 4, 4040 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.02.2021, Zl. XXXX zu Recht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.09.2021:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 VwGVG aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein slowenischer Staatsangehöriger, wurde am 16.10.2020 auf Anordnung der Staatsanwaltschaft XXXX festgenommen. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 17.10.2020 wurde wegen des Verdachts der absichtlichen schweren Körperverletzung über ihn die Untersuchungshaft verhängt.

Mit „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 11.11.2020 wurde der Beschwerdeführer über die Absicht der belangten Behörde, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, ein Aufenthaltsverbot zu verhängen, informiert und ihm die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben abzugeben. In seiner Stellungnahme vom 27.11.2020 erklärte der Beschwerdeführer, dass er 2010 nach Österreich gekommen sei, um hier eine Arbeit aufzunehmen und dass er seither durchgehend in Österreich aufhältig gewesen sei. Seine Tochter lebe in Schottland, seine Mutter in Slowenien, sein Vater in Österreich. Er selbst sei in Österreich geboren, spreche Deutsch und habe hier seinen Lebensmittelpunkt. Er habe keine Bindungen nach Slowenien und auch keinen Wohnsitz dort.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX als Schöffengericht vom 17.12.2020, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Nötigung nach §§15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von vierundzwanzig Monaten, acht davon unbedingt, verurteilt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 25.02.2021, zugestellt am 01.03.2021, wurde gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Es wurde in Bezug auf die Verurteilung des Beschwerdeführers auf den besonders langen Tatzeitraum und die hohe Sozialschädlichkeit verwiesen: Nachdem der Beschwerdeführer seine frühere Freundin und deren neuen Freund über Monate bedroht habe, habe er am 16.08.2020 dem Freund Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und, nachdem dieser zu Boden gegangen war, mit einem Baseballschläger auf diesen eingeschlagen.

Mit Schriftsatz vom 29.03.2021 wurde gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Bescheid beheben, eine mündliche Verhandlung durchführen, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf ein Jahr herabsetzen. Inhaltlich wurde vorgebracht, dass das Beziehungsende „dem Beschwerdeführer zu schaffen gemacht habe“; die Tat sei aus dieser schwer verkraftbaren Belastung entstanden und habe sich nur gegen die betroffenen Personen gerichtet. Der Beschwerdeführer habe Reue gezeigt; das Wohlverhalten des Beschwerdeführers während der Haft habe gezeigt, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle; zudem sei der Beschwerdeführer zehn Jahre lang unbescholten gewesen und besuche er ein „Antigewalttraining“. Die Beziehung zu seiner früheren Freundin, deren Einvernahme beantragt wurde, sei wieder aufrecht und führe der Beschwerdeführer daher ein Familienleben in Österreich. Er habe auch eine Wiedereinstellungszusage seines früheren Arbeitgebers.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.04.2021 vorgelegt. Am 01.09.2021 wurde eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsvertreters und seine Lebensgefährtin als Zeugin befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Sloweniens und somit EWR-Bürger. Er wurde in Klagenfurt geboren, da seine Eltern zu dieser Zeit im Bundesgebiet lebten; er wuchs dann allerdings in Slowenien auf. Seine Mutter und sein Bruder leben in Slowenien, sein Vater in Salzburg. Die Tochter des Beschwerdeführers (aus einer früheren Beziehung) studiert in Schottland. Der Beschwerdeführer ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer war vom 28.04.2010 bis 25.06.2010 und dann durchgehend ab 12.11.2010 im Bundesgebiet mit einem Hauptwohnsitz gemeldet. Er befand sich seit 25.06.2010 durchgehend, bis zu seiner Inhaftierung, in einem Arbeitsverhältnis als Kraftfahrer. Nach seiner Entlassung aus der Haft im April 2021 trat er wieder eine Beschäftigung bei seinem früheren Arbeitgeber an. Er spricht gut Deutsch.

2011 begann der Beschwerdeführer eine Beziehung mit XXXX (im Folgenden S.H.). beide wohnten von 2014 bis 2017 zusammen und waren sie in dieser Zeit auch nach muslimischem Ritus verheiratet. Die Beziehung gestaltete sich aufgrund der Eifersucht des Beschwerdeführers schwierig, allerdings war er gegenüber S.H. nie gewalttätig. 2019 kam es zur Trennung, allerdings wurde der Kontakt nie ganz abgebrochen.

S.H. wurde in der Folge zwischen November 2019 und Mai 2020 vom Beschwerdeführer bedroht, nachdem sie eine andere Beziehung begonnen hatte. Konkret versuchte er, sie zur Rückgabe von Geld zu nötigen,

1.) am 21.01.2020 durch die schriftliche Äußerung:“ Solange du mir das Geld nicht zurückgibst, wird nichts daraus. Teile Deinem Geliebten mit, dass Prügel folgen. Und es wird noch welche geben, die Prügel wegen Dir einstecken werden.“

2.) am 27.05.2020 durch die per Email getätigte Äußerung: „ … Sei dir sicher, dass du das Geld zurückgeben wirst. Du hast gar nicht so viele Stecher, die dich in Schutz nehmen könnten. Ich werde dich bis Samstag aufsuchen. Mach dir keine Sorgen (Anmerkung: werde dich finden). Solltest du das Geld nicht haben, werde ich dir die Schnauze kaputt machen.“

3.) am 28.05.2020 durch die per Email getätigte Äußerung: „Genau dieses Geld werde ich zurückbekommen. Hör mir jetzt gut zu. … Du sollst wissen, dass in einem Zeitraum von zwei Tagen ein Kind von dir sterben wird. …“

4.) am 29.05.2020 durch die per WhatsApp Audio Nachricht getätigte Äußerung: „ … Denkst du, dass du mir mit der Polizei Angst einjagen kannst? Ich bin bereit zu sterben, bin bereit mich mit deinem „Vedad“ zu treffen und mich mit ihm zu schlagen. Ich bin bereit ins Gefängnis zu gehen, bin bereit zu sterben und du willst mich mit einer Anzeige aufhalten. Kein Problem … Wenn ich zum Sterben bereit bin, bin ich auch bereit für 15 Jahre im Gefängnis eingesperrt zu werden. Verstehst du das? Du musst mir das Geld geben. Du hast keine Chance. Ich gehe ins Gefängnis, aber sei dir sicher, du wirst verhältnismäßig viel mehr Schläge einstecken müssen als die EUR 1.350,-- es wert sind. Die Schläge, die du bekommen wirst, werden eher mit EUR 135.000,-- vergleichbar sein. … Das Geld musst du mir zurückzahlen …“

Zudem drohte er S.H. mit der Zufügung einer Körperverletzung, und zwar

1.) am 30.11.2019 um 22:37 Uhr durch die schriftliche Äußerung:“...Du musst Deinen Geliebten beschützen, denn nun ist er Dein Heiligtum. Du sollst aber wissen, dass ich ihn wie ein Streichholz zerbrechen werde

2.) am 30.11.2019 um 18:11 Uhr durch die schriftliche Äußerung: „Du wirst schon sehen. Du sollst nur nicht sagen, dass du es nicht gewusst hast oder dass ich Dich nicht gewarnt hätte. Es wird krumme und zerschlagene Gebisse geben.“

3.) am 30.11.2019 um 18:21 Uhr durch die schriftliche Äußerung: „Ich will ihn zusammenschlagen, damit er dieses krumme Gebiss – während er dich küsst - über Deinen Rücken zieht….“

4.) am 30.11.2019 um 22:19 Uhr durch die schriftliche Äußerung: „He sag mir, wohin Dich Dein Geliebter ausgeführt hat, damit ich komme und sein Gebiss zerschlage. Ich ficke euch. Ich habe mich schon betrunken, um nun jemanden zuzertrümmern. Und jetzt würde mir Dein „Blasser“ einfach so liegen.“

5.) am 05.01.2020 durch die schriftliche Äußerung: „Richte diesem Gestank/Stinker aus, dass ich ihn umbringen werde.“

6.) am 27.05.2020 die per Email getätigte Äußerung: „Du Hure, jetzt wirst du sehen wie weit ich gehen darf und wen ich sonst verprügeln werde. Dir werde ich deine Schnauze polieren. …“

7.) am 27.05.2020 durch die weitere per Email getätigte Äußerung: „Ich habe noch eines zu sagen. Am Samstag werde ich mich einer spirituellen Heilung „Rukija“ (Anmerkung: Fluchaufhebung durch einen religiösen Vertreter) unterziehen. Gott bewahre, wenn du in diesem Zusammenhang irgendetwas eingefädelt hast. Ich werde dich in Stücke schneiden.“

Darüber hinaus fügte er dem damaligen Freund (E.M.) von S.H. am 16.08.2020 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1) absichtlich zu, indem er ihm zunächst von hinten mit Pfefferspray ins Gesicht sprühte und ihm dann mit einem Baseballschläger einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, wodurch dieser zu Boden ging, und ihm im Anschluss daran ca. 20 weitere Schläge mit dem Baseballschläger gegen den Kopf versetzte, wobei E. M. diese teils mit den Beinen abwehren bzw. mit den Händen seinen Kopf schützen konnte und es deshalb beim Versuch blieb, wobei E. M. in Form einer Kopfprellung mit Rißquetschwunde in der Hinterhaupt-Scheitengegend links, einer Prellung am linken Oberarm, einer Prellung des linken Ellenbogens mit Abschürfungen, einer Prellung mit Rißquetschwunden an beiden Unterschenkeln sowie von Schmerzen am Körper mit mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verletzt wurde.

Darüber hinaus besaß der Beschwerdeführer, wenn auch nur fahrlässig, eine Waffe, nämlich einen Pfefferspray, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war.

Der Beschwerdeführer hat hierdurch das Vergehen der Nötigung nach §§15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB, das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, das Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und das Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG begangen und wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX als Schöffengericht vom 17.12.2020, Zl. XXXX zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Jahren verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Mildernd wurden die Unbescholtenheit, die umfassende geständige Verantwortung sowie, dass es teils beim Versuch blieb, gewertet, erschwerend dagegen das Zusammentreffen eines Verbrechens und mehrerer Vergehen, der lange Tatzeitraum, die heimtückische Tatbegehung und die Drohung gegen einen früheren Ehegatten (§ 33 Abs. 2 Z 2 StGB).

Bereits vor seiner Inhaftierung am 16.10.2020 nahm S.H. wieder Kontakt zum Beschwerdeführer auf, und es entwickelte sich neuerlich eine Beziehung. Der Beschwerdeführer wurde am 29.03.2021 aus der Haft entlassen. Im Juli 2021 verlobten sich der Beschwerdeführer und S.H.

Der Beschwerdeführer nahm am 31.05.2021, am 02.08.2021, am 11.08.2021 und am 13.09.2021 an Einzeltherapien des Zentrums für Familientherapie und Männerberatung teil. Er nimmt auch seine Termine bei der Bewährungshilfe regelmäßig wahr. Der Beschwerdeführer arbeitet gemeinsam mit dieser professionellen Unterstützung und S.H. an seiner Eifersucht und einer Stabilisierung der Beziehung.

Mitte Juli 2020 führte der Beschwerdeführer etwa 4 Gramm Cannabiskraut von Slowenien nach Österreich ein, welches er in weiterer Folge gemeinsam mit einem Freund konsumierte. Eine Anklage erfolgte diesbezüglich nicht.

Der Beschwerdeführer erhielt zwischen 2016 und 2021 insgesamt zehn Verwaltungsstrafen zwischen 30 und 80 Euro wegen Verstößen gegen das KFG und die StVO.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger und dem Strafregister eingeholt.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines vor den österreichischen Behörden im Original in Vorlage gebrachten – sowie im IZR vermerkten – slowenischen Reisepasses fest. Seine Berufstätigkeit ergibt sich aus einem Sozialversicherungsauszug.

Die Feststellungen zu seinen Familienverhältnissen, seinen Bindungen nach Slowenien und seinem Gesundheitszustand ergeben sich aus seiner Stellungnahme vom 27.11.2020 und der mündlichen Verhandlung am 01.09.2021. Die Feststellungen zu seiner Beziehung mit S.H. ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers und S.H. in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen hinsichtlich den seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen sowie den Erwägungen des Strafgerichts zur Strafbemessung ergeben sich aus der im Akt enthaltenen gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX . Die Einfuhr und der Cannabiskonsum ergeben sich aus dem Abtretungsbericht der LPD XXXX vom 14.10.2020 zu GZ. XXXX , wonach dies der Beschwerdeführer in seiner Beschuldigtenvernehmung am 07.09.2020 gestanden hatte.

Die Teilnahme des Beschwerdeführers an Einzeltherapien bzw. der Bewährungshilfe ergeben sich aus einer Bestätigung des Zentrums für Familientherapie und Männerberatung vom 14.09.2021 und einem Bericht von Neustart vom 08.09.2021.

Dass der Beschwerdeführer gut Deutsch spricht, ergibt sich aus dem in der Verhandlung am 01.09.2021 gewonnenen Eindruck; die Verhandlung konnte größtenteils auf Deutsch geführt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.“

3.2. Der Beschwerde war aus den folgenden Gründen stattzugeben:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg. cit. als EWR-Bürger jener Fremde, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger Sloweniens ist sohin EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Da der Beschwerdeführer aufgrund seiner slowenischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG fällt und die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als zehn Jahren erfüllt ist, gelangt, wie die belangte Behörde richtig feststellte, fallgegenständlich der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung.

Gegen den Beschwerdeführer ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG sohin zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38EG ("Freizügigkeitsrichtlinie"; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).

Gegenständlich wurde der Beschwerdeführer durch ein österreichisches Strafgericht rechtskräftig aufgrund des Vergehens der Nötigung, des Vergehens der gefährlichen Drohung, des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung und eines Vergehens nach dem Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Dass die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten - auch wenn sie nicht verharmlost werden sollen - aber von derart "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" gekennzeichnet gewesen wären, ist jedoch nicht ersichtlich und wird auch der belangten Behörde nicht aufgezeigt. Gegen eine so massive negative Gefährdungsprognose, wie sie nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG gefordert wird, sprechen im Übrigen auch die Milderungsgründe (Unbescholtenheit, die umfassende geständige Verantwortung sowie dass es teils beim Versuch blieb gewertet), die eine größtenteils bedingt nachgesehene Strafe zur Folge hatten. Das Gericht verkennt nicht, dass dem gewichtige Erschwernisgründe gegenüberstehen, konkret das Zusammentreffen eines Verbrechens und mehrerer Vergehen, der lange Tatzeitraum, die heimtückische Tatbegehung und die Drohung gegen einen früheren Ehegatten. Die gegen seine – damals von ihm getrennte – Lebensgefährtin S.H. gerichteten Drohungen über das Mobiltelefon und die Auseinandersetzungen zwischen den beiden gipfelten in einem brutalen Angriff des Beschwerdeführers auf den neuen Freund von S.H. Allerdings wurde in der Verhandlung vom Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin glaubhaft gemacht, dass beide versuchen, die in der Vergangenheit häufigen Konfliktsituationen durch eine bessere Kommunikation zu vermeiden und dass der Beschwerdeführer sich professionelle Unterstützung zum Umgang mit seiner Eifersucht geholt hat. Der Beschwerdeführer konnte in der Verhandlung auch glaubhaft machen, dass er durch das Haftübel von der Begehung weiterer Straftaten abgeschreckt wurde. In einer Zusammenschau aller Umstände und unter Heranziehung des in der Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer geht das Bundesverwaltungsgericht nicht davon aus, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet und damit die Schwelle des § 67 Abs. 1 Satz 5 FPG erreicht ist.

Soweit die belangte Behörde ihre Gefährdungsprognose auch auf die Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Übertretung von Verwaltungsvorschriften stützte, so hat sie nicht erkennbar berücksichtigt, dass diese Bestrafungen nach § 37 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 3 FSG nicht einmal den eine (bloße) Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit indizierenden Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllen. Sie sind daher nicht geeignet, in maßgeblicher Weise die angenommene schwerwiegende Gefährdung im Sinne des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG begründen (VwGH, 16.07.2020, Ra 2020/21/0091). Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht die im Straßenverkehr bestehende Gefahr durch die Nichteinhaltung der Straßenverkehrsordnung, dennoch muss im gegenständlichen Fall berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer als Fernfahrer seine ganze Dienstzeit im Straßenverkehr verbringt und daher die Anzahl der Strafen (im Vergleich zu einem Durchschnittsbürger) zu relativieren ist. Eine maßgebliche Gefährdung der österreichischen Bevölkerung ist daher durch das Vorliegen dieser Verwaltungsstrafen für das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennbar; dasselbe gilt für den Umstand, dass der Beschwerdeführer Mitte Juli 2020 etwa 4 Gramm Cannabiskraut von Slowenien nach Österreich einführte und dieses in weiterer Folge gemeinsam mit einem Freund konsumierte. Eine Anklage erfolgte diesbezüglich nicht.

Aufgrund des erhobenen Sachverhaltes kann der belangten Behörde in ihrer Einschätzung, wonach davon auszugehen sei, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde, nicht gefolgt werden, insbesondere da es sich um die erste Straftat des Beschwerdeführers handelt. Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ist im Fall des Beschwerdeführers daher nicht erfüllt.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher stattzugeben und der darauf aufbauende Spruchpunkt II., mit dem ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt wurde, ebenso zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Gewalttätigkeit Interessenabwägung Kassation Körperverletzung mündliche Verhandlung Nötigung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung strafrechtliche Verurteilung Straftat Verbrechen Vergehen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2241305.1.00

Im RIS seit

03.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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