TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W282 2209027-2

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Veröffentlicht am 15.11.2021
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Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §28 Abs6
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W282 2209027-2/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , Staatsangehörigkeit: Russische Föderation ALIAS Ukraine, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2019, Zl. XXXX und wegen der Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2019 bis 24.01.2020 zu Recht:

A)       

I. Die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2019 bis 15.11.2019 wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft von 16.11.2019 bis 24.01.2020 wird stattgegeben und die Anhaltung in diesem Zeitraum gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig erklärt.

III. Gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG werden die Anträge der Parteien auf Aufwandsersatz abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zu den Vorverfahren:

1.1 Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste spätestens im September 2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte im Zuge seiner Festnahme am 08.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2 Der BF wurde erstmals von 09.01.2008 bis 28.02.2008 in Schubhaft genommen.

1.3 Am XXXX .2008 wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und wies den BF aus Österreich in die Russische Föderation aus. Am XXXX .2010 erließ das Bundesasylamt ein auf sieben Jahre befristetes Rückkehrverbot. Eine gegen den abweisenden Asylbescheid erhobene Beschwerde wurde nach mehrmaliger Verfahrenseinstellung aufgrund unbekannten Aufenthaltes des BF mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.06.2012 als unbegründet abgewiesen.

1.4 Der BF befand sich von 18.08.2011 bis 09.09.2011 in Schubhaft. Aufgrund von Haftunfähigkeit nach diesem Hungerstreik wurde der BF aus der Schubhaft entlassen.

1.5 Mit Bescheid XXXX .2012 wurde über den BF gem. § 76 Abs. 1 FPG erneut Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gem. § 46 FPG verhängt. Der BF befand sich von 16.11.2012 bis 23.01.2013 in Schubhaft und wurde wegen mehrmaligen Hungerstreiks entlassen und in das Klinikum Wels überstellt. Im Zuge der Effektenkontrolle des BF seien Notizen mit ukrainischen Telefonnummern hervorgekommen. Daher habe Grund zur Annahme bestanden, dass es sich beim BF um einen ukrainischen Staatsangehörigen handle. Da der BF die ihm vorgelegten ukrainischen Dokumente nicht ausgefüllt habe, weil er sie nach eigenen Angaben nicht verstanden habe, habe die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis um die Überprüfung der Telefonnummern durch die ukrainische Botschaft gebeten. Möglicherweise führe der BF den Familiennamen „ XXXX “.

1.6 Der BF wurde vor der ggst. Schubhaft im Bundesgebiet mehrmals und regelmäßig strafgerichtlich verurteilt:

- LG Wels XXXX vom XXXX gem. §§ 127, 129 (2), 130 1. Fall StGB, Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 6 bedingt, Probezeit 3 Jahre

- LG Linz XXXX vom XXXX gem. §§ 15, 127, 130 1. Fall und §§ 15, 105 (1) StGB, Freiheitsstrafe 10 Monate

- LG für Strafsachen Wien XXXX vom XXXX gem. §§ 15, 269 (1) 3. Fall StGB, Freiheitsstrafe 8 Monate
- LG für Strafsachen Wien XXXX vom XXXX gem. §§ 15, 127, 130 1. Fall StGB, Freiheitsstrafe 6 Monate

- LG für Strafsachen Wien XXXX vom XXXX gem. §§ 241e (3), 105 (1), 125 StGB und §§ 15, 127 StGB, Freiheitsstrafe 6 Monate

- LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom XXXX gem. §§ 127, 129 (1) Z 1 StGB, Freiheitsstrafe 6 Monate

1.7 Am 06.07.2017 langte eine Meldung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien beim Bundesamt an. Demnach sei der BF seinen Auflagen nicht nachgekommen und sei unbekannten Aufenthaltes, weshalb er zur Aufenthaltsermittlung für die Fahndung ausgeschrieben worden sei. Das Gericht habe keine Einwände gegen fremdenrechtliche Maßnahmen von Seiten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder BFA).

1.8 Nachdem der BF am 28.10.2018 von der LPD Wien bei seinem illegalen Aufenthalt ohne Dokumente oder Barmittel sowie in Besitz von Suchtmittel betreten wurde, wurde er am selben Tag niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er sich nicht so gut fühle, da er am Vortag Drogen genommen habe und es ihm daher nicht gut gehe, er habe sogar überlegt nach Hause nach Russland zu fahren, habe aber Angst getötet zu werden. Eine Adresse in Österreich habe er keine, er wohne bei Freunden.

1.9 Mit dem Mandatsbescheid des BFA XXXX .2018 wurde über den BF gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Abschiebung angeordnet. Begründend führte das Bundesamt aus, dass sich der BF illegal im Bundesgebiet aufhalte, er über keine genaue Anschrift bzw. Unterkunft verfüge und keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehe. Außerdem verhalte er sich unkooperativ. So habe er seine wahre Identität nicht bekannt gegeben und am Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mitgewirkt. Er sei in Österreich untergetaucht, da er keine behördliche Meldung gemacht habe und besitze kein gültiges Reisedokument. Der BF sei mittellos und verfüge über keine ausreichenden Barmittel um seinen Unterhalt zu finanzieren. Außerdem habe er keine verfahrensrelevanten sozialen oder familiären Bindungen im Bundesgebiet. Aufgrund der mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen könne keine positive Zukunftsprognose erteilt werden. Es bestehe Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr, weswegen über den BF die Schubhaft zu verhängen gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 07.11.2018 brachte der BF hiergegen eine Schubhaftbeschwerde gem. § 22a BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein, die dort zur GZ W272 2209027-1 protokolliert wurde.

1.10 Der BF wurde aufgrund des Wegfalles des Schubhaftgrundes, der Nichtausstellung eines Heimreisezertifikates seitens der Russischen Föderation und der Ukraine, am 13.11.2018 aus der Schubhaft entlassen. Davor wurde der BF niederschriftlich durch einen Mitarbeiter des Bundesamtes in Anwesenheit eines Dolmetschers einvernommen. Er gab an, nie ein Reisedokument besessen zu haben und aus Moskau zu stammen. Bis zum Jahr 2000 habe er zu Hause gelebt, dann sei er von dort weggegangen und habe auf der Straße geschlafen.

1.11 Auf Nachfrage der erkennenden Richterin im Verfahrens W272 2209027-1 bei der belangten Behörde, bis wann mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF gerechnet werden könne, erklärte eine Mitarbeiterin des Bundesamtes mit Schreiben vom 14.11.2018, dass bereits am 22.11.2017 ein Verfahren betreffend die Ausstellung eines Heimreisezertifikates der Russischen Föderation eingeleitet worden sei. Von den Behörden der Russischen Föderation sei am 03.04.2018 eine Ablehnung übermittelt worden, da der BF mit den dem Bundesamt vorliegenden Angaben nicht identifizierbar sei. Aus diesem Grund sei am 24.05.2018 auch ein Heimreisezertifikatverfahren mit der Ukraine und Belarus gestartet worden. Die diesbezügliche Ablehnung von Seiten Belarus langte am 29.08.2018 ein. Aufgrund eines Hinweises sei auch eine Anfrage an Polen ergangen, auch diese wurde abgelehnt. Aufgrund der Möglichkeit der Durchführung von Interviews zur Nationalitätsbestimmung an der Botschaft der Russischen Föderation in Wien sei erneut ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates gestellt worden.

1.12 Das Bundesverwaltungsgericht führte im Verfahren W272 2209027-1 am 14.11.2018 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durch, zu der der BF nicht erschien. Der Behördenvertreter der belangten Behörde führte aus, dass der BF aus der Haft entlassen worden sei, da kein zeitnaher Interviewtermin bei der russischen Botschaft in Erfahrung gebracht habe werden konnte. Der Termin sei deshalb notwendig, da die bisher angegebenen Daten des BF von Seiten der Botschaft nicht verifiziert hätten werden können, weshalb die Botschaft ihnen entgegengekommen sei und die Möglichkeit eines Interviewtermins angeboten hätte. Die Identität des BF stehe nicht fest, es könne nicht abschließend beurteilt werden, ob der BF aus Weißrussland, Russland oder der Ukraine stamme.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1 Der BF tauchte nach seiner Entlassung aus der Schubhaft 2018 unter und war nicht behördlich gemeldet, bis er wieder in Strafhaft genommen wurde. Seit 2016 existieren für den BF nur behördliche Meldungen in Polizeianhaltezentren bzw. Justizstrafanstalten.

2.2 Mit Bescheid des BFA vom 10.07.2019 wurde gegen den BF eine neue Rückkehrentscheidung samt sechsjährigen Einreiseverbot erlassen, dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

2.3. Der BF wurde am 12.09.2019 nachdem er von der Polizei betreten wurde in Schubhaft genommen. Der BF trat in einen Hungerstreik und presste sich so am 26.09.2019 erneut aus der Schubhaft frei.

2.4 Am 10.11.2019 wurde der BF erneut von der Polizei kontrolliert, festgenommen und wegen unrechtmäßigen Aufenthalts angezeigt. Unter einem wurde er vom BFA niederschriftlich einvernommen und über ihn mit dem verfahrensggst. Schubhaftbescheid vom XXXX .2019 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Der BF trat am 12.11.2019 erneut in einen Hungerstreik, den er erst am 13.01.2020 freiwillig beendete.

2.5 Am 12.11.2019 lange beim Bundesamt eine in Russisch gehaltene Verbalnote des russischen Migrationsdienstes ein, die am 15.11.2019 auf Deutsch übersetzt vorlag. Darin gab der russische Migrationsdienst bekannt, dass der BF nicht als russischer StA. identifizierbar sei und daher kein HRZ ausgestellt werden könne.

2.6 Am 20.11.2019 wurde das HRZ-Verfahren mit der Ukraine erstmals seit seiner Einleitung im Jahr 2018 urgiert. Der ukrainische Migrationsdienst hatte seit Einleitung des HRZ-Verfahren im Jahr 2018 nicht geantwortet. Es langte auch diesmal keine Antwort des ukrainischen Migrationsdienstes ein. Weitere Urgenzen erfolgten erst Monate nach der Entlassung des BF aus der verfahrensggst. Schubhaft.

2.7 Der BF wurde mangels realistischer Erlangbarkeit eines HRZ am 24.01.2020 vom BFA aus der Schubhaft in ein gelinderes Mittel entlassen. Am selben Tag wurde die verfahrensggst. Schubhaftbeschwerde erhoben.

2.8 Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses 22.03.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W140 abgenommen und der Gerichtsabteilung W281 neu zugewiesen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 29.06.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W281 abgenommen und der Gerichtsabteilung W282 neu zugewiesen.

3. Zum BF selbst:

3.1 Der volljährige BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Der BF gibt an russischer Staatsangehöriger zu sein, eine endgültige Staatsangehörigkeit konnte nicht festgestellt werden. Der BF spricht Russisch.

3.2 Der BF stellte am 08.01.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX .2008 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde die Abschiebung des BF für zulässig erklärt. Mit Bescheid vom XXXX .2010 wurde gegen den BF ein auf sieben Jahre befristetes Rückkehrverbot erlassen. Eine gegen den negativen Asylbescheid erhobene Beschwerde wurde nach mehrmaliger Verfahrenseinstellung aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des BF mit Erkenntnis vom 11.06.2012 als unbegründet abgewiesen. Über den BF wurde mehrmals Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt, aus der er zumindest zweimal durch Hungerstreiks freipresste. Mit Bescheid des BFA vom XXXX .2019 wurde gegen den BF eine neue Rückkehrentscheidung samt sechsjährigen Einreiseverbot erlassen, dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

3.3 Gegen den BF bestand und besteht eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

3.4 Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keinen nennenswerten Grad der sozialen Verankerung. Er hat keinen gesicherten Wohnsitz, keine sozial verfestigten familiären Kontakte im Bundesgebiet und ging nie einer legalen Erwerbstätigkeit zur Bestreitung seiner Existenzmittel nach. Der BF war seit 2016 im Bundesgebiet de-facto nur in Polizeianhaltezentren oder Justizanstalten behördlich gemeldet. Der BF war nie ausreisewillig, kam der Ausreiseverpflichtung aus eigenem nicht nach, hätte auf freiem Fuß eine Abschiebung vereitelt und wirkte an der Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mit. Der BF verschleierte seine Identität und entzog sich den Behörden des Öfteren, indem er seiner Meldeverpflichtung nicht nachkam. Der BF ist im höchsten Maße vertrauensunwürdig und nicht zuverlässig. Es besteht hoher Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr beim BF.

3.5 Der BF leidet unter Hepatitis C, bedurfte aber keiner medizinischen Versorgung und war während der Anhaltung haftfähig.

4. Zur Durchsetzbarkeit der Abschiebung:

Bis zum Einlangen der Verbalnote der russischen Behörden am 12.11.2019, wobei deren Inhalt aufgrund der notwendigen Übersetzung dem BFA erst am 15.11.2019 vorlag, bestand eine realistische Möglichkeit einer Durchsetzung der Abschiebung in die russische Föderation. Nach dem 15.11.2021 ist für das Bundesverwaltungsgericht eine solche realistische Möglichkeit einer Durchsetzung der Abschiebung des BF nicht ersichtlich.

II. Beweiswürdigung

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes und der vorliegenden (in den Feststellungen zitierten) Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes bzw. des Asylgerichtshofes, sowie aus den einschlägigen Registerauszügen (IZR, Strafregister, Anhaltedatei, ZMR).

Die Feststellungen zur fehlenden sozialen Verankerung des BF ergeben sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt und den Gerichtsakten des BVwG. Die Hungerstreiks des BF sind ebenfalls im Verwaltungsakt bzw. in der Anhaltedatei dokumentiert. Es bereitet daher angesichts des festgestellten Obstruktionsverhaltens, des regelmäßigen Untertauchens und der massiven Straffälligkeit des BF keine großen Probleme, seine mangelnde Vertrauenswürdigkeit und seine feste Absicht seine Abschiebung zu vereiteln, festzustellen.

Die Tatsache, dass die Identität bzw. Staatsangehörigkeit des BF nicht eindeutig festgestellt werden kann, ergibt sich daraus, dass von Seiten des Bundesamtes bei den Vertretungsbehörden der Russischen Föderation, Belarus, der Ukraine und Polen die Ausstellung eines Heimreisezertifikates beantragt wurde. Dieses konnte jedoch mangels Identifizierbarkeit des Fremden unter den dem Bundesamt vorliegenden Daten mit den Registern der Russischen Föderation, Belarus, Polen und der Ukraine, nicht ausgestellt werden. Es ist daher weder die Identität noch die Staatsangehörigkeit des BF feststellbar. Dass der BF Russisch spricht ergibt sich aus der Tatsache, dass sämtliche Einvernahmen in Russisch durchgeführt wurden. Der BF gab jedoch im gesamten Verfahren an, dass er russischer Staatsangehöriger ist. Bei seiner Einvernahme am 28.10.2018 gab er an: „Ich fühle mich nicht so gut. Ich habe gestern Drogen genommen und heute geht es mir nicht so gut. Ich wollte schon nach Hause fahren nach Russland.“, weiters gab er an „Am XXXX in Moskau geboren“ zu sein Diese Angaben stimmen auch mit den bisherigen Angaben im Asylverfahren und dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.06.2012, überein. So ging das Bundesamt zu Recht davon aus, bei den russischen Behörden ein Heimreisezertifikat (HRZ) zu erlangen. Parallel dazu wurde auch bei anderen Staaten, wie Polen, Weißrussland und der Ukraine ein Heimreisezertifikat beantragt.

Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass das erste HRZ-Verfahren mit Russland bereits zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem BVwG zur
GZ. W272 2209027-1 im Jahr 2018 erfolglos war. Ebenso waren HRZ-Anfragen in Belarus und Polen erfolglos. Das noch offene HRZ-Verfahren mit der Ukraine wurde am 24.05.2018 (Schreiben des BFA im Verfahren W272 2209027-1) gestartet. Parallel wurde auch noch im Jahr 2018 ein zweites HRZ-Verfahren mit Russland beantragt, da nunmehr die Möglichkeit der Vorführung des BF vor eine Delegation der russischen Botschaft möglich war. Letztlich führte aber trotz Vorführung des BF dieses Verfahren am 15.11.20219 zu einer schriftlichen Ablehnung des HRZ-Antrages durch Russland.

Das HRZ Verfahren mit der Ukraine (Schreiben der Abt. BII/1 des BFA vom 9.11.2021, OZ 23) hatte bis zu diesem Zeitpunkt trotz des bereits seit Mai 2018 laufenden Verfahrens keine Antwort oder Nachfrage der ukrainischen Behörden produziert und war bis zu diesem Zeitpunkt auch noch nie urgiert worden. Erst am 20.11.2019 erfolgte eine erste Urgenz, die ebenfalls unbeantwortet blieb. Angesichts dieser Fakten ist es für das BVwG auf Beweisebene nicht ersichtlich, wie nach der Absage durch Russland, die (mit Übersetzung) am 15.11.2021 vorlag, eine wahrscheinliche Durchsetzbarkeit der Abschiebung gegeben gewesen sein sollte, zumal das Verfahren mit der Ukraine bereits 18 Monate ohne nennenswerten Fortschritt gelaufen war und der BF bereits zuvor im November 2018 wegen mangelnder Aussicht auf ein HRZ (auch seitens der Ukraine) aus der Schubhaft entlassen worden war. Auch traten im November 2019 nach den vorliegenden Unterlagen keine Umstände oder Hinweise zu tage, die die Ausstellung eines HRZ oder zumindest eine Antwort der ukrainischen Behörden plötzlich deutlich wahrscheinlicher schienen ließen, da lediglich Russland (erneut) eine Ausstellung ablehnte. Dass die (zweite) Ablehnung Russlands nach 18monatiger absoluter Ereignislosigkeit im Verfahren mit der Ukraine die Wahrscheinlichkeit für eine HRZ-Ausstellung spontan erhöht hätte, wird zwar vom BFA in seiner Stellungnahme (OZ 17) letztlich implizit behauptet, jedoch nicht weiter begründet. Es war daher festzustellen, dass mit Ablauf des 15.11.2019 eine ausreichende Wahrscheinlichkeit der Durchsetzung der Abschiebung des BF (egal in welches mögliche Herkunftslang) nicht mehr gegeben war.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A):

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

3.1. Rechtsgrundlagen:
§§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) und Art. 28 VO (EU) 604/2013 lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Artikel 28

Haft

„(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.“

3.1.2. Zur Judikatur allgemein:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.2 Zum konkreten Fall:

Zum Sicherungszweck des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG, der „Sicherung der Abschiebung“ ist festzuhalten, dass eine zu diesem Zweck verhängte Schubhaft nur rechtens sein kann, wenn mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Durchsetzbarkeit der Abschiebung geschlossen werden kann, wozu vor allem die Erlangbarkeit eines HRZ Voraussetzung ist. Hierzu hält der VwGH in seiner einschlägigen Judikatur fest:

„Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann immer nur dann verhältnismäßig sein, wenn mit dem der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist. Ergibt sich, dass diese fremdenpolizeiliche Maßnahme innerhalb der Schubhafthöchstdauer nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden bzw. ist – wenn sich das erst später herausstellt – umgehend zu beenden.“ (VwGH 28.08.2012, 2010/21/0517; vgl. VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

„Für die Frage der Rechtmäßigkeit der Schubhaft ist es nicht erforderlich, dass die Identität des Fremden bereits geklärt ist; vielmehr genügt es, dass Aussicht besteht, die Klärung der Identität - und damit verbunden die Erlangung eines Heimreisezertifikats - innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer bewirken zu können.“ (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0348)

„Bloße Bemühungen der Behörde genügen für die Annahme einer rechtzeitigen Erlangbarkeit des Vorheriger Heimreisezertifikats nicht, sie müssen vielmehr zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein (wobei für den zu verlangenden Wahrscheinlichkeitsgrad auch die bisherige Dauer der Schubhaft und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen können). Bisherige „Erfahrungswerte“ - wie vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführt - können wesentliche Anhaltspunkte für die vorzunehmende Beurteilung bieten; das setzt aber voraus, dass diese Erfahrungswerte nachvollziehbar festgestellt und nicht nur - wie hier - ohne jede Konkretisierung behauptet werden.“ (VwGH 12.01.2021, Ra 2020/21/0378)

Besteht somit keine gewisse Wahrscheinlichkeit mehr, dass für den BF ein HRZ erlangt werden kann, ist der Sicherungszweck des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG nicht mehr erfüllbar, was eine über diesen Zeitpunkt aufrechterhaltene Schubhaft rechtswidrig macht.

3.2.1. Zum Anhaltezeitraum von XXXX .2019 bis 15.11.2019 (Spruchpunkt I.)

Wie festgestellt, bestanden bis zur Ablehnung des zweiten HRZ-Verfahrens durch Russland am (übersetzt:) 15.11.2021 ausreichende Hinweise darauf, dass dieses Verfahren zum Erfolg führen könnte und dem BF nach in diesem Verfahren erfolgter Vorführung vor die russische Botschaft als russischer StA. identifiziert und ein HRZ ausgestellt werden könnte. Bedingt durch regelmäßig stattfindende Charterabschiebungen nach Russland hätte der BF in diesem Fall rasch abgeschoben werden können. Bis (einschließlich) 15.11.2019 war daher der Sicherungszweck § 76 Abs. 2 Z 2 FPG, „Sicherung der Abschiebung“ jedenfalls gegeben.

Gegenständlich hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Annahme von Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr auf die Erfüllung der Tatbestände der Z 1, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG gestützt. Diese Tatbestände hat das BFA zu Recht herangezogen, wobei es angesichts der Verfahrenshistorie und des über viele Jahre gezeigten massiven Vereitelungs- und Fluchtverhaltens des BF genügt, kursorisch darauf einzugehen:

Der BF erfüllt mit seinem Verhalten unzweifelhaft § 76 Abs. 3 Z 1 FPG, da er immer wieder im Bundesgebiet zwischen seinen Haftaufenthalten untergetaucht ist, behördlich nur in PAZ oder Justizanstalten gemeldet war, sicher mehrfach aus gegen ihn verhängten Schubhaften durch Hungerstreiks freigepresst hat, sich den geführten Verfahren immer wieder entzogen und bis dato alles getan hat, um seine wahre Identität und Staatsangehörigkeit zu verschleiern. Es ist also mehr als gerechtfertigt anzunehmen, dass der BF alles tut und tun wird um seine Abschiebung zu vereiteln und die HRZ-Verfahren zu sabotieren.

Bei der Beurteilung ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG ebenso zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). Da gegen den BF eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag und vorliegt und er darüber hinaus weitere Tatbestände des § 76 Abs. 3. erfüllte, ist auch der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG erfüllt.

Darüber hinaus ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Der BF hat keine maßgeblichen sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich, er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Er selbst hat angegeben keine Familienangehörigen im Bundesgebiet zu haben. Die soziale Verankerung in Österreich kann nur als sehr gering festgestellt werden, zumal sich der BF auch längere Zeiten in Strafhaft aufhielt. Er ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügte über keinen gesicherten Wohnsitz, kam bei Freunden unter und ist seiner Meldeverpflichtung nicht nachgekommen.

In einer Gesamtschau besteht daher sehr hoher Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr.

Gemäß § 76 Abs. 2a ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt. Der BF wurde sechsmal strafrechtlich wegen verschiedener Vorsatzdelikte verurteilt, sodass auch hier ein öffentliches Interesse an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung gegeben war und daher der Schutz der persönlichen Freiheit des BF überwiegt und daher verhältnismäßig ist. Bis zum 15.11.2019 war auch noch eine realistische Möglichkeit der Ausstellung eines HRZ durch Russland gegeben, weshalb in der kurzen Anhaltedauer von XXXX .2021 bis 15.11.2021 in Schubhaft angesichts des festgestellten Vorverhaltens des BF keine Unverhältnismäßigkeit zu erblicken ist.

Die Beschwerde war daher hinsichtlich des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft von XXXX .2019 bis 15.11.2019 gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG abzuweisen.

3.2.2. Zum Anhaltezeitraum von 16.11.2019 bis 24.01.2020 (Spruchpunkt II.):

Wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt, ist für das BVwG nicht ersichtlich, hinsichtlich welches in Frage kommenden Herkunftsstaates ab 16.11.2019 noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der möglichen Identifizierung und anschließender HRZ-Ausstellung gegeben gewesen sein soll. Wie die Beschwerde hierzu zutreffend vorbringt, ist nicht ersichtlich, was sich an der Situation des einzig noch verbliebenen HRZ-Verfahrens mit der Ukraine im November 2019 derart geändert hätte, dass nun im Gegensatz zur Entlassung des BF aus der Schubhaft im November 2018 (die gerade eben mangelnder Wahrscheinlichkeit einer HRZ-Ausstellung erfolgte) eine HRZ-Ausstellung durch die Ukraine wahrscheinlicher geworden wäre. Tatsächlich war nach den Informationen im Verwaltungsakt und dem Schreiben des BFA (OZ 23) offenbar seit Einleitung des HRZ-Verfahrens mit der Ukraine im Mai 2018 bis 20.11.2019 weder eine Antwort oder Nachfrage eingelangt, noch seitens des BFA eine Urgenz erfolgt. Angesichts dieses langen Zeitraums der Ereignislosigkeit in 18 Monaten dieses (einzig) noch verbliebenen HRZ-Verfahrens des BF ist für das BVwG somit nicht ersichtlich, dass nach 15.11.2019 noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine HRZ-Ausstellung für den BF bestand, was letztlich zur Nicht-Erreichbarkeit des Sicherungszwecks „Sicherung der Abschiebung“ mit 16.11.2019 führt. Das Bundesamt hätte den BF daher – ungeachtet seiner erheblichen Straffälligkeit, die im Hinblick auf den Sicherungszweck keine Rolle spielt – schon mit 16.11.2019 mangels realistischer Aussicht auf eine Identifizierung und somit einer HRZ-Ausstellung aus der Schubhaft entlassen müssen. Letztlich tat das Bundesamt dies auch, aber erst am 24.01.2020, als die ggst. Schubhaftbeschwerde einlangte.

Der Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft von 16.11.2019 bis 24.01.2020 war daher stattzugeben und die Anhaltung in diesem Zeitraum gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig zu erklären.

3.3 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkt III.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde ein Teil der Anhaltung in Schubhaft für rechtmäßig befunden und ein anderer zeitlich abgegrenzter Teil der Anhaltung für rechtswidrig erklärt. Somit sind sowohl die belangte Behörde als auch der BF hinsichtlich des einheitlichen Aktes unmittelbarerer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (AuvBZ) teilweise obsiegende und teilweise unterlegene Partei. Da § 35 VwGVG jedoch kein teilweises Obsiegen im Schubhaftbeschwerdeverfahren hinsichtlich ein- und desselben AuvBZ kennt (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0122, Rn. 11, mwN), waren sowohl der Antrag des BF als auch jener des Bundesamtes auf Aufwandersatz abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

Zu B):

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Fluchtgefahr Heimreisezertifikat Identität Kostenersatz Meldeverpflichtung Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Teilstattgebung Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2209027.2.00

Im RIS seit

26.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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