TE OGH 2021/9/14 6Ob147/21t

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der F***** T*****, geboren am ***** 1923, *****, vertreten durch Battlog Rechtsanwalts GmbH in Schruns, wegen Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 25. Mai 2021, GZ 3 R 163/21z, 3 R 164/21x-47, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

[1]            Das Erstgericht bestellte für die Betroffene eine Rechtsanwältin zur einstweiligen gerichtlichen Erwachsenenvertreterin (§ 120 AußStrG) zur Vertretung der Betroffenen hinsichtlich ihres Rechts, Besuche ihres älteren Sohns zu erhalten und mit ihm Kontakt zu pflegen, zur Einholung von Informationen aller Art bei Banken, Gerichten und privaten Geschäftspartnern, insbesondere auch für die Vergangenheit, und zur Überprüfung von Vollmachten, die die betroffene Person erteilt hat, sowie Einholung von damit zusammenhängenden Informationen. Des Weiteren wurde die Rechtsanwältin zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird (§ 119 AußStrG) bestellt. Mit einem weiteren Beschluss beauftragte das Erstgericht eine Sachverständige mit der Erstellung eines Gutachtens darüber, ob bei der Betroffenen eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit vorliegt (§ 120a AußStrG).

[2]            Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen gegen den Beschluss, mit dem die Rechtsanwältin zum Rechtsbeistand im Verfahren und zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin bestellt wurde, nicht Folge und wies ihren Rekurs gegen den Beschluss über die Bestellung der Sachverständigen als unzulässig zurück. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

[4]            1. Die Betroffene wird von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten. Dies ist zulässig, weil im derzeitigen Verfahrensstadium nach der Aktenlage nicht offenkundig ist, dass ihr die Vernunft völlig fehlte und sie nicht fähig wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539; 7 Ob 31/21s [bereits zum Erwachsenenschutzverfahren]).

[5]       2.1 Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG). Bereits das Erstgericht hat seine Entscheidung mit möglichen Interessenskonflikten zwischen dem jüngeren Sohn und der Betroffenen begründet. Eine „überraschende“ Rechtsansicht des diese Beurteilung teilenden Rekursgerichts liegt daher nicht vor.

[6]            2.2 Ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens wegen unterbliebener Zustellung des Protokolls und des Aktenvermerks über die Erstanhörung wurde im Rekurs nicht geltend gemacht. Ein behaupteter Verfahrensmangel erster Instanz, der im Rekurs nicht gerügt wurde, bildet aber auch im Außerstreitverfahren – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen – keinen Revisionsrekursgrund (RS0050037 [T13]).

[7]       Der weitere neuerlich gerügte erstinstanzliche Verfahrensmangel wurde bereits vom Rekursgericht verneint und kann daher ebenso im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (6 Ob 124/21k; RS0030748 [T15]).

[8]            3.1 §§ 273 f ABGB, die die Auswahl des Erwachsenenvertreters regeln, sind auch auf die Auswahl eines Rechtsbeistands im Verfahren und eines einstweiligen Erwachsenenvertreters anzuwenden (vgl 2 Ob 185/18x; 7 Ob 9/18a; 7 Ob 184/12b).

[9]            Bei der Beurteilung der Eignung einer Person zum Erwachsenenvertreter ist auf mögliche Interessenskollisionen Bedacht zu nehmen (vgl 2 Ob 129/20i; 5 Ob 59/19s; 2 Ob 164/16f), wobei zur Annahme einer Interessenskollision bereits ein objektiver Tatbestand genügt (RS0048982 [T1]). Bei bestehenden Hinweisen auf Interessensgegensätze reicht außerdem bereits eine mögliche Interessenskollision, sofern sie auch nur wahrscheinlich ist (2 Ob 129/20i; 2 Ob 164/16f; RS0049104 [T9]), aus, um der Eignung auch eines nahen Angehörigen als Erwachsenenvertreter entgegenzustehen. In der Entscheidung 5 Ob 44/06s wurde die Ansicht der Vorinstanzen für vertretbar erachtet, es liege eine Interessenskollision vor, wenn ein Rechtsanwalt, der Rechtsberater und Rechtsvertreter der Eltern ist, gleichzeitig Sachwalter deren Sohnes ist. Ob eine Interessenskollision im dargelegten Sinn zu befürchten ist, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 129/20i; 10 Ob 317/00s).

[10]           3.2 Hier bestehen zwischen den beiden Söhnen der Betroffenen vehemente Auseinandersetzungen hinsichtlich der Kontakte des älteren Sohnes zur Betroffenen und hinsichtlich deren Vermögenssituation, die auch bereits gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Söhnen zur Folge hatten. Nach den Ergebnissen der Erstanhörung steht der jüngere Sohn, bei dem die Betroffene lebt, Kontakten des älteren Sohnes ablehnend gegenüber und ist nicht bereit, solche zu ermöglichen. Die Betroffene äußerte damals jedoch, dass sie ihren älteren Sohn sehen will.

[11]     Das Rekursgericht war der Auffassung, dass angesichts dieser Umstände eine Interessenskollision zwischen dem jüngeren Sohn und der Betroffenen wahrscheinlich sei und dies auch für die im Bestellungsverfahren einschreitende gewählte rechtsfreundliche Vertreterin der Betroffenen gelte, die gleichzeitig auch den jüngeren Sohn vertritt. Daher fehle sowohl dem in der Erwachsenenvertreter-Verfügung der Betroffenen genannten jüngeren Sohn die Eignung zum einstweiligen Erwachsenenvertreter als auch der gewählten Vertreterin der Betroffenen jene zum Rechtsbeistand im Bestellungsverfahren. Damit hat es den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[12]           Der erstmals im Revisionsrekurs erfolgte Hinweis, eine Interessenskollision hinsichtlich der Besuche durch den älteren Sohn liege nicht mehr vor, weil diese Angelegenheit durch einen nach Rekurserhebung geschlossenen gerichtlichen Vergleich geregelt worden sei, geht schon deshalb ins Leere, weil dieser Vergleich nur zwischen den beiden Söhnen geschlossen wurde. Es ist daher weiterhin erforderlich, für die Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen (auch) hinsichtlich der Kontakte zu sorgen, deren reibungsloser Ablauf nach der Aktenlage im Übrigen auch nicht gesichert erscheint.

[13]     4. Zur Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss des Erstgerichts, mit dem eine Sachverständige bestellt wurde, enthält der außerordentliche Revisionsrekurs keine inhaltlichen Ausführungen. Darauf ist somit nicht einzugehen.

[14]           5. Über den nach Rekurserhebung gestellten Antrag der Betroffenen auf Umbestellung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin wegen einer darin erstmals behaupteten Interessenskollision hatte das Erstgericht eine gesonderte Entscheidung zu treffen, die auch bereits erfolgt ist; diese ist aber nicht Gegenstand dieses Revisionsrekursverfahrens.

Textnummer

E132957

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00147.21T.0914.000

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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