TE OGH 2021/7/27 30R117/21b

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Veröffentlicht am 27.07.2021
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungs- und Rekursgericht in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dr. Thomas Geser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei F***** AG, *****, vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 176.419,06 sA, über die Berufung (Berufungsinteresse: Nebenforderung iSd § 54 Abs 2 JN [Zinsen]) und den Kostenrekurs (Rekursinteresse: EUR 1.720,62) der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28.4.2021, 12 Cg 47/18h-35, in nicht öffentlicher Sitzung

         I. durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Stiefsohn und den Kommerzialrat Binder zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 489,05 (darin EUR 81,51 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

         Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

         II. durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag.a Fitz und den Richter Dr. Stiefsohn beschlossen:

         Dem Kostenrekurs wird teilweise Folge gegeben.

         Die Kostenentscheidung (Spruchpunkt 5. des angefochtenen Urteils) wird geändert und lautet:

         „5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 12.898,14 (darin EUR 1.419,69 USt und EUR 4.380 Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

         Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Entscheidungsgründe,

Text

Begründung:

         Mit seiner am 17.5.2018 eingebrachten Klage begehrte der Kläger von der Beklagten nach einem am 21.12.2017 erklärten „Spätrücktritt“ von einem fondsgebunden Lebensversicherungsvertrag wegen unrichtiger und unvollständiger Information über sein gesetzliches Rücktrittsrecht (§ 165a VersVG) zuletzt die Rückzahlung der Versicherungsprämien, die er von Jänner 2005 bis Dezember 2017 monatlich gezahlt hatte und die nach Abzug der Risikoprämien EUR 176.419,06 ergeben, samt 4 % Zinsen jeweils ab dem 20. des Monats der Prämienzahlung und 4 % Zinseszinsen aus den bis zur Klagszustellung (am 24.5.2018) fälligen Zinsen.

         Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, die Rücktrittsfrist sei abgelaufen, das Rücktrittsrecht sei verjährt und der Rücktritt sei rechtsmissbräuchlich. Sie habe jedenfalls nur den Rückkaufswert zu erstatten. Zinsen wegen der gezahlten Prämien würden binnen drei Jahren verjähren und stünden dem Kläger allenfalls für die letzten drei Jahre vor der Klagseinbringung zu.

         Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren teilweise statt. Es sprach aus, dass die Klageforderung zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger EUR 176.419,06 samt 4 % Zinsen pa aus den monatlichen Prämien von Mai 2015 bis Dezember 2017, jeweils ab dem 20. des Monats, samt 4 % Zinseszinsen pa aus den bis 24.5.2018 fälligen Zinsen zu zahlen. Das auf die Zahlung von 4 % Zinsen pa aus den monatlichen Prämien von Jänner 2005 bis April 2015, jeweils ab dem 20. des Monats, samt 4 % Zinseszinsen aus den bis 24.5.2018 fälligen Zinsen gerichtete Mehrbegehren wies es mit der Begründung ab, die bei der Klagseinbringung mehr als drei Jahre rückständigen Vergütungszinsen seien verjährt. Weiters verpflichtete es die Beklagte, dem Kläger die mit EUR 12.026,22 bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.

         Gegen die Abweisung eines Teils des Zinsenmehrbegehrens, nämlich 4 % Zinsen aus den monatlichen Prämien von Jänner 2005 bis April 2015, jeweils ab 18.5.2015, samt 4 % Zinseszinsen aus den bis 25.5.2018 fälligen Zinsen, richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil zu ändern und dem Klagebegehren auch insofern stattzugeben.

         Gegen die erstgerichtliche Kostenentscheidung richtet sich der im selben Schriftsatz ausgeführte und als „Berufung im Kostenpunkt“ bezeichnete Kostenrekurs des Klägers mit dem Antrag, ihm weitere EUR 1.720,62 Kostenersatz zuzusprechen.

         Die Beklagte beantragt, den Rechtsmitteln nicht Folge zu geben.

         

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt. Der Kostenrekurs ist teilweise berechtigt.

         I. Zur Berufung:

         1. Der Kläger wendet sich nicht gegen die Ansicht des Erstgerichts, die bei der Klagseinbringung mehr als drei Jahre rückständigen Vergütungszinsen seien verjährt. Er argumentiert aber zusammengefasst, dass er auch für die von Jänner 2005 bis Mai 2015 gezahlten Prämien Zinsen für die letzten drei Jahre vor der Klagseinbringung beanspruchen könne, also ab 18.5.2015. Das Berufungsgericht teilt diese Ansicht nicht:

         2. Das Erstgericht hat die gefestigte Rechtsprechung des OGH zur Verjährung von Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher rückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“) zutreffend zusammengefasst. Zur Vermeidung von Wiederholungen ist auf diese Ausführungen zu verweisen (US 18-19). Für die Zwecke des Berufungsverfahrens ist hervorzuheben, dass der Anspruch auf Vergütungszinsen auch bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrags infolge Spätrücktritts grundsätzlich – wenn dadurch nicht ausnahmsweise die Wirksamkeit des Rücktrittsrechts des Versicherungsnehmers beeinträchtigt wird – innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung verjährt (RS0133108; RS0033829). Zinseszinsen wiederum können mangels gesonderter Vereinbarung nicht vor dem Tag der Klagsbehändigung gefordert werden (jüngst zB 7 Ob 146/20a; 7 Ob 174/20v).

         3. Das Argument des Klägers, die dreijährige Verjährungsfrist der Vergütungszinsen habe erst mit seinem Vertragsrücktritt (am 21.12.2017) zu laufen begonnen, widerspricht der ständigen Rechtsprechung des OGH, wonach die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung bereits im Zeitpunkt der Zahlung der Prämie besteht, weshalb die Verjährungsfrist in diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt (jüngst 7 Ob 177/20k; 7 Ob 88/20x; 7 Ob 137/20b; 7 Ob 174/20v). Der Kläger zeigt richtig auf, dass der OGH daraus regelmäßig ableitet, dass am Tag der Klagseinbringung mehr als drei Jahre rückständige Vergütungszinsen verjährt sind (zB 7 Ob 177/20k; 7 Ob 88/20x; 7 Ob 137/20b). Der von ihm gezogene Schluss, er könne auch für jene Prämien, die er mehr als drei Jahre vor der Klagseinbringung gezahlt hat, Vergütungszinsen für die letzten drei Jahre vor der Klagseinbringung fordern, trifft aber nicht zu: Da der Anspruch auf Vergütungszinsen binnen drei Jahren verjährt und die Verjährungsfrist mit der Zahlung der Prämie zu laufen beginnt, sind – wie das Erstgericht richtig erkannt hat – sämtliche Vergütungszinsen aus den mehr als drei Jahre vor der Klagseinbringung gezahlten Prämien verjährt.

         4. Dass die Rechtsprechung des OGH in diesem Sinn auszulegen ist, zeigt besonders illustrativ die Entscheidung 7 Ob 192/20s vom 27.1.2021: Der Versicherungsnehmer hatte mit dem Versicherer einen fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag mit dem Vertragsbeginn am 1.11.2000 geschlossen. Er hatte dem Versicherer von 1.11.2000 bis 1.9.2018 jeweils am Monatsersten die monatlichen Prämien von zunächst EUR 218 bis Dezember 2011 und EUR 100 ab Jänner 2012 gezahlt. Am 11.10.2017 hatte er den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt. Mit seiner am 5.12.2017 eingebrachten Klage hatte er die Rückzahlung der Prämien samt Vergütungszinsen ab dem Zeitpunkt der Prämienzahlung begehrt. Der OGH sprach ihm Vergütungszinsen nur für die ab dem 5.12.2014 gezahlten Prämien zu (Spruchpunkt I.). Im Umfang der Entscheidung über die Zinsen für die bis zum 4.12.2014 gezahlten Prämien hob er die Entscheidungen der Vorinstanzen auf (Spruchpunkt II.) und begründete dies mit der nötigen Erörterung und Klärung, ob nicht jene Umstände vorlägen, aus denen sich die Anwendung der dreißigjährigen Verjährungsfrist ergäbe (Punkt 6.2. iVm den Punkten 5.2. und 5.3.). Er ging also augenscheinlich davon aus, dass bei der Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist alle Vergütungszinsen für Prämien, die mehr als drei Jahre vor der Klagseinbringung gezahlt worden waren, verjährt wären (so auch Punkt 5.3.).

         5. Anhaltspunkte dafür, dass diese Auslegung den angemessenen Ausgleich zwischen dem Bereicherungsschuldner und dem Bereicherungsgläubiger sowie das Rücktrittsrecht konterkariere und dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot widerspräche, sieht das Berufungsgericht nicht. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Kläger infolge des Rücktritts nicht nur die Rückzahlung der Prämien, sondern auch 4 % Vergütungszinsen für die in den letzten drei Jahren vor der Klagseinbringung gezahlten Prämien beanspruchen konnte (und auch zugesprochen erhalten hat). Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass 4 % Zinsen bei vergleichbarem Risiko auf dem Markt nicht zu erzielen gewesen wären.

         6. Schließlich zeigt der Kläger zwar auf, dass auf die Verjährung, ohne Einwendung der Parteien, von Amts wegen kein Bedacht zu nehmen ist (§ 1501 ABGB). Die Beklagte hat aber einen entsprechenden Verjährungseinwand erstattet. Sie hat insbesondere allgemein vorgebracht, dass allfällige dem Kläger zustehende Vergütungszinsen binnen drei Jahren verjähren und dass die Verjährungsfrist mit der objektiven Möglichkeit der Geltendmachung und nicht erst ab dem Rücktritt zu laufen beginne (S 7 des Schriftsatzes vom 6.9.2018, ON 8). Entgegen der Ansicht des Kläger liegt der Teilabweisung des Zinsenbegehrens wegen Verjährung somit ein entsprechender Verjährungseinwand zu Grunde.

         7. Zusammengefasst bedarf das angefochtene Urteil keiner Korrektur.

         8. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Als Bemessungsgrundlage hat die Beklagte richtig EUR 1.000 herangezogen (§ 12 Abs 4 lit b RATG).

         9. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision beruht auf § 502 Abs 2 ZPO. Wird eine Klage im Zuge des Verfahrens, aus welchem Grund immer, auf Zinsen und Kosten eingeschränkt, so bedeutet dies nicht, dass die Zinsen und Kosten nunmehr selbständig eingeklagt wären; vielmehr sinkt der Streitwert nach der JN auf Null (§ 54 Abs 2 JN; RS0042793; RS0046466 [T4]). Derselbe Grundsatz muss gelten, wenn im Berufungsverfahren nur mehr eine Nebenforderung zu beurteilen ist. Der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, übersteigt damit nicht EUR 5.000.

         II. Zum Kostenrekurs:

         1. Die Zivilprozessordnung kennt keine „Berufung im Kostenpunkt“. Das Rechtsmittel ist daher als Kostenrekurs zu behandeln.

         2. Das Erstgericht hat dem Kläger zwar Kostenersatz zugesprochen, die Kosten des Schriftsatzes vom 5.10.2020 (ON 30; verzeichnet mit EUR 1.720,62) aber mit der Begründung für nicht ersatzfähig angesehen, der Kläger hätte das Vorbringen in der darauffolgenden Tagsatzung erstatten können (US 21). Der Kläger hält dem entgegen, das in diesem Schriftsatz erstattete Vorbringen sei in der darauffolgenden Tagsatzung umfangreich erörtert worden. Hätte er das Vorbringen erst in der Tagsatzung erstattet, hätte es nicht sinnvoll erörtert werden können. Das Rekursgericht hat dazu erwogen:

         3. Der Schriftsatz ON 30 ist ein bestimmender Schriftsatz, weil der Kläger das Klagebegehren um den Anspruch auf 4 % Zinseszinsen ausgedehnt hat. Er hat darin aber auch Sach- und Rechtsvorbringen zur Verjährung der Vergütungszinsen erstattet, wobei er sich auf die jüngst ergangene Rechtsprechung des EuGH und des OGH bezog. Die Beklagte hat auf diesen Schriftsatz repliziert (Schriftsatz vom 7.10.2020, ON 31). Die Parteien haben die beiden Schriftsätze in der Tagsatzung vom 14.10.2020 vorgetragen (S 1 des Protokolls vom 14.10.2020, ON 32). Die vom Kläger beantragte Honorierung des fraglichen Schriftsatzes nach TP3A RATG kommt von vornherein nicht in Betracht, weil kein nach § 257 Abs 3 ZPO zulässiger oder vom Erstgericht aufgetragener vorbereitender Schriftsatz vorlag (vgl TP3A I.1.d. RATG). Das Rekursgericht schließt sich aber jener Rechtsprechungslinie des OGH an, welche die Kosten derartiger Schriftsätze allgemein für nach TP2 RATG ersatzfähig ansieht (RS0121828; vgl auch Kodek in Fasching/Konecny, ZPG3 § 257 ZPO Rz 38 mwN). Dass nach Beginn der mündlichen Streitverhandlung erstattete Schriftsätze schlechthin nicht zu honorieren wären, auch wenn sie vom Erstgericht nicht zurückgewiesen und von den Parteien mündlich vorgetragen wurden (vgl zB Kodek, aaO Rz 37 mwN), ist der ZPO nicht zu entnehmen. Der Schriftsatz ermöglichte eine rechtzeitige Auseinandersetzung des Gegners und des Gerichts mit dem neuen Vorbringen des Klägers und der Klageänderung, erleichterte dadurch die folgende Tagsatzung und war daher zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig; er ist somit nach TP2 RATG zu honorieren (vgl RS0121828).

         4. Die erstgerichtliche Kostenentscheidung ist daher um den Zuspruch weiterer EUR 871,92 (darin EUR 145,32 USt) zu korrigieren.

         5. Ein mit der Berufung verbundener Kostenrekurs und eine mit der Berufungsbeantwortung verbundene Kostenrekursbeantwortung sind nicht gesondert zu entlohnen, weil sie ein Teil der Berufung und der Berufungsbeantwortung sind und mit den Kosten für diese Schriftsätze abgegolten werden (RS0087844 [T3, T7]). Dies gilt nach der überwiegenden neueren Rechtsprechung auch bei einem (teilweisen) Erfolg des in der Sache unterlegenen Berufungswerbers im Kostenpunkt (RS0119892 [T4, T7]).

         6. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses im Kostenpunkt beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Textnummer

EW0001115

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2021:03000R00117.21B.0727.000

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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