TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/23 W281 2239743-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.03.2021
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Entscheidungsdatum

23.03.2021

Norm

AVG §57
BFA-VG §22a Abs1 Z3
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z5
FPG §76 Abs3 Z9
FPG §80 Abs5
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W281 2239743-1/75E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Rosemarie HALBARTH-KRAWARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2021, Zl. XXXX , sowie die Anhaltung in Schubhaft, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung. zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben, der Schubhaftbescheid der belangten Behörde, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 04.02.2021, 14 Uhr, für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

III. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

IV. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) befand sich von 03.02.2019 bis 03.02.2021 in Untersuchungs- und Strafhaft.

Über den BF wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt, belangte Behörde) vom 04.02.2021 die Schubhaft verhängt.

Am 04.02.2021 stellte der BF einen Asylfolgeantrag.

Am 19.02.2021 erhob der BF Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft.

Am 26.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch.

Am 26.02.2021 stellte das Bundesamt einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft nicht, er besitzt auch keine Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist wahrscheinlich afghanischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Er ist im Entscheidungszeitpunkt Asylwerber.

1.2. Es bestand gegen den BF bis zur Stellung seines Folgeantrages am 04.02.2021 eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme.

Am 04.02.2021 wurde über den BF die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängt. Kurz danach stellte der BF seinen ersten Folgeantrag. Der BF stellte während der Anhaltung in Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz ausschließlich um seine Abschiebung zu verhindern. Ein Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG wurde dem BF noch am selben Tag nachweislich übergeben. Dieser Aktenvermerk enthielt keine Begründung, warum das Bundesamt von einer Verzögerungsabsicht ausgegangen ist bzw. wurde die Verzögerungsabsicht mit der Stellung des Antrages an sich begründet. Am 24.02.2021 wurde dem BF ein weiterer Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG übergeben. Dieser weitere Aktenvermerk enthält detaillierte Ausführungen zur Verzögerungsabsicht des BF.

1.3. Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

1.4. Der BF weist in Österreich folgende strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

1.4.1. Der BF wurde am 18.06.2018, rk seit 22.06.2018, mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX zu einer Geldstrafe von 120 Tagen zu je 4,00 EUR (480,00 EUR) im Fall der Uneinbringlichkeit 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen dem Vergehen der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB und dem Vergehen der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB verurteilt.

Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF am

A. 16.12.2017 eine Person durch Versetzen von mehreren Schlägen gegen den Kopf, wodurch diese Prellungen im Bereich des rechten Schläfenbeins und Abschürfungen im Bereich des liken Ellenbogens erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt hat;

B. am 31.03.2018 fremde Sachen, nämlich ein Stockbett, einen Schwedenofen, einen Holztisch und eine Tür beschädigt hat, indem er die oben genannten Gegenstände durch das Zimmer warf und umwarf, wodurch ein Gesamtschaden in der Höhe von EUR 3.040,-- entstand.

Mildernd wurden die Unbescholtenheit und erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen gewertet.

1.4.2. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.04.2019 wurde der BF wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB, dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung mit schwerer Dauerfolge nach §§ 15, 87 Abs. 1 und 2 erster Fall StGB und dem Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF

A. am 3.2.2019 mit einer zuvor von ihm abgeschlagenen Glasflasche

I. Personen gefährlich mit dem Tode bedroht um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen und zwar

1. CI indem er Stichbewegungen in seine Richtung durchführte;

2. BZ, MW und CI, indem er ihnen gegenüber wiederholt äußerte „ich werde zurückkommen und ich werde euch und eure Angehörigen umbringen!“ sowie mit Gesten andeutete, ihnen den Hals abzuschneiden und die Glasflasche in ihre Richtung zu werfen, teils während er die Glasflasche in der Hand hielt;

II. BZ, indem er versuchte den Genannten mit der Abbruchseite der Glasflasche im Kopf— und Halsbereich zu treffen, wodurch der Genannte eine Schnittwunde auf der linken Seite seines Gesichts erlitt, wobei es nur beim Versuch blieb, weil BZ seinen Kopf zur Seite drehen konnte und CI die Ausführung der Tat verhinderte und die Tat eine schwere Dauer folge (§ 85 StGB) nach sich gezogen hat, und zwar eine auffallende Verunstaltung in Form einer auffälligen bogenförmigen, unterhalb des linken Auges sowie einer zweiten rund 2 cm langen Narbe;

B. am 05.02.2019 BZ, MW und CI dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigte, obwohl er wusste , dass diese Verdächtigung falsch ist, indem er während seiner Vernehmung als Beschuldigter angab, BZ hätte ihn zu Boden gestoßen und alle drei Genannten hätten ihn mit Fäusten geschlagen und mit Füßen auf ihn eingetreten, während er am Boden lag wodurch er Verletzungen im Gesicht und ein Summen im Ohr erlitten hätte, sie sohin des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB wissentlich falsch beschuldigt.

Bei der Strafzumessung war unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 87 Abs 2 erster Fall StGB von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren auszugehen. Dabei wertete das Gericht mildernd das umfassende Geständnis zu B./, das Tatsachengeständnis zu A./, dass es hinsichtlich der absichtlich schweren Körperverletzung beim Versuch geblieben ist, die Enthemmung durch Alkohol infolge der Todesnachricht seines Bruders und erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Delikte und eine einschlägige Vorverurteilung.

1.5. Der BF hat in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte in Österreich. Er ist beruflich in Österreich nicht verankert. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz. Der Bf ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig, kinderlos und hat keine Sorgepflichten. Der Bf ist weder Mitglied in einem Verein, noch engagiert er sich ehrenamtlich. Der Bf geht keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und hat kein regelmäßiges Einkommen. Er verfügt über keine Wohnmöglichkeit bei XXXX .

1.6. Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung nicht. Es konnte eine Verurteilung den BF nicht zu rechtskonformen Verhalten bewegen und wurde er erneut rasch rückfällig und straffällig. Der BF ist nicht bereit freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der BF untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen.

1.7. Es ist mit einem raschen Abschluss des Asylverfahrens zu rechnen. Die Einvernahme des BF ist für den 02.03.2021 angesetzt. Es ist geplant den faktischen Abschiebeschutz des BF abzuerkennen. Dass die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutz vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wird ist derzeit wahrscheinlich. Mit dem Abschluss des Asylverfahrens ist in wenigen Wochen bis Monaten zu rechnen.

1.8. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist möglich. Es werden aktuell Heimreisezertifikate ausgestellt. Interviews sollen ab 05.03.2021 wieder stattfinden. Durch Mitwirkung bei den afghanischen Behörden kann der BF zu einer raschen Identitätsfeststellung und Ausstellung eines Heimreisezertifikats beitragen. Durch Vorlage von Unterlagen die seine Identität belegen kann der BF zu einer raschen Identitätsfeststellung und Ausstellung eines Heimreisezertifikats beitragen.

Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats erfolgt eine zeitnahe Abschiebung des BF. Für die kommenden Wochen und Monate sind immer wieder geplante Charterrückführungen angesetzt.

1.9. Die belangte Behörde hat jedenfalls über vier Wochen vor der bedingten Entlassung des BF von dieser erfahren. Die Möglichkeit der bedingten Entlassung war ihr überdies aus der Vollzugsinformation des BF bekannt.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des Bundesamtes und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, dem Asylakt des BF zu W131 2161316-1 sowie aus dem vom BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck. Einsicht genommen wurde in das Melderegister, in das Strafregister, das Fremdenregister, die Anhaltedatei sowie in das GVS-Informationssystem und das AJ-Web.

2.1. Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus der Aktenlage und sind unbestritten. Auch in der mündlichen Verhandlung konnte der BF keine Dokumente vorlegen, die seine Identität bezeugen. Eine Tazkira, würde sich aber in Afghanistan befinden (OZ 70, Niederschrift S. 8) Im Verfahren sind keine Ermittlungsergebnisse hervorgekommen, die den Schluss zulassen, dass der BF Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter ist. Da er am 04.02.2021 einen Folgeantrag gestellt hat und in diesem Verfahren noch keine Entscheidung getroffen wurde ist er Asylwerber.

2.2. Die zum Zeitpunkt 04.02.2021 bestehende rechtskräftig aufenthaltsbeendende Maßnahme ist die Beschwerdevorentscheidung vom 25.09.2021 (Akt_Fremdenakt, AS 132ff). Einen Vorlageantrag hat der BF nicht gestellt, ein solcher ist auch nicht aktenkundig.

Dass über den BF am 04.02.2021 die Schubhaft verhängt wurde ergibt sich aus dem diesbezüglichen Bescheid (Akt_Fremdenakt, AS 190ff). Der Bescheid wurde ihm am 04.02.2021 übergeben und der BF laut Anhaltedatei des Bundesministerium für Inneres ab 15:00 in Schubhaft angehalten (OZ 1). Am 04.02.2021 um 15:55 stellte der BF seinen Folgeantrag (Akt_Folgeantrag_Asyl_04.02.2021, AS 1). Der BF hatte in den letzten Jahren mehrere Gelegenheiten sein Asylvorbringen und seine Fluchtgründe darzustellen. Weder im Asylverfahren vor dem Bundesamt noch vor dem Bundesverwaltungsgericht zum Verfahren W131 2161316-1, in dem eine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde, brachte er jene Fluchtgründe vor, die er bei seiner Einvernahme zu seinem Folgeantrag am 05.02.2021 vorgebracht hat. Er hatte Gelegenheit und Zugang zu einen ordentlichen Asylverfahren. Auch nach Juni 2020 hatte er Gelegenheit und Zugang zu einem weiteren ordentlichen Asylverfahren. Auch im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, eines Einreiseverbotes und zur Verhängung der Schubhaft gab er lediglich wieder die „Verfolgung von Kriminellen in Afghanistan“ und die Angst weiter Verfolgt zu werden an (Akt_Asylakt AS 135). Das neue Fluchtvorbringen mit 05.02.2021 ist außerdem als gesteigertes Fluchtvorbringen zu werten.

In der mündlichen Verhandlung gab der BF zudem an, dass seine am 05.02.2021 neuvorgebachten Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprechen würden und er nicht Homosexuell wäre. Er gab an, den Antrag nur gestellt zu haben um sein Asylverfahren erneut aufzurollen. Weitere neue Fluchtgründe gab er nicht an. Der BF hatte bereits Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren, der Umstand, dass er in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass er mit dem Tod bedroht ist, wenn er nach Afghanistan zurückkehrt, wurde bereits in seinem ersten Asylverfahren berücksichtigt und vermag eine Verzögerungsabsicht bei der Stellung des Folgeantrages nicht zu entkräften. Eine mehrfache Führung von Asylverfahren ohne neues Fluchtvorbringen kann nicht zu einer späteren positiven Asylentscheidung führen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht ändert.

Im Ergebnis war somit die Feststellung zu treffen, dass der BF seinen Folgeantrag ausschließlich in Verzögerungsabsicht gestellt hat.

Die Feststellungen zum Aktenvermerk gemäß § 76 abs. 6 FPG vom 04.02.2021 ergeben sich aus eben diesem (Akt_Fremdenakt, AS 217f), dieser wurde ihm am 04.02.2021 um 18:55 Uhr zugestellt (Akt_Fremdenakt, AS 223). Die Feststellungen zum Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG vom 24.02.2021 ergeben sich aus eben diesem (OZ 62).

2.3. Der BF gab in der Verhandlung an gesund zu sein. Er hat im Verfahren kein Vorbringen erstattet, dass die Annahme rechtfertigt, dass er nicht haftfähig wäre. Er machte auch einen gesunden Eindruck in der mündlichen Verhandlung. Dass er Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung hat ist unstrittig.

2.4. Die Feststellung zu den strafgerichtlichen Urteilen ergeben sich aus einer Einsicht ins Strafregister (OZ 1) sowie der in den Akten des Bundesamtes aufliegenden Verurteilungen, die dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls übermittelt wurden (OZ 64 und 71).

2.5. Die Feststellungen zur sozialen Integration des BF ergeben sich allesamt aus der Aktenlage und sind unstrittig. Sie ergeben sich auch aus seinen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung, Gegenteiliges hat er nicht substantiiert vorgebracht.

Insbesondere ist es dem BF im Rahmen der Verhandlung nicht gelungen, seine Kooperationsbereitschaft glaubhaft zu machen. Dass er nunmehr zwar angibt kooperationsbereit zu sein, lässt vor dem Hintergrund seiner unmittelbar bevorstehenden Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes und der darauffolgenden äußerst wahrscheinlichen Aufenthaltsbeendigung und seinem bisherigen gezeigten Verhalten, nicht erwarten, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Schubhaft tatsächlich seiner Abschiebung stellen wird. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass der BF seinen Asylfolgeantrag ausschließlich in Verzögerungsabsicht gestellt hat.

Eine Wohnmöglichkeit des BF konnte nicht festgestellt werden, da der beantragte Zeuge in einem Jugendwohnheim wohnt und daher nicht selbst entscheiden kann, wen er bei sich wohnen lässt. Der BF konnte nicht zweifelsfrei belegen, dass an dieser Unterkunft auch weiter Personen wohnen dürfen. Ein Mietvertrag wurde nicht vorgelegt. Dies ist auch keinesfalls üblich, der Zeuge wohnt nämlich laut ZMR (Beilage V. der Verhandlungsschrift) eben in einem Jugendwohnheim. Unterkunftgeber ist der Verein für Integrationshilfe. Selbst wenn der beantragte Zeuge durch ein handschriftliches Schreiben bestätigt, welches dem erkennenden Gericht nicht im Original vorgelegt wurde, sondern lediglich eine abfotografierte Version, dass der BF dort wohnen könnte, kann dem nicht gefolgt werden. Der Z selber wurde in Österreich straffällig und hat sein Recht zum Aufenthalt verloren (Beilage V. der Verhandlungsschrift). Warum der Z nicht zur Verhandlung erscheinen konnte, konnte dem erkennenden Gericht überdies nicht nachvollziehbar dargelegt werden. Sofern angegeben wird, dass er arbeiten müsse, ist aus dem AJ-Web Auszug (Beilage V der Verhandlungsschrift) keine Beschäftigung ersichtlich. Nicht einmal der BF konnte in der Verhandlung angeben, als was oder wo der beantragte Z arbeitet. Die reine Wohnmöglichkeit ist somit nicht geeignet, den BF vom Untertauchen abzuhalten und belegt keine hinreichende soziale Integration gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG. Zudem gab der BF in der Verhandlung an, dass er große Angst vor einer Abschiebung habe und in Freiheit leben möchte (S. 21 der Niederschrift). Auch aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der BF einer Abschiebung stellen wird.

Die Feststellung, dass der BF die österreichische Rechtsordnung nicht achtet ergibt sich aus seinen beiden Verurteilungen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen. Der BF wurde zudem rasch rückfällig. Er ist auch nicht bereit seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen und hat rein in Verzögerungsabsicht einen Folgeantrag gestellt. Dieses Verfahren hat keine Aussicht auf Erfolg und es ist mit einem raschen Abschluss, insbesondere mit einer raschen Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes und der Bestätigung desselben durch das Bundesverwaltungsgericht zu rechnen. Eine soziale Integration des BF besteht nicht. Der BF wird daher bei seiner Freilassung aus der Schubhaft höchstwahrscheinlich untertauchen.

2.6. Die Feststellungen, dass mit einer raschen Erledigung des Asylverfahrens gerechnet wird, ergeben sich insbesondere aus dem Vorbringen des Bundesamtes vor der Verhandlung, dass für 02.03.2021 eine Einvernahme des BF geplant ist. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung nochmal bestätigt. Die belangte Behörde hat auch nachvollziehbar dargelegt, warum die für 22.02.2021 geplante Einvernahme nicht erfolgen konnte (OZ 63). Eine geplante Einvernahme innerhalb von zwei Wochen nach Stellung eines Asylfolgeantrages ist noch als angemessen anzusehen. Die belangte Behörde hat auch angegeben und in der mündlichen Verhandlung nochmal betont, dass eine Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes unmittelbar zum Beginn nächste Woche erfolgen soll. Bei Folgeanträgen hat das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich innerhalb von drei Tagen über die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes zu entscheiden. Da der BF in der heutigen Verhandlung vorgebracht hat, dass seine am 05.02.2021 geäußerten Fluchtgründe zur Homosexualität nicht der Wahrheit entsprechen würden und keine weiteren Fluchtgründe, sondern nur die bereits vorgebrachten Fluchtgründe angegeben hat, ist nicht damit zu rechnen, dass das Bundesverwaltungsgericht den faktischen Abschiebeschutz zuerkennen wird. Ab der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist eine Abschiebung und auch eine Vorführung vor die afghanische Delegation wieder möglich. Diese Entscheidung wird in wenigen Wochen, allenfalls sogar vor Mitte März aus heutiger Sicht erwartet.

2.7. Die Feststellungen zum Heimreisezertifikatsverfahren ergeben sich aus dem Verfahrensakt und aus den vom Bundesamt vorgelegten Unterlagen. Vorführungen aus Strafhaften waren 2020 allgemein und seit dem dritten Lockdown überdies erschwert bzw nicht möglich. Auch bei der afghanischen Botschaft konnten für einen gewissen Zeitraum keine Vorführungen stattfinden. Deshalb ist auch noch davon auszugehen, dass sich die belangte Behörde rechtzeitig um die Erlangung eines Heimreisezertifikates bemüht hat. Interviews werden am 05.03.2021 wieder möglich sein (Beilage II. der Verhandlungsschrift). Aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie kommt es zwar auch weiterhin zu Verzögerungen im internationalen Flugverkehr, am 23.02.2021 erfolgte aber eine Charterrückführung nach Afghanistan, ebenso im Dezember 2020. Weitere Charterrückführungen sind auch im März und April geplant. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht somit aus aktueller Sicht. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand mit wenigen Wochen bzw. Monaten einzustufen. Eine Abschiebung im April ist aus derzeitiger Sicht jedenfalls realistisch. Sobald ein Heimreisezertifikat vorliegt, erfolgt eine zeitnahe Abschiebung des BF. Es steht überdies fest, dass die gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 zumindest weitgehend gelockert werden und der Flugverkehr wieder aufgenommen wird.

Der BF kann durch Mitwirkung bei den afghanischen Behörden die Erlangung eines Heimreisezertifikats beschleunigen und somit die Anhaltung in Schubhaft selber möglichst kurzhalten. Er gab selber an, Unterlagen wie eine Geburtsurkunde in Afghanistan zu haben und sich diese schicken lassen zu können. Sofern Dokumente vorhanden sind, ist eine Ausstellung eines HRZ durch das Bundesamt möglich und kann folglich die Schubhaft schnell beendet werden. Dann wäre auch die Identität des BF geklärt. Es liegen keine Hinweise vor, wonach die Erlangung eines Heimreisezertifikats innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer nicht möglich wäre.

2.8. Dass die belangte Behörde spätestens Ende Dezember von der bedingten Entlassung des BF erfahren hat ergibt sich aus dem Festnahmeauftrag vom 30.12.2021 (Akt_Fremdenakt, AS 174f). Die Vollzugsinformation liegt ebenfalls im Akt auf (Akt_Asylakt, AS 157f). Dem Bundesamt war es somit jedenfalls möglich, einen „ordentlichen“ Schubhaftbescheid mit vorangegangenem Ermittlungsverfahren zu erlassen. Warum das Bundesamt dies nicht gemacht hat, konnte der Vertreter des Bundesamtes im Verfahren nicht aufzeigen. Es kommt nicht darauf an, die Mindesterfordernisse für einen Schubhaftbescheid zu erfüllen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchteil A.

3.1.1. §§ 76 und 77 sowie 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Abs. 1 bis 3 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz 2014 (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, 2007/21/0498; VwGH 08.09.2005, 2005/21/0301; VwGH 23.09.2010, 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (VwGH 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, 2012/21/0114, vgl. auch VwGH 02.08.2013, 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (VwGH 22.05.2007, 2006/21/0052; VwGH 29.04.2008, 2008/21/0085; VwGH 28.02.2008, 2007/21/0512; VwGH 28.02.2008 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird. (VwGH 02.08.2013, 2013/21/0008).

Bei einer auf § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 gestützten Anhaltung steht die Sicherung des "Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme", somit die Verfahrenssicherung, im Vordergrund (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204).

Nach § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 kann die Schubhaft aufrechterhalten werden, auch wenn ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, sofern Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das gilt auch für eine Schubhaft, die ursprünglich auf Basis einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, der dann aufgrund des dem Fremden nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz zukommenden faktischen Abschiebeschutzes der Boden entzogen wurde, nach § 76 Abs. 2 Z 2 FrPolG 2005 zur Sicherung der Abschiebung verhängt worden war (VwGH 27.04.2020, Ra 2020/21/0116).

Die Bestimmung des § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 dient der Aufrechterhaltung einer schon in Vollzug befindlichen Schubhaft gegenüber einem (nunmehrigen) Asylwerber; insoweit wird Art. 8 Abs. 3 lit. d der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahme-RL) abgebildet (vgl. VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009; VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 00013). Nach § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 kann die Schubhaft aufrechterhalten werden, wenn der Fremde während seiner Anhaltung einen Antrag auf internationalen Schutz stellt und Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag (nur) zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0204).

Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 bedarf es zumindest einer Grobprüfung der Motive des Fremden für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die zu dessen Begründung vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0234). Es ist insoweit eine (inhaltliche) Grobprüfung dieses Antrags vorzunehmen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten lassen (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198). Das umfasst auch eine Prognose über den voraussichtlichen negativen Ausgang des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, wobei es naheliegend ist, diesbezüglich Erkundigungen beim zuständigen Entscheidungsorgan einzuholen. Der Schubhaftzweck wird nämlich nur dann verwirklicht, wenn das zu sichernde Verfahren letztlich auch in eine Abschiebung münden kann (vgl. VwGH 17.4.2020, Ro 2020/21/0004).

Im Verfahren der gemäß § 76 Abs. 6 erfolgten Aufrechterhaltung einer nach § 76 Abs. 2 Z 2 FrPolG 2005 verhängten Schubhaft darf vor allem berücksichtigt werden, dass der Fremde schon vor seiner Festnahme mehrfach Gelegenheit gehabt hat, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Diese Tatsache zählt nämlich nach Art. 8 Abs. 3 lit. d der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU), der mit § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 umgesetzt wird (vgl. VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004, 0013), ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs- oder Vereitelungsabsicht (VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0079).

Es ist nicht generell unzulässig, die Anhaltung in Schubhaft auch während des Asylrechtsmittelverfahrens aufrecht zu erhalten. Ob sie im Einzelfall (noch) verhältnismäßig ist, hängt von den jeweils gegebenen Umständen ab, insbesondere wie lange die Schubhaft schon bisher gedauert hat, wann mit einer durchsetzbaren Entscheidung und deren Vollstreckung voraussichtlich zu rechnen ist, wie groß die Fluchtgefahr ist und ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Effektuierung einer Abschiebung besteht (VwGH 29.09.2020, Ro 2020/21/0011).

Die Vorwegnahme eines inhaltlichen Asylverfahrens ist nicht Aufgabe des Schubhaftverfahrens. Bei Prüfung der Frage der Zulässigkeit der Aufrechterhaltung einer Anhaltung in Schubhaft nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 ist aber insoweit eine Grobprüfung dieses Antrags vorzunehmen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten lassen (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0234). In diesem Sinn bedarf es der Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung und der Einvernahme des Zeugen (VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198).

§ 76 Abs. 6 FrPolG 2005 setzt schon nach seinem Wortlaut ("während einer Anhaltung in Schubhaft") eine vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz bereits in Vollzug befindliche Schubhaft voraus, die dann (ohne Erlassung eines Bescheides - vgl. § 76 Abs. 6 zweiter Satz) aufrechterhalten werden kann (vgl. VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0009; VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0004).

Dass § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 im Spruch des Erkenntnisses nur im Zusammenhang mit der Abweisung der Schubhaftbeschwerde für den Zeitraum ab der Folgeantragstellung, nicht aber im Spruchpunkt betreffend den Fortsetzungsausspruch zitiert wurde, stellt keinen zur Aufhebung führenden Mangel dar. Entscheidend ist, dass das VwG in nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Bestimmung angenommen hat und dass sie die Aufrechterhaltung der Schubhaft zu tragen vermag (vgl. in diesem Sinn schon VwGH 19.3.2014, 2013/21/0138; VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0071).

Es darf nicht übersehen werden, dass im Fall eines Folgeantrages zuvor bereits (zumindest) ein rechtsstaatliches Asylverfahren durchgeführt worden ist, das rechtskräftig mit einer negativen Entscheidung und einer damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme geendet hat. Dies rechtfertigt es - auch aus Sicht des Unionsrechts - Folgeanträge einer besonderen (oftmals auch beschleunigten) Behandlung zu unterziehen. Es liegt auch im Interesse der Allgemeinheit, Folgeanträge hintanzuhalten, die dazu dienen, eine in einem rechtsstaatlichen Verfahren getroffene Entscheidung, die zur Abschiebung eines Fremden führen soll, zu behindern oder zu vereiteln. All das spricht dafür, den Aufenthalt von Fremden, die derartige Anträge stellen, möglichst rasch zu beenden (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).

War laut Ansicht der Behörde die Schubhaftanordnung und die daran anschließende Anhaltung rechtswidrig, konnte die fortgesetzte Haft durch "einen simplen Aktenvermerk" (wonach die Schubhaft als gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 bzw. Z 2 FrPolG 2005 verhängt anzusehen gewesen sei) nicht rechtmäßig werden. Ein einmal rechtswidriger Schubhaftbescheid kann nämlich nicht - quasi partiell für einen "Teilzeitraum" - konvalidieren, zumal dies im Ergebnis einer im Gesetz insoweit nicht vorgesehenen Schubhaftverhängung "auf Vorrat" gleichkommen würde (Hinweis E 8. September 2009, 2009/21/0162). § 76 Abs. 6 FrPolG 2005 steht dem nicht entgegen, weil die dort angeordnete Zulässigkeit der Aufrechterhaltung der Schubhaft, wenn während der Anhaltung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, einen rechtmäßigen Schubhaftbescheid nach § 76 Abs. 1 FrPolG 2005 vor Augen hat. Zu einer "Heilung" könnte es nur durch einen neuen Schubhafttitel kommen. Ein solcher wäre im Fortsetzungsausspruch der Behörde nach § 83 Abs. 4 FrPolG 2005 zu erblicken (vgl. VwGH 26.01.2012, 2008/21/0626).

Im Rahmen der Beurteilung des Fortsetzungsausspruches nach § 22a Abs. 3 FrPolG 2005 ist das VwG nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden, sondern hat die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen zu prüfen (vgl. VwGH 15.12.2011, 2010/21/0292). Diese Prüfung hat unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft zu erfolgen (vgl. VwGH 19.3.2013, 2011/21/0246) und ermächtigt das VwG, auf Basis der aktuellen Sach- und Rechtslage in der Sache zu entscheiden und damit gegebenenfalls einen neuen Schubhafttitel zu schaffen (vgl. VwGH 5.10.2017, Ro 2017/21/0007). Das VwG ist damit nicht gehindert - vielmehr sogar verpflichtet -, im Rahmen seines Fortsetzungsausspruches auf den von ihm für richtig erachteten Schubhafttatbestand "umzusteigen".

Bei der Erlassung dieses Fortsetzungsausspruches war das BVwG nicht an die im Schubhaftbescheid herangezogenen Rechtsgrundlagen gebunden, sondern hatte die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft nach allen Richtungen, unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft, auf Basis der damals aktuellen Sach- und Rechtslage zu prüfen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0143, Rn. 15, mwN).

Ein die Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft feststellender Ausspruch des VwG gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 tritt mit seiner Erlassung als neuer Schubhafttitel an die Stelle des seinerzeitigen Schubhaftbescheides des BFA und bewirkt, dass dieser Bescheid damit endgültig seine Wirkung verliert und - ungeachtet einer allfälligen späteren Aufhebung des Fortsetzungsausspruchs durch den VwGH - nicht wieder aufleben kann (vgl. VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0161).

3.1.3. – Zu Spruchteil A. I.

3.1.3.1. Die belangte Behörde hat spätestens am 30.12.2020 von der bedingten Entlassung des BF erfahren. Der Beschluss der bedingten Entlassung ist mit 24.11.2020 datiert, in den dem erkennenden Gericht vorgelegten Akten findet er sich nicht. Sie hat aber mit 30.12.2020 einen Festnahmeauftrag erlassen und gab auch der Vertreter der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung an, dass die Behörde im Herbst bzw vor dem Festnahmeauftrag von der bedingten Entlassung des BF erfahren hätte. Dass eine bedingte Entlassung für die belangte Behörde somit überraschend war, kann jedenfalls nicht erkannt werden. Die belangte Behörde hat den BF auch bereits im Jahr 2019 ein schriftliches Parteiengehör unter anderem auch zur Verhängung der Schubhaft übermittelt. Folglich ging die belangte Behörde bereits zu diesem Zeitpunkt davon aus, den BF allenfalls in Schubhaft zu nehmen.

Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde im Fall des BF kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und keinen „ordentlichen“ Schubhaftbescheid erlassen konnte. Die Angaben des Vertreters der belangten Behörde in der Verhandlung auf die Frage, warum ein Mandatsbescheid erlassen wurde, dass es sich beim Mandatsbescheid um das „gesetzliche Mindesterfordernis“ handelt, spiegelt nicht die geltende Rechtslage wieder.

So ist die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 4 FPG schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

Der BF befand sich jedenfalls seit April 2019 in Strafhaft und wurde von der belangten Behörde im Juli 2019 bereits erstmals zur Stellungnahme über die Verhängung der Schubhaft aufgefordert und befand sich somit bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Schubhaftbescheides jedenfalls nicht bloß kurzfristig in Haft. Insofern gibt auch der Bescheid die Rechtslage unzureichend wieder, indem auf S. 5 des Bescheides angegeben wird, dass ein Schubhaftbescheid als Mandatsbescheid zu erlassen ist („Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen, dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen.“)

Das erkennende Gericht geht im Übrigen davon aus, dass die belangte Behörde – vor dem Hintergrund des § 76 Abs. 4 FPG – nicht mit der Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Schubhafbescheides bis zum Tag der bedingten Entlassung eines Fremden grundsätzlich zuwarten kann um von der Möglichkeit eines Mandatsbescheides Gebrauch zu machen, obwohl die Erlassugn eines „ordentlichen“ Schubhaftbescheides – nicht in Form eines Mandatsbescheides – früher möglich ist.

Die belangte Behörde hätte somit sowohl ein Ermittlungsverfahren als auch einen „ordentlichen“ Schubhaftbescheid erlassen können. Die belangte Behörde hätte jedenfalls auch ohne bedingte Entlassung einen ordentlichen Schubhaftbescheid erlassen können.

Der Bescheid vom 04.02.2020 ist jedenfalls als Mandatsbescheid zu qualifizieren.

Das erkennende Gericht übersieht nicht, dass es Konstellationen geben kann, in denen ein Fremder nicht bloß kurzfristig in Haft sitzt und trotzdem ein Mandatsbescheid erlassen werden kann. Eine solche Konstellation lag hier aber jedenfalls nicht vor. Stichhaltige Gründe für die Erlassung eines Mandatsbescheides hat die belangte Behörde nicht vorgebracht und sind auch keine Ermittlungsergebnisse hervorgekommen, die eine derartige Annahme rechtfertigen würden. Die Voraussetzungen für einen Mandatsbescheid lagen somit nicht vor.

Auch für einen Mandatsbescheid, der oftmals ein reduziertes Begründungsmaß aufweisen kann und darf, ist der angefochtene Bescheid äußerst dürftig. So fehlen gänzlich konkrete Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft. Auf die Straffälligkeit des BF wurde bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit überhaupt nicht eingegangen, sondern lediglich bei der Fluchtgefahr angeführt und auch hier nur die Daten aus dem Strafregister kopiert. Die Straffälligkeit, in Umschreibung der Delikte, findet sich auch nicht in den Feststellungen oder allenfalls disloziert in der Beweiswürdigung.

Der Bescheid war somit im Ergebnis aufgrund der mangelhaften Begründung rechtswidrig und die Verhängung der Schubhaft mittels Mandatsbescheid nicht zulässig.

3.1.3.2. Am 04.02.2021, kurze Zeit nachdem ihm der Schubhaftbescheid zugestellt worden war, stellte der BF um 15:55 Uhr seinen ersten Folgeantrag mit den Worten „Ich will Asyl“. Um 18:45 Uhr stellte die belangte Behörde einen Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG zu.

3.1.3.2.1. Die daraufhin gegründete Anhaltung gemäß § 76 Abs. 6 FPG war schon nach der unter 3.1.2. zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, nachdem eine auf § 76 Abs. 6 FPG gestützte Schubhaft durch die Behörde bei einem rechtswidrigen Schubhaftbescheid nicht möglich ist, auch rechtswidrig und hätte nur mit Erlassung eines neuen Schubhaftbescheides oder durch Schaffung eines neuen Hafttitels konvalidieren können, nicht aber mit einem bloßen Aktenvermerk.

3.1.3.2.2. Die weitere Anhaltung erweist sich aber noch aus einem anderen Grund als rechtswidrig:

Gemäß § 76 Abs. 6 FPG kann eine Schubhaft aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder einen Antrag auf internationalen Schutz stellt und diesen Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme stellt.

Die belangte Behörde hat am 04.02.2021 18:45 Uhr einen Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG dem BF zugestellt. Aus diesem Aktenvermerk geht für den BF hervor, dass die belangte Behörde davon ausgeht, dass der BF seinen Antrag aus Verzögerungsabsicht gestellt hat und die Schubhaft aus diesem Grund aufrecht erhalten wird. Die reinen Formalerfordernisse des § 76 Abs. 6 FPG hat die belangte Behörde somit erfüllt.

Aus diesem Aktenvermerk ist aber nicht ersichtlich, warum die belangte Behörde von einer Verzögerungsabsicht ausgegangen ist. Aus dem Aktenvermerk ergibt sich nur, dass die Verzögerungsabsicht mit der Stellung des Antrages „an sich“ begründet wird. Gemäß § 76 Abs. 6 FPG iVm mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind bei Aktenvermerken gemäß § 76 Abs. 6 FPG nicht nur die Formalerfordernisse zu erfüllen, sondern besteht auch eine Begründungspflicht der Behörde.

Bei der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 76 Abs. 6 FPG bedarf es zumindest einer Grobprüfung der Motive des Fremden für die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die zu dessen Begründung vorgetragenen Verfolgungsbehauptungen (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0234). Es ist insoweit eine (inhaltliche) Grobprüfung dieses Antrags vorzunehmen, als sich daraus Schlüsse auf die Motivation für die Antragstellung ableiten lassen (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0198). Das umfasst auch eine Prognose über den voraussichtlichen negativen Ausgang des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 29.09.2020, Ro 2020/21/0011).

Derartige Erwägungen sind dem Aktenvermerk nicht zu entnehmen, er enthält somit einen Begründungsmangel.

Hinzu kommt, dass die Erstbefragung des BF zu seinem Folgeantrag am 05.02.2021 um 11:40 Uhr erfolgt ist. Aus der Meldung des Asylantrages vom 04.02.2021 um 15:55 Uhr ist ausschließlich ersichtlich, dass der der BF den Asylantrag mit den Worten „Ich will Asyl“ gestellt hat. Seine Fluchtgründe im Folgeantragsverfahren hat der BF aber erst am 05.02.2021 im Rahmen der Erstbefragung bekannt gegeben und somit die belangte Behörde auch von diesen erfahren. Folglich hätte sich die belangte Behörde erst zu diesem Zeitpunkt mit der Grobprüfung der Motive des BF auseinandersetzen können. Allein der Umstand, dass der BF nach einem abgeschlossenen negativen Asylverfahren und einer Rückkehrentscheidung samt Verhängung eines Einreiseverbotes einen Folgeantrag „an sich“ stellt, reicht nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht für die Begründung der Verzögerungsabsicht.

Die Stellung eines Antrages wenige Minuten nachdem der Schubhaftbescheid zugestellt wurde kann natürlich als Indiz gewertet werden und in weiterer Folge auch in dem Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG als Begründung zusätzlich herangezogen werden (vgl. dazu auch VwGH 18.02.2021, Ra 2021/21/0025 Rz 26), es reicht aber nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls nicht aus, sich alleine darauf zu stützen, dass ein Asylantrag „an sich“ gestellt wurde. Mag es nämlich auch nicht auf die Tragfähigkeit der Begründung des Aktenvermerkes allein ankommen, geht aus der rezenten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls hervor, dass eine Begründung vorhanden sein muss und zumindest erkennbar sein muss, worauf die Behörde diese Umstände gestützt hat (VwGH 18.02.2021, Ra 2021/21/0025 Rz 25). Der Prüfvorgang und die angestellten Erwägungen müssen demnach zumindest erkennbar sein.

Selbst wenn sich die Verzögerungsabsicht aber bereits aufgrund der Aktenlage und der Meldung des Asylantrages ergeben würde, ist der Aktenvermerk jedenfalls iSd. Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu begründen. Es ist aber allgemein davon auszugehen, dass vor Erstellung eines Aktenvermerkes gemäß § 76 Abs. 6 FPG die belangte Behörde die Erstbefragung des Fremden abzuwarten hat, da ansonsten die Motive des Fremden gar nicht bekannt sein können und sie sich damit folglich auch nicht auseinandersetzen kann.

Diesem Erfordernis ist die belangte Behörde nicht nachgekommen. Dies wurde auch in der Beschwerde und der mündlichen Verhandlung gerügt.

3.1.3.2.3. Die Anhaltung aufgrund des Aktenvermerkes war somit im Ergebnis nicht rechtmäßig.

3.1.3.2.4. Daran ändert auch der am 24.02.2021 zugestellte Aktenvermerk nichts. Dieser konnte den ersten Aktenvermerk vom 04.02.2021 nämlich nicht sanieren und hätte allenfalls ab 24.02.2021 für eine Rechtmäßigkeit der Anhaltung herangezogen werden können. Der der Bescheid aber bereits als rechtswidrig zu werten war, konnte auch der Aktenvermerk vom 24.02.20221 die Anhaltung ab 24.02.2021 bis zum Fortsetzungsausspruch nicht mehr rechtmäßig werden lassen.

Da der Schubhaftbescheid aber als rechtswidrig erkannt wurde, hätte auch ein Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG die Schubhaft nicht mehr konvalidieren können.

Dies kann nach der Judikatur nur ein neuer Bescheid oder ein neuer Schubhafttitel wie das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes über den Fortsetzungsausspruch.

Die bisherige Anhaltung war

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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