TE OGH 2021/6/11 28Ds4/20g

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Veröffentlicht am 11.06.2021
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Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 11. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Wippel als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 28. Februar 2020, GZ D 9/19-16, über die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde wird der Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 28. Februar 2020, GZ D 9/19-16, in seinem Punkt 3./ aufgehoben und insoweit in der Sache selbst beschlossen, dass der Antrag des Disziplinarbeschuldigten, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, abgewiesen wird.

Die gegen Punkt 2./ des angefochtenen Beschlusses erhobene Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerde im Übrigen wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

[1]       Bei der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ist gegen ***** ein Disziplinarverfahren anhängig. Der am 28. Oktober 2019 gefasste Einleitungsbeschluss (ON 14) wurde dem Beschuldigten am 19. Dezember 2019 zugestellt (Übernahmebestätigung bei ON 14).

[2]       Mit am 16. Jänner 2020 bei der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich eingelangtem Schreiben (ON 15)

(1./) beantragte der Beschuldigte, ihm „den Erhebungsbericht der Untersuchungskommissärin zu übermitteln, um dazu Stellung nehmen und das Ermittlungsverfahren ergänzen zu können“,

(2./) erhob er [sinngemäß] Beschwerde gegen den Einleitungsbeschluss wegen mangelnder Konkretisierung der Vorwürfe („Noch immer keine konkretisierten Vorwürfe entsprechend Art 6 Abs 3 [lit] a und b MRK, Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art 7 MRK“) und

(3./) beantragte er abschließend – und zwar allein mit der lapidaren Begründung, dass der Disziplinarrat „sich selbst am 14. März 2005 D 39/04 wegen Kritik […] für befangen erklärt“ habe – das Disziplinarverfahren wegen Befangenheit des „gesamten Disziplinarrats“ einem anderen Disziplinarrat zu übertragen.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Mit dem daraufhin am 28. Februar 2020 ergangenen Beschluss (ON 16) sprach der Disziplinarrat aus, dass

1./ dem Disziplinarbeschuldigten das Recht auf Akteneinsicht hinsichtlich des Schlussberichts der Untersuchungskommissärin in der vorliegenden Disziplinarsache zusteht,

2./ die Beschwerde gegen den Einleitungsbeschluss als unzulässig zurückgewiesen wird und

3./ die Befangenheitsanzeige gegen sämtliche Mitglieder des Disziplinarrats und dessen Antrag, die Disziplinarsache einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, abgewiesen wird.

[4]       Der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten (ON 17) kommt aus nachstehenden Erwägungen (nur) teilweise Berechtigung zu:

[5]       1./ Weshalb sich der Disziplinarbeschuldigte durch den – rechtsrichtigen (vgl § 27 Abs 5 DSt) – Ausspruch, dass ihm das Recht auf Akteneinsicht (auch) hinsichtlich des (gemäß § 28 Abs 1 [zweiter Satz] Dst abzufassenden) Schlussberichts der Untersuchungs-kommissärin zusteht (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 27 DSt Rz 11), beschwert erachtet, wird in der Beschwerde nicht erklärt.

[6]       Soweit der Beschuldigte das konkrete Vorgehen der Untersuchungskommissärin mit dem Hinweis darauf, dass diese – entgegen der Anordnung des § 27 Abs 2 DSt – weder die erforderlichen Erhebungen gepflogen noch ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe, kritisiert, ist er darauf zu verweisen, dass es einem Disziplinarbeschuldigten jederzeit freisteht, eine Stellungnahme zum Sachverhalt abzugeben und/oder zur Aufklärung des Sachverhalts Beweisanträge zu stellen (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 27 DSt Rz 8 f). Die von ihm behauptete Verpflichtung des Disziplinarrats, ihm den Abschlussbericht der Untersuchungskommissärin zur Stellungnahme zuzustellen, besteht hingegen nicht (vgl Lehner § 27 in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 27 DSt Rz 11, § 28 Rz 1).

[7]       2./ Gegen den Einleitungsbeschluss nach § 28 Abs 1 DSt, der eine prozessleitende Verfügung ist, ist ein Rechtsmittel nicht zulässig (§ 28 Abs 2 letzter Satz DSt; RIS-Justiz RS0056988 [T1]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 28 DSt Rz 4).

[8]       Die vom Beschuldigten fallaktuell gegen den Einleitungsbeschluss erhobene Beschwerde wurde daher schon vom Disziplinarrat – richtigerweise – als unzulässig zurückgewiesen.

[9]            Auch die nunmehr insoweit (= Punkt 2./ des angefochtenen Beschlusses) erhobene Beschwerde war daher zurückzuweisen, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen näher einzugehen war.

[10]     3./ Über einen – (wie hier) rechtzeitig eingebrachten (§ 25 Abs 2 erster Satz DSt) – Antrag auf Übertragung des Disziplinarverfahrens an einen anderen Disziplinarrat entscheidet gemäß § 25 Abs 1 letzter Satz DSt der Oberste Gerichtshof; nur verspätete oder unzulässige Anträge gemäß § 25 Abs 2 und 3 DSt sind vom Disziplinarrat selbst zurückzuweisen (§ 25 Abs 4 DSt).

[11]     Der angefochtene Beschluss war daher in seinem Punkt 3./ aufzuheben und insoweit vom Obersten Gerichtshof selbst in der Sache, dh über den Antrag des Disziplinarbeschuldigten, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, Beschluss zu fassen.

[12]     Gemäß § 25 Abs 1 DSt kann die Durchführung des Disziplinarverfahrens wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen ua auf Antrag des Beschuldigten einem anderen Disziplinarrat übertragen werden.

[13]     Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Übertragung wegen Befangenheit nur dann statthaft, wenn entweder der gesamte Disziplinarrat oder so viele seiner Mitglieder befangen sind, dass dieser nicht mehr beschlussfähig ist. Die Befangenheit bloß einzelner Mitglieder rechtfertigt hingegen eine Delegierung nicht (RIS-Justiz RS0083346, RS0056885). Die pauschale Behauptung der Befangenheit nicht namentlich genannter Mitglieder des Disziplinarrats stellt keinen Delegierungsgrund dar (RIS-Justiz RS0056885, RS0097082; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 25 DSt Rz 2).

[14]     Weder das eingangs wiedergegebene (auf ein 15 Jahre zurückliegendes Ereignis bezugnehmende) Vorbringen noch der weitere (nicht nachvollziehbare) Hinweis auf das Verfahren AZ 28 Ds 4/18d des Obersten Gerichtshofs sind geeignet, objektiv gerechtfertigte Zweifel an einer unparteiischen Entscheidungsfindung der befassten Mitglieder des Disziplinarrats entstehen zu lassen und damit eine Befangenheit derselben darzutun (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 26 DSt Rz 15).

[15]     Dass der bisherige Verlauf des Disziplinarverfahrens nicht den Vorstellungen des Beschuldigten entspricht, kann – wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt – Gegenstand eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens sein, stellt aber auch keinen anderen wichtigen Grund iSd § 25 Abs 1 DSt (vgl dazu RIS-Justiz RS0119215 [T3]) dar, weshalb auch unter diesem Aspekt kein Anlass zur Übertragung der Disziplinarsache an den Disziplinarrat einer anderen Rechtsanwaltskammer besteht.

[16]     In teilweiser Stattgebung der Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten war daher der Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 28. Februar 2020, GZ D 9/19-16, in seinem Punkt 3./ aufzuheben und insoweit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in der Sache selbst dahin zu beschließen, dass der Antrag des Disziplinarbeschuldigten, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, abgewiesen wird.

[17]     Im Übrigen war die gegen Punkt 2./ des angefochtenen Beschlusses erhobene Beschwerde zurückzuweisen und der Beschwerde im Übrigen nicht Folge zu geben.

Textnummer

E131941

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0280DS00004.20G.0611.000

Im RIS seit

22.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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