TE OGH 2021/4/27 10ObS19/21y

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Veröffentlicht am 27.04.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Rehabilitationsgeld, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2020, GZ 6 Rs 55/20k-10, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. August 2020, GZ 7 Cgs 46/20z-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 209,39 EUR (darin 34,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Nach der Aktenlage wurde der Kläger im Zeitraum von 24. 5. 2019 bis 7. 11. 2019 gemäß § 429 Abs 4 StPO vorläufig angehalten. Ab 8. 11. 2019 war der Kläger gemäß § 21 Abs 1 StGB untergebracht.

[2]       Mit Bescheid vom 10. 2. 2020 sprach die beklagte Österreichische Gesundheitskasse aus, dass der Kläger in der Zeit ab 24. 5. 2019 Anspruch auf Auszahlung von Rehabilitationsgeld in Höhe von 6,16 EUR netto täglich sowie ab 1. 1. 2020 in Höhe von 6,33 EUR netto täglich habe. Der vom Anspruchsübergang nach § 324 Abs 4 ASVG erfasste Betrag von täglich 24,66 EUR (für das Jahr 2019) bzw von 25,33 EUR (für das Jahr 2020) stehe dem Bund als Kostenträger für die Anhaltung zu.

[3]            Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger die Auszahlung des Rehabilitationsgeldes für die Dauer der vorläufigen Anhaltung in voller Höhe ohne Berücksichtigung eines Anspruchsübergangs (daher in Höhe von 30,82 EUR und ab 1. 1. 2020 in Höhe von 31,66 EUR netto täglich). Ein Anspruchsübergang finde nicht statt, weil das Rehabilitationsgeld keinen reinen Versorgungscharakter habe, sondern eingeführt worden sei, um den Betroffenen eine medizinische Behandlung zukommen zu lassen.

[4]       Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Unterbringung nach § 429 Abs 4 StPO zwar nicht explizit in § 324 Abs 4 ASVG angeführt sei, jedoch sei diese Bestimmung analog auf Fälle der vorläufigen Anhaltung anzuwenden.

[5]       Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 42 Abs 1 JN zurück und erklärte das vorangegangene Verfahren für nichtig.

[6]            Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Auch eine vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO bewirke im Sinn des § 324 Abs 4 ASVG einen Übergang eines Teils des Rehabilitationsgeldes auf den Bund. Der Kläger wende sich nicht gegen die Höhe des Rehabilitationsgeldes, sondern gegen den Abzug der aufgrund der Legalzession an den Bund übergegangenen Beträge. Der Anspruchsübergang nach dieser Bestimmung erfolge ex lege. Bei der Frage, ob ein Teil des dem Grund und der Höhe nach unstrittigen Rehabilitationsgeldes des Klägers dem Bund als Legalzessionar auszuzahlen sei, handle es sich um einen Auszahlungsstreit, bei dem nur zu beurteilen sei, wer Zahlungsempfänger gemäß § 106 ASVG sei. Da die Überprüfung der Auszahlung einer zuerkannten Leistung keine Leistungssache sei, sei der Rechtsweg unzulässig.

[7]            Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, der Oberste Gerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage der Rechtswegzulässigkeit im Fall einer Legalzession gemäß § 324 Abs 4 ASVG sowie mit der Frage befasst, ob eine vorläufige Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO einen Übergang eines Teils des Rehabilitationsgeldes auf den Bund bewirke.

Rechtliche Beurteilung

[8]       Der von der Beklagten nicht beantwortete Revisionsrekurs des Klägers ist entgegen dem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil zum Zusammenwirken der Pensionsversicherungsträger und Krankenversicherungsträger bei der Durchführung von Maßnahmen in Fällen der geminderten Arbeitsfähigkeit eindeutige gesetzliche Regelungen bestehen und zu § 65 Abs 1 Z 1 ASGG Rechtsprechung bereits vorhanden ist.

[9]       Dazu hat der Oberste Gerichtshof jüngst in der erst nach der Entscheidung des Rekursgerichts ergangenen und einen vergleichbaren Fall betreffenden Entscheidung 10 ObS 29/21v vom 30. 3. 2021 Stellung genommen und im Wesentlichen ausgeführt:

[10]     1.1 Über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitationsgeld (§ 255b ASVG) hat der Pensionsversicherungsträger aufgrund eines Antrags nach § 361 Abs 1 letzter Satz ASVG mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden. Über die Höhe des Rehabilitationsgeldes (§ 143a Abs 2 ASVG) hat hingegen der Krankenversicherungsträger zu entscheiden (§ 459i ASVG).

[11]     1.2 Kommt der Pensionsversicherungsträger zum Ergebnis, dass der Versicherte vorübergehend im erforderlichen Ausmaß gemindert arbeitsfähig ist und ihm keine beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zumutbar bzw diese nicht zweckmäßig sind, hat er den Bescheid unverzüglich dem zuständigen Krankenversicherungsträger zu übermitteln. Der Bescheid hat die Feststellung zu enthalten, dass der Krankenversicherungsträger das Rehabilitationsgeld zu berechnen und auszuzahlen hat (§ 459i Abs 1 Z 1 ASVG).

[12]     1.3 Die Entscheidung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes schließt sich daher an die Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers an, mit der dieser ausgesprochen hat, dass die Leistung dem Grunde nach zusteht (Födermayer in SV-Komm [249. Lfg] § 143a ASVG Rz 11).

[13]     1.4 Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben hat der beklagte Krankenversicherungsträger im angefochtenen Bescheid das Rehabilitationsgeld der Höhe nach mit 30,82 EUR bzw ab 1. 1. 2020 mit 31,66 EUR bestimmt, wobei diese Höhe nur aus dem ersten Teil der Bescheidbegründung hervorgeht und sich im Spruch nur durch Addition ermitteln lässt und zugleich die Anordnung getroffen, dass 80 % dieser Leistung (24,66 EUR bzw 25,33 EUR ab 1. 1. 2020) gemäß § 324 Abs 4 ASVG an den Bund und nur 6,16 EUR netto täglich (bzw ab 1. 1. 2020 6,33 EUR netto täglich) an den Kläger auszuzahlen sind.

[14]     2. Der Kläger macht auch im vorliegenden Fall nicht geltend, dass die Beklagte die Höhe des Rehabilitationsgeldes nicht im Einklang mit § 143a Abs 2 ASVG (fehlerhaft) berechnet hätte. Vielmehr wendet er sich ausdrücklich nur gegen den von der Beklagten angenommenen Anspruchsübergang an den Bund nach § 324 Abs 4 ASVG für die Dauer seiner Anhaltung gemäß § 429 Abs 4 StPO und möchte die Auszahlung des „vollen“ Rehabilitationsgeldes an ihn erreichen. Der Ausspruch über den Umfang des Leistungsanspruchs (die Höhe des Rehabilitationsgeldes) blieb unbekämpft.

[15]     3.1 Eine die Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnende Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (der auf die in § 354 Z 1 ASVG taxativ aufgezählten Leistungssachen verweist) setzt voraus, dass zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger entweder der Grund oder die Höhe (der Umfang) des Anspruchs auf Versicherungsleistungen oder das Ruhen eines solchen Anspruchs streitig ist (10 ObS 44/20y; RS0085473). Kern ist die Frage der Gewährung oder Nichtgewährung von Versicherungsleistungen (RS0085473 [T1]). Die Überprüfung der Auszahlung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Sozialrechtssache (RS0085474; zum Pflegegeld 10 ObS 180/01w, RS0115580).

[16]           3.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung wird das Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG verneint und eine der gerichtlichen Zuständigkeit entzogene Verwaltungssache angenommen, wenn eine mit Bescheid des Sozialversicherungsträgers dem Umfang und der Höhe nach unbestritten zuerkannte Leistung infolge einer Legalzession nicht zur Gänze an die versicherte Person ausgezahlt wurde (10 ObS 180/01w = RS0115580; 10 ObS 298/89 SSV-NF 4/89 ua; RS0085474 [T2, T4]; VfGH B 454/10 KI-1/10). Eine Leistungsstreitigkeit wurde etwa auch dann verneint, wenn infolge einer Drittschuldnerexekution ein Teil der Leistung einbehalten wurde (10 ObS 5/92, RS0085474 [T3]), oder – anstelle der als Regelfall vorgenommenen bargeldlosen Überweisung (vgl § 104 Abs 6 ASVG) – eine Zahlung mittels eines ins EU-Ausland zu übersendenden Schecks begehrt wurde (10 ObS 44/20y). Soweit ein Pensionsbezieher der Meinung ist, ihm sei ein rechtskräftig zuerkannter Pensionsanspruch nicht ordnungsgemäß ausgezahlt worden, ist daher weder ein Bescheid des Sozialversicherungsträgers zu erlassen noch das Arbeits- und Sozialgericht anrufbar. Es steht aber der Weg der gerichtlichen Exekutionsführung offen, da Bescheide der Sozialversicherung Exekutionstitel nach § 1 Z 11 EO sind (RS0085474 [T5]).

[17]           Zuzugestehen ist, dass im vorliegenden Fall aus dem Spruch des Bescheids die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Rehabilitationsgeld nur durch Addition zu ermitteln ist und eindeutig nur aus dem Beginn der Bescheidbegründung hervorgeht. Auch wenn hier die Differenzierung zwischen Anspruchshöhe und Art der Auszahlung nicht ganz klar vorgenommen wurde, wird deshalb ein „Auszahlungsstreit“ nicht zum „Anspruchsstreit“, für den der Rechtsweg zulässig wäre.

[18]     4.1 Da sich die vorliegende Klage ausdrücklich auf die Überprüfung der Auszahlung des dem Grund und der Höhe nach unbestrittenen Rehabilitationsgeldes richtet, geht es nicht um die Gewährung oder Nichtgewährung der Versicherungsleistung, sodass kein Leistungsstreit vorliegt.

[19]     4.2 Mit der Argumentation, die Beklagte habe mit dem angefochtenen Bescheid erstmals teilweise ablehnend über den Umfang (die Höhe) der Rehabilitationsgeldes entschieden, indem sie das Rehabilitationsgeld teilweise an den Bund übertragen habe, vermengt der Revisionsrekurswerber die – jeweils vom Kranken-versicherungsträger zu treffende – Entscheidung über die Höhe des Rehabilitationsgeldes mit der Entscheidung über dessen Auszahlung.

[20]     5. Da die gesetzlichen Regelungen zum Zusammenwirken der Pensionsversicherungsträger und Krankenversicherungsträger bei der Durchführung von Maßnahmen in Fällen der geminderten Arbeitsfähigkeit eindeutig sind und sich die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zum Vorliegen einer Leistungsstreitigkeit im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG halten, liegt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO vor.

[21]     6. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.

[22]     7. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Nach der Aktenlage ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger neben seinem Anspruch auf Rehabilitationsgeld über weitere Einkünfte verfügt. Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs für zulässig erklärt, sodass insoweit von rechtlichen Schwierigkeiten gesprochen werden kann. Obwohl der Kläger mit seinem Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, waren ihm daher die Hälfte seiner Kosten zuzusprechen (RS0085898 [T2]).

Textnummer

E131734

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00019.21Y.0427.000

Im RIS seit

04.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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