TE OGH 2021/4/27 11Os32/21x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.04.2021
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter im Verfahren zur Unterbringung des Patrick W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 14. Jänner 2021, GZ 26 Hv 103/20f-47, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung des Patrick W***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

[2]       Danach hat er in I***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie, beruht

1) am 11. Februar 2020 den Polizeibeamten Oscar U***** mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich dem Zutritt zur Wohnung und letztlich seiner Festnahme zu hindern versucht, indem er sich energisch gegen die Tür stemmte, diese, nachdem sie aufgedrückt worden war, mit Wucht gegen den Fuß des Beamten schleuderte und, nachdem dieser ihn mittels Halsklammer fixiert hatte, mit heftiger aktiver Gegenwehr versuchte, sich aus dieser zu befreien;

2) am 25. September 2020 David L***** und Eva Lu***** vorsätzlich schwer (§ 84 Abs 1 StGB) am Körper zu verletzen und an der Gesundheit zu schädigen versucht, indem er einen Stuhl ergriff und damit gegen den Kopf des David L***** schlug, wodurch dieser eine Platzwunde am rechten Unterarm erlitt, und ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von 9 cm zog, um den Genannten Stichverletzungen zuzufügen, was zufolge deren Flucht unterblieb,

somit Taten begangen, die als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (1) und als Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (2) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4 (iVm § 433 Abs 1) StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

[4]       Mit der Kritik (Z 4) gegen die Abweisung des Antrags auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zum Nachweis, „dass sich der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden hat“ (ON 46 S 25 f), wird die Verfahrensrüge unzulässig zum Nachteil (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 300) des Betroffenen ausgeführt. Denn der Wegfall (lediglich) der im Antrag allein thematisierten Zurechnungsunfähigkeit würde im Gegenstand zu einer Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB mit der Konsequenz führen, dass die Dauer der Unterbringung nach oben hin gleich bliebe, nach unten hin aber zum Nachteil des Betroffenen durch die Strafzeit begrenzt wäre (vgl RIS-Justiz RS0126727, RS0124358).

[5]       Im Übrigen überging der Antragsteller mit dem bloßen Hinweis auf „Widersprüchlichkeiten“ zwischen den schriftlichen (ON 18, 25 und 31) und dem mündlichen Gutachten (ON 46 S 21 ff) die auf diese Abweichungen bezogenen Ausführungen des Experten (ON 46 S 21 und S 23 ff) und zeigte keinen Mangel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0127942; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 40 f) auf (RIS-Justiz RS0117263, RS0127942 [T1], RS0120023 [T1]).

[6]            Weiteres Antragsvorbringen, wonach der Sachverständige den Betroffenen nicht persönlich befundete und letztlich „nur“ mit hoher (vgl aber ON 46 S 22: höchster) Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie ausging, spricht keinen Mangel, sondern die – der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts unterliegende – Überzeugungskraft des Gutachtens an (RIS-Justiz RS0097433; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; zur Vorgehensweise lege artis Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 28).

[7]            Schließlich wurde mit der Behauptung struktureller Befangenheit des Sachverständigen nicht dargelegt, was über den bloßen Umstand einer Tätigkeit im Ermittlungsverfahren hinaus gegen dessen Neutralität sprechen sollte (RIS-Justiz RS0130055, RS0130056), und mit der Kritik, der Betroffene habe keine Möglichkeit gehabt, im Ermittlungsverfahren ein zweites Gutachten zu beantragen, missachtet, dass Voraussetzung für die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen das Scheitern eines Verbesserungsversuchs ist (§ 127 Abs 3 StPO; Hinterhofer, WK-StPO § 127 Rz 31 f).

[8]       Die zur Antragsbegründung später nachgetragenen Argumente sind prozessual verspätet und somit unzulässig (RIS-Justiz RS0099618 [T16]).

[9]       Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Verteidigung – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (angemeldete – ON 46 S 29) Berufung folgt (§ 285i StPO; RIS-Justiz RS0090270).

Textnummer

E131557

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00032.21X.0427.000

Im RIS seit

17.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten