TE OGH 2021/1/27 9ObA114/20k

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Veröffentlicht am 27.01.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei ***** G*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei *****gemeinde H*****, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen 720 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Oktober 2020, GZ 15 Ra 52/20i-22, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Mai 2020, GZ 75 Cga 74/19z-15, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts im gesamten Umfang seiner Klagsabweisung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 367,08 EUR (darin 61,18 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 466,31 EUR (darin 214 EUR Barauslagen; 42,05 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Der Kläger war von 5. 11. 2012 bis 31. 12. 2019 im Wohn- und Pflegeheim der beklagten Gemeinde als Pflegehelfer beschäftigt. Ihm war bewusst, dass sein Dienstverhältnis auf dem (Tiroler) Gemeinde-Vertragsbedienstetengesetz 2012 (G-VBG 2012) basiert. Er kündigte sein Dienstverhältnis zum 31. 12. 2019 auf und wurde von 29. 11. 2019 bis 31. 12. 2019 dienstfrei gestellt.

[2]       Bei der Einstellung des Klägers wurde von der Beklagten ein Mitarbeiter-Stammblatt angelegt, aus dem sich auch seine (unstrittig mehr als 2 km entfernte) Adresse in W***** ergab. Über allfällige Fahrtkostenzuschüsse oder darüber, wie der Kläger seine Arbeitsstelle erreichte, wurde nicht gesprochen. Dem (für finanzielle Aspekte des Dienstverhältnisses nicht zuständigen) Heimleiter war nicht bekannt, dass ein Fahrtkostenzuschuss beantragt werden muss. Im Herbst 2019 bemerkte der Kläger, dass ein Arbeitskollege einen Fahrtkostenzuschuss bekam und sprach mit dem (neuen) Heimleiter darüber. Diesem war der Fahrtkostenzuschuss auch nicht bekannt. Er holte Informationen ein und informierte den Kläger darüber, dass ihm seit 2012 ein Fahrtkostenzuschuss zugestanden wäre. Die Beklagte informierte im Oktober 2019 in der Folge alle Mitarbeiter darüber, dass Fahrtkostenzuschüsse beantragt werden müssten und legte ein entsprechendes Formular auf. Seither werden neue Mitarbeiter auf diese Möglichkeit hingewiesen. Nach einem an die Beklagte gerichteten Aufforderungsschreiben der AK Tirol vom 11. 11. 2019 langte am 18. 11. 2019 bei der Beklagten der Antrag des Klägers auf Gewährung eines Fahrtkostenzuschusses nach § 64 G-VBG ein. Im Dezember 2019 wurde der Fahrtkostenzuschuss von 20 EUR ausbezahlt.

[3]        Mit seiner am 13. 12. 2019 beim Erstgericht eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger die Zahlung von 720 EUR brutto samt 8,58 % Zinsen seit 11. 11. 2019 an Fahrtkostenzuschuss für die Zeit von Dezember 2016 bis November 2019. Einem Gemeindevertragsbediensteten stehe gemäß § 64 Abs 1 G-VBG 2012 ein Fahrtkostenzuschuss zu, wenn die Wegstrecke zwischen Dienststelle und der nächstgelegenen Wohnung mehr als 2 km betrage und er diese Wegstrecke an den Arbeitstagen regelmäßig zurücklege. Seine einfache Wegstrecke betrage rund 15 km, sodass ihm laut Verordnung der Landesregierung über die Festsetzung des vom Gemeindebediensteten zu tragenden Fahrtkostenanteils grundsätzlich 50 EUR abzüglich des Eigenanteils von 30 EUR, sohin 20 EUR brutto an monatlichem Fahrtkostenzuschuss zustünden. § 64 Abs 8 G-VBG 2012 verlange keinen schriftlichen Antrag. Ein Vertragsbediensteter habe lediglich alle Tatsachen, die für das Entstehen oder das Wegfallen des Anspruchs auf Fahrtkostenzuschuss oder für die Änderung seiner Höhe von Bedeutung seien, binnen einer Woche schriftlich zu melden. Der Kläger habe im Jahr 2012 – vor Antritt seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten – einen Personalbogen ausgefüllt, aus dem sich seine Wohnadresse, die Entfernung zur Arbeitsstätte und sämtliche anderen relevanten Tatsachen für die Gewährung eines Fahrtkostenzuschusses ergeben hätten, sodass die Beklagte den Fahrtkostenzuschuss gewähren hätte müssen. Die Beklagte hätte den Kläger auf die Möglichkeit des Bezugs eines Fahrtkostenzuschusses hinweisen müssen, zumal es nicht Aufgabe des Arbeitnehmers als juristischen Laien sein könne, sich hinreichende Kenntnis über mögliche Zulagen, Zuschläge oder Zuschüsse zu verschaffen. Die Beklagte habe diese Fürsorgepflicht verletzt. Das Klagebegehren werde ausdrücklich auch auf den Titel des Schadenersatzes bzw der Aufwandsentschädigung gestützt.

[4]       Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ergebe sich dessen Wohnadresse, jedoch weder die Entfernung zur Arbeitsstätte noch Informationen darüber, ob er diese Wegstrecke an Arbeitstagen regelmäßig zurücklege oder ob ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei. Es wäre ihm auch jederzeit möglich gewesen, sich mit den Bestimmungen des G-VBG 2012 auseinanderzusetzen. Sie sei nicht verpflichtet, alle Mitarbeiter über diese aufzuklären. In der Verordnung der Landesregierung über die Festsetzung des von Gemeindebediensteten zu tragenden Fahrtkostenanteils würden die notwendigen monatlichen Fahrtauslagen eines Vertragsbediensteten, der durch Erklärung beim Arbeitgeber einen Pauschbetrag nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG in Anspruch nehme, gemäß § 1 Abs 3 dieser Verordnung für die einfache Wegstrecke zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte zwischen 2 und 20 km mit 50 EUR festgesetzt. Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 lit g EStG habe der Arbeitnehmer für die Inanspruchnahme des Pendlerpauschales dem Arbeitgeber auf einem amtlichen Formular eine Erklärung über das Vorliegen der Voraussetzungen, zB Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, abzugeben oder elektronisch zu übermitteln. Diese Erklärung erfolge über den Pendlerrechner des BMF. Die Erklärung bzw der Nachweis zur Berücksichtigung des Pendlerpauschales sei der Beklagten vom Kläger erstmals am 18. 11. 2019 übergeben worden.

[5]       Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Kläger habe vor der Antragstellung vom 18. 11. 2019 nicht alle anspruchsbegründenden Tatsachen (§ 64 Abs 8 G-VBG) gemeldet. Die Beklagte habe – auch im Hinblick auf die Möglichkeiten im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung – keine Verpflichtung zur Aufklärung des Klägers über den Fahrtkostenzuschuss gehabt.

[6]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil durch Zuspruch des Hauptbegehrens zuzüglich Zinsen von 4 % seit 21. 12. 2019 ab. Das Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen. Zusammengefasst habe die Beklagte Hinweise auf einen Anspruch des Klägers auf den Fahrtkostenzuschuss gehabt (Wohnort; regelmäßiges Aufsuchen des Dienstorts) und hätte ihn daher auf die Möglichkeit des Bezugs des Fahrtkostenzuschusses aufmerksam machen müssen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Rechtsfrage für einen größeren Personenkreis von Interesse sei.

[7]       In ihrer erkennbar gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8]       Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Die Revision ist zur aufgeworfenen Frage einer Fürsorgepflichtverletzung der Beklagten zulässig und berechtigt.

[10]            1. § 64 Tiroler G-VBG 2012 lautet:

Fahrtkostenzuschuss

(1) Dem Vertragsbediensteten gebührt ein Fahrtkostenzuschuss, wenn die Wegstrecke zwischen der Dienststelle und der nächstgelegenen Wohnung mehr als zwei Kilometer beträgt und er diese Wegstrecke an den Arbeitstagen regelmäßig zurücklegt.

(2) Der Fahrtkostenzuschuss gebührt im Ausmaß des Betrages, um den die notwendigen monatlichen Fahrtauslagen den Fahrtkostenanteil, den der Vertragsbedienstete selbst zu tragen hat (Eigenanteil) übersteigen. …

(3) Als notwendige monatliche Fahrtauslagen gelten die Kosten für ein nicht ermäßigtes Jahresticket für das billigste, tirolweit gültige öffentliche Beförderungsmittel, umgerechnet auf einen Kalendermonat, ohne Berücksichtigung möglicher Vergünstigungen, soweit in den Abs. 4 und 5 nichts anderes bestimmt ist. Durch Verordnung der Landesregierung sind das für die Berechnung der notwendigen monatlichen Fahrtauslagen maßgebliche Ticket zu benennen und die Höhe des Eigenanteils pro Kalendermonat festzusetzen. …

(4) Die notwendigen monatlichen Fahrtauslagen eines Vertragsbediensteten, der durch Erklärung beim Arbeitgeber einen Pauschbetrag nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d des Einkommensteuergesetzes 1988 in Anspruch nimmt, sind durch Verordnung, abhängig von der Wegstrecke zwischen der Dienststelle und der nächstgelegenen Wohnung, festzulegen.

(5) Kann für Wegstrecken zwischen der Dienststelle und der nächstgelegenen Wohnung ein öffentliches Beförderungsmittel mit dem nach Abs. 3 benannten Ticket nicht benützt werden und beträgt diese Wegstrecke in eine Richtung mehr als zwei Kilometer, so gelten als notwendige monatliche Fahrtauslagen hierfür die Kosten für ein nicht ermäßigtes Jahresticket für dieses öffentliche Beförderungsmittel auf dieser Wegstrecke, umgerechnet auf einen Kalendermonat. Kommt für Wegstrecken zwischen der Dienststelle und der nächstgelegenen Wohnung ein öffentliches Beförderungsmittel nicht in Betracht und beträgt diese Wegstrecke in eine Richtung mehr als zwei Kilometer, so sind die monatlichen Fahrtauslagen hierfür nach den billigsten für Personenzüge zweiter Klasse in Betracht kommenden Fahrtkosten, gemessen an der kürzesten Wegstrecke, zu ermitteln.

(6) …

(7) Auf den Anspruch und das Ruhen des Fahrtkostenzuschusses ist § 52 Abs. 5 sinngemäß anzuwenden.

(8) Der Vertragsbedienstete hat alle Tatsachen, die für das Entstehen oder den Wegfall des Anspruches auf Fahrtkostenzuschuss oder für die Änderung seiner Höhe von Bedeutung sind, binnen einer Woche schriftlich zu melden. Wird die Meldung später erstattet, so gebührt der Fahrtkostenzuschuss oder dessen Erhöhung von dem der Meldung folgenden Monatsersten oder, wenn die Meldung an einem Monatsersten erstattet wurde, von diesem Tag an. In den übrigen Fällen wird die Neubemessung des Fahrtkostenzuschusses mit dem auf die Änderung folgenden Monatsersten oder, wenn die Änderung an einem Monatsersten erfolgte, mit diesem Tag wirksam.

(9) Der Fahrtkostenzuschuss gilt als Aufwandsentschädigung.

[11]     § 1 der Verordnung der Landesregierung über die Festsetzung des von Gemeindebediensteten zu tragenden Fahrtkostenanteils (LGBl Nr 132/2017 idF LGBl Nr 71/2018) lautet:

(1) Der Fahrtkostenanteil, den der Vertragsbedienstete selbst zu tragen hat (Eigenanteil), wird mit 30 EUR pro Kalendermonat festgesetzt.

(2) …

(3) Die notwendigen monatlichen Fahrtauslagen eines Vertragsbediensteten, der durch Erklärung beim Arbeitgeber einen Pauschbetrag nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl Nr 400/1988, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl I Nr 142/2017, in Anspruch nimmt, werden in der nachstehenden Tabelle festgesetzt wie folgt:

Einfache Wegstrecke  Monatlicher Fahrtarif (in Euro)

2 km bis 20 km           50,-

[12]            2. § 64 Abs 8 G-VBG 2012 fordert vom Vertragsbediensteten zur Geltendmachung des Fahrtkostenzuschusses eine schriftliche Meldung aller anspruchsbegründenden Tatsachen. Wie auch aus der Rechtsprechung des VwGH zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 20b Abs 8 GehG 1956 in der bis 31. 12. 2007 in Geltung gestandenen Fassung hervorgeht, kann diese Notwendigkeit der schriftlichen Meldung nicht durch telefonische Erklärungen oder Äußerungen gegenüber den Kollegen und dem Vorgesetzten über den Hausbau und eine Wohnungsnahme ersetzt werden. Auch entsprechende Nachforschungspflichten wurden verneint (s VwGH 20. 5. 2005, Zl 2001/12/0213; dort auch unter Hinweis auf die Entscheidung VwGH 19. 3. 1997, Zl 96/12/0045, in der nicht einmal die im Ansuchen um Gewährung eines Sonderurlaubs gegebene Begründung [Übersiedelung] als Meldung einer für den Fahrtkostenzuschuss allenfalls maßgeblichen Wohnungswechsels iSd § 20b Abs 8 GehG angesehen wurde).

[13]            3. Davon, dass der Kläger vor dem 18. 11. 2019 nicht iSd § 64 Abs 8 G-VBG alle anspruchsbegründenden Tatsachen schriftlich gemeldet hatte, sind auch die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen, hatte der Kläger der Beklagten doch keine Informationen dazu erteilt, ob er die Wegstrecke zwischen seiner Wohnung und der Dienststelle „an den Arbeitstagen regelmäßig zurücklegt“ (§ 64 Abs 1 G-VBG 2012). Vom Kläger wurde auch nicht behauptet, dass er durch Erklärung beim Arbeitgeber einen Pauschbetrag nach § 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG 1988 in Anspruch genommen hatte, woran aber § 1 Abs 3 der genannten VO iVm § 64 Abs 3 G-VBG 2012 zur Geltendmachung des monatlichen Fahrtkostenzuschusses von 20 EUR anknüpft. Vielmehr steht fest, dass der Kläger „zumindest im Februar 2019“ kein Pendlerpauschale bezogen hatte. Dass die bloße Bekanntgabe des Wohnorts des Klägers danach nicht ausreichen konnte, um von einer schriftlichen Meldung „aller Tatsachen“ iSd § 64 Abs 8 G-VBG auszugehen, ist im Revisionsverfahren auch nicht mehr strittig.

[14]            4. Die Beklagte wendet sich gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sie ihre Fürsorgepflicht verletzt habe. Ob eine Aufklärungspflicht bestand (und bejahendenfalls, ob sie der Arbeitgeber erfüllt hat), hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0017049 [T40]; 9 ObA 26/18s). Im vorliegenden Fall besteht jedoch zufolge Überspannung der Fürsorgepflicht ein Korrekturbedarf:

[15]     Die Rechtsprechung geht allgemein davon aus, dass der Arbeitgeber neben Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers auch andere immaterielle und materielle Interessen des Arbeitnehmers im besonderen Maß zu wahren hat. Diese für das Arbeitsrecht verstärkt ausgeprägten Schutzpflichten wirken auch schon im vorvertraglichen Verhältnis. Bereits in diesem Stadium obliegt dem Arbeitgeber die Verpflichtung zur besonderen Obsorge im Interesse des Arbeitnehmers (RS0021267; s auch RS0021544). Nimmt ein Arbeitgeber seine vertraglichen Fürsorgepflichten durch Gehilfen wahr, so sind jene Handlungen von Gehilfen, die in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Fürsorgepflicht stehen, dem Arbeitgeber gemäß § 1313a ABGB zuzurechnen (vgl 9 ObA 118/11k).

[16]           5. Die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers bestehen auch im Rahmen öffentlich-rechtlicher Rechtsbeziehungen (RS0021544 [T2]), wobei diese Pflichten nicht nur bei einer vertraglichen Gestaltung des Dienstverhältnisses, sondern auch dann bestehen, wenn das Dienstverhältnis durch Ernennungsakt begründet wurde (RS0021507; zu Vertragsbediensteten vgl etwa 9 ObA 64/16a). Auch gegenüber den in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Personen hat der Rechtsträger als Dienstgeber in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht auch deren wirtschaftliche Interessen zu wahren und zu fördern. So dürfen zB durch Unterlassungen des Dienstgebers vermeidbare Belastungen von Dienstnehmern nicht eintreten oder ihre gehaltsrechtlichen Ansprüche, die bei Erfüllung der gesetzlichen Pflichten entstünden, vereitelt werden (RS0053007).

[17]           6. Wie etwa zu 9 ObA 26/18s ausgeführt, kann aber aus den § 1157 ABGB, § 18 AngG eine allgemeine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Aufklärung des Arbeitnehmers über Arbeitnehmerrechte nicht abgeleitet werden, sodass keine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer solchen Aufklärung besteht (9 ObA 157/07i = DRdA 2009/18 [Resch]; Mosler in ZellKomm3 § 18 AngG Rz 120; Marhold in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 18 Rz 76; Kohlbacher, Glosse zu 8 ObA 26/14b in DRdA 2015, 122 [123, 125]; eingehend Egermann, Gibt es eine generelle Förderungs- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers?, ZAS 2005, 111 ff). Den Arbeitgeber trifft daher auch im Stadium der Vertragsbeendigung ganz allgemein keine Pflicht, den Arbeitnehmer über dessen Rechte und deren Geltendmachung aufzuklären (Rebhahn/Ettmayer in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1157 Rz 9; Egermann aaO 116 mwN). So ergibt sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bespielsweise keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer vor der Verjährung von Abfertigungsansprüchen zu warnen (RS0109395) und es ist der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer gegenüber seinen eigenen Kündigungserklärungen zu schützen und ihn auf allfällige nachteilige Folgen einer Kündigung aufmerksam zu machen (8 ObA 2134/96y). Informationspflichten können jedoch dadurch ausgelöst werden, dass der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber eine entsprechende Frage richtet (4 Ob 148/55 = Arb 6571).

[18]           7. Wenngleich keine allgemein gültigen Kriterien aufgestellt werden können, welche Informationen ein Arbeitgeber im Einzelfall bieten muss, um seiner Fürsorgepflicht nachzukommen (RS0017049 [T51]; 9 ObA 26/18s), lassen einzelne Fälle, in denen die Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers als Ausdruck seiner Fürsorgepflicht bejaht hat, bestimmte Anknüpfungspunkte dafür erkennen:

[19]           Eine Verletzung der Fürsorgepflicht wurde etwa dann bejaht, als eine Information aufgrund ihres Umfangs und ihres Detailreichtums eines entsprechenden Rundschreibens den Anschein der Vollständigkeit der Darstellung der in Betracht kommenden Neuerungen erwecken musste, wodurch für die Bediensteten keine Veranlassung mehr bestand, weitere Informationen einzuholen (9 ObA 118/03y [Tagesgebühren]). Haftungsbegründend erwies sich auch die falsche Information zum Ruhegenuss von Lehrern, die sich aufgrund dessen entschlossen, in Pension zu gehen. In diesen Fällen wurde nämlich eine besondere Vertrauenslage geschaffen, die angesichts der dadurch hervorgerufenen Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen des Arbeitnehmers zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (s 1 Ob 131/08h; 1 Ob 71/04d). Es ist auch ständige Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber gegenüber seinen ehemaligen Arbeitnehmern im Zusammenhang mit Vorschlägen, die auf eine Befreiung des Arbeitgebers von weiteren direkten Leistungsverpflichtungen aus einer Pensionsvereinbarung hinauslaufen, zur umfassenden Aufklärung verpflichtet ist (RS0017049 [T44] ua). Im Zusammenhang mit der Pflicht des Arbeitnehmers zur Bekanntgabe (allenfalls) anrechenbarer Vordienstzeiten wurde ausgesprochen, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer seiner Bekanntgabepflicht (voll) entsprochen hat und der Arbeitgeber daraufhin mit ihm sofort den Arbeitsvertrag abschließt, dieser in der Regel zu erkennen gibt, dass er zur Anrechnung der bekanntgegebenen Vordienstzeiten in dem im KollV vorgesehenen Ausmaß bereit ist und er auf das Erfordernis zusätzlicher Nachweise hinzuweisen hat, falls er darauf noch einen Wert legt (RS0065016).

[20]     Der Verstoß gegen die Fürsorgepflicht kann aber nicht schon in der Verletzung der Entgeltzahlungspflicht durch den Dienstgeber liegen; es muss vielmehr ein besonderer Umstand dazutreten, der den Vorwurf rechtfertigt, der Dienstgeber habe in vorwerfbarer Weise – über den Verzug mit den geschuldeten Entgeltzahlungen hinaus – die vermögensrechtlichen Interessen der Dienstnehmer verletzt (RS0021541; RS0021267 [T5]). Eine Verletzung der Fürsorgepflicht wurde auch verneint, als ein Arbeitgeber die Klägerin nicht darüber informierte, bis wann sie während der von ihr in Anspruch genommenen Mutterkarenz zu kündigen habe, um die Abfertigungsansprüche nach § 84 des (als Vertragsschablone vereinbarten) VBG nicht zu verlieren (9 ObA 26/18s). Es gibt auch keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer vor der Verjährung von Abfertigungsansprüchen zu warnen (RS0109395).

[21]            8. Anders als in den eine Fürsorgepflichtverletzung bejahenden Fällen liegt hier keine Konstellation vor, in der dem Kläger über sein Ersuchen von der Beklagten eine bestimmte Auskunft erteilt worden wäre, die Beklagte sonst den Anschein einer vollständigen Informationserteilung erweckt hätte oder bestehende Leistungszusagen der Beklagten geändert werden sollten. Es liegt vielmehr ein Fall vor, in dem einem Arbeitnehmer nach dem anzuwendenden Landesgesetz eine Aufwandsentschädigung in Gestalt eines Fahrtkostenzuschusses nur dann zu leisten ist, wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen für diesen Aufwand erfüllt. Nach dem Konzept des § 64 Abs 8 G-VBG 2012 sind die entsprechenden Tatsachen nicht vom Dienstgeber zu erforschen, sondern vom Dienstnehmer vollständig schriftlich zu melden. Wie zuvor dargelegt, ist eine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitnehmer über ihre Rechte aufzuklären, aus der Fürsorgepflicht nicht abzuleiten. So besteht auch keine allgemeine Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitnehmer über die Möglichkeit des Pendlerpauschales zu informieren, zumal dieses von Arbeitnehmern auch im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung geltend gemacht werden kann. Besondere Umstände für eine konkrete Pflicht der Beklagten, auf die Möglichkeit eines Fahrtkostenzuschusses nach § 64 G-VBG 2021 hinzuweisen, sind hier nicht ersichtlich, weil die Beklagte nur Kenntnis vom Wohnort des Klägers (und damit der Entfernung zur Arbeitsstätte) hatte, nicht aber etwa, ob und gegebenenfalls wie der Kläger die Wegstrecke an Arbeitstagen regelmäßig zurücklegte. Der Kläger hatte ihr gegenüber auch nicht erklärt, das Pendlerpauschale (§ 16 Abs 1 Z 6 lit d EStG 1988) in Anspruch zu nehmen, wovon aber nach § 1 Abs 3 der zitierten Verordnung der begehrte Fahrtkostenzuschuss abhängt. Eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten, den Kläger über die Möglichkeit der Geltendmachung des Fahrtkostenzuschusses iSd § 64 G-VBG 2012 aufzuklären, ist hier daher nach Lage des Falls zu verneinen.

[22]            9. Der Revision der Beklagten ist danach Folge zu geben und das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, wiederherzustellen.

[23]            10. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E130758

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00114.20K.0127.000

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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