TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/28 L527 2232700-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2020
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Entscheidungsdatum

28.08.2020

Norm

AVG §59
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L527 2232700-2/5Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Bangladesch, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.07.2020, Zahl XXXX , zu Recht:

A) Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG wird der Beschwerde, soweit sie sich gegen Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids richtet, stattgegeben, Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben und der Beschwerde wird die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass Spruchpunkt VI lautet: „Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am 02.06.2020 griffen Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Volksrepublik Bangladesch, in XXXX auf. Am selben Tag fand eine Einvernahme vor einem Organ der Landespolizeidirektion XXXX , Fremden- und Grenzpolizeiliche Abteilung, statt.

Mit Bescheid vom 04.06.2020 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: [belangte] Behörde) dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I), erließ gestützt auf § 9 BFA-VG in Verbindung mit § 52 Abs 1 Z 1 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II) sowie gemäß § 53 Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV) und sprach die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch aus (Spruchpunkt III). Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V). Unter Spruchpunkt VI erkannte die Behörde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (§ 18 Abs 2 Z 3 BFA-VG).

Am 18.06.2020 – während der Schubhaft – stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung am 19.06.2020 gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund bzw. Befürchtungen für den Fall der Rückkehr in die Heimat im Wesentlichen an, dass er in Bangladesch keine Arbeit gehabt habe und seine finanzielle Lage sehr schlecht gewesen sei. Deshalb sei er zunächst nach XXXX und, da er dort keine Arbeit gefunden habe, weiter nach Europa gereist. Da er sein gesamtes Geld ausgegeben habe, um nach Österreich zu gelangen, würde er im Falle der Rückkehr nach Bangladesch sehr große finanzielle Probleme bekommen.

Der gegen den Bescheid vom 04.06.2020 erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht – unter Bedachtnahme auf die höchstgerichtliche Judikatur (z. B. VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) – mit Erkenntnis vom 07.07.2020, L527 2232700-1/3E, statt und hob den Bescheid ersatzlos auf.

In der behördlichen Einvernahme am 29.06.2020 befragt, ob er in seinem Herkunftsstaat je aufgrund einer Verfolgung durch Dritte Probleme gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an: „Ja [sic!] mit dem Nachbarn. Es war bereits lange her, man wollte eine Straße bauen, dort [sic!] wo mein Haus steht. [Anmerkung durch den Leiter der Einvernahme] Mein Nachbar hat meinen Vater und den Onkel bedroht, das ist alles. Sie wollen eine Straße bauen, noch immer. Das würde mitten durch das Haus führen, diese Straße will der Nachbar, er ist sehr mächtig.“ Im Zuge der weiteren Befragung erklärte der Beschwerdeführer zu diesem Vorbringen, dass er nicht bedroht worden sei. Sein Vater und der Onkel seien 2006 oder 2007 bedroht worden. Es habe immer wieder mündliche Auseinandersetzungen gegeben. „Die“ seien sehr mächtig, irgendwann werden sie die Straße bauen. Dieses Problem sei nicht der Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers gewesen. Der Grund für die Ausreise sei die (angeblich) schlechte finanzielle Lage gewesen. Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre er in einer sehr schlechten wirtschaftlichen Lage.

Das Verfahren des Beschwerdeführers wurde nicht zugelassen.

In einer weiteren – nach erfolgter Rechtsberatung und im Beisein eines Rechtsberaters durchgeführten – behördlichen Einvernahme am 15.07.2020 erklärte der Beschwerdeführer, dass er die Angaben aus der Niederschrift vom 29.06.2020 aufrechterhalte; er möchte nichts hinzufügen oder ändern. Er habe alles richtig gesagt. Befragt, ob er Beweismittel für sein Vorbringen, „zB die erwähnte Anzeige“, vorlegen könne, verneinte der Beschwerdeführer. Er habe keine Schritte unternommen, um an Beweismittel zu gelangen.

Die belangte Behörde gelangte zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und dass diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zukomme. Mit dem angefochtenen Bescheid wies sie den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch aus (Spruchpunkt V) und erkannte einer Beschwerde gegen den Bescheid gestützt auf § 18 Abs 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII). Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer die vorliegende Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In der Beschwerde bringt er unter anderem vor, dass es die Behörde unterlassen habe, ihn näher zu den vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten, insbesondere zu den (angeblichen) Drohungen und dem (angeblichen) Vorfall mit dem Nachbarn zu befragen. Der Beschwerdeführer werde aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt und unterliege daher dem Flüchtlingsbegriff der GFK.

Die Beschwerde langte samt unvollständigem Akt am 21.08.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (Wien) ein. Trotz Urgenz durch das Bundesverwaltungsgericht war die Aktenvorlage bis zur Genehmigung der vorliegenden Entscheidung nicht vollständig. Gegenständlich steht die unvollständige Aktenvorlage der Erlassung des vorliegenden Teilerkenntnisses nicht entgegen.

Mit Verfügung vom 26.08.2020 beraumte das Bundesverwaltungsgericht für 07.09.2020 eine Beschwerdeverhandlung an und fertigte am selben Tag die entsprechenden Ladungen ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Bei der Bezeichnung von Aktenbestandteilen verwendet das Bundesverwaltungsgericht in der Folge Abkürzungen: AS: Aktenseite(n); S: Seite(n); OZ: Ordnungszahl(en); VA: (von der belangten Behörde vorgelegter) Verwaltungsverfahrensakt; f: folgende [Aktenseite/Seite]; ff: folgende [Aktenseiten/Seiten].

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 18.06.2020 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 25).

In der behördlichen Einvernahme am 29.06.2020 befragt, ob er in seinem Herkunftsstaat je aufgrund einer Verfolgung durch Dritte Probleme gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an: „Ja [sic!] mit dem Nachbarn. Es war bereits lange her, man wollte eine Straße bauen, dort [sic!] wo mein Haus steht. [Anmerkung durch den Leiter der Einvernahme] Mein Nachbar hat meinen Vater und den Onkel bedroht, das ist alles. Sie wollen eine Straße bauen, noch immer. Das würde mitten durch das Haus führen, diese Straße will der Nachbar, er ist sehr mächtig.“ (AS 64) Im Zuge der weiteren Befragung erklärte der Beschwerdeführer zu diesem Vorbringen, dass er nicht bedroht worden sei. Sein Vater und der Onkel seien 2006 oder 2007 bedroht worden. Es habe immer wieder mündliche Auseinandersetzungen gegeben. „Die“ seien sehr mächtig, irgendwann werden sie die Straße bauen. Dieses Problem sei nicht der Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers gewesen. (AS 64 f) Der Grund für die Ausreise sei die schlechte finanzielle Lage gewesen. Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre er in einer sehr schlechten wirtschaftlichen Lage. (AS 65, 66) Der Beschwerdeführer erklärte, dass er keine Beweise für sein Vorbringen vorlegen könne. Befragt, welche Schritte er unternommen habe, um an Beweismittel heranzukommen, gab der Beschwerdeführer an, dass er nichts beibringen könne. (AS 66)

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV), sprach die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch aus (Spruchpunkt V) und erkannte einer Beschwerde gegen den Bescheid gestützt auf § 18 Abs 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII). Es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI).

Unter „C) Feststellungen“ führt die Behörde zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats und zur Situation im Fall der Rückkehr unter anderem aus: Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer von Seiten der Regierung Gefahr drohe. Es werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Bangladesch weder vorbestraft sei, noch Probleme mit den Behörden habe. Es bestehen auch keine Fahndungsmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer. Es habe weiters nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Bangladesch Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass er im Falle der Rückkehr nach Bangladesch dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt sei bzw. sein Leben auf sonstige Weise gefährdet wäre. (AS 133 f)

In der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats und die Situation im Falle einer Rückkehr (AS 168 bis 171) legte die Behörde dar, dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und dass diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zukomme. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er in seinem Herkunftsstaat weder von staatlicher noch von nichtstaatlicher Seite bedroht oder verfolgt worden sei. Abseits der wörtlichen Wiedergabe der Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahrensgang (AS 122 ff, insbesondere AS 127 f) ging die Behörde im angefochtenen Bescheid auf die vom Beschwerdeführer geäußerten Streitigkeiten mit dem – angeblich – mächtigen Nachbarn mit keinem Wort ein. Sie nahm auf diese Angaben weder in der Beweiswürdigung noch (disloziert) an anderer Stelle Bedacht.

1.3. Mit der gegenständlichen Beschwerde ficht der Beschwerdeführer den Bescheid der belangten Behörde in vollem Umfang an. Vor dem Hintergrund der unter 1.2. getroffenen Feststellungen tritt der Beschwerdeführer den (beweiswürdigenden) Argumenten der belangten Behörde zum Teil nicht unsubstantiiert entgegen und macht die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens geltend: Er bringt insbesondere vor, dass es die Behörde unterlassen habe, ihn näher zu den vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten, insbesondere zu den (angeblichen) Drohungen und dem (angeblichen) Vorfall mit dem Nachbarn zu befragen (AS 215). Die Beweiswürdigung sei grob mangelhaft. Bei entsprechender Würdigung wäre die Behörde zu dem Schluss gekommen, dass die geschilderte Verfolgungsgefahr objektiv nachvollziehbar und asylrelevant sei. (AS 217). Der Beschwerdeführer werde aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt und unterliege daher dem Flüchtlingsbegriff der GFK (AS 219). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erscheine zur ganzheitlichen Würdigung des Vorbringens des Beschwerdeführers unter Berücksichtigung seiner persönlichen Glaubwürdigkeit unvermeidlich (AS 225). Ferner regt der Beschwerdeführer an, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (AS 223 f).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich unzweifelhaft aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Akten; vgl. die bei den Feststellungen angegebenen Aktenseiten (AS). Der Sachverhalt ist damit aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) und B) Behebung von Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheids, Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise:

3.1. Zur Rechtslage:

3.1.1. Kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen oder abgewiesen wurde, oder mit der eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs 1 Z 2 FPG erlassen wurde, die aufschiebende Wirkung nicht zu, ist diese gemäß § 16 Abs 4 BFA-VG durchsetzbar. Mit der Durchführung der mit einer solchen Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der die bereits bestehende Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung ist bis zum Ende der Rechtsmittelfrist, wird ein Rechtsmittel ergriffen bis zum Ablauf des siebenten Tages ab Einlangen der Beschwerdevorlage, zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Beschwerdevorlage und von der Gewährung der aufschiebenden Wirkung in Kenntnis zu setzen.

Gemäß § 18 Abs 1 Z 4 BFA-VG kann das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung; vgl. Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 18 Rz 2 BFA-VG (Stand 1.3.2016, rdb.at).

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

Ein Ablauf der Frist nach § 18 Abs 5 BFA-VG steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen (Abs 6 leg cit).

3.1.2. In seinem Erkenntnis vom 20.09.2017, Ra 2017/19/0284 mwN, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 18 Abs 5 Satz 1 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung unter den dort genannten Voraussetzungen zuzuerkennen habe. Ein gesonderter Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei in § 18 Abs 5 BFA-VG nicht vorgesehen. Im Rahmen des § 18 BFA-VG könne sich ein Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen den Ausspruch des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 1 BFA-VG wenden. § 18 Abs 5 BFA-VG sei - als lex specialis zu § 13 Abs 5 VwGVG - nur so zu verstehen, dass das Bundesverwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 1 BFA-VG (bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids des Bundesamts) gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden habe. Neben diesem Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren sei ein eigenes Provisorialverfahren betreffend eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 5 BFA-VG allerdings gesetzlich nicht vorgesehen und es könne dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, er habe im Hinblick auf die Frage der aufschiebenden Wirkung einen doppelgleisigen Rechtsschutz schaffen wollen. Ein (zusätzlicher) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 5 BFA-VG sei somit unzulässig. Eine Entscheidung über den die aufschiebende Wirkung aberkennenden Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids habe in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu erfolgen; vgl. auch VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014. Nunmehr hat der Gesetzgeber entsprechend festgelegt, dass die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unter den Voraussetzungen des § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche von Amts wegen zu erfolgen hat; der Beschwerdeführer kann eine Entscheidung (in beide Richtungen) aber nach Ablauf dieser Frist mittels eines Fristsetzungsantrags herbeiführen (vgl. § 18 Abs 5 letzter Satz BFA-VG).

3.1.3. Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen (§ 55 Abs 2 FPG). Gemäß § 55 Abs 3 FPG kann bei Überwiegen besonderer Umstände die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht gemäß § 55 Abs 1a FPG nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. Das bedeutet, dass keine Frist zur freiwilligen Ausreise besteht, wenn die Behörde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs 1 BFA-VG aberkennt, sofern sie das Bundesverwaltungsgericht nicht zuerkennt; vgl. VwGH 28.04. 2015, Ra 2014/18/0146.

Im Falle der Behebung des bescheidmäßigen Abspruchs über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 55 Abs 1 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festzusetzen; vgl. VwGH 08.06.2020, Ra 2018/19/0478.

3.2. Aus dieser Rechtslage folgt für den gegenständlichen Fall:

3.2.1. In Übereinstimmung mit der dargestellten Rechtslage stellte der Beschwerdeführer keinen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, der nach der zitierten Rechtsprechung zurückzuweisen wäre, sondern er regte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an. Dabei ist bei gesamtheitlicher Betrachtung der Beschwerde insgesamt hinreichend klar erkennbar, dass der Beschwerdeführer geltend macht, dass ihm im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung aufgrund seiner behaupteten Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie drohe. Unter Verfolgung ist ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Statusrichtlinie verweist. Von dieser Definition sind unter anderem Handlungen erfasst, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter; vgl. etwa VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083. Insofern ist die Beschwerde insgesamt so zu verstehen, dass der Beschwerdeführer mit der behaupteten Verfolgung auch eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 18 Abs 5 BFA-VG geltend macht. Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr in Abspruch über die Beschwerde gegen diesen Spruchpunkt darüber zu entscheiden, ob der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist oder nicht.

3.2.2. Das von der Behörde geführte Verfahren, konkret jedenfalls die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid, erweist sich gemäß den Feststellungen unter 1.2. und 1.3. als derart unzureichend und mangelhaft, dass eine in wesentlichen Punkten zu ergänzende, bisweilen sogar überhaupt erstmals vorzunehmende, Beweiswürdigung und damit nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 03.10.2017, Ra 2016/07/0002) zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erforderlich erscheinen. Angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme am 29.06.2020 erklärt hatte, keine Bescheinigungsmittel vorlegen zu können, und da er nicht angab, dass gegen ihn eine Anzeige bestünde, erschließt sich zudem nicht, auf welche – vermeintlich vom Beschwerdeführer erwähnte – Anzeige der Leiter der Einvernahme am 15.07.2020 den Beschwerdeführer ansprach (AS 66, 102). Insofern kann auch eine Mangelhaftigkeit des behördlichen Ermittlungsverfahrens derzeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verneint werden. Es kann daher gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den in Aussicht genommenen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK bedeuten würde, weshalb gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist. Es war daher spruchgemäß (Spruchpunkt A)) zu entscheiden.

3.2.3. Im vorliegenden Fall erkannte die belangte Behörde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII). Wie gerade ausgeführt, war der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Daran anknüpfend ist auch Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids rechtswidrig. Der Beschwerdeführer brachte in keinem Stadium des Verfahrens vor, dass besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs 2 und 3 FPG vorlägen, und gab auch keinen Termin für seine Ausreise bekannt. Folglich hatte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 55 Abs 1 und 2 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festzusetzen (siehe Spruchpunkt B) des vorliegenden Teilerkenntnisses).

3.3. Der Vollständigkeit halber weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung keinen Abspruch über die (Begründetheit der) Beschwerde, soweit sie sich auch gegen die Spruchpunkte I bis V des angefochtenen Bescheids richtet, bedeutet und diesen auch in keiner Weise vorwegnimmt. Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 17 VwGVG iVm § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkt IV und VII spruchreif war und die Trennung – wegen der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Beschwerdeführer – auch zweckmäßig erscheint. Über die Beschwerde gegen die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids wird das Bundesverwaltungsgericht gesondert entscheiden.

3.4. Ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen für den Entfall der mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs 7 BFA-VG vorlagen, konnte das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nach Abs 6a leg cit ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden (Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde, der diese vom Bundesamt aberkannt wurde).

Zu C) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; vgl. die oben zitierten Entscheidungen. Darüber hinaus liegt bei Fehlen einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist (VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung EMRK Fristverlängerung reale Gefahr Teilerkenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L527.2232700.2.01

Im RIS seit

17.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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