TE Bvwg Beschluss 2021/1/18 G314 2226991-1

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Veröffentlicht am 18.01.2021
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Entscheidungsdatum

18.01.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67
FPG §70
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


G314 2226991-1/14E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des kroatischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots samt Nebenentscheidungen:

A) Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX in XXXX geboren und ist kroatischer Staatsangehöriger. Er ist ledig und kinderlos.

Der BF ist seit XXXX 1987 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet; am XXXX.2007 wurde ihm ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ausgestellt.

Der BF war in Österreich von XXXX 2001 bis XXXX 2002 als Lehrling beschäftigt. Anschließend war er bis XXXX 2011 immer wieder (teilweise geringfügig) erwerbstätig, wobei das längste durchgehende Beschäftigungsverhältnis etwas länger als ein Jahr dauerte. In den Zeiten, in denen er keiner Beschäftigung nachging, bezog er Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Krankengeld. Ab XXXX 2018 erhielt er Rehabilitationsgeld. Er leidet seit vielen Jahren an einer psychischen Erkrankung. Schon seit seinem 18. Lebensjahr kam es wiederholt zu stationären Behandlungen in psychiatrischen Krankenhäusern sowie zur Unterbringung in geschlossenen Abteilungen wegen Fremdgefährdung.

Der BF wurde in Österreich mehrmals rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des XXXX vom XXXX, XXXX, wurde er als Jugendlicher wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB) zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zunächst bedingt nachgesehen und später, nach dem Widerruf der Strafnachsicht, bis XXXX.2005 vollzogen wurde. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass er gemeinsam mit anderen Tätern mehrere Opfer vorsätzlich verletzt hatte. Als mildernd wurden das teilweise Geständnis und der bisherige ordentliche Lebenswandel gewertet; besondere Erschwerungsgründe lagen nicht vor.

Am XXXX wurde der BF vom Landesgericht XXXX zu XXXX, wegen einer weiteren Jugendstraftat (Verbrechen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und Z 3 StGB) zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zunächst bedingt nachgesehen und nach dem Widerruf der Strafnachsicht bis XXXX.2007 vollzogen wurde. Diesem Urteil lag zu Grunde, dass er (teilweise zusammen mit einem Mittäter) bei mehreren Einbruchsdiebstählen Sachen im Gesamtwert von über EUR 2.000 erbeutet hatte. Als erschwerend wurde die Vorstrafe des BF, sein rascher Rückfall und die Tatwiederholung gewertet, als mildernd das Geständnis und die infolge einer Störung des Sozialverhaltens eingeschränkte Dispositionsfähigkeit.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde der BF als junger Erwachsener wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei fünf Monate davon zunächst bedingt und 2011 (nach Verlängerung der Probezeit von drei auf fünf Jahre) endgültig nachgesehen wurden. Dem Urteil lag zu Grunde, dass er im Juli 2003 mehrere Familienangehörige vorsätzlich am Körper verletzt hatte. Als mildernd wurde das Geständnis, als erschwerend die Vorstrafen gewertet. Der unbedingte Strafteil wurde bis XXXX.2003 vollzogen.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF als junger Erwachsener wegen der Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Verstoßes gegen § 50 Abs 1 Z 3 WaffG sowie des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser Entscheidung lag zu Grunde, dass er seinem Opfer mit einem Klappmesser Schnittverletzungen zugefügt und entgegen einem Waffenverbot ungefähr ein Jahr lang eine Schreckschusspistole besessen hatte. Zudem hatte er in der Justizanstalt ein Diktiergerät gestohlen. Als mildernd wurde das Alter unter 21 Jahren und das Geständnis gewertet, als erschwerend drei einschlägige Vorstrafen, der schnelle Rückfall bei drei offenen Probezeiten sowie das Zusammentreffen von drei Vergehen. Die Strafe wurde bis XXXX.2007 vollzogen, nachdem die bedingte Entlassung des BF am XXXX.2005 anlässlich der Folgeverurteilung widerrufen worden war.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF als junger Erwachsener wegen der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 StGB), der versuchten Körperverletzung (§§ 15, 83 Abs 1 StGB), der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z 2 und 4 StGB), der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs 1 StGB), der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB), des Diebstahls (§ 127 StGB), der teils versuchten, teils vollendeten Sachbeschädigung (§§ 15, 125 StGB) sowie des Verstoßes gegen § 50 Abs 1 Z 3 WaffG zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Urteil lag zu Grunde, dass er versucht hatte, Beamte an seiner Festnahme zu hindern, indem er auf einen zurannte und ihn zur Seite drückte, versuchte, einem anderen einen Trafo gegen den Kopf zu werfen und ihm beim Anlegen der Handfesseln den Ringfinger verbog sowie auf einen dritten hintrat und versuchte, sich loszureißen. Außerdem hatte er eine Person fahrlässig mit einer Kette an der Hand verletzt, als er versucht hatte, eine andere Person damit am Kopf zu verletzen. Beim Verbiegen des Ringfingers hatte er dem Polizisten eine schwere Körperverletzung (Zerrung, Prellung und Knochenabsplitterung) zugefügt. Zuvor hatte er mehrere Personen durch die Äußerung „Ich bringe euch alle um“ gefährlich bedroht, wobei er Glasbruchstücke durch ein Fenster warf, das er zuvor mit dem Kopf eingeschlagen hatte. Er hatte außerdem entgegen einem Waffenverbot ein Klappmesser und einen Tonfa (Schlagstock) besessen, acht Autoantennen gestohlen, eine Fensterscheibe eingeschlagen und eine weitere einzuschlagen versucht sowie (gemeinsam mit anderen Personen) die Außenspiegel von fünf Autos abgebrochen. Als mildernd wurden das Geständnis und das Alter unter 21 Jahren gewertet, als erschwerend die Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen. Die Strafe wurde bis XXXX.2006 vollzogen.

Am XXXX wurde der BF durch das Bezirksgericht XXXX gemäß § 27 Abs 1 SMG zu einer dreiwöchigen Haftstrafe verurteilt, weil er von XXXX bis XXXX 2006 in XXXX sowie im XXXX 2007 in der Justizanstalt XXXX XXXX (XXXX) erworben, besessen und konsumiert hatte. Als mildernd wurde sein Geständnis gewertet, als erschwerend die Begehung innerhalb offener Probezeit. Die Strafe wurde bis XXXX.2007 vollzogen.

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF wegen der Vergehen nach §§ 50 Abs 1 Z 2 und 3 WaffG und der schweren Sachbeschädigung (§§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB) zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er eine verbotene Waffe (Totschläger) und andere Waffen (Luftdruckgewehr, Pfefferspraygebinde, Gasrevolver) entgegen einem Waffenverbot besessen und eine der öffentlichen Sicherheit dienende Sache (Arrestantenwagen) durch Tritte gegen die Scheibe und das Metallgitter der Zellentür beschädigt hatte. Als mildernd wurden das reumütige Geständnis und die teilweise subjektive Schadensgutmachung gewertet, als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und die doppelte Qualifikation. Die Strafe wurde bis XXXX.2015 vollzogen.

Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX, wurde der BF wegen des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt, die bis XXXX.2018 vollzogen wurde.

Zuletzt wurde der BF am XXXX in XXXX verhaftet und in der Folge gemäß § 429 Abs 4 StPO vorläufig in der Justizanstalt XXXX angehalten. Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, wurde er gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Dieser Entscheidung lag zu Grunde, dass er am Tag der Festnahme in einer Bankfiliale randaliert hatte, worauf die Polizei verständigt wurde. Der BF befolgte deren Anweisungen nicht und versuchte, sich gegen seine Wegweisung und Personendurchsuchung zu wehren, indem er einem Polizisten gezielt mit dem Ellbogen ins Gesicht schlug, ihn kräftig am Handgelenk zog und versuchte, beide einschreitenden Beamten mit Schlägen zu attackieren, wodurch diese verletzt wurden (Prellung am Kopf und Abschürfungen am Handgelenk bzw. Zerrung des Handgelenks). Letztlich (nach dem Einsatz von Pfefferspray und mit Unterstützung eines weiteren Polizisten) gelang es, den BF zu fixieren und nach dem UbG anzuhalten. Seine Tathandlungen verwirklichten den Tatbestand der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB) und der schweren Körperverletzung (§3 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB) in objektiver Hinsicht. Der BF war dabei aber unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands; es bestand ein antriebsgesteigerter Zustand mit vermindertem Realitätsbezug und mit deutlich verminderten intellektuellen Leistungen bei einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (emotional instabile, unreife, dissoziale und paranoide Persönlichkeitszüge mit ausgeprägter Impulskontrollstörung und delinquentem Verhalten) sowie einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit intellektueller Grenzbegabung sowie Alkohol-, Drogen- und Medikamentenabusus. Der BF war nicht krankheitseinsichtig und nicht durchgehend behandlungsbereit. Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass er unter dem Einfluss der geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades in Zukunft Delikte mit schweren Folgen (insbesondere Körperverletzungsdelikte) begehen würde.

Die Maßnahme wird seit XXXX.2018 in der Justizanstalt XXXX vollzogen. Mit dem Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde festgestellt, dass die weitere Unterbringung des BF in der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB notwendig sei. Er erhalte derzeit keine psychopharmakologische Behandlung. Der diagnostische Prozess sei noch nicht abgeschlossen; eine Suchtgifttherapie sei geplant.

Mit dem Schreiben vom 02.10.2019 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den BF auf, sich zu der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und konkrete Fragen dazu zu beantworten. Eine entsprechende Stellungnahme langte am 28.10.2019 beim BFA ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde mit der besorgniserregenden kriminellen Laufbahn des BF, dem raschen einschlägigen Rückfall, der großen Bandbreite strafrechtlicher Delikte und der Wirkungslosigkeit der bisherigen Sanktionen begründet; die Fortsetzung seines kriminellen Verhaltens sei aufgrund des bisherigen Verhaltens und der wirtschaftlichen Situation zu befürchten. Aufgrund der hohen Sozialschädlichkeit des Verhaltens des BF und der Wirkungslosigkeit der bisherigen strafgerichtlichen Maßnahmen sei der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG erfüllt. Der BF sei volljährig und habe kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Mutter und zu sonstigen Verwandten und Freunden im Inland behauptet, sodass kein Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliege. Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben (langjähriger Aufenthalt, Schulbesuch, Deutschkenntnisse, Inlandsaufenthalt naher Angehöriger) sei angesichts des vielfach gesetzten kriminellen Verhaltens verhältnismäßig. Die Behandlung seiner psychischen Erkrankung in seinem Heimatstaat sei gewährleistet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und Behebung des Bescheids, in eventu Verkürzung des Aufenthaltsverbots und Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs. Der BF bringt dazu zusammengefasst vor, dass er seit langem in Österreich lebe und seine Taten sehr bereue, dass ein guter und regelmäßiger Kontakt mit seiner zum Großteil in Österreich lebenden Familie bestünde, und dass er in der Justizanstalt beliebt sei und einer regelmäßigen Arbeit nachgehe. In Kroatien, wo nur ein Onkel des BF lebe, würden ihm die Obdachlosigkeit und eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustands drohen. Der BF sei in Österreich gut aufgehoben; das Aufenthaltsverbot würde ihn aus seinem gewohnten Umfeld reißen und von seiner Familie trennen, was sein Privat- und Familienleben unverhältnismäßig einschränke. Bei einer konsequenten medizinischen Behandlung könne die Gefährdungsprognose der Behörde nicht aufrecht erhalten werden. Bei einer Rückkehr nach Kroatien drohe eine Verletzung seiner durch Art 8 EMRK gewährleisteten Rechte, sodass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sei.

Das BFA legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 24.01.2020, G314 2226991-1/4Z, wurde der Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX.11.2019 die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG zuerkannt (Spruchteil A) und die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchteil B).

Am 31.01.2020 übermittelte das Landesgericht XXXX dem BVwG den Protokolls- und Beschlussvermerk vom XXXX.

Am 07.02.2020 reichte das BFA dem BVwG auftragsgemäß relevante Teile der Verwaltungsakten sowie das Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, nach.

Am 20.07.2020 langte beim BVwG der Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX, ein, mit dem das Erwachsenenschutzverfahren hinsichtlich des BF eingestellt wurde, weil er alle seine Angelegenheiten – allenfalls mit Unterstützung – selbst regeln könne. Er befinde sich in einem stabilen Zustand; eine zielgerichtete Kontaktaufnahme sei möglich. Er nehme die Unterstützung der im Maßnahmenvollzug vorgesehenen Sozialarbeit an und sei in der Lage, Dritten Vollmachten zu erteilen und seinen Willen entsprechend umzusetzen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG (Abfragen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister IZR, im Zentralen Melderegister ZMR und im Strafregister). Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen somit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

§ 28 VwGVG normiert einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (siehe z.B. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Solche gravierenden Ermittlungslücken liegen hier vor.

Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Für die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, ist auf den Zeitpunkt seiner Durchsetzbarkeit abzustellen. Gemäß § 70 Abs 1 zweiter Satz FPG ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit eines Aufenthaltsverbotes aber für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde. Das gilt auch für die Dauer der gemäß § 21 Abs 1 StGB verfügten Anhaltung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Vor allem bei der Gefährdungsprognose ist daher auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung des BF aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher abzustellen. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Gefährdungsprognose jedenfalls zu seinen Gunsten auszufallen hat, weil eine Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug gemäß § 47 Abs 2 StGB nur bei einem Wegfall der Gefährlichkeit in Betracht kommt. Der Prognose einer vom BF ausgehenden Gefahr iSd § 67 FPG steht nicht entgegen, dass die Gefährlichkeit auf eine Krankheit zurückzuführen ist. Eine solche Gefährdung kann grundsätzlich auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung bejaht werden, wenn nicht etwa eine Behandlung und Medikation Gewähr dafür bieten, dass eine derartige Gefährdung künftig auszuschließen sein wird (siehe VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0297 mwN). Die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, ist somit für den in der Zukunft liegenden Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit (hier: der Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug) zu beurteilen (so auch VwGH 18.12.2008, 2007/21/0555).

Das BFA hat vor Erlassung des angefochtenen Bescheids jegliche Ermittlungen dazu unterlassen, wann das Aufenthaltsverbot voraussichtlich durchsetzbar sein wird und welche Gefährdung dann noch vom BF – insbesondere im Hinblick auf seine Behandlung und Medikation sowie auf die Bedingungen der Entlassung aus der Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (z.B. Weisungen, Anordnung von Bewährungshilfe) – ausgehen wird. Daher kann noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weil noch nicht absehbar ist, wann und unter welchen Bedingungen der Freiheitsentzug beendet werden kann.

Da der Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit eines allfälligen Aufenthaltsverbots gegen den BF derzeit nicht einmal ansatzweise eingeschätzt werden kann, weil der diagnostische Prozess noch nicht abgeschlossen und eine Suchtgifttherapie erst in Planung war. Da noch gänzlich unbekannt ist, ob zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug die bis dahin erzielten Therapieerfolge und die flankierenden Maßnahmen Gewähr dafür bieten werden, eine Gefährdung iSd § 67 FPG künftig auszuschließen, ist die Angelegenheit noch nicht entscheidungsreif.

Das BFA hat zwar die psychische Erkrankung des BF im angefochtenen Bescheid berücksichtigt und seiner Entscheidung auch eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema Paranoide Schizophrenie zu Grunde gelegt, die jedoch vom August 2012 stammt und daher schon zur Zeit der Bescheiderlassung nicht mehr aktuell war. Es wurden keine Erhebungen dazu durchgeführt, welche Medikamente und Therapien der BF erhält, um die von ihm ausgehende Gefährlichkeit hintanzuhalten und wie ein lückenloser Therapie- und Behandlungsverlauf im Fall einer Abschiebung nach Kroatien gewährleistet werden kann.

Zweckmäßigerweise wird das BFA vor der Entscheidung über die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF den weiteren Verlauf des Maßnahmenvollzugs abzuwarten und diese erst dann zu treffen haben, wenn absehbar ist, wann und unter welchen Rahmenbedingungen er entlassen wird. Erst dann kann nämlich beurteilt werden, ob sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit weiterhin gefährdet, ob Behandlung und Medikation allenfalls Gewähr dafür bieten, dass eine auf seiner psychischen Erkrankung beruhende Gefährdung künftig auszuschließen sein wird. Ohne diese Informationen kann keine Gefährdungsprognose, die auf den Zeitpunkt der (hypothetischen) Entlassung abzustellen hat, erstellt werden. Zu gegebener Zeit wird auch zu erheben sein, ob und unter welchen Voraussetzungen die Therapien, die der BF nach seiner Entlassung allenfalls noch benötigt, bei seiner Rückkehr nach Kroatien möglichst lückenlos fortgesetzt werden können.

Derzeit kann noch keine Gefährdungsprognose erstellt werden, zumal die Rechtsprechung, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184), nicht ohne weiteres auf in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesene, bei der Tatbegehung zurechnungsunfähige Personen übertragen werden kann. Auf diesen Personenkreis ist auch § 133a StVG, der ein vorläufiges Absehen vom Strafvollzug wegen eines Einreise- oder Aufenthaltsverbotes nach Verbüßung der Hälfte der Strafzeit ermöglicht, nicht anwendbar.

Aufgrund des Fehlens zentraler Entscheidungsgrundlagen sind relevante Ermittlungsergebnisse nur ansatzweise vorhanden, sodass die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an das BFA gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt sind. Die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erreicht ein solches Ausmaß, dass ihre Nachholung durch das BVwG weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal dafür der Verlauf des Maßnahmenvollzugs und die Entwicklung des BF während der Anhaltung abzuwarten sind. Dafür kann beispielsweise auf die Ergebnisse der vom Vollzugsgericht alljährlich vorzunehmenden Überprüfung der Notwendigkeit seiner weiteren Anhaltung zurückgegriffen werden.

Das bisherige Ermittlungsverfahren bietet noch keine geeignete Grundlage für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF, insbesondere für die vorzunehmende Gefährdungsprognose, zumal seine Straftaten vor dem XXXX.2018 den anzuwendenden Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfte Satz FPG nicht erfüllen. Aufgrund der signifikanten Ermittlungslücken kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist und wenn ja, für wie lange. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids nach Verfahrensergänzung (unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der voraussichtlichen Durchsetzbarkeit eines allfälligen Aufenthaltsverbots) an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war. Die Anwendung von allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen - hier der Zurückverweisung nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG - ist eine im Allgemeinen nicht revisible Frage des Einzelfalls (vgl. VwGH 12.11.2018, Ra 2018/08/0228).

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Maßnahmenvollzug psychische Erkrankung Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2226991.1.00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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