TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/27 W250 2227983-10

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Veröffentlicht am 27.10.2020
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Entscheidungsdatum

27.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch

W250 2227983-10/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 27.05.2013 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 18.07.2014 vollinhaltlich abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2015 als unbegründet abgewiesen.

2. Der BF kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 15.03.2016 einen Asyl-Folgeantrag. Der BF blieb unentschuldigt der Ladung für eine Einvernahme durch das Bundesamt am 20.04.2016 fern. Auch den neuerlichen Ladungen für 10.05.2016 und 18.05.2016 blieb der BF unentschuldigt fern und teilte jeweils nachträglich durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit, dass es ihm aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme nicht möglich gewesen sei, der Ladung Folge zu leisten.

3. Mit Ladungsbescheid des Bundesamtes vom 01.06.2016 wurde der BF für den 14.06.2016 geladen. Zugleich wurde die rechtsfreundliche Vertretung aufgefordert, den Aufenthaltsort des BF bekanntzugeben und etwaige medizinische Unterlagen binnen einer Woche vorzulegen. Am 12.06.2016 wurde von Seiten des rechtsfreundlichen Vertreters erklärt, dass die medizinischen Unterlagen nachgereicht würden. Zum Aufenthaltsort des BF wurde nur ausgeführt, dass sich der BF bemühen würde, außerhalb XXXX medizinische Hilfe zu finden. Die gegen diesen Ladungsbescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.08.2016 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass der BF einen Hinderungsgrund für das Erscheinen zu der Einvernahme nicht glaubhaft dargelegt bzw. bescheinigt hat. Es wurde festgestellt, dass der BF seinen Mitwirkungswirkungspflichten im Asylverfahren nicht nachgekommen war.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 16.08.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.03.2016 vollinhaltlich abgewiesen und ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gleichzeitig wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe. Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.09.2017 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes mit zwölf Monaten befristet wurde.

5. Am 28.12.2017 stellte der BF einen weiteren Asyl-Folgeantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.03.2018 vollinhaltlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.05.2018 als unbegründet abgewiesen.

6. Am 03.01.2020 wurde der BF im Rahmen von Suchtgiftermittlungen in seinem Wohnhaus nach Erlassung eines Festnahmeauftrages festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum überstellt.

Im Rahmen einer Einvernahme durch das Bundesamt gab der BF im Wesentlichen an, er habe eine Wohnsitzauflage im Jahre 2018 nicht beachtet, da er seinen Arzt in XXXX habe und nicht weggehen habe wollen. Er habe keine Dokumente und sei illegal im Lande. Er habe mentale Probleme sowie eine Erkältung und nehme das Medikament Trittico Retart 75 gegen seine Depressionen. Er wolle in Österreich bleiben und nicht nach Nigeria zurückgehen. Er habe hier eine Arbeit, er verkaufe Zeitungen. Aufgrund seiner Krankheit habe er bisher nicht in Erwägung gezogen, nach Nigeria zurückzukehren. In Nigeria habe er niemanden. Er wolle nicht nach Nigeria zurück, er werde in Österreich bleiben, was immer auch passiere. Er werde unter keinen Umständen nach Nigeria zurückgehen.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.01.2020 wurde über den BF die gegenständliche Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt, seither wird er in Schubhaft angehalten.

8. Am 04.01.2020 stellte der BF einen weiteren Asyl-Folgeantrag (nunmehr vierter Asylantrag). Am selben Tage wurde seitens des Bundesamtes ein Aktenvermerk zur Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG aufgenommen und umfassend begründet, dass davon auszugehen sei, dass der nunmehrige Folgeantrag in Verzögerungsabsicht gestellt worden sei.

9. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2020 wurde der Antrag des BF vom 04.01.2020 wegen entschiedener Sache vollinhaltlich zurückgewiesen und auch sonst kein Aufenthaltstitel gewährt. Gegen den BF wurde neuerlich eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

10. Am 24.01.2020 brachte der BF durch seine bevollmächtigte Vertreterin eine Beschwerde gegen die Anordnung der Schubhaft und Anhaltung in Schubhaft ein, diese wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2020 abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft gegeben sind.

11. Auf Grund einer am 04.02.2020 neuerlich erhobenen Schubhaftbeschwerde stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10.02.2020 fest, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft vorliegen.

12. Am 04.07.2020 stellte der BF einen weiteren – fünften – Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt stellte daraufhin dem Beschwerdeführer am 04.07.2020 einen ausführlich begründeten Aktenvermerk nach § 76 Abs. 6 FPG zur Aufrechterhaltung der Schubhaft zu.

13. Mit Schriftsatz vom 31.07.2020 erhob der BF neuerlich Beschwerde gegen die weitere Anhaltung in Schubhaft. Diese Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.08.2020 als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

14. Der fünfte Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.07.2020 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 06.08.2020 vollinhaltlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.09.2020 abgewiesen.

15. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2020, 27.05.2020, 26.06.2020, 23.07.2020, 01.09.2020 und 29.09.2020 wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig war.

16. Am 19.10.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt neuerlich zur amtswegigen Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG vor.

17. Von der nigerianischen Vertretungsbehörde wurde der BF am XXXX neuerlich befragt. Dabei behauptete der BF krank zu sein und machte keinerlei Angaben zu den an ihn gerichteten Fragen. Die nigerianische Staatsangehörigkeit des BF wurde bestätigt, die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF wurde von der Vertretungsbehörde zugesagt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.17.)

Der unter Punkt I.1. – I.17. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF führt die im Spruch dieses Erkenntnisses genannten Identitätsdaten, er ist nigerianischer Staatsangehöriger. Dokumente, die seine Identität bescheinigen, hat der BF nicht vorgelegt, über ein Reisedokument verfügt er nicht. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Der BF ist in Österreich unbescholten.

2.2. Der BF wird seit 03.01.2020 in Schubhaft angehalten, die gesetzliche Frist zur neuerlichen Überprüfung der Schubhaft endet am 27.10.2020.

2.3. Der BF leidet an einer Schlafstörung auf Basis einer posttraumatischen Belastungsstörung, welche mittels schlafanstoßender, stimmungsaufhellender Dauermedikation behandelt wird. Abgesehen davon ist der BF grundsätzlich gesund und jedenfalls haftfähig. Es steht ihm im Polizeianhaltezentrum eine psychiatrische und medizinische Betreuung zur Verfügung. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor.

3. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF stellte am 15.03.2016 einen Asyl-Folgeantrag, am diesbezüglichen Verfahren wirkte er nicht mit. Im Zeitpunkt der Antragstellung lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2. Der BF hat bereits zweimal gegen eine Wohnsitzauflage gem. § 57 Abs. 1 FPG verstoßen und diese ignoriert.

3.3. Der BF stellte am 04.01.2020 einen weiteren Asyl-Folgeantrag. Zu diesem Zeitpunkt lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor und wurde der BF in Schubhaft angehalten. Durch diesen – unbegründeten – Antrag verhinderte er seine für 23.01.2020 beabsichtigte Abschiebung.

3.4. Am 04.07.2020 stellte der BF seinen vierten Asyl-Folgeantrag. Zu diesem Zeitpunkt lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor und wurde der BF in Schubhaft angehalten.

3.5. Gegen den BF liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.6. Der BF befand sich von 04.01.2020 bis 01.03.2020 sowie von 11.04.2020 bis 05.05.2020 in Hungerstreik.

3.7. Bei seiner Befragung durch die nigerianische Vertretungsbehörde am XXXX verweigerte der BF jegliche Aussage. Der BF ist nicht bereit mit den Fremdenbehörden zu kooperieren und nicht ausreisewillig.

3.8. Der BF verfügt in Österreich über einen gesicherten Wohnsitz. Er ist in Österreich weder beruflich noch sozial integriert und nicht selbsterhaltungsfähig.

4. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

4.1. Der BF wurde von der nigerianischen Vertretungsbehörde als Staatsangehöriger Nigerias identifiziert und die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates erteilt. Das Bundesamt beabsichtigte den BF am XXXX mit einem Charterflug nach Nigeria abzuschieben. Im Zuge des Verfahrens zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für diesen Flug teilte die nigerianische Vertretungsbehörde mit, dass der BF am XXXX neuerlich von der nigerianischen Vertretungsbehörde befragt wird. Im Zuge dieses Termins wurde die nigerianische Staatsangehörigkeit des BF bestätigt und die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zugesagt. Die Abschiebung des BF ist nunmehr im November 2020 geplant.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft besteht weiterhin.

4.2. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit der letzten Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die Asylverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die Asylverfahren des BF betreffend, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf seinen Angaben in seinen bisherigen Verfahren, dass er nigerianischer Staatsangehöriger ist steht überdies insofern fest, als die nigerianische Vertretungsbehörde seine Staatsangehörigkeit bestätigt und der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF zugestimmt hat. Aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das Asylverfahren des Beschwerdeführers betreffend ergibt sich, dass der BF keine Dokumente vorgelegt hat, die seine Identität bescheinigen und er insbesondere über kein Reisedokument verfügt. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Da seine Asylanträge rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen bzw. zurückgewiesen wurden, handelt es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten. Seine Unbescholtenheit ergibt sich aus dem Strafregister.

1.3. Der Zeitpunkt, seit dem der BF in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei. Da die letzte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft am 29.09.2020 erfolgte, endet die vierwöchige Frist zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit am 27.10.2020.

1.4. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den medizinischen Unterlagen in den Schubhaftakten des Bundesverwaltungsgerichts. Insbesondere stützen sich die Feststellungen auf ein aktuelles Gutachten eines Amtsarztes vom 27.10.2020, welches die Haftfähigkeit des BF bestätigt. Der BF steht demnach in regelmäßiger psychiatrischer Betreuung. Er wird mit schlafanstoßender, stimmungsaufhellender Dauermedikation therapiert. Laut Gutachten weist der BF durch die getroffenen Maßnahmen in den letzten Wochen ein gutes psychisches und physisches Allgemeinempfinden auf.

2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

2.1. Die Feststellungen zum Asyl-Folgeantrag vom 15.03.2016 beruhen auf dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Ladungsbescheid des Bundesamtes vom 01.06.2016 betreffend. Dass im Zeitpunkt der Antragstellung eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorlag, ergibt sich aus dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 18.07.2014 betreffend. Mit dem genannten Bescheid wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen, die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2015 abgewiesen.

2.2. Aufgrund des Akteninhalts ergibt sich, dass der BF mittlerweile zwei Mal gegen eine ihn betreffende Wohnsitzauflage gemäß § 57 Abs. 1 FPG verstoßen hat. In diesen Fällen hat der BF nicht einmal seinen Wohnsitz dorthin verlagert und dann gegen die Wohnsitzauflage verstoßen, sondern diese gleich gänzlich ignoriert.

2.3. Dass der BF im Zeitpunkt der Stellung des Asyl-Folgeantrages am 04.01.2020 in Schubhaft angehalten wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Da mit Bescheid des Bundesamtes vom 16.08.2017 gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen worden war und die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.09.2017 zurückgewiesen worden war, konnte die Feststellung getroffen werden, dass im Zeitpunkt der Stellung des Asyl-Folgeantrages vom 04.01.2020 eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag. Wie sich aus dem internen E-Mail-Verkehr des Bundesamtes ergibt, war bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft am 03.01.2020 vorgesehen, den BF am 23.01.2020 nach Nigeria abzuschieben. Diese Abschiebung verhinderte der BF durch seinen unbegründeten Asyl-Folgeantrag vom 04.01.2020.

2.4. Dass der BF im Zeitpunkt der Stellung des Asyl-Folgeantrages am 04.07.2020 in Schubhaft angehalten wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, dass zu diesem Zeitpunkt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag ergibt sich daraus, dass zuletzt mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Bundesamtes vom 17.01.2020 eine Rückkehrentscheidung gegen den BF getroffen wurde. Insofern konnte auch die Feststellung getroffen werden, dass gegen den BF derzeit eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt.

2.5. Die Feststellungen zum Hungerstreik des BF beruhen auf den diesbezüglichen Eintragungen in Anhaltedatei.

2.6. Die Feststellungen zum Verhalten des BF bei seiner Befragung durch die nigerianische Vertretungsbehörde beruhen auf dem diesbezüglich vom Bundesamt vorgelegten Bericht. Da sich der BF bei diesem Termin weigerte, die an ihn gerichteten Fragen zu beantworten konnte die Feststellung getroffen werden, dass er nicht bereit ist, mit den Fremdenbehörden zu kooperieren und auch nicht ausreisewillig ist.

2.7. Aus der Aktenlage ergeben sich keine Hinweise auf familiäre oder substanzielle soziale und berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Ein bestehender Wohnsitz wurde schon im Schubhaft-Beschwerdeverfahren vom Jänner 2020 der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

3.1. Dass der BF von der nigerianischen Vertretungsbehörde als Staatsangehöriger Nigerias identifiziert wurde und der Ausstellung eines Heimreisezertifikates zugestimmt wurde, ergibt sich aus dem Bericht über die neuerliche Befragung des BF durch die nigerianische Vertretungsbehörde am XXXX . Dass die Abschiebung des BF nunmehr für November 2020 vorgesehen ist, ergibt sich zum einen aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 19.10.2020 sowie aus dem internen E-Mail-Verkehr des Bundesamtes auf Grund der neuerlich erteilten Zusage der Vertretungsbehörde, ein Heimreisezertifikat für den BF auszustellen. Da entsprechend den auf der Homepage des österreichischen Außenministeriums veröffentlichen Informationen der internationale Flugverkehr in Nigeria nach dessen Einstellung auf Grund der Corona-Pandemie ab 05.09.2020 eingeschränkt wieder aufgenommen wurde, besteht die realistische Möglichkeit einer Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer.

3.2. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft zu Gunsten des BF seit ihrer letzten Überprüfung ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist.

3.1.4. Die Anhaltung in Schubhaft und die Fortsetzung derselben gründen sich im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG, mit der Abschiebung des BF ist insofern zu rechnen, als eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, die nigerianische Vertretungsbehörde der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF zugestimmt hat und der internationale Flugverkehr nach Nigeria seit 04.09.2020 wieder möglich ist.

3.1.5. Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf die letzte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft die Fluchtgefahr nicht vermindert. Die Schubhaft ist weiterhin jedenfalls wegen hoher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem Verhalten des BF mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden kann, dass er seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Es besteht daher jedenfalls Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 5, 8 und 9 FPG. und ist auch weiterhin Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.6. Höchstzulässige Dauer der Schubhaft

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13)

widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint.

Gegenständlich ist auf Grund des derzeit nicht vorliegenden Heimreisezertifikates der Tatbestand der Z. 2 sowie durch das Vorverhalten des BF der Tatbestand der Z. 4 verwirklicht. Bereits vor den pandemiebedingten Flugeinschränkungen hat der BF durch Stellung seines vierten unbegründeten Asylantrages im Stande der Schubhaft seine bereits mit einem Charterflug organisierte Abschiebung verhindert. Auch erfolgte die fünfte Asylantragstellung ausschließlich zur Verzögerung der Durchführung seiner Abschiebung. Er hat sich bereits während seines zweiten Asylverfahrens durch mehrmalige Nichtbefolgung von Ladungen dem Verfahren entzogen und hat Wohnsitzauflagen nicht befolgt.

3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist vor dem Hintergrund, dass die Behörde sich laufend um ein Heimreisezertifikat und die Abschiebung des BF bemüht hat, auch verhältnismäßig. Der Flugverkehr kam zwar aufgrund der COVID-19-Krise im März 2020 beinahe gänzlich zum Erliegen, seit 04.09.2020 sind jedoch internationalen Flüge nach Nigeria wieder möglich. Anhaltspunkte, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten keine Abschiebung des BF möglich wäre, sind jedoch nicht gegeben. Eine Charterabschiebung nach Nigeria war bereits für Oktober 2020 organisiert, konnte jedoch auf Grund von Unruhen in Nigeria nicht durchgeführt werden. Es erscheint jedoch realistisch, dass im November 2020 eine Charterabschiebung möglich sein wird.

Die Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist im Wesentlichen auf die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie und die vom BF zur Verzögerung der Abschiebung gestellten Asyl-Folgeanträge zurückzuführen. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen, sind nicht zu erkennen. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass bei rechtmäßigem Verhalten des BF im gegenständlichen Fall die Verhängung einer Schubhaft oder die Fortsetzung gar nicht notwendig gewesen wäre, da er zur Ausreise verpflichtet war und diese nicht selbständig vorgenommen hat.

Der BF verfügt über keine nennenswerten familiären Kontakte in Österreich und über keine substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Er ging in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach und ist mittellos

Unter Berücksichtigung dieser Umstände bleibt im Zuge der durchzuführenden Abwägung festzuhalten, dass aufgrund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens (insbesondere der mehrfachen missbräuchlichen Asylantragstellung, des Ignorierens von Wohnsitzauflagen, der mangelnden Mitwirkung im Verfahren und der Missachtung der Ausreiseverpflichtung), das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung seiner Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des BF weiterhin überwiegt und auch der Gesundheitszustand des BF der weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht entgegensteht.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die seit 03.01.2020 durchgehende Anhaltung in Schubhaft unter Berücksichtigung eine höchstzulässigen Anhaltedauer von 18 Monaten auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

3.1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens und angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht. Insbesondere ist auf Grund des unkooperativen Verhaltens des BF bei seiner Befragung durch die nigerianische Vertretungsbehörde am XXXX nicht davon auszugehen, dass er einem angeordneten gelinderen Mittel tatsächlich nachkommen würde.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

3.1.9. Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.10. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte unterbleiben, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Außerlandesbringung Ausreisewilligkeit Einreiseverbot Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft Heimreisezertifikat Kooperation Meldeverpflichtung Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Untertauchen Vereitelung Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2227983.10.00

Im RIS seit

14.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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