TE OGH 2020/9/16 6Ob152/20a

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Anton Hintermeier und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 8. April 2020, GZ 21 R 6/20w-54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23. Oktober 2019, GZ 14 Cg 372/18a-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen verboten dem Beklagten – gestützt auf § 1330 ABGB – vier den Kläger jeweils in seiner Ehre beleidigende und seinen Kredit schädigende Äußerungen. Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR nicht übersteigt; der Kläger habe die vier inkriminierten Äußerungen gemäß § 56 Abs 2 JN mit insgesamt 7.000 EUR bewertet, der Beklagte sich in seiner Berufung jedoch inhaltlich lediglich mit zwei Äußerungen auseinandergesetzt, sodass „materiell“ auch nur diese beiden Äußerungen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts gewesen seien.

Der Beklagte beantragte unter gleichzeitiger Ausführung einer ordentlichen Revision eine Abänderung des Bewertungsausspruchs dahin, dass der Entscheidungsgegenstand „zumindest“ 5.000 EUR übersteigt, und des Zulassungsausspruchs dahin, dass die ordentliche Revision für zulässig erklärt werde.

Mit Beschluss vom 24. 6. 2020 wies das Berufungsgericht den erstgenannten Antrag zurück, verwies die Beklagte mit dem zweitgenannten Antrag auf diese Entscheidung und legte den Akt – vorerst ohne Beteiligung des Klägers – dem Obersten Gerichtshof vor. Die Prüfung der Frage, ob die vom Beklagten behauptete offenbare Unterbewertung des Entscheidungsgegenstands tatsächlich vorliegt, obliege „naturgemäß“ nicht dem Berufungsgericht, sondern dem Obersten Gerichtshof.

Rechtliche Beurteilung

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei Klagen auf Unterlassung ehrenrühriger/kreditschädigender Behauptungen, denen in der Regel in Geld bewertbare Interessen zugrunde liegen, eine Bewertung durch den Kläger/Antragsteller vorzunehmen ist (7 Ob 1515/85; jüngst 6 Ob 230/16s; 6 Ob 53/17p; 6 Ob 204/18w). In diesem Fall hat auch das Zweitinstanzgericht den Entscheidungsgegenstand zu bewerten (6 Ob 145/12k; 6 Ob 194/09z; 6 Ob 230/16s), das bei der Bewertung grundsätzlich frei und nicht an die gemäß § 56 Abs 2 ZPO erfolgte Bewertung des Klägers/Antragstellers gebunden ist (1 Ob 580/91; 1 Ob 214/01d; 6 Ob 133/03g; 6 Ob 138/03t). Dieser Bewertungsausspruch ist unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend, wenn zwingende Bewertungsvorschriften nicht verletzt wurden, eine offenkundige Unterbewertung oder Überbewertung nicht vorliegt oder eine Bewertung nicht überhaupt hätte unterbleiben müssen (RS0042410 [T28]; RS0042450 [T8]; RS0109332 [T1]).

2. In der vorliegenden Konstellation vergleichbaren Fällen, in denen Zweitinstanzgerichte ausgesprochen hatten, dass der Entscheidungsgegenstand 5.000 EUR nicht übersteigt und Revision bzw Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig sind, Revisions-(rekurs-)werber jedoch die Bewertung bezweifelten und davon ausgingen, dass der Entscheidungsgegenstand zwischen 5.000 EUR und 30.000 EUR liege, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals (6 Ob 61/11f; 4 Ob 69/11t) den Akt den Erstgerichten zurückgestellt und darauf hingewiesen, dass über den Abänderungsantrag das Zweitinstanzgericht zu entscheiden habe.

3.1. Der vorliegende Fall unterscheidet sich zum einen von den unter 2. genannten Fällen insoweit, als das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Abänderung des Bewertungsausspruchs ausdrücklich zurückgewiesen hat. Dies ändert aber nichts daran, dass der Oberste Gerichtshof – wie bereits dargelegt – nach ständiger Rechtsprechung (unter anderem) dann nicht an eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO gebunden ist, wenn das Berufungsgericht eine offenbare Unterbewertung aussprach (RS0109332), auch wenn das Berufungsgericht selbst seinen Bewertungsausspruch nicht mehr abändern kann.

3.2. Zum anderen vertritt der erkennende Senat zur vorliegenden Konstellation die Auffassung, dass der Oberste Gerichtshof vor Rückstellung des Akts an die Vorinstanzen zur im Rechtsmittel der Beklagten aufgeworfenen Frage einer allfälligen Unterbewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht Stellung zu nehmen hat. Verneint er nämlich eine solche und ist deshalb von einem Wert unter 5.000 EUR auszugehen, ist ein weiteres Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts jedenfalls unzulässig; diese dann rechtskräftige Entscheidung kann vom Obersten Gerichtshof nicht mehr nachgeprüft werden (vgl 4 Ob 132/19v). Bejaht der Oberste Gerichtshof hingegen eine (krasse) Unterbewertung, bedarf es des Nachtrags eines Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts im Sinn des § 500 Abs 1 Z 3 ZPO. Sollte den Entscheidungen 6 Ob 61/11f und 4 Ob 69/11t insoweit etwas Anderes zu entnehmen sein, so schließt sich der erkennende Senat dem nicht an.

3.3. Der Kläger, der nicht nur Inhaber eines Wettbüros, sondern auch Fußballtrainer ist, strebt die Unterlassung der Verbreitung von Behauptungen des Beklagten an, wonach er illegale Glücksspielautomaten betreibe bzw betrieben habe, weshalb sein Arbeitsverhältnis als Jugendfußballtrainer vom Fußballverein beendet worden sei, und er eine s*****-nationalistische Gesinnung habe. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurden diese vom Beklagten insbesondere auf Facebook geposteten Behauptungen einer „enormen“ Anzahl von Menschen zugänglich und seien geeignet (gewesen), sowohl das Privatleben des Klägers als auch dessen berufliches Fortkommen zu gefährden. Vor diesem Hintergrund ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung des Entscheidungsgegenstands mit unter 5.000 EUR offenbar zu gering; da der Beklagte in seinem Revisionsschriftsatz selbst nicht von einem 30.000 EUR übersteigenden Wert ausgeht, ist zugrunde zu legen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes des Berufungsgerichts richtigerweise zwar 5.000 EUR, nicht aber auch 30.000 EUR übersteigt.

Sollte das Berufungsgericht nicht die ordentliche Revision für zulässig erklären, wird es über den Abänderungsantrag des Beklagten zu entscheiden haben.

4. Damit ist aber der Akt an das Berufungsgericht zurückzustellen, das nunmehr im Sinn des § 500 Abs 1 Z 3 ZPO auszusprechen haben wird, ob die (ordentliche) Revision gegen seine Berufungsentscheidung zulässig ist oder nicht.

Textnummer

E129777

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00152.20A.0916.000

Im RIS seit

13.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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