Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei H*****, vertreten durch Dr. Michael Mohn, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei T*****gmbH, *****, vertreten durch Mag. Jakob Hütthaler-Brandauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 56.258,84 EUR brutto abzüglich 6.812,97 EUR netto sA (AZ 21 Cga 33/19d) und 55.814,75 EUR sA (AZ 21 Cga 67/19d), über die außerordentliche Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. August 2020, GZ 7 Ra 52/20y-21, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 29 AngG behält der Dienstnehmer im Fall der ungerechtfertigten Entlassung oder des vom Dienstgeber verschuldeten vorzeitigen Austritts seine vertragsmäßigen Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum, der bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch Ablauf der bestimmten Vertragszeit oder durch ordnungsmäßige Kündigung durch den Dienstgeber hätte verstreichen müssen, unter Einrechnung dessen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.
2. Aus § 29 AngG ist ebenso wie aus dem inhaltsgleichen § 1162b ABGB der allgemeine Grundsatz abzuleiten, dass ein Arbeitnehmer in diesen Fällen finanziell so zu stellen ist, als wäre sein Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß aufgelöst worden. Durch diese Entgeltfortzahlung soll der Angestellte unbeschadet der gesetzlich vorgesehenen Anrechnung wirtschaftlich so gestellt werden, wie dies bei regelmäßigem Ablauf des Arbeitsverhältnisses der Fall gewesen wäre (RS0028685 [T2]).
3. Zweck der Anrechnungsvorschrift ist, eine Bereicherung des Arbeitnehmers zu verhindern (RS0028317). Das Gesetz stellt dabei auf den Erwerb durch „anderweitige Verwendung“ ab, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Erwerb aus einem anderen Arbeitsverhältnis oder einer selbstständigen oder sonstigen Tätigkeit erzielt wird.
Voraussetzung für die Anrechnung ist, dass das Unterbleiben der Dienstleistung, für die das Entgelt gefordert wird, für die Ersparnis, den anderweitigen Erwerb oder die anderweitige Verdienstmöglichkeit ursächlich war. Die Anrechnung umfasst daher grundsätzlich nur dasjenige, was der Arbeitnehmer gerade durch das Ausnützen jenes nunmehr frei gewordenen Teils seiner Arbeitskraft, den er bisher dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt hatte, erworben hat oder zumindest erwerben hätte können (RS0021467). So ist etwa der Erwerb aus bereits zuvor ausgeübten Nebenbeschäftigungen grundsätzlich nicht anzurechnen.
Die anzurechnende Ersparnis oder den anrechnungspflichtigen Erwerb muss der Dienstgeber behaupten und beweisen (RS0021543).
4. Im konkreten Fall hat der Kläger (und Widerbeklagte) den Betrag, den er aus seiner nach der unberechtigten Entlassung ausgeübten Tätigkeit erzielt hat, von der geltend gemachten Kündigungsentschädigung abgezogen. Dass diese Tätigkeit, die in einem Unternehmen, in dem der Kläger Gesellschafter und Geschäftsführer ist, erbracht wird, in dieser Gesellschaft zu höheren Gewinnen geführt hat, hat das Verfahren nicht ergeben. Soweit die Beklagte (und Widerklägerin) die geforderte Anrechnung der Gewinne damit begründete, dass die persönliche Arbeitsleistung des Klägers für diese Gewinne kausal war, konnte sie den Nachweis dafür nicht erbringen.
Für die Anrechnung von Gewinnen, die der Arbeitnehmer auch bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erwirtschaftet hätte, bietet das Gesetz keine Grundlage. Eine Anrechnung würde in einem solchen Fall nicht eine Bereicherung des Arbeitnehmers verhindern, sondern zu einer wirtschaftlichen Verschlechterung seiner Situation führen. Darauf, ob der Gewinn aus der Gesellschaftsbeteiligung steuerrechtlich oder sozialversicherungsrechtlich als Entgelt zu behandeln ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
5. Damit hat aber auch die Frage, ob die Unterlassung der Gewinnausschüttung einem absichtlich versäumten Erwerb iSd § 29 Abs 1 AngG (arg „zu erwerben absichtlich versäumt hat“) gleichzuhalten ist, keine Relevanz.
6. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E129940European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00092.20Z.1021.000Im RIS seit
02.12.2020Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021