TE OGH 2020/10/14 2Ob126/20y

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Veröffentlicht am 14.10.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** N.V., *****, vertreten durch Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwalt in Krumpendorf, gegen die beklagte Partei D***** Versicherung AG *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwalt in Graz, wegen 15.902,59 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 11.497,09 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. April 2020, GZ 2 R 46/20g-29, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 12. Februar 2020, GZ 31 Cg 5/19d-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Die Lenkerin des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW der Marke Peugeot überholte auf einer Freilandstraße einen Traktor, ohne den Gegenverkehr ausreichend zu beachten. Der Lenker des entgegenkommenden PKW der Marke Skoda führte deshalb eine Vollbremsung durch und konnte einen Zusammenstoß vermeiden. Der nachkommende Fahrer des bei der klagenden Partei versicherten und in den Niederlanden zugelassenen PKW der Marke Rover bremste ebenfalls, fuhr aber auf den PKW Skoda auf. Er hatte zum PKW Skoda einen Tiefenabstand von nur 11,5 m eingehalten, anstatt der aufgrund der Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h mindestens erforderlichen 22 m, die ein kollisionsfreies Abbremsen ermöglicht hätten. Er hätte überdies auf das auch für ihn erkennbare Überholmanöver bereits 1,8 Sekunden früher unfallvermeidend durch Abbremsen reagieren können.

[2]            In einem Vorprozess klagte die Halterin des PKW Skoda den Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs auf Schadenersatz, gestützt auf das Alleinverschulden des Lenkers des PKW Rover. Ihrem Begehren auf Zahlung von 5.684 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. 2. 2017 wurde stattgegeben. Weiters wurde der dort beklagte Verband zum Ersatz der Kosten der dortigen Klägerin von 3.606,65 EUR verpflichtet.

[3]            Der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs hatte im Vorprozess der hier beklagten Partei den Streit verkündet. Diese war dem Vorprozess jedoch auf Seiten der dortigen Klägerin beigetreten. Der Verband wurde dort auch zum Ersatz der Kosten der Nebenintervenientin von 2.637,88 EUR verpflichtet.

[4]            Die klagende Partei refundierte der Schadenregulierungsbeauftragten die von dieser aufgrund des Vorprozesses bezahlten Beträge, nämlich: Kapitalforderung von 5.684 EUR, Verzugszinsen von 422,95 EUR, 924,25 EUR an „Krediteröffnungskosten“, welche erst nach Abschluss des Vorprozesses geltend gemacht worden waren, Kosten der dortigen Klägerin von 3.606,65 EUR, Kosten der dortigen Nebenintervenientin von 2.637,88 EUR, Kosten des dortigen Beklagten von 2.626,86 EUR; insgesamt 15.902,59 EUR.

[5]            Die klagende Partei begehrt diesen Betrag im Regressweg, gestützt auf das Alleinverschulden der Lenkerin des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Peugeot am Verkehrsunfall.

[6]            Das Berufungsgericht sprach der klagenden Partei 4.405,50 EUR sA zu und wies das Mehrbegehren ab. Es hielt eine Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Lenkerin des PKW Peugeot für angemessen. Die beklagte Partei habe daher zwei Drittel der Kapitalforderung und der „Krediteröffnungskosten“ zu bezahlen. Das Berufungsgericht teilte ferner die Ansicht des Erstgerichts, dass die beklagte Partei die von der klagenden Partei getragenen Prozesskosten des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs und der Nebenintervenientin des Vorprozesses nicht zu ersetzten habe. Auch die Kosten der Klägerin des Vorprozesses und die Verzugszinsen stünden jedoch nicht zu, weil die Prozessführung nicht im Interesse der hier beklagten Partei erfolgt sei.

[7]            Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es unbefriedigend erscheine, dass der Mitschuldner durch Beitritt als Nebenintervenient auf der Gegenseite der Kostenersatzpflicht entkommen könne. Zumindest betreffend den Verzögerungsschaden könnte schon die Aufforderung zum Streitbeitritt Fälligkeit auch gegenüber dem Mitschuldner bewirken.

Rechtliche Beurteilung

[8]            Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

[9]            Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[10]           1. Fragen der kollisionsrechtlichen Beurteilung werden in der Revision nicht aufgeworfen und können daher unerörtert bleiben.

[11]           2. Der Fachsenat hat jüngst in der Entscheidung 2 Ob 2/20p (= RS0117330 [T2]) zu einem vergleichbaren Sachverhalt mit ausführlicher Begründung klargestellt, dass dem regressberechtigten Solidarschuldner gegenüber dem im Vorprozess auf der Gegenseite beigetretenen Solidarschuldner kein Anspruch auf Ersatz der dem Geschädigten gezahlten Prozesskosten, Verzugszinsen oder dem Solidarschuldner als Nebenintervenienten gezahlten Prozesskosten zukommt. Weder § 896 ABGB noch § 1037 ABGB, § 837 ABGB oder §§ 1041, 1043 ABGB sind dafür taugliche Anspruchsgrundlagen, insbesondere, weil der nun beklagte Solidarschuldner durch den Beitritt auf der Gegenseite dokumentierte, dass die Rechtsverteidigung im Vorprozess gegen seinen Willen erfolgte und auch eine Bereicherung durch den Prozessverlust nicht erkennbar ist. Auch in Bezug auf die Verzugszinsen fehlt eine Rechtsgrundlage für einen Ersatzanspruch, weil durch die Klage im Vorprozess oder eine allenfalls vorangegangene Mahnung nur die dort beklagte Partei im Verzug war und auch eine Bereicherung des nun beklagten Solidarschuldners durch die Zahlung der von ihm nicht geschuldeten Verzugszinsen nicht eingetreten ist (2 Ob 2/20p; RS0116723 [T1]; vgl auch RS0017419).

[12]           Mit dem bloßen Hinweis auf die – hier nicht vorliegende – Problematik des „Seitenwechsels“ eines Nebenintervenienten zeigt die Revisionswerberin keine Argumente auf, die Anlass für ein Abgehen von der erörterten Rechtsprechung geben. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, ein Ersatz der Kosten der Klägerin des Vorprozesses und der Verzugszinsen stehe nicht zu, entspricht dieser Rechtsprechung.

[13]           Weder in ihrer Berufung noch in ihrer Revision wendete sich die klagende Partei inhaltlich gegen die Abweisung der begehrten Prozesskosten des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs und jener der Nebenintervenientin des Vorprozesses (vgl dazu 2 Ob 2/20p [ErwGr 3.4 und 4.]), sodass darauf nicht einzugehen ist.

[14]           3. Die Frage, ob eine bestimmte Verschuldensteilung durch die Vorinstanzen angemessen ist, ist eine einzelfallbezogene Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist (RS0087606; RS0042405 [T15]).

[15]           Konnte der nachfahrende Lenker sein Fahrzeug hinter einem plötzlich abgebremsten Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten, war entweder der eingehaltene Sicherheitsabstand zu gering oder er hat verspätet reagiert (2 Ob 169/19w mwN).

[16]           In der Entscheidung 2 Ob 35/80 (= RS0026942) erachtete der Oberste Gerichtshof bei ähnlichem Unfallgeschehen zwar eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten des Überholenden gegenüber einer Reaktionsverspätung des Auffahrenden von 2,5 bis 3 Sekunden für angemessen. Der Überholende hatte aber – anders als im vorliegenden Fall – besonders rücksichtslos und mit überhöhter Geschwindigkeit eine Fahrzeugkolonne überholt. Gleichteiliges Verschulden wurde etwa angenommen, wenn ein Kfz-Lenker durch einen vorschriftswidrigen Fahrstreifenwechsel eine heftige Betriebsbremsung eines anderen Lenkers verursacht, die zu einem Auffahrunfall führt, weil ein Kfz-Lenker mit zu geringem Folgeabstand fährt und geringfügig zu spät reagiert (8 Ob 19/82 = ZVR 1983/159; vgl RS0027291).

[17]           In der vom Berufungsgericht nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls vorgenommenen Verschuldensteilung von 1 : 2 zu Lasten der Überholenden ist somit keine aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

[18]           4. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

[19]     5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Kostenbemessungsgrundlage ist jedoch lediglich das Revisionsinteresse der klagenden Partei von 11.497,09 EUR.

Textnummer

E129828

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00126.20Y.1014.000

Im RIS seit

24.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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