TE OGH 2020/9/17 2Ob120/20s

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Veröffentlicht am 17.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** S*****, vertreten durch Mag. Martin Divitschek und andere Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei H***** S*****, vertreten durch Mag. Alexander Gerngross und Mag. Klaus Köck, Rechtsanwälte in Premstätten bei Graz, wegen 28.966 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 4.627 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. April 2020, GZ 5 R 38/20b-42, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 24. Jänner 2020, GZ 34 Cg 9/18p-37, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,01 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Die Streitteile sind Geschwister und haben noch eine weitere Schwester. Die Mutter ist vorverstorben. Nach dem Tod des Vaters im Jänner 2017 erhebt die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch nach § 789 ABGB. Ein auch nur teilweise zur Deckung der Pflichtteile ausreichender Nachlass war nicht vorhanden. Der Vater hatte der Beklagten eine Liegenschaftshälfte geschenkt. Der Wert des Geschenks zum Todestag betrug 166.574 EUR, die Pflichtteilsquoten betragen je ein Sechstel. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Berechnungsmethode für den geltend gemachten Anspruch strittig.

[2]            Gestützt auf die Schenkung an die Beklagte begehrte die Klägerin zuletzt 28.966 EUR sA.

[3]            Die Beklagte wendete (ua) ein, sie sei von der Herausgabe des eigenen Pflichtteils im Ausmaß von einem Sechstel befreit.

[4]            Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 23.135 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es zog zunächst vom Wert des Geschenks den Pflichtteil der Beklagten in Höhe von 27.762 EUR ab. Der Anspruch der Klägerin bestehe nach § 791 Abs 1 ABGB in Höhe eines Sechstels vom solcherart verminderten Betrag (166.574 - 27.762 = 138.812 : 6).

[5]            Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es der Klägerin weitere 4.627 EUR sA zusprach. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Zwar sei die Haftung des pflichtteilsberechtigten Geschenknehmers gemäß § 791 Abs 1 ABGB der Höhe nach mit jenem Betrag begrenzt, um den der Beschenkte durch die ihm gemachte Schenkung mehr als den ihm bei Berücksichtigung der hinzuzurechnenden Schenkung gebührenden Pflichtteil erhalten habe. Dies bedeute jedoch lediglich, dass der Beklagten ein Sechstel des Werts des Geschenks jedenfalls zu verbleiben habe. Der Differenzbetrag auf den Wert des Geschenks stehe für die Bedeckung der vom vollen Wert des Geschenks zu berechnenden Pflichtteilsansprüche ihrer Geschwister zur Verfügung. Da deren Pflichtteile in diesem Betrag Deckung fänden, stünde der Klägerin der aus dem Wert des Geschenks ermittelte Pflichtteil ungeschmälert zu. Die gesetzlichen Verzugszinsen gebührten der Klägerin erst ab Einmahnung.

[6]            Die Revision sei zulässig, weil zur Bestimmung des § 791 Abs 1 ABGB idF des ErbRÄG 2015, aber auch zum Beginn des Zinsenlaufs der gesetzlichen Verzugszinsen noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[7]            Die Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung begehrt, ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[8]            Die Beklagte beschränkt sich in ihrer Revision auf die Ausführung, der Wortlaut des § 791 Abs 1 ABGB lasse darauf schließen, dass der Gesetzgeber den pflichtteilsberechtigten Geschenknehmer in Höhe des eigenen Pflichtteils von der Herausgabe befreien habe wollen. Es sei daher ihre eigene Pflichtteilsquote vom Schenkungsgegenstand vorerst abzuziehen und sodann der Pflichtteilsanspruch der Klägerin zu berechnen. Damit zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[9]            1. Trotz Fehlens von Rechtsprechung zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Ein solcher Fall liegt hier vor.

[10]     2. Auf den Sachverhalt sind die hier maßgeblichen Normen idF des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden, auch wenn die Schenkung bereits vor dem 1. 1. 2017 stattgefunden hat (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB; 2 Ob 80/18f).

[11]           3. Gemäß § 781 Abs 1 ABGB sind Schenkungen, die ein Pflichtteilsberechtigter oder ein Dritter vom Erblasser erhalten hat, nach Maßgabe der §§ 781 ff ABGB dem Nachlass hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Pflichtteil anzurechnen.

[12]     4. Die Rechenmethode zur Ermittlung des vergrößerten Pflichtteils bei Berücksichtigung von hinzuzurechnenden Schenkungen legt § 787 Abs 1 ABGB wie folgt fest:

„Eine Schenkung, die der Verlassenschaft nach den vorstehenden Bestimmungen hinzugerechnet wird, ist ihr rechnerisch hinzuzuschlagen. Von der dadurch vergrößerten Verlassenschaft sind die Pflichtteile zu ermitteln.“

[13]           5. Nach § 789 ABGB kann der verkürzte Pflichtteilsberechtigte vom Geschenknehmer die Zahlung des Fehlbetrags verlangen, wenn bei Bestimmung der Pflichtteile Schenkungen hinzu- oder angerechnet werden, die Verlassenschaft aber zur Deckung der Pflichtteile nicht ausreicht. Auch zur Ermittlung dieses Fehlbetrags ist für die Hinzurechnung von Schenkungen die oben dargelegte Rechenmethode des § 787 Abs 1 ABGB heranzuziehen (vgl 2 Ob 64/19d [ErwGr 5.]).

[14]           6. § 791 Abs 1 ABGB begrenzt die Haftung des selbst pflichtteilsberechtigten Geschenknehmers für den Fehlbetrag und lautet:

„Ein pflichtteilsberechtigter Geschenknehmer (§ 758) haftet einem anderen verkürzten Pflichtteilsberechtigten nur insoweit, als er infolge der Schenkung mehr als den ihm bei Berücksichtigung der hinzuzurechnenden Schenkungen gebührenden Pflichtteil erhalten hat.“

[15]           Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist daher zu ermitteln, wie hoch sein Pflichtteil unter Berücksichtigung hinzuzurechnender Schenkungen wäre (Punkt 4.). Die Haftung für den Fehlbetrag (Punkt 5.) ist der Höhe nach mit jenem Betrag begrenzt, um den der Beschenkte durch die ihm gemachte Schenkung mehr als diesen Pflichtteil erlangt hat. Eine Änderung der Berechnungsmethode zur Ermittlung dieses Fehlbetrags sieht die Bestimmung nicht vor. Die Haftungsbegrenzung des § 791 Abs 1 ABGB führt somit im Regelfall dazu, dass der Geschenknehmer zur Deckung des Fehlbetrags vom Wert der Schenkung höchstens soviel herausgeben muss, dass ihm der eigene nach § 787 Abs 1 ABGB ermittelte vergrößerte Pflichtteil verbleibt (Nemeth/Niedermayr in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 791 ABGB Rz 2; Welser, Erbrechts-Kommentar § 791 ABGB Rz 1; Löcker in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 787 Rz 1; Umlauft, Hinzu- und Anrechung² 216; idS auch ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 37). Die Frage, inwieweit dies auch für anrechnungsbefreite Schenkungen gilt (vgl Umlauft, Hinzu- und Anrechung² 216; Schamberger, Die Haftung des Geschenknehmers nach §§ 789 ff ABGB, NZ 2017/136 [374]), muss im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden.

[16]           7. Für die von der Revisionswerberin gewünschte Rechenmethode, es sei zunächst ihre eigene Pflichtteilsquote vom Wert des Schenkungsgegenstands abzuziehen und sodann vom Restbetrag die Pflichtteilsquote der Klägerin zu berechnen, bietet schon der Wortlaut der dargelegten gesetzlichen Bestimmungen keinen Anhaltspunkt. Sie zeigt in ihrem Rechtsmittel auch kein Argument auf, das für eine derartige Auslegung spräche. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt insoweit nicht vor.

[17]           8. Die Beklagte greift in ihrem Rechtsmittel die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage des Laufs der Verzugszinsen nicht auf, sodass darauf nicht einzugehen ist (vgl RS0102059 [T6]).

[18]           9. Die Ansicht des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall werde die Haftungsbegrenzung des § 791 Abs 1 ABGB nicht schlagend, entspricht der eindeutigen gesetzlichen Regelung. Die Revision ist daher mangels zu beurteilender erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

[19]           10. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der in den Vorinstanzen ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im – hier vorliegenden – Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (vgl RS0129365 [T3]).

Textnummer

E129686

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00120.20S.0917.000

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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