TE OGH 2020/5/26 2Ob64/19d

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Veröffentlicht am 26.05.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** R*****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei R***** P*****, vertreten durch Dr. Walter Schuhmeister und Mag. Franz Haydn, Rechtsanwälte in Schwechat, wegen 56.611,76 EUR sA (Revisionsinteresse 40.950,01 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2019, GZ 11 R 153/18b-37, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 8. August 2018, GZ 4 Cg 7/18x-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits rechtskräftigen Teils lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 56.611,76 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 1. 2017 sowie die mit 17.547,70 EUR (darin enthalten 2.073,78 EUR USt und 5.105 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.113,52 EUR (darin enthalten 375,42 EUR USt und 2.861 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am ***** 2017 verstorbene J***** S***** (in der Folge „Erblasser“) hinterließ zwei Kinder, darunter die Klägerin. Die Beklagte war seine Lebensgefährtin. Aufgrund des Testaments vom 22. 6. 2006 wurde die Verlassenschaft der Beklagten zur Gänze eingeantwortet. Der reine Nachlass betrug 3.410,15 EUR.

Am 15. 6. 2016 hatte der Erblasser der Beklagten seine Liegenschaft EZ ***** GB ***** geschenkt, wobei ihm die Beklagte als „teilweise Gegenleistung“ an dem auf der Liegenschaft errichteten Haus ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnungsgebrauchsrecht als Dienstbarkeit zum persönlichen Gebrauch samt Mitbenützungsrecht des Gartens eingeräumt hat. Unter Berücksichtigung der Situation am Immobilienmarkt, der Lage und des allgemeinen Erhaltungszustands des Objekts betrug der Wert des Wohnungsgebrauchsrechts per 15. 6. 2016 173.500 EUR. Unter Berücksichtigung dieses Werts betrug der Wert der Schenkung zu diesem Stichtag 142.200 EUR.

Mit der vorliegenden Pflichtteilsklage begehrt die Klägerin die Zahlung von 56.611,76 EUR sA. Sie brachte vor, die Beklagte habe bei der Berechnung des Pflichtteils das Wohnungsgebrauchsrecht zu Unrecht in voller Höhe abgezogen. Es hätte nur mit der tatsächlichen Benützungsdauer des Erblassers von bloß sechs Monaten bis zu dessen Tod berücksichtigt werden dürfen. Die Berechnung nach der statistisch zu erwartenden Lebensdauer sei nicht sachgerecht. Der Verkehrswert der Liegenschaft betrage zumindest 306.000 EUR, zuzüglich des reinen Nachlasses von 3.410,15 EUR ergebe dies 309.410,15 EUR, wovon der Klägerin ein Viertel (= 77.352,54 EUR) gebühre. Die Beklagte habe bislang erst 20.740,78 EUR bezahlt.

Die Beklagte wendete ein, die Liegenschaft sei unter Berücksichtigung des Wohnungsgebrauchsrechts nur 79.000 EUR wert gewesen, sodass unter Einbeziehung des Werts des reinen Nachlasses der an die Klägerin ausbezahlte Betrag von 20.740,78 EUR ihre erbrechtlichen Forderungen gemäß § 788 ABGB vollständig abdecke.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 15.661,75 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 40.950,01 EUR sA ab. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und folgerte rechtlich, gemäß § 788 ABGB (idF des ErbRÄG 2015) sei vom Schätzwert der Liegenschaft der versicherungsmathematisch kapitalisierte Wert des vorbehaltenen Nutzungsrechts abzuziehen. Zähle man zum konkreten Wert der Schenkung von 142.200 EUR den Wert des reinen Nachlasses von 3.410,15 EUR dazu, ergebe sich der Betrag von 145.610,15 EUR. Ein Viertel davon betrage 36.402,53 EUR. Abzüglich des bereits erhaltenen Betrags von 20.740,78 EUR ergebe sich eine berechtigte Forderung im Umfang des Klagszuspruchs.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und ließ die ordentliche Revision zu.

Zur Berufung der Klägerin führte es aus, der hier anzuwendende § 788 ABGB idF des ErbRÄG 2015 weiche signifikant von § 794 ABGB aF und dessen Auslegung durch die Rechtsprechung ab. Während nach der alten Rechtslage grundsätzlich der Todeszeitpunkt für die Bewertung maßgeblich gewesen sei, sei die Schenkung nun für jenen Zeitpunkt zu bewerten, zu dem sie wirklich gemacht, also das Vermögensopfer erbracht worden sei. Belastungen der geschenkten Sache, insbesondere Wohnungsgebrauchsrechte, Leibrenten, Ausgedinge, seien nach versicherungsmathematischen Grundsätzen kapitalisiert vom Verkehrswert abzuziehen. Anderes gelte nur bei einem vorbehaltenen Fruchtgenussrecht, weil man annehme, dass das Vermögensopfer in diesem Fall erst mit dem Tod erbracht werde. Das Ergebnis dieser Berechnung stehe auch mit dem Gesetzesvorhaben, die Privatautonomie des Erblassers zu stärken und das Pflichtteilsrecht einzuschränken, im Einklang.

Die Revision sei zulässig, weil zur Frage der Bewertung einer Liegenschaft bei vorbehaltenem Wohnungsgebrauchsrecht nach § 788 ABGB idF des ErbRÄG 2015 noch keine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen den abweisenden Teil des Urteils des Berufungsgerichts, das in seinem stattgebenden Teil unangefochten blieb, richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne der gänzlichen Klagestattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die Klägerin macht geltend, zahlreiche Gründe sprächen dafür, die bisherige höchstgerichtliche Judikatur zur Vorgängerbestimmung des § 788 ABGB idF des ErbRÄG 2015 (§ 794 ABGB aF) weiter anzuwenden. Danach mindere ein vom Erblasser sich an einer geschenkten Liegenschaft vorbehaltenes lebenslängliches Wohnungsgebrauchsrecht nicht den für die Berechnung des Pflichtteils maßgeblichen Wert dieser Liegenschaft. Diese Judikatur sei realitätsspiegelnd und sinnvoll durchdacht. Ein Abgehen davon zu § 788 ABGB idF des ErbRÄG 2015 führte zu groben Unbilligkeiten im Pflichtteilsrecht, die vom Gesetzgeber wohl keinesfalls gewünscht gewesen seien.

Die Beklagte bringt in der Revisionsbeantwortung vor, § 788 ABGB idF des ErbRÄG 2015 treffe eine eindeutige Regelung, nach der für die Bewertung der Schenkung auf den Zeitpunkt abzustellen sei, in dem die Schenkung wirklich gemacht worden sei. In diesem Zeitpunkt habe das Wohnungsgebrauchsrecht bestanden und sei daher wertmindernd zu berücksichtigen.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

1. Anzuwendendes Recht

Da der Erblasser nach dem 31. Dezember 2016 gestorben ist, sind die hier maßgeblichen Bestimmungen des 14. Hauptstücks des ABGB über den Pflichtteil und die Anrechnung zum Pflichtteil in der Fassung des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

2. Pflichtteilsberechtigung der Klägerin

Die Beklagte als Lebensgefährtin des Erblassers ist nach diesem nicht pflichtteilsberechtigt. Da die Schenkung an die Beklagte in den letzten beiden Jahren vor dem Tod des Erblassers gemacht wurde, kann die Klägerin als pflichtteilsberechtigte Tochter gemäß § 782 Abs 1 ABGB die Hinzurechnung der Schenkung bei der Berechnung der Verlassenschaft verlangen.

3. Rechtslage vor dem ErbRÄG 2015

Nach altem Recht war § 794 ABGB die einschlägige Norm, die lautete:

Bei jeder Anrechnung wird, wenn das Empfangene nicht in barem Gelde; sondern in andern beweglichen oder unbeweglichen Sachen bestand, der Wert der letztern nach dem Zeitpunkte des Empfanges; der erstern dagegen nach dem Zeitpunkte des Erbanfalles bestimmt.

Die in dieser Bestimmung vorgenommene Differenzierung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie die Leugnung des Inflationsproblems führten zu Ungerechtigkeiten, die man durch korrigierende Auslegung zu vermeiden suchte (Apathy in KBB4 § 794 Rz 2). Die Rechtsprechung ging dabei von folgenden Grundsätzen aus:

Die Bestimmungen der §§ 785, 951 ABGB bezwecken, den übergangenen Noterben so zu stellen, wie er stünde, wenn die Schenkung unterblieben wäre (RS0012936 [T1]). Für die Ausmittlung eines Schenkungspflichtteils ist der Zeitpunkt des Erbanfalls maßgeblich. Es ist nicht danach zu fragen, um welchen Wert das Vermögen des Erblassers (als Berechnungsgrundlage) durch den Vorempfang seinerzeit vermindert worden ist, sondern danach, welchen Wert die Verlassenschaft besäße, wäre die pflichtteilswidrige Verfügung unterblieben. Daraus folgt, dass nicht der Wert des Geschenks zur Zeit des Empfangs in Geld zu bewerten und der ermittelte Geldwert nach einem Index aufzuwerten, sondern der Wert des Geschenks im Zeitpunkt des Erbanfalls zu bestimmen ist, dabei aber der Zustand der Sache im Zeitpunkt des Empfangs und ebenso alle damals bereits veranschlagbar gewesenen, wenn auch erst im Zeitpunkt des Erbanfalls aktuell werdenden, Umstände zugrunde zu legen sind (RS0012973). Der Wert eines den Erblassern bei der Übergabe einer Liegenschaft vorbehaltenen lebenslangen persönlichen Nutzungsrechts (Fruchtgenussrecht, Wohnrecht), wiewohl diese Belastung auf den Zeitpunkt des Empfangs bezogen den Liegenschaftswert erheblich verminderte, ist für die Bemessung des Pflichtteils außer Ansatz zu lassen, weil bereits im Übergabszeitpunkt mit völliger Sicherheit feststand, dass in dem für die Beurteilung der Pflichtteilswidrigkeit maßgebenden Zeitpunkt des Erbanfalls die Belastung weggefallen sein werde (6 Ob 805/82 SZ 57/7; 7 Ob 248/11p; RS0012946).

An diesen Grundsätzen hat der erkennende Senat zum alten Recht bis zuletzt festgehalten (2 Ob 96/16f = EF-Z 2017, 181 [zust A. Tschugguel] = iFamZ 2017, 276 [zust Schweda]; 2 Ob 129/16h; 2 Ob 8/17s).

4. Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015

4.1. Die jetzt einschlägige Norm des § 788 ABGB lautet:

Die geschenkte Sache ist auf den Zeitpunkt zu bewerten, in dem die Schenkung wirklich gemacht wurde. Dieser Wert ist sodann auf den Todeszeitpunkt nach einem von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex anzupassen.

Die Materialien führen dazu aus (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 35 f):

Nach der Bewertungsvorschrift des bisherigen § 794 sind unbewegliche Sachen nach dem Zeitpunkt des Empfangs, bewegliche Sachen nach dem Zeitpunkt des Erbanfalls zu bewerten. Diese Regelung führt nach einhelliger Meinung zu unbilligen Ergebnissen (siehe näher Welser, Reform des Erbrechts 144). Für die Bewertung von Bargeldzuwendungen lässt das bisherige Recht überhaupt jede Regelung vermissen. § 788 des Entwurfs soll daher umgestaltet werden. Teilen der Lehre folgend (siehe Schauer, NZ 1998, 28) soll der Wert der zugewendeten Sache im Empfangszeitpunkt zu ermitteln sein. Bei der Ermittlung des Empfangszeitpunkts kommt es aber darauf an, dass dem Geschenknehmer die geschenkte Sache tatsächlich zukommt, das Vermögensopfer also erbracht ist, die Schenkung wirklich gemacht wurde. Ein ermittelter Wert soll auf den Todeszeitpunkt angepasst werden, und zwar nach einem von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex. Dies gilt auch für einen zugewendeten Geldbetrag. Hingegen sollen alle anderen wertverändernden Umstände, die zwischen dem Zuwendungs- und dem Todeszeitpunkt eintreten (seien sie vom Zuwendungsempfänger zu vertreten oder nicht), wie etwa Änderungen der Flächenwidmung, die verkehrsmäßige Erschließung von Liegenschaften, Schadensereignisse, die auch bei unterbliebener Zuwendung eingetreten wären, oder Preisänderungen infolge erhöhter oder gesunkener Nachfrage außer Betracht bleiben (für die Berücksichtigung letzterer Umlauft, Reform des Erbrechts 148). Durch diese Bewertungsmethode soll erreicht werden, dass die zu Lebzeiten vom Verstorbenen zugewendeten Werte möglichst gleichmäßig an die Verhältnisse im Todeszeitpunkt herangeführt werden.

Zu der hier gegenständlichen Frage, ob sich vorbehaltene, im Zeitpunkt des Empfangs wertmindernde Rechte, die sicher mit dem Tod des Erblassers erlöschen, bei der Hinzurechnung der Schenkung wertmindernd auswirken oder nicht bzw – mit anderen Worten – ob der Gesetzgeber eine Abkehr von der unter Punkt 3. zitierten langjährigen und ihm als bekannt zu unterstellenden Rechtsprechung beabsichtigt hat, finden sich in den Materialien keine (eindeutigen) Aussagen.

Der Gesetzgeber dürfte sich an dem von ihm in den Materialien zitierten Aufsatz von Schauer (Die Bewertung von Vorempfang und Schenkungen bei der Pflichtteilsanrechnung, NZ 1998, 23) orientiert haben (so auch Umlauft, Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Erb- und Pflichtteilsrecht2 [2018] 311). Denn der Regelungsinhalt von § 788 ABGB entspricht im Kern der von Schauer aaO propagierten Lösung und dem von diesem de lege ferenda vorgeschlagenen Gesetzestext. Der Autor spricht aber in seinem Aufsatz die hier gegebene Bewertungsfrage nicht an. Auch insoweit kann somit nicht auf eine bestimmte Absicht des Gesetzgebers geschlossen werden.

4.2. Die Lehre ist geteilt:

4.2.1. Für Wertminderung durch vorbehaltenes Recht

Klampfl, Privatstiftung und Pflichtteilsrecht nach der Erbrechtsreform – der „neue“ Rechtsrahmen zur Berücksichtigung stiftungsnaher Transaktionen, JEV 2015, 120 (126), will auch Nutzungsrechte des Geschenkgebers (außer bei einem Fruchtgenussrecht, bei dem das Vermögensopfer erst mit dem Tod erbracht werde) wertmindernd berücksichtigen.

Auch Umlauft, Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen im Erb- und Pflichtteilsrecht2 [2018] 319 ff spricht sich für die wertmindernde Auswirkung vorbehaltener Nutzungsrechte (unabhängig davon, ob der Schenker das Nutzungsrecht für sich oder einen Dritten vorbehält [321]) aus (in diesem Sinn auch schon derselbe, Das Vermögensopfer nach dem ErbRÄG 2015, NZ 2017, 241 [248 f]).

4.2.2. Gegen Wertminderung durch vorbehaltenes Recht

A. Tschugguel, EF-Z 2017/90, 182 f (Anm zu 2 Ob 96/16f) stellt sich zur besprochenen Entscheidung die Frage, ob deren hier interessierende Aussage, vorbehaltene, mit dem Tod des Erblassers erlöschende Rechte seien bei der Bewertung auszublenden, auch für das neue Recht gilt und meint: „Eine derart formale Sichtweise, die die Berücksichtigung vorbehaltener Nutzungsrechte an den Bewertungszeitpunkt knüpft, also nur danach fragt, ob die Nutzungsrechte in diesem Zeitpunkt noch oder nicht mehr vorhanden sind, ist aber mE abzulehnen. Die Überlegung, dass Nutzungsrechte, die im Todeszeitpunkt zwingend erlöschen, bei der Bewertung auszublenden sind, weil von vornherein feststeht, dass der Beschenkte eine ihm im Todeszeitpunkt des Geschenkgebers völlig freiwerdende Sache erhalten hat, ist stichtagsunabhängig stichhaltig und aus den Wertungen des Pflichtteilsrechts heraus erklärbar.

Schweda, iFamZ 2017, 277 f (Anm zu 2 Ob 96/16f) äußert sich zur neuen Rechtslage zwar nicht explizit. In seinem Berechnungsbeispiel zum neuen Recht berücksichtigt er das vorbehaltene Wohnungsgebrauchsrecht jedoch nicht als wertmindernd, woraus sich implizit ergibt, dass er auch für das neue Recht an dieser Ansicht festhalten will.

Welser, Erbrechts-Kommentar § 781 Rz 22 f, neigt offenbar der Meinung zu, vom Schenker vorbehaltene und mit seinem Tod wegfallende Nutzungsrechte seien nicht wertmindernd (Rz 23: „Für die Behandlung von Belastungen und von Gegenleistungen gelten wohl die von 2 Ob 96/16f aufgestellten Regeln weiter.“).

4.3. Bei der Auslegung der Bestimmungen der Schenkungshinzurechnung und Schenkungsanrechnung ist darauf zu achten, dass die erzielten Auslegungsergebnisse mit den übrigen Bestimmungen des Pflichtteilsrechts stimmig und frei von Wertungswidersprüchen sind.

4.3.1. Haften einer Zuwendung oder Schenkung im Sinn der §§ 780 und 781 ABGB Bedingungen oder Belastungen an, die der Verwertung des zugewendeten Vermögens entgegenstehen, so hindert dies gemäß § 762 ABGB nicht deren Eignung zur Pflichtteilsdeckung; ein dadurch fehlender oder verminderter Nutzen ist aber bei der Bewertung der Zuwendung oder Schenkung zu berücksichtigen.

Da der Pflichtteilsberechtigte erst mit dem Tod des Erblassers den Pflichtteilsanspruch erwirbt (§ 765 Abs 1 ABGB), kann sich die Frage, ob Bedingungen oder Belastungen der Verwertung des zugewendeten Vermögens entgegenstehen, erst nach dem Tod des Erblassers stellen. Dann aber sind auf der geschenkten Sache lastende Personalservituten zugunsten des Erblassers gemäß § 529 ABGB mit seinem Tod erloschen und können daher der Verwertung der zugewendeten Sache nicht entgegenstehen, weshalb „dadurch“ kein fehlender oder verminderter Nutzen eingetreten sein kann, der für die Pflichtteilsdeckung wertmindernd zu berücksichtigen wäre. Daraus folgt zwingend, dass sich für die Frage der Pflichtteilsdeckung bei einer zu Lebzeiten unter Vorbehalt einer Personalservitut vom Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten geschenkten Sache die Personalservitut nicht wertmindernd auswirkt: Die Sache ist insoweit lastenfrei zu bewerten.

Nun wäre es aber ein eklatanter Wertungswiderspruch, wenn sich zwar ein Pflichtteilsberechtigter eine Schenkung unter Lebenden mit Vorbehalt einer Personalservitut ohne Wertminderung als Pflichtteilsdeckung anrechnen lassen müsste, ein nach §§ 782 f ABGB hinzu- bzw anrechnungsverpflichteter Beschenkter die (dann ebenfalls bereits erloschene) Personalservitut bezogen auf den Zeitpunkt der Schenkung nach versicherungsmathematischen Grundsätzen wertmindernd abziehen könnte.

4.3.2. Nach § 787 Abs 1 Satz 1 ABGB ist eine Schenkung, die der Verlassenschaft nach den vorstehenden Bestimmungen hinzugerechnet wird, ihr rechnerisch hinzuzuschlagen.

Hat der Erblasser eine ihm gehörige Liegenschaft nicht verschenkt, ist sie mit ihrem Verkehrswert (§ 2 Abs 1 LBG; auf den Todestag: § 778 Abs 2 ABGB) im Nachlass. Hat er sie ohne Vorbehalt einer Personalservitut für sich unter Lebenden verschenkt, ist sie mit dem Verkehrswert (§ 2 Abs 1 LBG; im Schenkungszeitpunkt: § 788 ABGB) der Verlassenschaft rechnerisch hinzuzuschlagen. Hat er sie mit Vorbehalt einer Personalservitut für sich unter Lebenden verschenkt, ist die Lage – wie schon unter 4.3.1. ausgeführt – aber dieselbe wie bei Schenkung ohne Vorbehalt einer Personalservitut, weil im Zeitpunkt der Hinzurechnung – also nach dem Tod des Erblassers – die Personalservitut erloschen ist. Es wäre wertungswidersprüchlich, wenn bei insoweit identem maßgeblichen Sachverhalt die bereits erloschene Personalservitut wertmindernd abzuziehen wäre.

4.3.3. Schließlich würde ein Abzug dazu führen, dass ein zur Anrechnung einer Schenkung verpflichteter Pflichtteilsberechtigter bei einer mit einem zurückbehaltenen Nutzungsrecht verbundenen lebzeitigen Schenkung besser stünde als bei Zuwendung derselben Sache erst auf den Todesfall. Das wäre mit den Zwecken des Pflichtteilsrecht nicht vereinbar (vgl A. Tschugguel, EF-Z 2017/90, 183).

4.4. Zur Vermeidung von eklatanten Wertungswidersprüchen im Pflichtteilsrecht bei der Hinzurechnung und Anrechnungen von Schenkungen gelangt der Senat somit zu folgendem Ergebnis:

Auch nach dem ErbRÄG 2015 ist der Wert einer vom Erblasser bei der Übergabe einer Liegenschaft vorbehaltenen lebenslangen Personaldienstbarkeit, wiewohl diese Belastung auf den Zeitpunkt des Empfangs bezogen den Liegenschaftswert erheblich verminderte, bei der Schenkungshinzurechnung und der Schenkungsanrechnung (§§ 782, 783, 787 ABGB) für die Bemessung des Pflichtteils außer Ansatz zu lassen, weil bereits im Übergabszeitpunkt mit völliger Sicherheit feststand, dass in dem für die Beurteilung der Pflichtteilswidrigkeit maßgebenden Zeitpunkt des Erbanfalls die Belastung weggefallen sein werde (§ 529 ABGB).

5. Vorliegender Fall

Das Wohnungsgebrauchsrecht ist daher nicht als wertmindernd zu berücksichtigen. Addiert man gemäß § 787 Abs 1 ABGB den um das Wohnungsgebrauchsrecht geminderten Wert der Liegenschaft (142.200 EUR), den Wert des Wohnungsgebrauchsrechts (173.500 EUR) und den Reinnachlass (3.410,15 EUR), so errechnet sich die Summe von 319.110,15 EUR. Davon steht der Klägerin ein Viertel (§ 759 iVm § 732 ABGB), somit 79.777,54 EUR, zu. Davon hat sie bereits 20.740,78 EUR erhalten, sodass der verbleibende Anspruch 59.036,76 EUR beträgt. Die Klägerin hat – ausgehend von einem Verkehrswert von 306.000 EUR – weniger eingeklagt, sodass das gesamte Klagebegehren zu Recht besteht.

Der Beginn des Zinsenlaufs gründet sich auf § 778 Abs 2 ABGB.

Der Revision ist somit zur Gänze Folge zu geben.

6. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E128589

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00064.19D.0526.000

Im RIS seit

21.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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