TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/18 W283 2206705-4

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Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch

W283 2206705-4/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Stefanie OMENITSCH als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1095096908/200325280 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von XXXX , geboren am XXXX , StA. Tunesien, zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung nicht verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 16.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 05.04.2018 vollinhaltlich abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in der Dauer von 8 Jahren erlassen. Dieser Bescheid blieb unbekämpft und erwuchs am 05.05.2018 in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer wurde während seines laufenden Asylverfahrens in Österreich straffällig und zwei Mal rechtskräftig von einem Landesgericht verurteilt.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wurde der Beschwerdeführer von 08.06.2018 bis 05.12.2018 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft genommen. Die Abschiebung konnte nicht effektuiert werden, da dem Beschwerdeführer mangels seiner Mitwirkung kein Heimreisezertifkat ausgestellt wurde.

Nach Abschluss seines Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer erneut straffällig und mit Beschluss eines Oberlandesgerichts vom 09.07.2019 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der Beschwerdeführer befand sich zuletzt von 20.12.2018 bis 17.04.2020 in Justizanstalten in Strafhaft.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wurde der Beschwerdeführer zur Sicherung der Abschiebung neuerlich in Schubhaft genommen. Seit dem 17.04.2020 befindet sich der Beschwerdeführer zur Sicherung seiner Abschiebung in Schubhaft.

Mit Stellungnahme vom 04.08.2020 legte das Bundesamt verfahrensrelevanten Aktenteile vor und legte dar, dass aufgrund des vorliegenden Risikos des Untertauchens die Schubhaft unabwendbar sei. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Straffälligkeit nicht vertrauenswürdig. Er sei in Österreich lediglich in Justizanstalten, Polizeianhaltezentren oder Quartieren der Grundversorgung meldebehördlich erfasst gewesen, verfüge über keine soziale Verankerung noch sei er selbsterhaltungsfähig. Die Erlangung eines Heimreisezertifikates sei unter Hinweis auf die vom Bundesamt bisher gesetzten Schritte wahrscheinlich, zumal die Ausstellung eines Heimreisezertifikates ständig urgiert werde und es amtsbekannt sei, dass die Vertretungsbehörden Heimreisezertifikate ausstellen. Am 12.08.2020 und 17.08.2020 langten die vom Bundesverwaltungsgericht angeforderten ergänzenden Stellungnahmen unvollständig zum Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisezertifkates ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 17.04.2020, somit länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft. Es ist zu prüfen, ob unter der Voraussetzung des § 80 Abs. 4 FPG zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Dabei ist auf die Anhaltung des Beschwerdeführers von 08.06.2018 bis 05.12.2018 hinsichtlich des § 80 Abs. 4 FPG Bedacht zu nehmen.

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 16.11.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz (Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister). Mit Bescheid des Bundesamtes vom 05.04.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Österreich zur Gänze abgewiesen und kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurden eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Tunesien zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft am 05.05.2018 in Rechtskraft (Stellungnahme Bundesamt vom 04.08.2020, S. 1).

1.2. Während des laufenden Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer im Bundesgebiet am 01.03.2016 rechtskräftig von einem Landesgericht zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Am 16.09.2016 wurde die gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Mit Urteil eines Landesgerichts wurde der Beschwerdeführer am 16.09.2016 zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt (Strafregister).

Der Beschwerdeführer befand sich von 06.05.2016 bis 08.06.2018 in Strafhaft (Zentrales Melderegister).

Von 08.06.2018 bis 05.12.2018 befand sich der Beschwerdeführer in Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung (Schubhaftbescheid vom 08.04.2020, S. 3; Zentrales Melderegister).

1.3. Am 17.04.2018 wurde das Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates betreffend Tunesien eingeleitet. Am 03.07.2018 wurde dem Bundesamt mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nicht als Staatsangehöriger von Tunesien identifiziert werden konnte. Am 04.07.2018 wurde vom Bundesamt ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei den Vertretungsbehörden von Ägypten, Libyen, Algerien, Marokko eingeleitet. Diese wurden negativ beendet. Am 30.10.2018 wurde neuerlich ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit Algerien eingeleitet. Am 06.11.2018 wurde der Beschwerdeführer der algerischen Botschaft zur Identifizierung vorgeführt. Dem Bundesamt wurde mitgeteilt, dass eine Identitätsüberprüfung in Algerien erforderlich sei.

1.4. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichts am 27.03.2019 verurteilt, mit Beschluss eines Oberlandesgerichts vom 09.08.2019 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten (Strafregister).

Von 20.12.2018 bis zum 17.04.2020 befand sich der Beschwerdeführer in Strafhaft (Melderegister).

1.5. Am 01.03.2019 wurde dem Bundesamt das Ergebnis eines Sprachgutachtens übermittelt, das die vom Beschwerdeführer gesprochene Sprache in Übereinstimmung mit der arabischen Sprachgemeinschaft tunesische Koine steht. Am 07.04.2020 wurde neuerlich ein Verfahren betreffend die Ausstellung eines Heimreisezertifikates von Tunesien gestartet.

Am 05.02.2020 wurde das Verfahren betreffend die Ausstellung eines Heimreisezertifikates von Algerien urgiert.

1.6. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.04.2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet (OZ 1). Seit dem 17.04.2020 wird der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten (Anhaltedatei; Melderegister).

Weitere Ermittlungen zur Feststellung der Identität des Beschwerdeführers wurden am 12.07.2020 eingeleitet (Stellungnahme Bundesamt vom 11.08.2020).

2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er gibt an, Staatsangehöriger von Tunesien zu sein. Der Beschwerdeführer ist volljährig, nicht österreichischer Staatsbürger und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Der Beschwerdeführer ist gesund und haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung (Anhaltedatei).

2.3. Der Beschwerdeführer wird seit dem 17.04.2020 in Schubhaft angehalten (Anhaltedatei).

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Am 16.11.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz der vollinhaltlich abgewiesen wurde; eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot wurden erlassen. Diese Entscheidung blieb unangefochten und erwuchs daher am 05.05.2018 in Rechtskraft (Stellungnahme vom 04.08.2020).

3.2. Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte (OZ 5: Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 03.04.2020, S. 1).

Der Beschwerdeführer war seit seiner Asylantragstellung am 16.11.2015 in Österreich von 30.12.2015 bis 31.12.2015, von 06.05.2016 bis 05.12.2018 und seit dem 20.12.2018 in Österreich behördlich ausschließlich in den Haftanstalten bzw. Polizeianhaltezentren gemeldet. Er verfügt über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz (Auszug aus dem Melderegister).

Der Beschwerdeführer geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur nachhaltigen Existenzsicherung. Er verfügt über kein Bargeld (Anhaltedatei: S. 4; OZ 5: Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 03.04.2020, S. 1).

3.3. Er ist nicht kooperativ. Der Beschwerdeführer ist nicht ausreisewillig und wird im Falle der Haftentlassung versuchen, sich seiner Abschiebung zu entziehen. Der Beschwerdeführer bringt keine identitätsbezeugenden Dokumente in Vorlage, um seine Abschiebung zu verhindern. Er wirkt an seiner Identifizierung nicht mit. Er trat in der Schubhaft zwei Mal in den Hungerstreik, um seine Entlassung zu erzwingen und wurde zwei Mal eine Disziplinierungsmaßnahme angeordnet.

3.4. Der Beschwerdeführer ist nicht vertrauenswürdig.

3.5. Der Beschwerdeführer weist in Österreich drei rechtskräftige Verurteilung auf.

3.5.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 01.03.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls und Einbruchsdiebstahls (§§ 15, 132, 129 Abs. 1 Z 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Die Tat wurde als Jugendstraftat verurteilt. Diese bedingte Strafnachsicht wurde am 16.09.2016 widerrufen.

3.5.2. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichts vom 16.09.2016 wegen des Vergehens der Körperverletzung, des versuchten Diebstahls und des gewerbsmäßigen Diebstahls und des Einbruchsdiebstahls (§§ 83 Abs. 1, 127, 130 Abs. 1 erster Fall, 129 Abs. 1 Z 1, 15 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten als junger Erwachsener verurteilt.

3.5.3. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil eines Landesgerichts und durch Beschluss eines Oberlandesgerichts vom 09.08.2019 wegen Urkundenunterdrückung, Diebstahls, und gewerbsmäßigen Diebstahls sowie Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§§ 229 Abs. 1, 127, 130 Abs. 1 erster Fall, 241e Abs. 3 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten als junger Erwachsener verurteilt (Strafregister).

3.6. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei den Vertretungsbehörden von Ägypten, Libyen, Algerien und Marokko wurde vom Bundesamt erstmalig am 04.07.2018 eingeleitet. Diese Verfahren wurden negativ beendet (Schubhaftbescheid S. 3).

3.6.1. Am 30.10.2018 wurde erneut ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für Algerien eingeleitete. Am 06.11.2018 wurde der Beschwerdeführer der algerischen Botschaft zur Identifizierung vorgeführt. Es wurde dem Bundesamt von der algerischen Vertretungsbehörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nicht als algerischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte, eine Identitätsüberprüfung in Algerien sei erforderlich (Schubhaftbescheid S. 3; Stellungnahme vom 11.08.2020). Erst am 05.02.2020 wurde vom Bundesamt eine Urgenz betreffend die Ausstellung eines Heimreisezertifikates an die algerische Vertretungsbehörde übermittelt (Stellungnahme vom 04.08.2020 und 11.08.2020). Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für Algerien scheint zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich.

3.6.2. Am 07.04.2018 wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifkates für Tunesien eingeleitet. Am 03.07.2018 dem Bundesamt von der tunesischen Vertretungsbehörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nicht als tunesischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Am 01.03.2019 gelangte dem Bundesamt ein Sprachgutachten zur Kenntnis, in welchem die vom Beschwerdeführer gesprochene Sprache in Übereinstimmung mit der arabischen Sprachgemeinschaft tunesische Koine steht. Dennoch wurde erst am 07.04.2020 und trotz zwei negativer Identifizierungen durch die tunesische Botschaft ein weiteres Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifkates gestartet (Schubhaftbescheid S. 2; S. 5). Das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde vom Bundesamt seit dem 16.04.2020 mehrfach urgiert (Stellungnahme vom 04.08.2020). Bis dato wurde allerdings noch kein Heimreisezertifikat ausgestellt, sondern die Ausstellung bereits zwei Mal abgelehnt. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für Tunesien scheint zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich.

3.6.3. Erst am 12.07.2020 leitete das Bundesamt weitere Ermittlungen zur Feststellung der Identität des Beschwerdeführers ein (Stellungnahme Bundesamt vom 11.08.2020).

3.6.4. Das Bundesamt war bereits am 06.09.2019 über die Entlassung des Beschwerdeführers am 17.04.2020 in Kenntnis (OZ 1, DEF Aktenteil, S. 37).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die bisherigen Schubhaftverfahren des Beschwerdeführers betreffend sowie in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes die asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem zitierten Stellen im jeweiligen Akt des Bundesamtes und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des Beschwerdeführers. Da sein Asylantrag in Österreich abgewiesen wurde, ist der Beschwerdeführer weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, wonach beim Beschwerdeführer eine Haftunfähigkeit vorliegen würde, weshalb die diesbezügliche Feststellung zu treffen war (Anhaltedatei). Dass der Beschwerdeführer Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

2.3. Dass der Beschwerdeführer seit 17.04.2020 in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei (Anhaltedatei).

3. Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

3.1. Der Antrag auf internationalen Schutz und der diesbezügliche Verfahrensausgang waren aufgrund des unbestrittenen Akteninhaltes festzustellen.

3.2. Dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte noch enge soziale Anknüpfungspunkte hat, war aufgrund seiner unterbliebenen Mitwirkung im Verfahren festzustellen. Der Beschwerdeführer verweigerte diesbezügliche Angaben grundlos und waren familiäre Anknüpfungspunkte aufgrund der Aktenlage auch sonst nicht festzustellen (OZ 5: Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 03.04.2020).

Das Fehlen eines gesicherten Wohnsitzes ergibt sich im Wesentlichen aus dem Einblick in das zentrale Melderegister. Daraus ist zu ersehen, dass der Beschwerdeführer aktuell über keine Meldeadresse außerhalb des Anhaltezentrums verfügt. Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthalt in Österreich größtenteils Meldungen an Justizanstalten und Polizeianhaltezentren vorzuweisen. Eine nachhaltige Existenzsicherung ist mangels ausreichender Geldreserven nicht zu erblicken. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, war aufgrund der eigenen Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 03.04.2020 zu treffen.

3.3. Dass der Beschwerdeführer nicht kooperativ war, ist aufgrund seines bisherigen Verhaltens festzustellen. Letztmalig verweigerte er ungerechtfertigt Angaben zu seinen Familienangehörigen in seiner Stellungnahme vom 03.04.2020. Auch im Rahmen der Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates zeigte sich der Beschwerdeführer nicht kooperativ, sondern verweigerte wesentliche Angaben zur Erlangung desselben, was wiederum aufgrund seiner Angaben in der Stellungnahme vom 03.04.2020 festzustellen war.

Dass der Beschwerdeführer nicht ausreisewillig ist und im Falle der Haftentlassung versuchen wird, sich seiner Abschiebung zu entziehen, war aufgrund seines bisherigen Verhaltens festzustellen, wonach er bislang wesentliche Angaben zu seiner Herkunft und seinen Familienangehörigen verweigert hat. Dass der Beschwerdeführer an seiner Identifizierung nicht mitwirkt, war aufgrund der Stellungnahmen des Bundesamtes und der Aktenlage festzustellen. Die Feststellungen zum Hungerstreik und den Disziplinierungsmaßnahmen ergeben sich aufgrund der Anhaltedatei.

3.4. Die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass er aufgrund seines Vorverhaltens (die Erfüllung mehrerer strafrechtlicher Tatbestände sowie den Widerruf von der bedingten Strafnachsicht) für sich keine Vertrauenswürdigkeit in Anspruch nehmen kann.

3.5. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers beruht auf der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisteranfrage).

3.6. Die Feststellungen zu den Verfahren des Bundesamtes zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für von Tunesien, Ägypten, Libyen, Algerien und Marokko beruhen auf den Stellungnahmen des Bundesamtes (vom 04.08.2020, vom 11.08.2020 sowie vom 17.08.2020).

Dass die Erlangung eines Heimreisezertifikates für Algerien zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich ist, war festzustellen, da die Ausstellung eines Heimreisezertifkates trotz laufender Urgenzen bisher nicht erreicht werden konnte. Von Algerien wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bereits am 06.11.2018 mit dem Hinweis auf die vermutlich tunesische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers abgelehnt. Hinweise, die für die Wahrscheinlichkeit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die algerische Vertretungsbehörde sprechen hat das Bundesamt nicht dargelegt und sind im Entscheidungszeitpunkt nicht aktenkundig.

Zudem wurde das Verfahren betreffend Algerien vom Bundesamt im Zeitraum 06.11.2018 bis 05.02.2020 nicht betrieben. Eine begründete Stellungnahme für das Unterbleiben bzw. die Bescheinigung über das tatsächliche Betreiben ist dem Gericht trotz zweimaliger Aufforderung nicht vorgelegt worden.

Hinsichtlich Tunesien war festzustellen, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikates für Tunesien zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich ist, da die Ausstellung eines Heimreisezertifkates trotz laufender Urgenzen bisher nicht erreicht werden konnte. Von Tunesien wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bereits am 03.07.2018 abgelehnt und mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nicht als tunesischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Hinweise, die für die Wahrscheinlichkeit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die tunesische Vertretungsbehörde sprechen, hat das Bundesamt nicht dargelegt und sind im Entscheidungszeitpunkt nicht aktenkundig. Das Ergebnis des Sprachgutachtens, auf welches das Bundesamt in seinen Stellungnahmen mehrfach hinweist, lag dem Bundesamt bereits am 01.03.2019 vor. Entgegen dem zweimaligen gerichtlichen Auftrag hat es das Bundesamt unterlassen nachvollziehbar zu bescheinigen, welche Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates von Tunesien im Zeitraum vom 01.03.2019 bis zum 07.04.2020 gesetzt wurden. Da die Ausstellung eines Heimreisezertifkates bis dato trotz laufender Urgenzen nicht erreicht werden konnte und auch kein Termin zur Vorführung vor die Delegation in Aussicht genommen werden konnte ist die Erlangung eines Heimreisezertifikates im konkreten Fall zum Entscheidungszeitpunkt nicht wahrscheinlich.

Dass das Bundesamt erst am 12.07.2020 weitere Ermittlungen zur Feststellung der Identität des Beschwerdeführers einleitete, obwohl es entgegen der Angaben in seiner Stellungnahme vom 12.08.2020 und 17.08.2020 bereits am 06.09.2019 über die Entlassung des Beschwerdeführers in Kenntnis war, war aufgrund der Aktenlage festzustellen (OZ 1, DEF Aktenteil, S. 37).

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gesetzliche Grundlagen

3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) lauten (auszugsweise):

Der mit „Begriffsbestimmungen“ betitelte § 2 FPG lautet:

§ 2 (4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. Fremder: wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 FPG lautet:

§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Der mit „Gelinderes Mittel“ betitelte § 77 FPG lautet:

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 lautet:

§ 80 (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.

drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.

sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1.

die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2.

eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3.

der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4.

die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

§ 80 Abs. 4 FPG idF der Novelle BGBl. I Nr. 70/2015 lautete (Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht):

(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,

1.

weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder

2.

weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder

3.

weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt.

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von 18 Monate nicht länger als 10 Monate in Schubhaft angehalten werden. Gleiches gilt, wenn die Abschiebung dadurch gefährdet erscheint, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen hat. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in einem Jahr, aber nicht länger als 10 Monate in 18 Monaten aufrechterhalten werden.

3.1.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

§ 22a (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.

3.2. Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.3. Allgemeine Voraussetzungen

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

Seit dem 05.05.2018 besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Daher war die Anhaltung in Schubhaft seit 17.04.2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich.

3.4. Verhältnismäßigkeit

Im vorliegenden Fall wurde Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers angeordnet. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht (VwGH vom 19.04.2012, 2009/21/0047). Steht von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Umgekehrt schadet es nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen (VwGH vom 17.11.2005, 2005/21/0019). Ist bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht innerhalb der [höchst zulässigen Schubhaftdauer] zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mithin von Anfang an nicht verhängt werden (VwGH vom 17.11.2005, 2005/21/0019).

Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer wurde bereits am 17.04.2018 bei der tunesischen Vertretungsbehörde beantragt. Trotz laufender Urgenzen und dem Vorliegen eines Sprachgutachtens seit dem 01.03.2019 konnte bislang kein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer erlangt werden. Auch unter Berücksichtigung der mangelnden Mitwirkung des Beschwerdeführers, war die Rückmeldung der Vertretungsbehörde zum konkreten Fall bereits zwei Mal negativ. Das Bundesamt hat in seinen Stellungnahmen keine Umstände aufgezeigt, aufgrund derer das Bundesverwaltungsgericht von der Möglichkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikates ausgehen könnte. Auch hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates durch Algerien blieb das Bundesamt eine begründete Stellungnahme schuldig. Dem vorgelegten Verwaltungsakt und den Stellungnahmen des Bundesamtes lässt sich nicht entnehmen, welche konkreten Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates vom Bundesamt insbesondere im Zeitraum 01.03.2019 (Kenntnis des Sprachgutachtens) bis 08.04.2020 (neuerlicher Antrag an die tunesische Vertretungsbehörde) gesetzt wurden. Auch die bereits am 06.11.2018 von der algerischen Botschaft für notwendige erachtete Identitätsprüfung in Algerien wurde aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes und den Stellungnahmen des Bundesamtes im Zeitraum von 06.11.2018 bis 05.02.2020 nicht betrieben. Durch dieses Untätigbleiben ist die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben.

Gemäß § 80 Abs. 4 Z. 1 und Z. 2 FPG kann die Schubhaft grundsätzlich 18 Monate aufrechterhalten werden, wenn ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist oder eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt.

Dem Verwaltungsakt und den Stellungnahmen des Bundesamtes lässt sich nicht entnehmen, welche Bemühungen das Bundesamt zur Erlangung eines Heimreisezertifikates hinsichtlich Tunesien – insbesondere im Zeitraum 01.03.2019 bis 08.04.2020 konkret unternommen hat.

Auch vermochte das Bundesamt entgegen der gerichtlichen Aufforderung nicht begründet und nachvollziehbar darzulegen, weshalb die weiteren Ermittlungsschritte zur Abklärung der Identität des Beschwerdeführers erst am 12.07.2020 eingeleitet wurden.

Es ist daher zum Entscheidungszeitpunkt nicht absehbar, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erfolgen werde. Zudem hat das Bundesamt durch das Untätigbleiben im Zeitraum von 06.11.2018 bis 05.02.2020 (hinsichtlich Algerien) bzw. von 01.03.2019 bis 08.04.2020 (hinsichtlich Tunesien) und dem Einleiten weiterer Ermittlungsschritte zur Abklärung der Identität des Beschwerdeführers erst am 12.07.2020 die Schubhaft mit Rechtswidrigkeit belastet. Das Unterbleiben weiterer Schritte zur Erlangung eines Heimreisezertifikates war nicht verhältnismäßig.

Im Lichte der Judikatur schlägt diese Unverhältnismäßigkeit auch auf den Fortsetzungsausspruch durch (vgl. VwGH Ro 2015/21/0026 vom 15.10.2015).

Vor dem Hintergrund der bereits im Jahr 2018 erfolgten Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für einen Zeitraum von 6 Monaten stellt sich die die aktuelle Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubahaft für mehr als vier Monate als unverhältnismäßig dar. Die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft liegen nicht vor; das Bundesamt muss mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen finden.

Die Anordnung von Schubhaft erweist sich daher als unzulässig und nicht verhältnismäßig, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

3.5. Zudem wurde der Beschwerdeführer nach einer Anhaltung von sechs Monaten gemäß § 80 Abs. 7 FPG nicht schriftlich davon in Kenntnis gesetzt, dass er ausschließlich aus den Gründen des § 80 Abs. 4 FPG angehalten wird. Eine derartige Information ist dem Fremden jedenfalls schriftlich zur Kenntnis zur bringen und könnte nur in speziellen Fällen unterbleiben, zB dann, wenn diese Information dem Beschwerdeführer bereits aus anderen Quellen, wie einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, zweifelsfrei bekannt ist. Die Information muss alle Angaben enthalten, die es dem Betroffenen erlauben, die Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorgehens zu erkennen [Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 80 FPG 2005 Anmerkung 10 (Stand 1.3.2016, rdb.at)].

Der Beschwerdeführer hat entgegen der Stellungnahme des Bundesamtes vom 11.08.2020 mit dem Schubhaftbescheid vom 08.04.2020 keine Kenntnis von der Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 80 Abs. 4 FPG erlangt.

3.6. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aufgrund der Aktenlage und des Inhaltes der Stellungnahmen der belangten Behörde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.  

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Ausreisewilligkeit Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Haftfähigkeit Heimreisezertifikat Kooperation Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Untertauchen unverhältnismäßige Verlängerung Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W283.2206705.4.00

Im RIS seit

28.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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