TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/12 W171 2199067-1

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Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z1
BFA-VG §22a Abs1 Z2
BFA-VG §34 Abs3 Z3
BFA-VG §40 Abs1 Z1
BFA-VG §7 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46 Abs1 Z2
FPG §46 Abs1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W171 2199067-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX alias XXXX , geboren XXXX alias XXXX Staatsangehörigkeit Armenien, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH, gegen die Festnahme, Anhaltung in Verwaltungsverwahrungshaft und Abschiebung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 iVm § 34 Abs. 3 Z 3 iVm § 40 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen die Abschiebung wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 46 Abs. 1 Z 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z 3 und Z 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 852,40 (bestehend aus € 426,20 hinsichtlich des Obsiegens im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung sowie € 426,20 im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen die Abschiebung) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die – zum damaligen Zeitpunkt minderjährige – Beschwerdeführerin (in Folge: BF) reiste zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt in Österreich ein und stellte, vertreten durch ihre Eltern, am 28.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 19.12.2014 abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung gegen die BF erlassen.

1.2. Die BF wurde – nach der negativen erstinstanzlichen Asylentscheidung vom 19.12.2014 – mit Mitteilung vom 22.12.2014 von der Behörde über ihre Verpflichtung zur Ausreise und die Möglichkeit der Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen sowie einer Abschiebung informiert. Die gesamte Familie kam dieser Ausreiseverpflichtung nicht nach.

1.3. Die gegen den abweisenden Bescheid erhobene Beschwerde der BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 08.05.2015 abgewiesen. Das Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

1.4. In weiterer Folge leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ein. Ein solches konnte jedoch seitens Armeniens nicht ausgestellt werden, da die BF unter den angeführten Personendaten in Armenien nicht bekannt war. Aufgrund der faktischen Undurchführbarkeit der Abschiebung erhielt die BF eine von 20.09.2016 bis 19.09.2017 gültige Duldungskarte iSd § 46a Abs. 1 Z 3 FPG.

1.5. Am 14.09.2017 stellte die BF einen Antrag auf Verlängerung der Duldungskarte.

1.6. Nachdem sich in einem – hinsichtlich des Bruders der BF geführten – Ermittlungsverfahren ergab, dass dieser in Armenien unter anderen als den im Verfahren angegebenen Daten geführt wurde und dieser am 24.08.2017 nach Armenien abgeschoben wurde, leitete die Behörde auch für die BF erneut ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ein. Das BFA ermittelte, dass die BF ebenfalls unter abweichenden Personendaten in Armenien registriert war. Die armenische Botschaft stellte daraufhin am 03.04.2018 für die BF sowie deren Eltern Heimreisezertifikate aus.

1.7. In der Zeit ihres Aufenthalts in Österreich war die BF in verschiedenen Grundversorgungsunterkünften gemeldet. Die letzte dieser Unterkünfte verließ sie ohne Angabe von Gründen und war ab 12.04.2018 in einer Privatunterkunft in Tirol gemeldet.

1.8. Am 08.05.2018 erging ein Festnahmeauftrag des BFA gemäß § 34 Abs. 3 Z. 3 BFA-VG i.V.m § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zum Zweck der Abschiebung der BF. Am selben Tag erließ die Behörde auch einen Auftrag für die Abschiebung der BF am 14.05.2018 nach Armenien.

1.9. Der Antrag der BF auf Verlängerung der Duldungskarte wurde mit Bescheid des BFA vom 09.05.2018 abgewiesen.

1.10. Am 12.05.2018 wurde die BF an ihrer Meldeadresse festgenommen und befand sich daraufhin bis zu ihrer Abschiebung am 14.05.2018 in Verwaltungsverwahrungshaft. Mit am 12.05.2018 persönlich übernommenem Schreiben wurde die BF über ihre bevorstehende Abschiebung vom 14.05.2018 informiert. Sie wurde am 14.05.2018 nach Armenien abgeschoben.

1.11. Mit Schriftsatz vom 22.06.2018 erhob die BF durch ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter Beschwerde gegen die oben angeführten Maßnahmen der Festnahme, Anhaltung und Abschiebung. Diese seien gesetzlich nicht gedeckt gewesen und insbesondere habe die Behörde keine Neubeurteilung des Privat- und Familienlebens der BF im Inland vorgenommen, welches sich seit der Rückkehrentscheidung im Jahr 2014 stark verändert habe. Die BF habe inzwischen einen Lebensgefährten mit dem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“, den sie nach traditionellem Ritus geehelicht habe. Die möglicherweise falschen Angaben der Eltern der BF den Behörden gegenüber, seien der BF nicht zurechenbar. Zudem habe die Behörde eine gesetzlich vorgesehene Verständigungspflicht verletzt und die abweisende Entscheidung des Antrags der BF auf Verlängerung ihrer Duldungskarte sei erst mit 15.05.2018 erfolgt. Die BF beantragte die Rechtswidrigerklärung der genannten Maßnahmen, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie Kostenersatz.

1.12. Das BFA legte dem BVwG die gegenständliche Beschwerde vor und erstattete weiters am 25.06.2018 hiezu eine Stellungnahme, wobei es beantragte, die Rechtmäßigkeit der gesetzten Maßnahmen zu bestätigen und der BF den Ersatz der Kosten der Behörde aufzuerlegen. Im Wesentlichen begründete das BFA dies damit, dass die BF unter falscher Identität im Inland gelebt habe, nach Klärung der Sachlage ein Heimreisezertifikat erlangt werden konnte und somit kein Grund mehr für die Verlängerung ihrer Duldungskarte vorgelegen sei. Vielmehr habe sich die BF seit der zweitinstanzlich bestätigten Rückkehrentscheidung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.

1.13. Mit Schriftsatz der Rechtsvertretung vom 22.07.2020 wurde bei Gericht ein Fristsetzungsantrag eingebracht und die gegenständliche Beschwerde um ein bereits im Verfahren zur Verlängerung der Duldung erstattetes Vorbringen zu Art. 8 EMRK ergänzt.

1.14. Eine gegen den negativen Bescheid zur Verlängerung der Duldung eingebrachte Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2020 abgewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person und zum Verfahren:

1.1. Die BF reiste zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und stellte, vertreten durch ihre Eltern, am 28.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2015 zweitinstanzlich abgewiesen. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

1.2. Die BF ist nicht österreichische Staatsbürgerin und daher Fremde im Sinne des § 2 Absatz 4 FPG. Sie ist armenische Staatsangehörige.

1.3. Die Eltern der BF machten vor den Behörden unrichtige Angaben hinsichtlich der Identität der BF. Aus diesem Grund konnte zunächst kein Heimreisezertifikat für die BF erlangt werden.

1.4. Das BFA ging von faktischer, nicht von der BF zu vertretender, Unmöglichkeit der Abschiebung aus und stellte ihr daher eine von 20.09.2016 bis 19.09.2017 gültige Duldungskarte aus. Die BF verfügte zu keiner verfahrensgegenständlichen Zeit über ein Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.5. Am 14.09.2017 beantragte die BF die Verlängerung der Duldungskarte. Das BFA wies den Antrag mit Bescheid vom 09.05.2018 ab. Die Abweisung wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 27.07.2020 bestätigt.

1.6. Bei der BF lagen zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor.

1.7. In der Zeit ihres Aufenthalts in Österreich war die BF in verschiedenen Grundversorgungsunterkünften gemeldet. Die letzte dieser Unterkünfte verließ sie ohne Angabe von Gründen. Die BF war ab 12.04.2018 an der Wohnadresse ihres Lebensgefährten, und dessen Familie gemeldet. Zumindest bis Oktober 2017 lebte derselbe mit seiner vorigen Lebensgefährtin an dieser Adresse. Nicht festgestellt werden kann, dass die BF mit ihrem Lebensgefährten „traditionell“ vermählt wurde. Die BF ging die Beziehung zu einem Zeitpunkt ein, in dem sie sich ihres unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet bewusst war.

2. Zu den Voraussetzungen der Festnahme, Anhaltung in Verwaltungsverwahrungshaft und Abschiebung:

2.1. Das Asylverfahren der BF ist abgeschlossen. Zum Zeitpunkt der Festnahme, Anhaltung und Abschiebung lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

2.2. Zum Zeitpunkt der Festnahme, Anhaltung und Abschiebung lagen überdies ein gültiges Heimreisezertifikat, ein Festnahmeauftrag sowie ein Abschiebeauftrag hinsichtlich der BF vor.

2.3. Die BF war hafttauglich.

2.4. Sie war nicht gewillt nach Armenien auszureisen.

2.5. Die BF war in Armenien unter einem anderen als dem vor den Behörden angegebenen Namen registriert. Die armenischen Behörden stellten am 03.04.2018 ein bis 31.07.2018 gültiges Heimreisezertifikat für die BF aus, welches auf die nunmehr durch die armenischen und österreichischen Behörden neu ermittelten Identitätsdaten lautete. Die BF hielt sich seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung unrechtmäßig und unter falschem Namen im Bundesgebiet auf. Sie war sich der Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes spätestens ab 20.09.2016 bewusst.

2.6. Am 08.05.2018 erließ das BFA einen Abschiebeauftrag für die Abschiebung der BF am 14.05.2018 nach Armenien. Am selben Tag erließ die Behörde auch einen Festnahmeauftrag, demzufolge die BF gem. § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zum Zweck der – bereits organisierten – Abschiebung festzunehmen war.

2.7. Die BF wurde am 12.05.2018 in Vollziehung des aufrechten Festnahmeauftrags gemäß § 40 iVm § 34 BFA-VG an ihrer Meldeadresse von Polizeibeamten festgenommen und in einen Arrestraum verbracht. Am selben Tag wurde die BF zur amtsärztlichen Untersuchung in ein PAZ verbracht.

2.8. Ebenfalls am 12.05.2018 wurde die BF schriftlich über die geplante Abschiebung am 14.05.2028 informiert.

2.9. Die BF befand sich von 12.05.2018, 06:15, bis 14.05.2018, 12:15, in Verwaltungsverwahrungshaft und wurde am letztgenannten Tag gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Luftweg nach Armenien abgeschoben.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang wie auch Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des BFA sowie der hg. Akten des BVwG.

2.1. Zur Person und zum Verfahrensgang (1.1.-1.7.):

Die Feststellungen in 1.1. ergeben sich aus dem diesbezüglich übereinstimmenden Vorbringen beider Verfahrensparteien. Die Nationalität der BF (1.2.) blieb ebenfalls unbestritten und wird durch das im Akt einliegende Heimreisezertifikat belegt.

Das erkennende Gericht erachtet es als erwiesen, dass die Eltern der BF deren wahre Identität zu verschleiern suchten und aufgrund dessen die Erlangung eines Heimreisezertifikates zunächst missglückte (1.3.). Dass die Eltern der BF vor den Behörden unrichtige Angaben hinsichtlich deren Identität machten bestritt der Rechtsvertreter (in Folge: BFV) in der Beschwerdeschrift ohnedies nicht. Dieser wandte lediglich ein, dass die Behörde die „möglicherweise“ falschen Angaben der Eltern der BF nicht zu ihren Lasten zurechnen könne. Weder der Bruder mit Familie noch die Eltern oder die BF selbst konnten unter den angeführten Daten als armenische Staatsbürger identifiziert werden. Es war sohin davon auszugehen, dass die für die BF bzw. von der BF gemachten Angaben tatsächlich falsch waren um eine Ausreise nach Armenien zu verhindern.

Die Ausstellung der Duldungskarte für den genannten Zeitraum sowie der Grund für die Ausstellung sind unbestritten (1.4.). Dass die BF zu irgendeiner Zeit über ein Aufenthaltsrecht in Österreich verfügte wurde von der BFV weder vorgebracht noch in irgendeiner Weise belegt, es wurde lediglich auf die zunächst erfolgte Duldung verwiesen.

Der Antrag auf Verlängerung der Duldungskarte zu dem angeführten Datum bestätigt sich aus dem Akteninhalt. Der entsprechende Bescheid liegt im Akt ein und ist mit 09.05.2018 datiert. Die Bestätigung der Abweisung durch das BVwG ist aktenkundig (1.5.).

Aus dem gesamten Akteninhalt ergeben sich keine gesundheitlichen Einschränkungen der BF (1.6.), insbesondere scheint auch nichts in der Anhaltedatei auf, in welcher gesundheitliche Beeinträchtigungen sowie etwaige ärztliche Kontrollen in aller Regel dokumentiert werden. Zudem wurde die BF, wie festgestellt, kurz nach ihrer Festnahme amtsärztlich untersucht.

Dass die BF sich nach der negativen Asylentscheidung in Österreich in verschiedenen Grundversorgungsquartieren und schließlich an der Wohnadresse ihres Lebensgefährten aufhielt (1.7.) ist unstrittig und ergibt sich auch aus dem ZMR. Die weiteren Feststellungen in 1.7. gründen sich auf einen vorliegenden Auszug aus dem IZR, betreffend den Lebensgefährten der BF, sowie auf einen Abschlussbericht einer LPD vom 16.05.2018 an die Staatsanwaltschaft. Aus Letzterem ergibt sich insbesondere die Beziehung zu dessen voriger Lebensgefährtin. Dass die BF mit ihm eine Beziehung führte, wurde vom BFV vorgebracht und kann im Hinblick darauf, dass die BF zu ihm zog als ausreichend erwiesen angenommen werden. Eine – wie immer geartete – Eheschließung konnte mangels Nachweisen nicht festgestellt werden. Auch geht aus dem bereits erwähnten Abschlussbericht vom 16.05.2018 klar hervor, dass der Lebensgefährte der BF im Sommer 2017 bereits eine gleich geartete Eheschließung mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin vollzogen haben soll.

2.2. Zu den Voraussetzungen der Festnahme und Anhaltung in Verwaltungsverwahrungshaft sowie zur Abschiebung (2.1. bis 2.9.):

Das Vorliege einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung nach Armenien entspricht dem übereinstimmenden Parteienvorbringen.

Die in 2.2. genannten Dokumente sind Inhalt des behördlichen Aktes.

Hinsichtlich der Hafttauglichkeit der BF (2.3.) kann auf die Ausführungen zu 1.6. verwiesen werden.

Dass die BF nicht gewillt war auszureisen (2.4.) ergibt sich aufgrund der Tatsache, dass sie auch nach erlangter Volljährigkeit selbst auch keine Ausreise anstrebte und einen Antrag auf Verlängerung der Duldungskarte stellte. Zudem zog sie noch kurz vor der Abschiebung zu ihrem Lebensgefährten. Für das Gericht ergibt sich daher, dass die BF in Österreich bleiben wollte.

Zu der Feststellung hinsichtlich des Aufenthalts unter falschem Namen (2.5.) ist zum einen auf die Beweiswürdigung zu 1.3. sowie die im Akt befindliche Kopie des Heimreisezertifikates der BF zu verweisen und weiters festzuhalten: Die BF erhielt mit 20.09.2016 eine Duldungskarte, welche auf den angegebenen falschen Namen lautete. Zwar mögen die Eltern die Angaben gemacht haben, jedoch erhielt die BF die Karte selbst, da diese in erster Linie zum Identitätsnachweis und als Nachweis dient, dass die innehabende Person im Inland geduldet ist, falls es zu behördlichen Kontrollen kommt. Zum Zeitpunkt des Erhalts der Karte war die BF sechzehn Jahre alt. Eine Person in diesem Alter ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung jedenfalls bereits im Stande zu verstehen, dass es sich dabei um ein fremdenbehördliches Dokument handelte und der angegebene Name sowie das Geburtsdatum nicht das ihre waren. Somit musste sie sich ab diesem Zeitpunkt bewusst sein, dass sie sich unter falscher Identität – und unrechtmäßig – im Inland aufhielt.

Die in 2.6. angeführten behördlichen Aufträge liegen allesamt im Akt, die entsprechenden Angaben sind auch nicht strittig.

Die Festnahme sowie die Verbringung der BF in diverse Polizeianhaltezentren (2.7.) ergibt sich aus der im Akt enthaltenen behördlichen Korrespondenz sowie aus dem Auszug aus der Anhaltedatei.

Das in 2.8. erwähnte – von der BF datierte und unterschriebene – Schriftstück liegt dem erkennenden Gericht ebenfalls vor.

Haftdauer sowie Abschiebeumstände (2.9.) sind ebenso unstrittig und gehen aus der Anhaltedatei hervor.

3. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen. Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden. Von einer Einvernahme der in der Beschwerdeergänzung beantragten Zeugen konnte Abstand genommen werden. Eine Prüfung der an sich bereits im Duldungsbeschwerdeverfahren nicht bezweifelten ersten Integrationsschritte der BF wären Gegenstand eines allfälligen Verfahrens nach §§ 55 bzw. 57 AsylG. und nicht im Rahmen des gegenständlichen Maßnahmenbeschwerdeverfahren vorzunehmen. Siehe in diesem Zusammenhang jedoch die hg. Ausführungen auf Seite 20 im Hinblick auf die Abstandnahme von einer Einvernahme von Zeugen zu diesem Beweisthema.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit

Rechtsgrundlagen:

Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idgF, lautet auszugsweise:

"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt. (...)"

Der mit "Bundesverwaltungsgericht" betitelte § 7 Abs. 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

"§ 7. (1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,

2. Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und

5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2."

Judikatur:

Während der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung VwGH 26.1.2001, 2000/02/0340, zu § 72 Abs. 1 FrG 1997 noch davon ausging, dass mit Anhaltung nur die Anhaltung in Schubhaft gemeint war, subsumierte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwGH 19.5.2011, 2009/21/0214, zu § 82 Abs. 1 FPG aF eine Anhaltung ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides ausdrücklich unter § 82 Abs. 1 Z 2 FPG, weil diese Bestimmung nicht nur für Beschwerden gegen die Anhaltung in Schubhaft, „sondern für jede Beschwerde, die sich gegen eine auf das FPG gestützte Anhaltung richtet,“ zur Verfügung stand. Gleiches hat auch für die Anfechtungsbefugnis gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG zu gelten, der ausweislich der Erläuterungen (RV 2144 BlgNR 24. GP) § 82 Abs. 1 FPG aF entspricht (vgl. Szymansiki, § 22a BFA-VG Anm. 1, in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, 2014).

Rechtlich folgt:

Aus der Beschwerde geht klar hervor, dass sie sich gegen die Festnahme und Anhaltung der Beschwerdeführerin richtet; es liegt daher eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 2 BFA-VG vor. Die BF wurde aufgrund eines auf § 34 Abs. 3 Z 3 gestützten Festnahmeauftrags festgenommen, in der Folge angehalten und schließlich abgeschoben. Es handelte sich um Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt. Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung über die gegenständlichen Beschwerden zuständig.

3.2. Zu Spruchteil A)

3.2.1. Spruchpunkt I. – Festnahme und Anhaltung von 12.05.2018 bis 14.05.2018:

Rechtsgrundlagen:

Der mit „Festnahme“ betitelte Abs. 1 des § 40 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 70/2015 lautet:

„(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,
1.         gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,
2.         wenn dieser Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt oder
3.         der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

(…)

(4) Das Bundesamt ist ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der Abs. 1 Z 2 und 3 und Abs. 2 bis zu 48 Stunden und in den Fällen des Abs. 1 Z 1 bis zu 72 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur gemäß § 77 Abs. 5 FPG oder in Schubhaft gemäß § 76 FPG möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen.

(…)“

Der mit „Festnahmeauftrag“ betitelte § 34 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet auszugsweise:

(...) (3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,
1.         wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;
2.         wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;
3.         wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder (...)

(5) Der Festnahmeauftrag ergeht in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt; er ist aktenkundig zu machen. Die Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrages darf 72 Stunden nicht übersteigen und ist nach Durchführung der erforderlichen Verfahrenshandlungen zu beenden. (Anm.: Z 3 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)“

Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Abs. 1 lit. a bis f und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden. Art. 1 PersFrBVG gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art. 1 Abs. 2 PersFrBVG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Nach Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG darf die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

Judikatur:

Die gesonderte Anfechtung eines Festnahmeauftrages kommt jedenfalls nach vollzogener Festnahme schon zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten nicht in Betracht (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0025); bei der Überprüfung der Festnahme ist allerdings zu prüfen, ob die Festnahme rechtswidrig war, weil der zugrundeliegende Festnahmeauftrag nicht hätte ergehen dürfen oder weil er jedenfalls vor seinem Vollzug zu widerrufen gewesen wäre (VwGH 25.10.2012, 2010/21/0378).

Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der § 40 Abs. 1 Z 1 gemäß Abs. 4 BFA-VG bis zu 72 Stunden zulässig. Dabei handelt es sich aber – wie bei § 39 FPG (vgl. VwGH 12.09.2013, 2012/21/0204) – um eine Maximalfrist. Auch im Bereich fremdenpolizeilicher Festnahmen ist die Behörde schon aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, die Anhaltedauer so kurz als möglich zu halten und im Interesse einer kurzen Haftdauer die dafür notwendigen und ihr zumutbaren organisatorischen und personellen Maßnahmen zu treffen.

Im Verfahren gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG ist die Frage der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme keiner Prüfung zu unterziehen (VwGH 27.03.2007, 2007/21/0019; 31.08.2006, 2004/21/0138), ebenso wenig die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Beachtlich ist vielmehr im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Festnahme und Anhaltung, ob die belangte Behörde bei Setzung dieser Maßnahme realistischer Weise mit der tatsächlichen Durchführung der Abschiebung rechnen durfte.

Rechtlich folgt:

Die BF wurde am 12.05.2018 von Polizeibeamten gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG iVm § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG in Vollziehung des am 08.05.2018 erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen und in der Folge bis zu ihrer Abschiebung in Verwaltungsverwahrungshaft angehalten. Der Abschiebeauftrag für den 14.05.2018 war ebenfalls am 08.05.2018 erlassen worden. Es besteht daher kein Zweifel, dass die Sicherheitsorgane mit der Festnahme und der Anhaltung der BF bis zur Abschiebung am 14.05.2018 entsprechend den Aufträgen des Bundesamtes handelten (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0025). Es sind auch keine Gründe ersichtlich, warum die Rückkehrentscheidung aus dem Jahr 2015 – wie vom BFV vorgebracht – „obsolet“ sein sollte. Die Entscheidung erwuchs zweitinstanzlich in Rechtskraft, woran sich weder aufgrund der einstweilen verstrichenen Zeit noch der zwischenzeitlich gewährten Duldung etwas änderte (siehe dazu Ausführungen zu Punkt 3.2.2.). Die BF wurde auch über die Verpflichtung zur Ausreise informiert. Warum das an sie adressierte Schreiben ihr nie zur Kenntnis gelangt sein sollte, wurde nicht schlüssig vorgebracht. Aus der Argumentation des BFV ist daher für die behauptete Rechtswidrigkeit der gesetzten Maßnahmen nichts zu gewinnen. Diese hinderten weder die Erlassung eines Festnahmeauftrages, noch die Anhaltung (und auch nicht die Abschiebung) der BF. Im Zeitpunkt der Festnahme lagen – wie festgestellt – sowohl eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme als auch ein Abschiebeauftrag betreffend die BF vor. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG waren somit erfüllt.

Die BF wurde am 12.05.2018 auf Basis eines Festnahmeauftrags gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen. Sie befand sich von 12.05.2018, 06:15, bis 14.05.2018, 12:15, und somit exakt 56 Stunden in Verwaltungsverwahrungshaft. § 40 Abs. 4 BFA-VG besagt, dass die Anhaltung eines Fremden in den Fällen des Abs. 1 Z 1 (Vorliegen eines Festnahmegrundes) bis zu 72 Stunden zulässig ist. Gegen die BF bestand ein aufrechter und auf einen Festnahmegrund gestützter Festnahmeauftrag. Die Anhaltung lag daher innerhalb des gesetzlich normierten Rahmens. Im Hinblick auf das vorliegende Heimreisezertifikat und die bereits geplante Abschiebung konnte das BFA auch mit der alsbaldigen Durchsetzung der Abschiebung rechnen. Die Dauer der Anhaltung war damit nicht unverhältnismäßig. Die BF hielt sich bewusst jahrelang unrechtmäßig im Bundesgebiet auf (siehe Ausführungen zur Duldung in 3.2.2.). Sie kam ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach. Zuletzt verließ die BF ihr Grundversorgungsquartier ohne Angabe von Gründen. Sie gab zu keinem Zeitpunkt ihre wahre Identität bekannt – im Gegenteil stellte sie, kurz vor Eintritt ihrer Volljährigkeit, einen Antrag auf Verlängerung ihrer auf die falsche Identität lautenden Duldungskarte. Die Festnahme der BF war daher zur Durchführung iSd oben zitierten Verfassungsbestimmungen auch notwendig.

Es ist daher – auch vor dem Hintergrund der tatsächlich erfolgten Abschiebung innerhalb der für die Anhaltung im Rahmen der Festnahme vorgesehenen Höchstfrist – der belangten Behörde nicht vorzuwerfen, wenn sie davon ausging, dass die Abschiebung tatsächlich in Frage kam und innerhalb der vorgesehenen Frist bewerkstelligt werden konnte (vgl. zur Schubhaft VwGH 26.09.2007, 2007/21/0253; 23.10.2008, 2006/21/0128; 11.06.2013, 2013/21/0024).

Hinsichtlich der Beschwerde gegen die Festnahme und die darauf gestützte Anhaltung war somit spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.2.2. Spruchpunkt II. – Abschiebung

Rechtsgrundlagen:

§ 46 StF BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) „Abschiebung“ idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet auszugsweise:

„(1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind. (...)

(4) Liegen bei Angehörigen (§ 72 StGB) die Voraussetzungen für die Abschiebung gleichzeitig vor, so hat das Bundesamt bei der Erteilung des Auftrages zur Abschiebung Maßnahmen anzuordnen, die im Rahmen der Durchführung sicherstellen, dass die Auswirkung auf das Familienleben dieser Fremden so gering wie möglich bleibt. (...)“

§ 46a Fremdenpolizeigesetz idgF, „Duldung“, lautet auszugsweise:

„(1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange
1.         deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;
2.         deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;
3.         deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder
4.         die Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;

es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. (...)

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er
1.         seine Identität verschleiert,
2.         einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3.         an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen „Republik Österreich“ und „Karte für Geduldete“, weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn
1.         deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;
2.         die Voraussetzungen der Duldung im Sinne des Abs. 1 nicht oder nicht mehr vorliegen;
3.         das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder
4.         andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet.“

§ 31 FPG idgF, betitelt mit „Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet“ lautet auszugsweise:

㤠31. (...)

(1a) Liegt kein Fall des Abs. 1 vor, halten sich Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf; dies insbesondere, wenn sie (...)
3.         geduldet sind (§ 46a) (...)“

Judikatur und Gesetzesmaterialien:

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung ist auf den Zeitpunkt ihres Vollzugs abzustellen (VwGH 29.06.2017, Ra 2017/21/0089; vgl. VwGH 20.12.2013, 2012/21/0118).

§ 46 Abs 1 Z 3 FPG sieht keine unbedingte Abschiebeverpflichtung vor (VwGH 28.01.2016; Ra 2015/21/0232; 29.06.2017, Ra 2017/21/0089), sondern stellt die Abschiebung in behördliches Ermessen (VwGH 23.10.2008, 2007/21/0335; 20.10.2011, 2010/21/0056).

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebung kommt es nach § 46 Abs. 1 FPG nicht nur auf das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Entscheidung, sondern auch auf die Erfüllung einer der in den § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Tatbestandsvoraussetzungen an (VwGH 20.10.2011, 2010/21/0056).

Auszug aus Vorblatt und Erläuterungen zu ME XXIV. GP, Änderungen zu (ua) FPG 2005:

„Die tatsächliche Unmöglichkeit soll naturgemäß nur dann zu einer Duldung führen, wenn die Hinderungsgründe nicht im Einflussbereich des Fremden liegen. Abs. 1 wird demnach beispielsweise auf Fremde, die ihren Herkunftsstaat verheimlichen um die Abschiebung zu verhindern, nicht anwendbar sein. § 31 Abs. 1a bestimmt ausdrücklich, dass es sich bei einer Duldung nicht um einen rechtmäßigen Aufenthalt handelt. Die Duldung soll damit klarerweise kein Aufenthaltsrecht darstellen, sondern lediglich zum Ausdruck bringen, dass der Fremde nicht abgeschoben werden kann. Abs. 2 bestimmt, dass diesen Fremden eine entsprechende „Karte für Geduldete“ ausgestellt werden kann. (...) Abs. 2 regelt weiters, dass die Karte dem Nachweis der Identität des Fremden dient und welche Informationen die Karte zu enthalten hat. In einer Zusammenschau der §§31 Abs.1a und 46 Abs.1 ist auch evident, dass diese Karte kein Recht dokumentiert. Abs. 3 regelt die Gültigkeitsdauer und normiert die Entziehungsgründe. Die Karte ist naturgemäß insbesondere dann zu entziehen, wenn die Voraussetzungen für die Duldung nicht mehr vorliegen (Z 2). Damit soll gewährleistest werden, dass diese Fremde zumindest über ein Identitätsdokument verfügen und damit nicht ohne gültigen Ausweis von der Fremdenpolizeibehörde aufgegriffen werden.“

Auszug aus Erläuterungen zu Ministerialentwurf, ME XXV. GP, Änderung des § 46a FPG: „(...) Schon bisher ergibt sich aus § 31 Abs. 1a Z 3, dass ein Fremder, dessen Aufenthalt geduldet ist, unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist, und zwar unabhängig davon, auf welcher Ziffer des § 46a Abs. 1 die Duldung jeweils beruht. Kehrseite eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet ist jedoch regelmäßig die Ausreiseverpflichtung des Fremden, mag diese aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nicht mittels Abschiebung vollstreckt werden können. Die vorgeschlagene Änderung soll diesen Zusammenhang deutlicher zum Ausdruck bringen, als dies bisher der Fall war. Sie ist zum Zwecke der Klarstellung auch insofern angezeigt, als nach der jüngeren Rechtsprechung die Duldung (bzw. das der Duldung zugrunde liegende Abschiebungsverbot oder Abschiebungshindernis) hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Fortbestand einer bestehenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. auf die Zulässigkeit der Erlassung einer solchen Maßnahme, insbesondere einer Rückkehrentscheidung, den Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 gleichgestellt bzw. angenähert wird (zB. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0101; 04.08.2016, Ra 2016/21/0209). Insofern wird auf die Erläuterungen zu den vorgeschlagenen Änderungen in §§ 8 Abs. 3a, 9 Abs. 2 und 10 Abs. 1 AsylG 2005, § 21 Abs. 2a Z 3 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 verwiesen.“

Auszug aus den Erläuterungen zum Ministerialentwurf, 279/ME XXV. GP, zum FRA?G 2017, Änderung zu § 58 Abs. 2 FPG:
„In Abs. 2 war bisher ausdru?cklich festgeschrieben, dass ein Fremder, dessen Asylantrag zuru?ck- oder abgewiesen wurde und gegen den eine durchsetzbare Ru?ckkehrentscheidung erlassen wurde, nachweislich u?ber den festgelegten Abschiebetermin zu informieren ist. (...) In unionsrechtlicher Hinsicht besteht keine Notwendigkeit fu?r eine derartige Informationsverpflichtung und hat sich die Anku?ndigung eines konkreten Abschiebetermins in der Praxis fu?r die effektive Durchsetzung einer Abschiebung oftmals als hinderlich erwiesen. Vor diesem Hintergrund entfa?llt daher Abs. 2. Die in Abs. 1 vorgesehene Verpflichtung, den Fremden bei Erlassung einer Ru?ckkehrentscheidung u?ber seine Pflicht zur unverzu?glichen oder fristgerechten Ausreise zu informieren und auf Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung hinzuweisen, bleibt unvera?ndert im Rechtsbestand. Der Entfall der gesetzlichen Verpflichtung hindert die Beho?rde naturgema?ß nicht daran, wenn es zweckma?ßig erscheint, betroffene Fremde weiterhin u?ber den anstehenden Abschiebetermin zu informieren.“

Rechtlich folgt:

Wie bereits erläutert, lag im Zeitpunkt der Abschiebung eine rechtskräftige und aufrechte Rückkehrentscheidung gegen die BF vor. Zudem treffen im konkreten Fall Z 2 und 3 des Abs. 1 des § 46 FPG als Abschiebungsgrundlage für die BF zu. Die BF kam zum Zeitpunkt der Erlassung des Festnahmeauftrages, der Organisation der Abschiebung sowie beim Vollzug der Festnahme und der Abschiebung ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet. Das Gericht verkennt nicht, dass die BF in einem Teil des Aufenthaltszeitraumes minderjährig war, jedoch unternahm sie auch nach erlangter Volljährigkeit keinerlei Anstalten das Land zu verlassen, da sie erst kürzlich einen Antrag auf Verlängerung der Duldungskarte stellte und knapp einen Monat vor der durchgeführten Abschiebung mit ihrem Lebensgefährten zusammenzog. Es war sohin auch in weiterer Folge davon auszugehen, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen würde. Die BF war evidenter Maßen nicht zu einer (freiwilligen) Rückkehr nach Armenien bereit.

Wie in den genannten Normen und insb. zitierten Erläuterungen zu § 46a FPG mehrfach eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, begründet die Ausstellung einer Duldungskarte kein Aufenthaltsrecht. Vielmehr ist der oder die Fremde nach wie vor unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und die Ausreiseverpflichtung bleibt unberührt aufrecht. Die Duldungskarte dient lediglich als Identitätsnachweis und der Vorbeugung von Unklarheiten bei (insb.) fremdenrechtlichen Kontrollen. Fällt der Hinderungsgrund weg, ist die Karte zu entziehen. Im vorliegenden Fall konnte die Behörde ein Heimreisezertifikat erwirken, da sie die wahre Identität der BF feststellen konnte. Die Eltern der BF, und in weiterer Folge auch die BF selbst, verschleierten deren wahre Identität, sodass ein der BF zurechenbarer faktischer Grund für die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung vorlag. Wenn der BFV vorbringt etwaige falsche Angaben der Eltern seien der BF nicht zurechenbar, so geht dieses Argument ins Leere. Die BF war zum Zeitpunkt der Ausstellung der Karte eine mündige Minderjährige im Alter von 16 Jahren und damit jedenfalls in der Lage zu begreifen, dass sie sich unter falschem Namen im Bundesgebiet aufhielt und ihr Aufenthalt hier nicht rechtmäßig war. Auch stellte sie erneut einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte, wobei ihr jedenfalls die Unrichtigkeit der Angaben klar sein musste. Selbst wenn man von einer Zurechenbarkeit absieht, war jedenfalls zum Zeitpunkt der Abschiebung kein Duldungsgrund mehr gegeben. Ihr Antrag auf Verlängerung der Duldungskarte begründet kein Aufenthalts- oder Bleiberecht und stand somit der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht entgegen. Eine weitere Duldung, welche ohnehin nur die Unmöglichkeit der Abschiebung anzeigen sollte, kam aufgrund des nunmehr erlangten Heimreisezertifikates nicht mehr in Betracht.

Wider das Vorbringen in der Beschwerdeschrift musste die BF mit der bevorstehenden Abschiebung rechnen, da ihr Bruder erst einige Monate zuvor abgeschoben wurde, nachdem seine Identität ermittelt und ein Heimreisezertifikat erlangt werden konnte. Die Verpflichtung zur Ausreise wurde ihr – inklusive aller mit einer Nichtbefolgung zusammenhängenden möglichen Konsequenzen – mit Schreiben vom 24.12.2014 gesondert mitgeteilt. Die BF lebte bereits seit Jahren unter falscher Identität im Inland. Die Sachlage veränderte sich nur insofern, als inzwischen eine Abschiebung der BF auch faktisch durchführbar wurde.

Zu den vorgebrachten Angaben hinsichtlich des Privatlebens der BF, wonach diese inzwischen verheiratet sei und damit ein etabliertes Familienleben im Inland führe ist festzuhalten: Der Lebensgefährte der BF lebte noch einige Monate vor dem Zuzug der BF mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin am selben Wohnsitz. Seinen, und den Angaben seiner Eltern zufolge war er bereits mit dieser „traditionell verheiratet“. Dies seit Sommer 2017. Die Lebensgemeinschaft der BF konnte daher erst von kurzer Dauer sein. Auch wurde diese zu einem Zeitpunkt eingegangen als der BF bewusst war, dass ihr Aufenthalt in Österreich ein unrechtmäßiger war. Allein aus der Tatsache, dass der Lebensgefährte zur entsprechenden Zeit im Besitz eines Aufenthaltstitels war, ergibt sich kein Aufenthaltsrecht der BF. Ein Familienleben, welches nach Art 8 EMRK besonders berücksichtigt werden müsste, war nicht gegeben. Auch die Beziehung zu dem genannten Lebensgefährten stellte somit kein Abschiebehindernis dar. Vielmehr entsprach es dem Gesetz, dass die BF gemeinsam mit ihren Eltern abgeschoben wurde, hinsichtlich derer jedenfalls vom Bestehen eines familiären Verhältnisses ausgegangen werden konnte.

Nach dem Vorbringen des BFV verletzte die Behörde Informationspflichten, da sie die Rechtslage zum Zeitpunkt der Rückkehrentscheidung und damit § 58 Abs. 2 FPG idF BGBl. I Nr. 87/2012 anzuwenden gehabt hätte. Entgegen diesem Vorbringen wurde die BF jedoch nachweislich und schriftlich am 12.05.2018 über ihre bevorstehende Abschiebung informiert. Zudem wurde Abs. 2 leg. cit. im FRÄG 2017 ersatzlos gestrichen. Da diese Information im Zusammenhang mit einer Maßnahme (Abschiebung) erging, war nach der dargestellten Judikatur die Rechtslage im Zeitpunkt der Maßnahme erheblich, sodass die Behörde im vorliegenden Fall keine Verpflichtung zur Information über den Abschiebetermin traf. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts liegen somit keine Verletzungen von Informationsverpflichtungen durch die Behörde vor.

Das BFA ging zutreffend davon aus, dass die BF ihrer Ausreiseverpflichtung nicht zeitgerecht nachkam (§ 46 Abs. 1 Z 2 FPG) und konnte mit Recht befürchten, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung auch in Zukunft nicht nachkommen würde (§ 46 Abs. 1 Z 3 FPG). Eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung lag ebenfalls vor. Somit waren alle Voraussetzungen für die Abschiebung der BF gegeben und die Behörde machte rechtskonform Gebrauch von dem ihr eingeräumten Ermessen.

Auch diese Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

4. Zu Spruchpunkt III. und IV. – Kostenbegehren

Im gegenständlichen Verfahren wurde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG (Abschiebung) bzw. § 22a BFA-VG (Festnahme und Anhaltung) und § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG (Abschiebung) Beschwerde erhoben. Im vorliegenden Verfahren begehrten beide Parteien den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Richtet sich die Beschwerde gegen mehre, trennbare Verwaltungsakte, so steht für jeden dieser Verwaltungsakte Kostenersatz zu.

Hierzu führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 31.08.2017, Ro 2016/21/0014 aus, dass ein Anspruch auf Kostenersatz im Verfahren vor dem VwG unter anderem dann besteht, wenn sich eine Maßnahmenbeschwerde gegen mehrere Verwaltungsakte richtet und mit der Bekämpfung eines davon erfolgreich ist. Nach der - zu § 79a Abs. 7 AVG iVm § 52 Abs. 1 (und § 53 Abs. 1) VwGG idF vor Inkrafttreten des BGBl. I Nr. 33/2013 ergangenen - Judikatur (vgl. E 12. April 2005, 2004/01/0277) kommt es für den Ersatzanspruch des Beschwerdeführers darauf an, wie viele Verwaltungsakte er mit einer Maßnahmenbeschwerde erfolgreich angefochten hat. Bei der Ermittlung der Anzahl der Verwaltungsakte kann allerdings nicht allein darauf abgestellt werden, wie die zu Grunde liegende Beschwerde strukturiert ist und wie viele Einzelakte sie im Rahmen des bekämpften Amtshandelns zu erkennen vermeint. Wesentlich sind vielmehr die behördlichen Feststellungen über das angefochtene Verwaltungsgeschehen, anhand derer zu beurteilen ist, wie viele sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbare Akte, die einer isolierten Betrachtung zugänglich sind, vorliegen, wobei für diese Beurteilung auch der jeweils verfolgte Zweck der Amtshandlung(en) und die in Frage kommenden Rechtsverletzungen eine Rolle spielen. Diese Judikatur wurde auf den Anwendungsbereich des § 35 VwGVG 2014 übertragen (vgl. B 4. Mai 2015, Ra 2015/02/0070; E 16. März 2016, Ra 2015/05/0090).

Folglich ist zwischen den Verwaltungsakten Festnahme und Anhaltung auf der einen Seite, sowie der Abschiebung auf der anderen Seite als jeweils eigene Verwaltungsakte zu unterscheiden, da einer Abschiebung nicht zwangsweise eine Festnahme zur Verhängung der Verwaltungsverwahrungshaft in der Dauer von knapp 72 Stunden vorangeht.

Die BF unterlag mit ihren Beschwerden gegen Festnahme und Anhaltung sowie gegen die Abschiebung gleichermaßen. Ihr steht daher kein Kostenersatz zu. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen der Ersatz ihrer Aufwendungen für beide Beschwerden zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

6. Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Es sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Anhaltung Ausreisewilligkeit Duldung Festnahme Festnahmeauftrag Haftfähigkeit Heimreisezertifikat Identität Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz Kostenersatz - Antrag Obsiegen Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung unrichtige Angaben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2199067.1.00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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