TE OGH 2020/4/30 1Ob10/20g

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Veröffentlicht am 30.04.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H*, vertreten durch Dr. Andreas Nödl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, Wien 8, Rathaus, vertreten durch die Rudeck-Schlager Rechtsanwalts KG, Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. E* und 2. M*, beide *, vertreten durch die Lattenmayer, Luks & Enzinger Rechtsanwälte GmbH, Wien, und 3. DI G*, vertreten durch Mag. Daniel Richter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. Oktober 2019, GZ 14 R 88/19t-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. April 2019, GZ 33 Cg 22/18z-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Drittnebenintervenienten die mit jeweils 1.961,82 EUR (darin 326,97 EUR USt) und der Erst- und Zweitnebenintervenientin die mit 2.157,76 EUR (darin 359,63 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erwarb im Jahr 2012 eine Eigentumswohnung in Wien. Nach ihrem Vorbringen soll aufgrund eines Feuchtigkeitseintritts im Jahr 2016 hervorgekommen sein, dass es anlässlich des Dachgeschossausbaus (in den Jahren 2008 und 2009) zu einem Baumangel gekommen sei. Wegen der den Bauplänen nicht entsprechenden und nicht ausreichend tragfähigen Deckenkonstruktion sei die Erdbebensicherheit des Hauses nicht gewährleistet. Die ersten beiden Nebenintervenientinnen sind die (eingeantworteten) Erbinnen des zwischenzeitig verstorbenen Prüfingenieurs. Der Drittnebenintervenient ist der damalige Bauführer (§ 124 Abs 1 Wr BauO).

Mit ihrer Amtshaftungsklage begehrt die Klägerin die Feststellung der Haftung der Stadt Wien (für den ihr durch die mangelhafte Deckenkonstruktion zukünftig entstehenden Schaden). Der damals eingesetzte Prüfingenieur hätte diese Mängel erkennen müssen. Er wäre nach der Bauordnung für Wien (im Weiteren Wr BauO) verpflichtet gewesen, sie unverzüglich zu melden. Ein Prüfingenieur nach der Wr BauO nehme bei seiner Tätigkeit öffentlich-rechtliche Aufgaben als Organ der Stadt Wien wahr.

Die Beklagte und die Nebenintervenienten wendeten ein, der Prüfingenieur sei kein Organ der Behörde. Aus seinen Handlungen und Unterlassungen könnten daher auch keine Amtshaftungsansprüche abgeleitet werden. Sie bestritten das Vorliegen von Mängeln oder einer Pflichtverletzung des Prüfingenieurs und verneinten das Bestehen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen einer allfälligen Pflichtverletzung des Prüfingenieurs und dem geltend gemachten Schaden. Da die Herstellung des konsensgemäßen Zustands jedenfalls erforderlich gewesen sei, egal ob dem Prüfingenieur die Abweichungen vom Bauplan aufgefallen wären oder nicht, liege auch kein kausal verursachter Schaden vor.

Das Erstgericht wies die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es begründete dies damit, dass bloße Mangelschäden im Vermögen des Bauherrn nicht in den Schutzbereich der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften fielen; umso weniger könne ein Mangelschaden eines Käufers erfasst sein. Da die Bauordnung nur den Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren der Bauführung und der Gefahren, die von einem nicht fachgerecht errichteten Bauwerk ausgehen, bezwecke, müsse nicht beurteilt werden, ob der Prüfingenieur ein bei der Mitwirkung und Besorgung hoheitlicher Aufgaben tätiges Organ sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es verneinte letztlich – wie schon das Erstgericht – den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen den geltend gemachten Schäden und den Vorschriften der Bauordnung. Schäden an der potentiell schädigenden Bausubstanz selbst seien von deren Schutzzweck nicht umfasst. Die Klägerin sei Rechtsnachfolgerin der Verkäuferinnen und damit in deren Rechtsstellung eingetreten. Sie sei als Miteigentümerin nicht als am Bauwerk unbeteiligte Dritte bzw als gänzlich unbeteiligte „Allgemeinheit“ anzusehen.

An erster Stelle befasste es sich aber mit der Frage, ob der Prüfingenieur nach der Wr BauO bei seiner Tätigkeit als Organ der Baubehörde handle oder nicht. Es schloss sich dazu der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung, dass der Prüfingenieur nicht Organ sei, an. Dessen Aufgabe sei es nach den §§ 125, 127 Abs 3 der Wr BauO, zu überprüfen, ob die Bauführung tatsächlich der Baubewilligung entspricht, also konsensgemäß ist, und ob sie fachlich ordnungsgemäß (lege artis) erfolgt ist. Damit seien solche Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten zu erbringen, die grundsätzlich der Bauherr als Bauwerber selbst zu besorgen habe, die dieser aber mangels fachlicher Ausbildung und Qualifikation in der Regel nicht sinnvoll erbringen könne. Er übe dabei bloß eine Sachverständigentätigkeit aus, die darin bestehe, ähnlich wie ein Gerichtssachverständiger, einen Sachverhalt zu erheben, festzustellen und daraus aufgrund seines Fachwissens fachlich richtige Schlüsse zu ziehen. Die Klage scheitere schon daran, dass mangels Organstellung kein Amtshaftungsanspruch bestehe.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der Prüfingenieur nach der Wr BauO als Organ der Behörde tätig sei, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin hebt unter Hinweis auf die im Gesetz umschriebenen Aufgaben des Prüfingenieurs, insbesondere seine Unabhängigkeit und Verschiedenheit von Bauwerber und Bauführer samt seinen Meldepflichten (Anzeigepflichten) hervor. Sie unterstreicht, dass er in vielen Abschnitten einer Bauführung „die letzte Instanz“ sei, um Rechtswidrigkeiten zu erkennen und in der Folge beseitigen lassen zu können. Nur wenn Befunde des Prüfingenieurs nicht vorgelegt würden, werde die Behörde möglicherweise Bauteile zwecks nachträglicher Überprüfung freilegen lassen; wenn aber Befunde des Prüfingenieurs vorlägen, werde eine weitere behördliche Überprüfung in der Regel nicht mehr für notwendig erachtet. Der Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren der Bauführung liege demnach in den Händen der Prüfingenieure. Wenn sich aber die Baubehörde mit den vom Prüfingenieur vorgenommenen Überprüfungen der Bauausführung begnüge und auf eigene Kontrollmaßnahmen verzichte, so sei nicht daran zu zweifeln, dass der Prüfingenieur „in den hoheitlichen Meinungsbildungsprozess eingebunden“ worden sei.

2. Die Beklagte und die Nebenintervenienten halten dagegen, dass der Prüfingenieur nach den Gesetzesmaterialien (bloß) als Bindeglied zwischen dem Bauwerber, dem Bauführer und der Behörde fungiere. Er übe keine Tätigkeit aus, die eigentlich eine staatliche Aufgabe darstelle, vielmehr gebe er – ähnlich wie ein Gerichtssachverständiger – eine fachliche Expertise ab.

3.1. Es trifft zu, dass der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob der Prüfingenieur nach der Wr BauO (Stammfassung: LGBl 1930/11) Organ im Sinne des Amtshaftungsgesetzes ist, bisher nicht Stellung bezogen hat. In den Entscheidungen zu 1 Ob 232/05g und 8 Ob 95/16b musste diese Frage nicht beantwortet werden.

3.2. In der Literatur wird der Prüfingenieur überwiegend nicht für ein Organ gehalten. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass ihm keine Aufgaben der Baubehörde, sondern solche des Bauwerbers zukämen. In dessen Auftrag und auf dessen Kosten agiere er als Privatsachverständiger, weswegen er für einen durch ein unrichtiges Gutachten verursachten Schaden dem Bauwerber auch unmittelbar und persönlich hafte; Amtshaftung wird in diesem Zusammenhang abgelehnt (Geuder/Fuchs, Wiener Baurecht6 § 125 Anm 3; Fuchs, Die Haftung des Prüfingenieurs – keine Grundlage für Amtshaftung, bauaktuell 2017, 254 f [255]; Kirchmayer, Wiener Baurecht5 § 127 Anm 2. zu Abs 3; Moritz, Bauordnung für Wien6, § 127 Anm zu Abs 3; Wedenig, Das Verantwortungsfeld des gerichtlich beeideten Sachverständigen als Prüfingenieur und als Ersteller des Bauwerksbuches nach der Bauordnung für Wien, Sachverständige 2015, 78).

Funk/Kettenbach befassen sich in ihrem auf einem im Auftrag der Bundesinnung der Baugewerbe erstellten Rechtsgutachten beruhenden Beitrag (Ziviltechniker als Quasi-Beliehene, Privatisierung behördlicher Aufgaben durch die Verfahrensnovelle 1996 zur Wiener Bauordnung, ZfV 1997, 568 ff) in erster Linie mit dem durch die Verfahrensnovelle 1996 (Gesetz, mit dem die Bauordnung für Wien und das Wiener Garagengesetz geändert werden, LGBl Wien 1996/42) eingeführten vereinfachten Bewillligungsverfahren, letztlich aber auch mit der Neuregelung der Fertigstellungsanzeige. Sie führen aus, dass im Bereich der Baubewilligungen und der Benützungsberechtigung eine Privatisierung behördlicher Aufgaben erfolgt sei und der Ziviltechniker nicht als behördliches Organ tätig werde; vielmehr liege eine der Beleihung ähnliche Konstruktion („Quasi-Beleihung“) vor, die auch Elemente der Sachverständigentätigkeit enthalte.

Stoffl (Grenzen von Prüf-, Warn- und Überwachungspflichten beim Werkvertrag [2019] 175 f) und Pflaum/Buric (Die Haftung des Prüfingenieurs nach der Wiener Bauordnung, ZRB 2016, 103 [103 f]) bejahen dagegen die Organstellung des Prüfingenieurs, weil dieser im Interesse der Allgemeinheit und nicht des Bauwerbers tätig sei und öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrzunehmen habe.

3.3. In der Rechtsprechung wird die Frage nach einer Organstellung iSd § 1 Abs 1 AHG nach folgenden Kriterien beantwortet:

Im Kern kommt es für die Begründung der Organstellung darauf an, ob eine Person (auch eine juristische Person [vgl RIS-Justiz RS0124590]) hoheitliche Aufgaben zu besorgen hat (RS0049954; RS0049948; RS0087679 ua). Dann ist sie Organ – ungeachtet der Art des „Begründungsakts“ (Bestellung, Ernennung, Wahl, Vertrag [auch Werkvertrag: RS0049915]), der Dauer (auch bloß vorübergehend oder für den einzelnen Fall) (RS0087679), des zugewiesenen Verantwortungsgrads oder hierarchischen Rangs. Es ist dann nicht entscheidend, ob ihr Leitungs- oder Entscheidungsbefugnis bei Besorgung einer hoheitlichen Aufgabe zukommt (RS0087675).

„Private“ handeln nicht nur dann als Organe, wenn sie in Erfüllung hoheitlicher Aufgaben selbst Hoheitsakte setzen dürfen, sondern auch, wenn sie dies zwar nicht selbst zu tun haben, ihre Tätigkeit aber in der unterstützenden Mitwirkung bei der Besorgung hoheitlicher Aufgaben und Zielsetzungen besteht und sie in die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingebunden werden, um andere Organe bei Besorgung hoheitlicher Aufgaben zu unterstützen oder zu entlasten (RS0104351; RS0049972 [T2]; vgl auch RS0126997); dabei muss aber ein hinreichend enger innerer und äußerer Zusammenhang mit der hoheitlichen Aufgabe bestehen (1 Ob 75/15h; RS0049948; RS0049897).

3.4. Zur Tätigkeit des Prüfingenieurs:

Für die Beurteilung der rechtlichen Stellung des Prüfingenieurs ist die Entwicklung der Wr BauO (im Folgenden beziehen sich sämtliche Zitate auf diese), insbesondere die Intensivierung der Nachweispflicht der konsens- und fachgerechten Bauführung durch Bauführer und Bauwerber und vor allem die einschneidenden Veränderungen mit der Verfahrensnovelle LGBl 1996/42 zu beachten.

Vor Einführung des Prüfingenieurs mit LGBl 1992/34 war es der Bauführer, der für die Einhaltung des genehmigten Bauplans sowie aller Auflagen der Baubewilligung, der werksgerechten Bauausführung und für die Tauglichkeit der verwendeten Baustoffe und Konstruktionen sowie überhaupt für die Einhaltung aller auf die Bauführung bezughabenden Vorschriften dieses Gesetzes verantwortlich war (§ 125 Abs 1 lit a idF LGBl 1976/18). Ebenso waren bereits vor der Einführung des Prüfingenieurs (mit LGBl 1992/34) der Baubehörde im Zuge der Bauführung („Überprüfung während der Bauführung“) bestimmte Nachweise „von einem nach den für die Berufsausübung maßgeblichen Vorschriften hiezu Berechtigten“ zu erbringen (etwa über die Tragfähigkeit des Untergrundes vor Beginn der Herstellung der Fundamente bzw Bauarbeiten, ein Gutachten über das Ergebnis der Bodenuntersuchungen und andere Nachweise, § 127 Abs 1 idF LGBl 1976/18). Es konnte bereits damals gemäß § 127 Abs 7 dem Bauwerber von der Behörde aufgetragen werden, tragende Bauteile einer Probebelastung unterziehen zu lassen und das Gutachten eines Ziviltechnikers über die Tragfähigkeit oder das Prüfungszeugnis einer behördlich autorisierten Prüfanstalt vorzulegen, wenn anders der Nachweis über die ordnungsgemäße Bauführung nicht erbracht werden konnte. Den Vertretern der Behörde war jederzeit der Zutritt zur Baustelle zu gestatten. Bauwerber, Bauführer, Planverfasser und die beim Bau Beschäftigten waren verpflichtet, den Vertretern der Behörde alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 127 Abs 8 idF LGBl 1976/18).

Im Unterschied zur nunmehrigen (insoweit mit der Novelle LGBl 1996/42 wesentlich veränderten) Rechtslage durfte vor Erteilung einer vom Bauwerber, Eigentümer der Baulichkeit oder vom Grundeigentümer zu beantragenden (§ 128 Abs 2 idF LGBl 1976/18) und mit Bescheid zu erteilenden Benützungsbewilligung ein Neu-, Um- oder Zubau (und andere bewilligungspflichtige Anlagen oder Bauänderungen [§ 60 Abs 1 lit a, b und c]) nicht benützt werden. Für die Einhaltung dieser Verpflichtung waren der Bauwerber und der Eigentümer auch verwaltungsstrafrechtlich verantwortlich. Nur wenn keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit vom Menschen zu besorgen war, konnte davon (schon) im Baubewilligungsbescheid abgesehen werden; (nur) in diesen Fällen war die Vollendung der Bauführung der Behörde (bloß) anzuzeigen (Fertigstellungsanzeige). Dem Antrag auf Erteilung der Benützungsbewilligung waren Befunde über die vorhandenen Rauch- und Abgasfänge und die vorhandenen Kanäle bzw Senkgruben bzw allenfalls die behördliche Feststellung der vorschriftsmäßigen Herstellung des Gehsteigs beizulegen (§ 128 Abs 3).

Schrittweise wurde in der Folge die behördliche Überwachung einer ordnungsgemäßen Bauführung durch ein vermehrtes Erfordernis der Erbringung von Nachweisen durch Bauwerber und Bauführer abgelöst.

Mit LGBl 1992/34 wurde dem Bauwerber die Verpflichtung auferlegt, (bei den nach § 60 Abs 1 lit a, b und c bewilligungspflichtigen Bauführungen) grundsätzlich durch einen Ziviltechniker oder einen gerichtlich beeideten Sachverständigen für das einschlägige Fachgebiet (Prüfingenieur) bestimmte Überprüfungen der Bauausführung vornehmen zu lassen (§ 127 Abs 3). Der mit dieser Novelle in die Bauordnung eingeführte Prüfingenieur hatte von Bauwerber und Bauführer verschieden zu sein (§ 127 Abs 3) und war – wie der Bauführer und der selbständig tätige Bauausführende – zur Anzeige bei Abweichungen von den Bauvorschriften bei Einhaltung der erteilten Auflagen und bewilligten Pläne verpflichtet; zudem aber auch (alleine) bei bewilligungspflichtigen Abweichungen von den genehmigten Bauplänen, unfachgemäßer Verwendung „entsprechender Baustoffe“ oder der Verwendung „nicht entsprechender Baustoffe“ bzw der mangelhaften Ausführung von Konstruktionen (§ 125 Abs 2). Es blieb vorerst noch dabei, dass die Benützung des Bauwerks von der förmlichen Erteilung einer Benützungsbewilligung (per Bescheid) abhing (§ 128 Abs 3 und 4). Dem Antrag waren nun allerdings auch noch (über die zuvor genannten Unterlagen hinaus) die vom Prüfingenieur aufgenommenen Überprüfungsbefunde, soweit sie nicht bereits bei der Rohbeschau vorgelegt worden waren, beizulegen. Auf Basis einer von der Behörde durchgeführten Beschau und aufgrund der (nun um die Überprüfungsbefunde erweitert) vorzulegenden Urkunden war die Benützungsbewilligung zu erteilen, sofern das Gebäude keine augenscheinlichen Konsenswidrigkeiten zeigte und keine augenscheinlichen Mängel aufwies, die die sichere Benützbarkeit verhinderten (§ 128 Abs 4).

Im Zuge der Deregulierung des Baurechts durch die Verfahrensnovelle LGBl 1996/42 wurden die Aufgaben der Baubehörde hinsichtlich der Überprüfung der Bauführung weiter eingeschränkt und das behördliche Verfahren über den vom Bauwerber oder (Grund-)Eigentümer einzubringenden Antrag auf Erteilung der Benützungsbewilligung abgeschafft. Es wurde von der Erteilung einer förmlichen Benützungsbewilligung Abstand genommen; eine „Endbeschau“ hat seither nicht mehr stattzufinden. Freie, anzeigepflichtige und zum Teil auch baubewilligungspflichtige bauliche Anlagen dürfen seit damals unmittelbar nach ihrer Fertigstellung benützt werden. Nur bei den bewilligungspflichtigen Neu-, Zu- und Umbauten, sonstigen baulichen Anlagen und Bauabänderungen ist die Aufnahme der Benützung erst nach Erstattung einer vollständigen Fertigstellungsanzeige zulässig. Da die Nutzung des fertiggestellten Baus nicht mehr von einer Überprüfung der Behörde abhängig ist, sind die damit zusammenhängenden Aufgaben der Behörde entfallen.

Eine solche Aufgabenreduktion steht dem Gesetzgeber aufgrund seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit und innerhalb seiner Kompetenzen in weitem Rahmen frei. Er darf etwa aus Gründen der Kostenminimierung bisher hoheitlich zu erfüllende Aufgaben auch wieder zurücknehmen, kann einen bestimmten Lebenssachverhalt einer Bewilligungspflicht unterwerfen (zB die Errichtung eines Baus an eine Bewilligung binden) oder umgekehrt darauf auch wieder verzichten – und etwa sogar die Genehmigungsfreiheit von Bauführungen vorsehen (VfGH B 123/97 [Pkt II.4] – VfSlg 15.123).

Die Wr BauO sieht also seither die Überprüfung der Einhaltung der Bauvorschriften im Rahmen eines förmlichen Verfahrens unmittelbar vor Aufnahme der Benutzung nicht mehr als verpflichtende behördliche Aufgabe vor. Der Bauwerber ist es, der nach ihren Vorgaben verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass vor Erstattung der vollständig belegten Fertigstellungsanzeige das Bauwerk oder die Anlage nicht benützt wird (§ 128 Abs 4). Nach § 127 Abs 3 in der in den Jahren 2008 und 2009 (in welcher Zeit der damalige Prüfingenieur tätig gewesen war) gültigen Fassung gemäß LGBl 1996/42 (Novellen haben bis Ende des Jahres 2009 dessen Abs 3 nicht betroffen) erlegte das Gesetz dem Bauwerber auf, bei den nach § 60 Abs 1 lit a, b und c bewilligungspflichtigen Bauführungen (Neu-, Zu- oder Umbauten) durch einen Ziviltechniker oder einen gerichtlich beeideten Sachverständigen für das einschlägige Fachgebiet (Prüfingenieur) folgende Überprüfungen vornehmen zu lassen:

a) die Beschau des Untergrundes für alle Tragkonstruktionen vor Beginn der Betonierungsarbeiten;

b) die Beschau jener Bauteile, die nach deren Fertigstellung nicht mehr möglich ist (Fundamente, Stahleinlage, Träger, Stützen Schweißverbindungen uä);

c) die Rohbaubeschau.

Bei Erfüllung dieser Aufgabe war (und ist) der unabhängige Prüfingenieur für den Bauwerber und in Erfüllung von dessen Verpflichtungen tätig (vgl auch die Ausführungen des VfGH anlässlich der Zurückweisung des Individualantrags eines Prüfingenieurs mit dem Hinweis, dass er bei seinem vorgetragenem Bedenken dagegen, dass die Aufgaben des Prüfingenieurs Überwachungspflichten für die Behörde darstellen würden, der Sache nach die Verpflichtung des Bauwerbers bekämpfe, sich bei bestimmten Überprüfungen eines Prüfingenieurs zu bedienen, VfGH G 225/06 = VfSlg 18.486/2008). Der Bauwerber hat seit der Verfahrensnovelle 1996 zum Nachweis der erfolgten Fertigstellung des Baus verschiedenste Urkunden vorzulegen. Die Nachweise über die vorgenommenen Überprüfungen des unabhängigen Prüfingenieurs sind dabei nur ein Teil von mehreren (heute gemäß § 128 Abs 2 idF LGBl 2018/69 bis zu dreizehn, damals nach § 128 Abs 2 idF LGBl 2005/41 bis zu neun) Unterlagen, darunter auch die Bestätigung eines (ebenso) unabhängigen Ziviltechnikers über die bewilligungsgemäße und den Bauvorschriften entsprechende Bauführung. Die Tätigkeit des Prüfingenieurs ist ähnlich der eines Sachverständigen auf das Festhalten erheblicher Tatsachen beschränkt. Eine Bindung der Baubehörde an seine Befunde war (und ist auch heute noch) nicht gegeben. Vielmehr ist er der Behörde gegenüber – in gleicher Weise wie der Bauwerber, der Bauführer und der Planverfasser – verpflichtet, alle erforderlichen (zusätzlichen) Auskünfte zu erteilen (§ 127 Abs 1).

Der Zugang der Klägerin, dass der Prüfingenieur in vielen Abschnitten einer Bauführung „letzte Instanz“ sei, erweist sich damit als unrichtig. Prüfingenieure sind – anders als die Klägerin meint – nicht in den „hoheitlichen Meinungsbildungsprozess“ eingebunden, zumal ein förmliches Verfahren – und damit die behördliche „Meinungsbildung“ – darüber, ob für die Nutzung des Gebäudes die Bewilligung zu erteilen ist (oder nicht), ja nicht mehr vorgesehen ist, sondern die Benützung kraft Gesetzes schlicht an die Fertigstellung des Bauwerks und die Anzeige darüber gebunden ist. Der Behörde bleibt es zwar unbenommen, selbst (auch im Nachhinein) Überprüfungen durchführen zu lassen, soweit sie – aus welcher Quelle auch immer stammende – Zweifel an der Einhaltung der Vorschriften beim Bau hegt; ein der Aufnahme der Benützung vorhergehendes Verfahren, an dem der Prüfingenieur in Erfüllung von Aufgaben der Behörde mitwirkt, hat aber nicht stattzufinden.

Der Prüfingenieur ist also eine dem Bauwerber zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zur Seite tretende Hilfe (ein Bindeglied zwischen ihm, dem Bauführer und der Behörde [idS etwa die Erläuternden Bemerkungen zu LGBl 2014/25 abgedruckt in Kirchmayer, Wiener Baurecht5 § 127 EB zu Abs 3). Er wird nicht von der Behörde für die Erfüllung „ihrer“ Aufgabe „in Pflicht genommen“, sondern unterstützt den Bauwerber bei dessen Verpflichtung, den Nachweis der konsensgemäßen Herstellung des Bauvorhabens durch den Bauführer zu erbringen.

3.5. Daran ändert auch seine von der Klägerin ins Treffen geführte „Anzeigepflicht“ nichts. Auch bei Meldung von Abweichungen von den Bauvorschriften im Zuge der Bauführung stellt das Gesetz (wie schon bei den Auskunftspflichten gegenüber der Behörde) den Prüfingenieur in eine Reihe mit dem in gleicher Weise dazu verpflichteten Bauführer und dem selbständig tätigen Bauausführenden. Die ihm allein auferlegte weitergehende Pflicht, über ein bewilligungsfreies Bauvorhaben hinausgehende Abweichungen der tatsächlichen Bauführung von den bewilligten Bauplänen, die Verwendung nicht entsprechender Baustoffe, die unfachgemäße Verwendung entsprechender Baustoffe und die mangelhafte Ausführung von Konstruktionen anzuzeigen, ist der ausgeübten Tätigkeit in Verbindung mit seiner besonderen Sachkunde geschuldet. Diese gesetzlich angeordnete Anzeigepflicht anlässlich der für den Bauwerber übernommenen Aufgaben schafft keinen ausreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit einer hoheitlichen Aufgabe im Sinne einer notwendigen Hilfstätigkeit für die behördliche Entscheidungsfindung; sie löst allenfalls in der Folge eine Tätigkeit der Behörde aus (vgl etwa auch die Anzeigepflicht des Arztes gemäß § 54 Abs 4 ÄrzteG). Dass die Meldepflicht „systemwidrig“ und mit der Einordnung des Prüfingenieurs als eines der Sphäre des Bauherrn zugehörigen Sachverständigen unvereinbar wäre, kann der erkennende Senat nicht nachvollziehen.

3.6. Schließlich sind auch die von der Revisionswerberin als gleichgelagert betrachteten Fälle, in denen wegen bestimmter Tätigkeiten die Ausführenden in der Judikatur als Organe angesehen wurden, mit jenem des Prüfingenieurs nicht vergleichbar:

Die regelmäßige Begutachtung und nachfolgende Ausstellung des Gutachtens und Erteilung der Plakette gemäß § 57a Abs 2 KFG führt unmittelbar dazu, dass das Fahrzeug verwendet werden darf. Diese Funktion darf auch nur von den „vertrauenswürdigen“ Personen ausgeübt werden, die vom Landeshauptmann gemäß § 57a Abs 2 KFG eigens dazu ermächtigt wurden. Beim Prüfingenieur fehlt ein solcher Beleihungsakt. Mit seiner gutachterlichen Stellungnahme und seiner Anzeige sind per se keine Rechtswirkungen verbunden; die Überprüfungsbefunde bzw Nachweise über die Überprüfungen sind nur ein Teil der vom Bauwerber abverlangten Unterlagen; seine Anzeige löst – wie jede – allenfalls Behördentätigkeit aus.

Auch die nach dem KesselG (welches mittlerweile durch BGBl I 2015/161 aufgehoben wurde; vgl nun die Vorschriften zum Druckgerätegesetz) tätigen „Kesselprüfstellen“ waren vom zuständigen Bundesminister beliehen worden und hatten wiederkehrende Untersuchungen zu bewerkstelligen. Sie konnten vom Betreiber unter Setzung einer angemessenen Frist die Behebung von Mängeln und allfällige Sicherheitsmaßnahmen, allenfalls sogar die Einstellung des Betriebs, verlangen, hatten sich nach Fristablauf von der Behebung der Mängel zu überzeugen und die Behörde bei Erforderlichkeit unter Angabe der zur Behebung der Mängel erforderlich scheinenden Maßnahmen davon in Kenntnis zu setzen. Auch nur annähernd vergleichbare Befugnisse, wie sie etwa mit der Einstellung des Betriebs verbunden sind, hat der Prüfingenieur nach der Wiener Bauordnung nicht. Gerade wenn Schragel (AHG³ Rz 41) im Zusammenhang mit der Entscheidung zu 1 Ob 25/01k anführt, einer Haftung als Rechtsträger hätte der Bund bei der Kesselprüfstelle nur dann entgehen können, wenn das Gesetz dem Betreiber aufgetragen hätte, wiederkehrende Begutachtungen durch einen von ihm bestellten Sachverständigen durchführen zu lassen und die Gutachten der Behörde, die allein dann eine Anordnung zu treffen hätte, vorzulegen, macht dies deutlich, dass er den Prüfingenieur nicht als Organ qualifizieren würde.

Ebensowenig ist die von der Klägerin zum Bankprüfer gezogene Parallele wertungsmäßig nachzuvollziehen. Nach § 69 BWG trifft die Finanzmarktaufsicht explizit die Pflicht, die Einhaltung der Vorschriften etlicher Gesetze (insbesondere) durch Kreditinstitute im Rahmen eines risikobasierten Aufsichtsansatzes zu überwachen, weshalb der in diesem Zusammenhang bestellte Bankprüfer an der Erfüllung einer behördlichen Aufgabe mitwirkt (vgl 1 Ob 188/02g). Demgegenüber wurde der Umfang der von der Gemeinde bei der in ihrem eigenen Wirkungskreis wahrzunehmenden Aufgaben der örtlichen Baupolizei (Art 118 Abs 3 Z 9 B-VG; § 76 Z 9 Wiener Stadtverfassung, LGBl 1968/28) aber mit der Verfahrensnovelle 1996 eingeschränkt (dazu Pkt 3.4.). In der Wr BauO sind der Behörde zwar Befugnisse zur Überprüfung der Bauführung eingeräumt, die Aufgabe – vergleichbar dem BWG – einer verpflichtenden Überwachung der Einhaltung der in ihr normierten Vorschriften im Rahmen der Bauführung vor Nutzung des Baus wird ihr aber nicht auferlegt. Der Prüfingenieur wird damit bei seiner Tätigkeit, die dazu dient, dass der Bauwerber die konsensgemäße Errichtung nachweisen kann, nicht für die Behörde tätig.

3.7. Zutreffend ging das Berufungsgericht somit davon aus, dass der Prüfingenieur kein Organ im Sinne des § 1 Abs 1 AHG ist. Damit besteht gegenüber der Stadt Wien kein Amtshaftungsanspruch und die Klage wurde zu Recht abgewiesen. Auf die zum Rechtswidrigkeitszusammenhang aufgeworfenen Fragen ist damit nicht mehr einzugehen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 und § 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E128787

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E128787

Im RIS seit

10.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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