TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/29 W182 2227202-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2020
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Entscheidungsdatum

29.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W182 2227202-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Wolfgang Blaschitz gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2019, Zl. 740883501/151870561, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Für den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation und Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, wurde im Bundesgebiet am 26.04.2004 ein Asylantrag gestellt.

Mit rechtskräftigen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 03.06.2008, Zl. 315.304-1/3E-IX/27/07, wurde ihm gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetzes 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, durch Erstreckung Asyl gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass dem Vater des BF, XXXX , mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom selben Tag Asyl gewährt worden sei, weshalb die Voraussetzungen für eine Asylgewährung durch Erstreckung auf den damals noch minderjährigen BF nach § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 2 AsylG erfüllt seien.

2.1. Mit dem im Spruch angeführten bekämpften Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) wurde dem BF nach einer Einvernahme am 05.12.2019 der ihm mit Erkenntnis vom 03.06.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG), BGBl I Nr. 100/2005, aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 dazu festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr 100/2005, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG, wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zur Situation des BF im Fall der Rückkehr wurde festgestellt:

"Sie sind strafrechtlich angefallen, wurden unter anderem wegen mehrfachen Diebstahl, mehrfachen Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen, Sachbeschädigung, schwerer Sachbeschädigung, mehrfachen Körperverletzung, mehrfachen Raub, gewerbsmäßigen Diebstahl und Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, mehrfacher gefährlicher Drohung und Urkundenfälschung rechtskräftig verurteilt. Sie haben im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland keine Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage eben dort zu befürchten. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der russischen Föderation konnten Sie nicht glaubhaft machen. Sie können Ihren Lebensunterhalt in der russischen Föderation bestreiten und würden ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Sie haben noch verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Ihrem Heimatland. Auch könnte Sie Ihre Familie aus Österreich unterstützen."

Zu den Verurteilungen wurde im Bescheid festgehalten:

"Am XXXX .2011 wurden Sie rechtskräftig gemäß § 127 StGB, § 129 (3) StGB, § 107 (1) StGB, § 136 (1) StGB und § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Am XXXX .2011 wurden Sie rechtskräftig nach §§ 125, 126 (1) Z 5, 126 (1) Z 6 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Am XXXX 2011 wurden Sie rechtskräftig gemäß § 83 (1) StGB und § 142 (1 u 2) StGB zu einer weiteren bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Dann wurden Sie am XXXX 2012 nach § 125 StGB, §§ 127, 129 Z 2, 130 4. Fall StGB, § 83 (1) StGB, § 142 (1) StGB und §§ 107 (1), 107 (2) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, 12 Monate davon bedingt, verurteilt. Am XXXX .2013 wurden Sie dann nach § 107 (1 u 2) StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Daraufhin wurde am XXXX .2015 ein Aberkennungsverfahren gegen Sie eingeleitet. Am XXXX .2016 wurden Sie dann gemäß §§ 127, 129 Z 2 u 3 StGB zu einer neuerlichen Freiheitsstrafe von 6 Monaten unbedingt verurteilt. Dann wurden Sie noch am XXXX .2016 rechtskräftig nach §§ 127, 129 Z 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt. Zu guter Letzt wurden Sie am XXXX 2019 rechtskräftig nach § 223 (2) StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt."

In der rechtlichen Beurteilung wurde dazu ausgeführt:

"§ 7 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG sieht die zwingende Aberkennung des Status des Asylberechtigten vor, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist. Ein Endigungsgrund liegt (unter anderem) vor, wenn die Umstände, auf Grund deren der Fremde als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und dieser es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Gemäß Abs. 3 ist jedoch eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren ab Zuerkennung möglich; bei mehr als fünf Jahren nur unter bestimmten Bedingungen (unter anderem, wenn der Fremde straffällig geworden ist). Da Sie am XXXX .2011 in Österreich durch ein Landesgericht rechtskräftig verurteilt wurden, sind Sie straffällig geworden und somit ist die Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen. Wie sich dem Erkenntnis des BVwG vom 03.07.2017 (Zahl: L515 1235454-3) klar entnehmen lässt (siehe dazu insbesondere Seite 52), kann sich eine Person nicht auf ein gemäß §34 zu führendes Familienverfahren berufen, zumal sie aufgrund des Umstandes, dass sie straffällig wurde, hiervon gemäß Abs. 3 Z 1 leg. cit. ausdrücklich ausgeschlossen ist. Hätte also die betreffende Person vor Gewährung des Schutzes die entsprechende strafbare Handlung getätigt und hätte diese auch zu einem entsprechenden strafrechtlichen Urteil geführt, wäre es erst gar nicht zur Schutzgewährung gekommen. Demnach ist konsequenterweise in Fällen, in denen es nach der Gewährung des Schutzes zur Straffälligkeit kam, ein Berufen auf ein weiter bestehendes Familienverfahren unzulässig. Damit sind auch die früher bestehenden Voraussetzungen für eine Schutzgewährung aufgrund eines Familienverfahrens nicht mehr gegeben. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargestellt, haben Sie keine Gefährdungslage vorgebracht. Es besteht demnach kein Grund zur Gewährung des Asylstatus, umso mehr auch sonst keine Gründe für eine wohlbegründete Furcht aus einem in der GFK genannten Gründe ersichtlich wurden. Zu bemerken ist, dass in Ihrem Fall seinerzeit, als Sie durch das Familienverfahren den Asylstatus erlangten, kein Grund ersichtlich war, Ihnen originären Schutz im Sinne des § 3 AsylG zuzuerkennen. Demnach traf seinerzeit die Feststellung zu, dass Sie keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK hatten. Aufgrund des Umstandes, dass sich an dieser persönlichen Situation nichts änderte, war Ihnen daher gem. § 7 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten abzuerkennen. Des Weiteren steht Ihnen eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Selbst wenn Sie eben in Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt wären, welche Sie jedoch selbst nicht glaubhaft vorgebracht haben, könnten Sie in einem anderen Teil Ihres Heimatlandes Schutz erhalten.

2.2. Gegen den Bescheid wurde seinem gesamten Inhalte nach fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhoben.

2.3. Gegen den Vater des BF ist seit August 2017 beim Bundesamt ein Aberkennungsverfahren anhängig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."

2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.

Das Bundesamt stützte die gegenständliche Aberkennungsentscheidung auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 und begründete dies im Ergebnis mit der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehenen "Wegfall der Umstände"-Klausel.

Laut entsprechender Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände kommt es darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen (vgl. VwGH 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0059).

Das Bundesamt hat jedoch diesbezüglich im bekämpften Bescheid überhaupt keine Feststellungen getroffen.

Dem Akteninhalt ist auch nicht zu entnehmen, dass das Bundesamt diesbezüglich nachvollziehbar taugliche Ermittlungen durchgeführt hat. Im Akt finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundesamt sich konkret mit dem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, mit welchem dem Vater des BF originär der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in irgendeiner Form näher auseinandergesetzt hat. Das entsprechende Verhandlungsprotokoll und der Bescheid hinsichtlich des Vaters des BF sind dem Akteninhalt weder in Kopie noch im Original zu entnehmen und finden sich aber auch keine dokumentierten Hinweise für eine Einsichtnahme. Auch im bekämpften Bescheid wurden weder die Akten noch die Bescheide, die das Asylverfahren des Vaters des BF betreffen, erkennbar in der Liste der herangezogenen Beweismittel angeführt. Das Bundesamt hat sich hierbei offensichtlich in untauglicher Weise lediglich mit dem Akt des Bundesasylamtes bzw. den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates hinsichtlich des BF bzw. dessen Mutter als damaliger gesetzlicher Vertreterin des BF, begnügt. Diese legen aber nicht die konkreten und vollständigen Gründe, die hinsichtlich des Vaters des BF zur Begründung der originären Asylgewährung herangezogen wurden, offen.

Entgegen der vom Bundesamt im bekämpften Bescheid vertretenen Rechtsansicht ist es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Aberkennung des einem Familienangehörigen durch Asylerstreckung zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände auch nicht maßgeblich, ob alle Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren (also etwa auch die im Revisionsfall nicht mehr gegebene fehlende Straffälligkeit der mitbeteiligten Partei iSd § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005) noch vorliegen (vgl. VwGH 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0059).

Indem sohin keine nachvollziehbaren Ermittlungen zu den konkreten Gründen, weshalb dem Vater des BF originär der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, angestellt wurden, hat es das Bundesamt von Vornherein unterlassen, den als primäre Voraussetzung für die Aberkennung entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu erheben.

Aber auch unabhängig von der zitierten Judikatur hätte das Bundesamt angesichts des Umstandes, dass der BF in der Einvernahme am 05.12.2019 neben den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland ausdrücklich eine individuelle Verfolgung wegen seines Vaters behauptet hat (vgl. As 153), sich mit den konkreten Fluchtgründen des Vaters des BF in einer nachvollziehbaren Weise auseinanderzusetzen und diesen jedenfalls - auch zu einer aktuellen Gefährdung - zu befragen gehabt. Dafür spricht auch der Umstand, dass gegen den Vater des BF beim Bundesamt offenbar seit 2017 ein entsprechendes Asylaberkennungsverfahren immer noch anhängig ist.

Der Vollständigkeit halber ist noch zu ergänzen, dass das Bundesamt seine Entscheidung lediglich auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 und den "Wegfall der Umstände"-Klausel gestützt hat. Vom Bundesamt wurde im Hinblick auf die strafrechtlichen Verurteilungen des BF auch kein "besonders schweres Verbrechen" oder eine Gefahr für die Staatssicherheit im Sinne von Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (§ 7 Abs. 1 Z 1 iVm §6 Abs. 1 Z 3 und 4 AsylG 2005) angenommen. Dies erscheint im Hinblick auf die Art der Verbrechen des BF (Raub ohne Deliktsqualifikation, Jugendstraftat, Strafe deutlich unter 2 Jahren, keine Rückfälligkeit hinsichtlich Gewaltdelikten seit etwa sieben Jahren) auch begründet. Auch für sonstige Aberkennungsgründe nach § 7 AsylG 2005 fehlen Anhaltspunkte.

2.3. Im gegenständlichen Fall erweist sich daher der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Der primär maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender konkreter Ermittlungen als gänzlich ungeklärt dar. Die entscheidenden Ermittlungshandlungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach nahezu zur Gänze erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Indem das Bundesamt keine nachvollziehbaren Ermittlungen hinsichtlich der konkreten ursprünglichen Fluchtgründe des Vater des BF, von dem sich über Erstreckung der Asylstatus des BF ableitet, vorgenommen hat und diesen auch nicht befragt hat, erweist sich das Ermittlungsverfahren letztlich als völlig ungeeignet, um die Entscheidung des Bundesamtes zu stützen. Die Durchführung einer Verhandlung erscheint unvermeidlich. Die dargetanen Mängel lassen sohin nur die Feststellung zu, dass das Bundesamt - wenngleich auch aufgrund der Verkennung der Rechtslage - im Ergebnis bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Im Gegenteil sprechen verfahrensökonomische Gründe vielmehr dafür, das Aberkennungsverfahren des BF mit jenen offenbar seit 2017 immer noch bei der Erstbehörde anhängigen Aberkennungsverfahren des Vaters des BF zu verbinden, zumal sich der zu ermittelnde entscheidungswesentliche Sachverhalt letztlich überschneidet.

Daher macht das Bundesverwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation insbesondere auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Das Bundesamt wird sich in nachvollziehbarer Weise - unter Zugrundelegung der entsprechenden Akten des Bundesasylamtes zur Zl. 04 08.829-BAT und des Unabhängigen Bundesasylsenats zur Zl. 261319/0-IX/27/05, erstmals mit den konkreten Fluchtgründen des Vaters des BF auseinanderzusetzen haben und im Anschluss unter Befragung desselben und des BF insbesondere taugliche Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Umstände, auf Grund deren der Vater des BF als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es dieser - wie auch der BF - nicht weiterhin ablehnen können, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch noch darauf hinzuweisen, dass es bei der Gefährdungsannahme bezüglich eines allfälligen Einreisverbotes nach den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Anforderungen nicht ausreicht, diesbezüglich - wie im bekämpften Bescheid - im Wesentlichen nur die Urteilsdaten der Strafregisterauskunft folgend festzustellen (zu den konkreten Anforderungen vgl. etwa VwGH 20.02.2016, Ra 2016/21/0289).

2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.2. Unter den Punkten II.2.1. f wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor dem Bundesamt notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, bereits Judikatur vorliegt, und vor diesem Hintergrund auch das gegenständliche Verfahren zu entscheiden war.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W182.2227202.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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