TE OGH 2020/4/27 5Ob60/20i

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Veröffentlicht am 27.04.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Patrick Maydell, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. P***** Gesellschaft mbH, *****, 2. D*****, beide vertreten durch Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Beseitigung und Wiederherstellung (Streitwert 2.000 EUR) infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2019, GZ 1 R 119/19t-26, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 18. Februar 2019, GZ 12 C 68/18i-22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden an das Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Klägerin und der Zweitbeklagte sind Miteigentümer einer Liegenschaft in Wien. Die Erstbeklagte ist die Wohnungseigentumsorganisatorin und Generalunternehmerin, die im Auftrag sämtlicher Miteigentümer – ausgenommen die Klägerin bzw deren Rechtsvorgängerin – im Bereich des sogenannten „Straßentrakts“ der Liegenschaft Eigentumswohnungen zu errichten hatte.

Die Klägerin erhob – nach Erörterung letztlich gestützt auf ihren Eigentumsfreiheitsanspruch nach § 523 ABGB – Beseitigungs- und Wiederherstellungsbegehren: Einerseits sollen die beklagten Parteien unverzüglich die aufgebrachte und aus brennbaren Materialien bestehende Wärmedämmung von der Hoffassade der Liegenschaft beseitigen und entfernen, andererseits die Feuermauern zu den Nachbarhäusern. Weiters sollen sie verpflichtet werden, den Konsens laut Baubewilligung herzustellen. Insgesamt bewertete die Klägerin diese Begehren mit 2.000 EUR. Über Streitwertbemängelung der Beklagten setzte das Erstgericht den Streitwert nach RATG mit (insgesamt) 25.000 EUR fest.

Das Erstgericht wies alle Begehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige, nicht aber 30.000 EUR und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Eigentumsfreiheitsklage in der hier vorliegenden Konstellation seien in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden.

Dieses Urteil bekämpft die Klägerin in ihrer ordentlichen Revision mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer vollinhaltlichen Klagestattgebung abzuändern.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Der Oberste Gerichtshof ist (derzeit) zu einer Entscheidung über das Rechtsmittel aus folgenden Gründen nicht berufen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 502 Abs 2 ZPO ist die Revision jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand) an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine einheitliche Bewertung aufgrund Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS-Justiz RS0042741; RS0053096), somit die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen (vgl RS0042258). Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts erfordert. Ein rechtlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden. Er ist dann nicht anzunehmen, wenn jeder der Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RS0037899). Bei der Beurteilung dieser Frage ist vom Klagevorbringen auszugehen (RS0042741). Da § 55 Abs 1 JN als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung anzusehen ist, scheidet die Zusammenrechnung im Zweifel aus (RS0122950). Mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, stehen nach ständiger Rechtsprechung nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN (RS0110012; 5 Ob 30/17y; zuletzt 5 Ob 215/19g). Selbst eine physische Nähe der Eingriffshandlungen zueinander reicht für einen tatsächlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 JN nicht aus. Dass der Rechtsgrund in allen derartigen Fällen die Freiheit des Eigentums nach § 523 ABGB ist, stellt den in § 55 Abs 1 JN geforderten rechtlichen Zusammenhang der auf dieselbe Norm gestützten Ansprüche untereinander noch nicht her, wenn die Eigentumsfreiheit von im Tatsachenbereich verschiedenen Belastungen behauptet wird (5 Ob 215/19g).

2. Liegt eine Parteienhäufung vor, so sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Abs 1 ZPO sind. Das Gesetz verlangt somit das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft entweder auf Kläger- oder Beklagtenseite. Es muss daher entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet ist. Liegt hingegen nur eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, kommt es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung der Streitwerte, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl RS0053096 [T10]; 4 Ob 66/17k). Ist in einem Verfahren Anspruchs- und gleichzeitig Parteihäufung gegeben, sind zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN – zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (vgl Gitschthaler in Fasching/Konecny3 § 55 JN Rz 23 f). Demgemäß sind Ansprüche mehrerer Geschädigter aus demselben Unfallereignis ebensowenig zusammenzurechnen (RS0037838 [T32]) wie Unterhaltsansprüche, die sich gegen beide Elternteile richten (RS0037838 [T47]) oder mehrere gegen unterschiedliche Wohnungseigentümer gerichtete, auf unterschiedliche Eingriffshandlungen gestützte Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehren (5 Ob 217/13t).

3.1 Hier liegt sowohl eine subjektive als auch eine objektive Klagehäufung vor: Die Klägerin nimmt zwei Beklagte – die Erstbeklagte in ihrer Funktion als Wohnungseigentumsorganisatorin und Generalunternehmerin, den Zweitbeklagten als Miteigentümer und Bevollmächtigten aller anderen Miteigentümer – auf Beseitigung und Wiederherstellung in Anspruch. Der gleiche tatsächliche Grund läge für beide Beklagte an sich nur dann vor, wenn für sie ein einheitlicher rechtserzeugender Sachverhalt gegeben wäre. Wo für einen Streitgenossen weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten, fehlt es an der eine Zusammenrechnung im Sinn des § 55 Abs 1 Z 2 JN rechtfertigenden materiellen Streitgenossenschaft (5 Ob 217/13t mwN). Während die Klägerin die Erstbeklagte als unmittelbare Störerin in Bezug auf die Wärmeschutzfassade und die Feuermauern in Anspruch nimmt, begründet sie ihr Begehren gegenüber dem Zweitbeklagten damit, er habe als Miteigentümer und Bevollmächtigter aller anderen der Erstbeklagten den Auftrag dazu gegeben, sei also mittelbarer Störer. Für seine Haftung sind daher andere (zusätzliche) Sachverhaltselemente notwendig als bei der Erstbeklagten (vgl 5 Ob 217/13t). Einer getrennten Bewertung der Ansprüche der Klägerin in Bezug auf beide Beklagten bedarf es hier aber dessen ungeachtet nicht, weil nach dem Klagebegehren die beiden Beklagten zur ungeteilten Hand verpflichtet werden sollen, sodass nach § 55 Abs 2 JN aufgrund der insoweit maßgeblichen Klageangaben sich der Streitwert nach der Höhe des einfachen Anspruchs zu richten hat (RS0035359).

3.2 Allerdings führt die Klägerin zwei unterschiedliche Eingriffshandlungen der Beklagten ins Treffen: Einerseits begehrt sie die Beseitigung der aufgebrachten und aus brennbarem Material bestehenden Wärmedämmung von der Hoffassade der Liegenschaft; diese Eingriffshandlung war das wesentliche Thema des bisherigen Verfahrens. Daneben will die Klägerin von beiden Beklagten aber auch die Beseitigung der Feuermauern zu den Nachbarhäusern erreichen. Auch wenn zu diesem Beseitigungsbegehren konkreteres Vorbringen fehlt, war es doch Gegenstand des Verfahrens (und einer Mängelrüge der Klägerin in ihrer Berufung), wobei nach dem Wortlaut dieses Beseitigungsbegehrens und der eingangs genannten Zweifelsregel davon auszugehen ist, dass ein rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang mit der Entfernung der Wärmedämmung von der Fassade nicht besteht. Eine Zusammenrechnung dieser beiden Beseitigungsbegehren im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN hat daher nicht zu erfolgen. Soweit die Klägerin zusätzlich die Wiederherstellung des Konsenses laut Baubewilligung begehrt, ist mangels näheren Prozessvorbringens davon auszugehen, dass sie damit den Baukonsens in Bezug auf die Gegenstand ihrer Beseitigungsbegehren bildenden Eingriffshandlungen meint, somit hinsichtlich der Wärmedämmung der Hoffassade einerseits und der Feuermauern andererseits. Ein Teil dieses Wiederherstellungsbegehrens steht daher in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit dem Beseitigungsbegehren betreffend Wärmedämmung, der zweite hingegen mit demjenigen hinsichtlich Feuermauern.

4. Das Berufungsgericht hat sich bei der Begründung seines Bewertungsausspruchs an der Einigung der Streitteile auf einen Streitwert nach RATG von 25.000 EUR orientiert, bei seinem Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO allerdings nicht die hier notwendige getrennte Bewertung in Bezug auf die unterschiedlichen Eingriffshandlungen vorgenommen. Es wird daher eine Bewertung der einzelnen – aufgrund der obigen Ausführungen wegen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhangs jeweils zusammenzufassenden – Entscheidungsgegenstände vorzunehmen haben. Sollte sich dabei ergeben, dass der Wert aller oder einzelner Entscheidungsgegenstände 5.000 EUR nicht übersteigt, wäre das Rechtsmittel der Klägerin insoweit gemäß § 502 Abs 2 ZPO absolut unzulässig. Diesfalls wäre der bisherige Zulassungsausspruch entsprechend zu berichtigen (vgl 4 Ob 66/17k). Sollte der Wert einzelner oder auch aller Teilbegehren zwischen 5.000 EUR und 30.000 EUR liegen, wäre eine Ergänzung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht erforderlich, der sich nach dessen Begründung nur auf den Beseitigungs- und Wiederherstellungsanspruch in Bezug auf die Wärmeschutzfassade beziehen dürfte. Das Gebot der getrennten Beurteilung der Ansprüche betrifft nämlich nicht nur den Wert des Entscheidungsgegenstands, sondern auch den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rechtsmittels (vgl RS0042349; 5 Ob 215/19g; Lovrek in Fasching/Konecny3 IV/1 § 502 ZPO Rz 162 f). Sollte das Berufungsgericht die ordentliche Revision in Bezug auf einzelne Begehren für nicht zulässig erklären, wäre der Schriftsatz (nach etwaiger Verbesserung) insoweit als Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu deuten und eine Befassung des Obersten Gerichtshofs nur dann möglich, wenn der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision insoweit vom Berufungsgericht abgeändert würde (§ 508 Abs 2 ZPO). Nur wenn das Berufungsgericht alle nach obigen Ausführungen differenziert zu betrachtenden Ansprüche nicht nur mit mehr als 5.000 EUR bewerten, sondern auch hinsichtlich aller Ansprüche die ordentliche Revision zulassen sollte, wäre das Rechtsmittel der Klägerin sofort wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen.

Textnummer

E128462

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00060.20I.0427.000

Im RIS seit

09.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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