TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/14 G303 2179403-1

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Veröffentlicht am 14.04.2020
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Entscheidungsdatum

14.04.2020

Norm

AsylG 2005 §55
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

G303 2179403-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung 19.08.2019, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG nicht erteilt sowie gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Bosnien-Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF zweimal rechtskräftig von einem Strafgericht im Bundesgebiet verurteilt worden sei, nämlich wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB und wegen eines Vergehens nach dem Waffengesetz und § 269 Abs. 1 StGB (Widerstand gegen die Staatsgewalt). Der BF sei nach der Begehung der Straftaten nach Bosnien-Herzegowina geflüchtet. Der BF stelle daher eine schwere und massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung dar. Es konnten zwar familiäre und private Anknüpfungspunkte in Österreich festgestellt werden, jedoch sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als Präventionsmaßnahme vor weiteren Übertretungen unabdingbar. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des BF, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom BF ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

2. Mit dem am 06.12.2017 bei der belangten Behörde eingebrachten und mit selbem Datum datierten Schriftsatz erhob der BF durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen diesen Bescheid. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, den Bescheid zur Gänze beheben und die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären, dem BF eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 erteilen sowie das Einreiseverbot aufheben beziehungsweise in eventu das Einreiseverbot verkürzen.

Begründet wurde die Beschwerde im Wesentlichen damit, dass der BF seit 10 Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder in Österreich lebe und er bis zum 04.06.2018 über ein befristetes Aufenthaltsrecht ("Rot-Weiss-Rot-Karte Plus") verfüge. Der BF habe von 2008 bis 2015 bei verschiedenen Baufirmen gearbeitet. Der BF habe lange mit seinen Eltern im gleichen Haushalt gelebt und bestehe ein großes Nah- und Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Familienangehörigen. Das BFA habe das bestehende Privat- und Familienleben des BF nur oberflächlich in der angefochtenen Entscheidung einfließen lassen. Bei einer ordnungsgemäßen Interessensabwägung würde jedenfalls das private Interesse des BF überwiegen. Der BF habe zu seinen in Bosnien lebenden Verwandten wenig bis gar keinen Kontakt. Weder verfüge der BF über eine Unterkunft in seinem Heimatland noch über eine notwendige Unterstützung, um sich dort eine Lebensgrundlage aufzubauen.

Die Bemessung des Einreiseverbotes in der Höhe von sechs Jahren erweise sich weder als erforderlich noch als verhältnismäßig oder nachvollziehbar. Der BF habe sich im Tatzeitpunkt in einer äußerst schwierigen Lebenslage befunden, da er spiel- und drogensüchtig gewesen sei. Er habe sich in Bosnien einer Therapie unterzogen und habe sich sodann freiwillig in die Hände der österreichischen Justiz begeben.

3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.12.2017 von der belangten Behörde vorgelegt.

4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG), GZ: G303 2179403-1/2Z, vom 18.12.2017, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Am 19.08.2019 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF, die bevollmächtigte Rechtsvertretung des BF, ein Vertreter der belangten Behörde sowie ein Dolmetscher für die Sprache Bosnisch, teilnahmen.

5.1. Der BF brachte in der mündlichen Verhandlung einen Kaufvertrag einer Eigentumswohnung, zwei Arbeitsverträge, eine Teilnahmebestätigung von einem Chor-Workshop, Unterlagen zu seinen Bewerbungen, eine Lohn- und Gehaltsabrechnung für April 2018 und ein Zeugnis betreffend einer Sprachprüfung auf dem Niveau B1 in Vorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist am XXXX in XXXX (Bosnien-Herzegowina) geboren und ist Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina.

Der BF ist geschieden und hat zwei minderjährige Töchter. Seine Ex-Frau lebt mit den Kindern in Bosnien. Der BF ist Eigentümer einer Eigentumswohnung in Klagenfurt. Seine Eltern und ein Bruder des BF leben in Österreich.

Er absolvierte in seinem Herkunftsstaat seine Schul- und Mechanikerausbildung.

Der BF war im Zeitraum von XXXX.07.2007 bis XXXX.10.2015, von XXXX.11.2015 bis XXXX.12.2015, von XXXX.02.2016 bis XXXX.05.2016, von XXXX.05.2017 bis XXXX.06.2017 (Justizanstalt XXXX) und von XXXX.06.2017 bis dato mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.

Am XXXX.06.2011 wurde dem BF erstmals ein Aufenthaltstitel im Bundesgebiet erteilt, der bis XXXX.06.2012 gültig war. In weiterer Folge erhielt der BF am XXXX.06.2012 einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte Plus", der aufgrund von Verlängerungsanträgen zwei Mal verlängert wurde. Zuletzt wurde ihm ein von XXXX.06.2018 bis XXXX.06.2021 gültiger Aufenthaltstitel ausgestellt.

Der BF wurde mit Urteil des XXXX vom XXXX.2017 wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen wurde.

Dieser strafgerichtlichen Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am XXXX.2016 in einem Wettlokal dem Verfügungsbefugten mit Gewalt, Bargeld in Höhe von zumindest EUR 450,00 mit dem Vorsatz sich oder einen Dritten unrechtsmäßig zu bereichern weggenommen hat, indem er ihm mehrfach Faustschläge gegen den Kopf versetzte.

Bei der Strafbemessung wurden vom Strafgericht bei der Verurteilung das umfassende und reumütige Geständnis, das bisherige Wohlverhalten sowie die Entschuldigung beim Opfer vor Verlassen des Wettlokales als mildernd gewertet, hingegen die Tatsache, dass der BF dem Opfer im Zuge der Tathandlung mehrfach Faustschläge gegen den Kopf versetzte, als erschwerend gewertet.

Der BF ist nach der Tatbegehung geflohen und hielt sich von XXXX.03.2016 bis zum XXXX.05.2017 in Bosnien-Herzegowina auf. In dieser Zeit absolvierte der BF aufgrund seiner Drogen- und Spielsucht eine stationäre Therapie.

Des Weiteren wurde der BF mit Urteil des XXXX vom XXXX.2017 wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs. 1 StGB und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Diese Tathandlung setzte der BF am XXXX.2015.

Der BF befand sich von XXXX.2017 bis XXXX.2018 in Untersuchungsbeziehungsweise - Strafhaft in der Justizanstalt XXXX.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Der BF steht derzeit in keinem aufrechten Dienstverhältnis und bezieht Arbeitslosengeld. Zuvor war der BF von Dezember 2009 bis März 2016 sowie von März 2018 bis Dezember 2019 - abgesehen von kurzen Unterbrechungen - als Arbeiter bei diversen Unternehmen beschäftigt. In diesen Zeiträumen bezog der BF auch immer wieder für kurze Dauer Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe.

Der BF verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache auf Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und einer im Akt einliegenden Kopie eines bosnischen Reisepasses.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und Berufsausbildung beruhen auf den eigenen Angaben des BF vor der belangten Behörde sowie in der mündlichen Verhandlung.

Durch einen in Vorlage gebrachten, notariell beglaubigten Kaufvertrag vom 31.08.2018, konnte der BF belegen, dass er eine Eigentumswohnung erworben hat. Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen beruhen auf sein Vorbringen im gesamten Verfahren.

Die Hauptwohnsitzmeldungen im Bundesgebiet konnten durch Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den erteilten Aufenthaltstiteln basieren auf einem eingeholten Auszug des Zentralen Fremdenregisters.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen wurden anhand der entsprechenden Eintragungen im Strafregister der Republik Österreich belegt. Die konkreten Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Verbrechens des Raubes sowie zu den Strafbemessungsgründen ergeben sich aus der im Akt einliegenden gekürzten Urteilsausfertigung des XXXX vom XXXX.2017.

Dass der BF nach Tatbegehung nach Bosnien geflohen ist, beruht auf seinen Angaben vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung. Im Zentralen Melderegister scheint zumindest ab XXXX.05.2016 bis zum Zeitpunkt seiner Verhaftung am XXXX.05.2017 keine Eintragung auf.

Der Zeitraum der Strafhaft in der JA XXXX wurde anhand des Zentralen Melderegisters und der Vollzugsinformation getroffen.

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF ergeben. Seine Arbeitsfähigkeit ergibt sich auch aus den bisherigen Erwerbstätigkeiten und seinem berufsfähigen Alter.

Die derzeit bestehende Arbeitslosigkeit, der Bezug von Arbeitslosengeld und die bisherigen Arbeitsverhältnisse des BF wurden anhand eines eingeholten Datenauszuges des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger festgestellt.

Die Deutschkenntnisse auf Niveaustufe B1 ergeben sich aus der in Vorlage gebrachten Bestätigung eines Sprachzertifikates des österreichischen Integrationsfonds vom 19.05.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Stattgabe der Beschwerde:

Der BF ist als bosnischer Staatsangehöriger Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Da er sich aufgrund des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen ihn nach dem vom BFA herangezogenen § 52 Abs. 4 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre (Z 1) oder dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht (Z 4). Konkret kommt dafür gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG in Betracht, dass der (weitere) Aufenthalt des BF die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine sein Gesamtverhalten berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Bei strafgerichtlichen Verurteilungen ist dabei - gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat(en) - anhand der Umstände des Einzelfalls eine Gefährdungsprognose zu treffen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Da die Rückkehrentscheidung in das Privat- und Familienleben des BF eingreift, dessen Lebensmittelpunkt seit Jahren in Österreich liegt, ist unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist hier zu berücksichtigen, dass der BF seit Juli 2007 im Bundesgebiet - mit einer Unterbrechung - nahezu durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet ist und dieser Aufenthalt zumindest seit 2011 durch die durchgehende Erteilung von Aufenthaltstiteln rechtmäßig ist.

Durch seine rechtskräftigen, strafgerichtlichen Verurteilungen und seiner Flucht nach Bosnien-Herzegowina sind dem BF jedoch massive Verstöße gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzulasten. Allerdings beging der BF seine letzte Straftat am XXXX.2016 und hat sich auch seit seiner Haftentlassung im Jänner 2018 wohlverhalten. Er machte auch eine stationäre Therapie gegen seine Spiel- und Drogensucht, sodass gegenständlich keine positive Gefährdungsprognose getroffen werden kann.

Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des BF in Österreich, seiner Integration am heimischen Arbeitsmarkt und seiner familiären Bindungen, insbesondere zu seinen Eltern und seinem Bruder, hat er ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Durch seine guten Deutschkenntnisse ist er auch sprachlich verankert. Die Rückkehrentscheidung greift aufgrund des bestehenden Privatlebens des BF trotz der fehlenden Unbescholtenheit und der Verstöße gegen die öffentliche Ordnung unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art. 8 EMRK ein. Auch wenn die minderjährigen Töchter des BF in Bosnien leben, hat er selbst - außer zu diesen - kaum Kontakte in seine Heimat und ist sein Lebensmittelpunkt eindeutig Österreich, wo er zuletzt auch eine Eigentumswohnung erwerben konnte.

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Vermögenskriminalität, Gewalt und unbefugten Waffenbesitz sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der privaten und beruflichen Integration des BF während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist. Sollte der BF allerdings wieder straffällig werden, wird die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2179403.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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