TE OGH 2020/4/24 8ObS1/20k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, *****, wegen Insolvenzentgelt (3.589 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2019, GZ 7 Rs 54/19v-10, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte an Insolvenzentgelt eine Urlaubsersatzleistung für ein Urlaubsjahr, das mehr als zwei Jahre vor Insolvenzeröffnung geendet hatte.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 1 Abs 2 IESG sind nur jene Ansprüche gesichert, die aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen sind. Es handelt sich dabei nach ständiger Rechtsprechung um von Amts wegen zu prüfende Anspruchsvoraussetzungen, deren Fehlen auch ohne darauf abzielende Einwendungen wahrzunehmen ist (RIS-Justiz RS0076711).

2. Zweck des IESG ist eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlusts ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RS0076409). Aus diesem Schutzzweck ergibt sich, dass Arbeitnehmeransprüche, die ein Arbeitnehmer untypischerweise durch Jahre hindurch nicht gerichtlich geltend macht, auch dann, wenn sie vom Arbeitgeber anerkannt und von diesem auf den Verjährungseinwand verzichtet wurde, nicht als gesicherte Ansprüche iSd § 1 Abs 1 IESG anzusehen sind (RS0076409 [T9]). Dementsprechend sind nach der Rechtsprechung Forderungen aus lang zurückliegenden, ohne Anerkenntnis des Arbeitgebers verjährten Urlaubsansprüchen nicht in den Kreis der gesicherten Ansprüche einzubeziehen (RS0112066 [T1]). Daran ändert auch nichts, dass der Arbeitnehmer keine Möglichkeit hatte, den Urlaub zu verbrauchen (RS0112066 [T2]), zumal – anders als etwa bei langdauernden Krankenständen – im Urlaubsgesetz für den Fall der betrieblichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Urlaubsverbrauch keine Fortlauf- oder Ablaufhemmung hinsichtlich der in § 4 Abs 5 UrlG vorgesehenen Verjährung vorgesehen ist (8 ObS 5/05a).

Auch wenn der Verjährungseinwand des Arbeitgebers selbst mit der Replik des Verstoßes gegen Treu und Glauben entkräftet werden könnte, kann dies nicht gegen den Insolvenzentgeltfonds durchschlagen (vgl RS0052744; 8 ObS 14/95).

3. Der Urlaubsanspruch verjährt gemäß § 4 Abs 5 UrlG nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist. Für den tatsächlichen Verbrauch des Naturalurlaubs eines Jahres stehen damit insgesamt drei Jahre zur Verfügung (RS0077515).

Bereits in der Entscheidung 8 ObA 62/18b hat sich der Oberste Gerichtshof im Fall einer Scheinselbständigkeit mit der zur Richtlinie 2003/88/EG ergangenen Rechtsprechung des EuGH ua in den Rechtssachen C-214/16, King, C-619/16, Kreuziger, und C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft, auseinandergesetzt. Da dem Arbeitnehmer nach nationalem Recht ein effektiver Rechtsbehelf zur Durchsetzung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub innerhalb einer angemessenen Frist zur Verfügung gestanden hätte (dort: Feststellungsklage nach § 228 ZPO), beurteilte der 8. Senat die Verjährungsregeln des § 4 Abs 5 UrlG als unionsrechtskonform. Es wurde betont, dass – im Unterschied zur Rechtslage, auf deren Grundlage die Entscheidung C-214/16, King, ergangen ist (gleiches gilt für die Rechtssache C-619/16, Kreuziger, und C-684/16, Max-Plank-Gesellschaft) – der Jahresurlaub nach dieser Bestimmung auf zwei Folgejahre vorgetragen werden kann. In drei Jahren verjähren gemäß § 1486 Z 5 ABGB auch alle Forderungen der Arbeitnehmer auf Entgelt und Auslagenersatz sowie nach § 1486 Z 1 ABGB für die Ausführung von Arbeiten oder sonstige Leistungen in einem gewerblichen, kaufmännischen oder sonstigen geschäftlichen Betrieb. Nur wenn der Arbeitgeber die gerichtliche Geltendmachung des Urlaubsanspruchs innerhalb der dreijährigen Frist durch Handeln wider Treu und Glauben verhindert hat, kann der Arbeitnehmer einem Verjährungseinwand die Replik der Arglist entgegensetzen (RS0077943; RS0014838; RS0034537 [T1, T4]). Von Arglist ist allgemein auszugehen, wenn es der Arbeitgeber geradezu darauf anlegt, die Anspruchsdurchsetzung durch den Arbeitnehmer zu verhindern (RS0014838 [T9]).

4. Die Abweisung des Klagebegehrens wegen Verjährung des Urlaubsanspruchs durch das Berufungsgericht steht nun mit der schon oben dargestellten (vgl Punkt 2.) Rechtsprechung im Einklang:

Der Klägerin ist gegenüber dem Fonds der Einwand verwehrt, ihre Arbeitgeberin habe – insbesondere auch durch Rückholung aus dem Urlaub – verhindert, dass sie ihren Urlaub konsumieren konnte. Auf diesen Einwand stützen sich aber die Rechtsmittelausführungen. Der Anspruch der Klägerin scheitert, selbst wenn sie als Lebensgefährtin eines der persönlich haftenden Gesellschafter der nunmehr insolventen Arbeitgeberin nicht freiwillig auf ihren Urlaubsanspruch verzichtet haben mag, an den Sicherungsgrenzen des IESG.

5. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Textnummer

E128328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBS00001.20K.0424.000

Im RIS seit

19.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten