TE OGH 2020/3/4 15Os11/20m

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Veröffentlicht am 04.03.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Shabaz S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. November 2019, GZ 42 Hv 20/19w-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch die Abweisung des Unterbringungsantrags hinsichtlich idealkonkurrierender mit Strafe bedrohter Handlungen enthält (vgl aber RIS-Justiz RS0115553; Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1), wurde die Unterbringung des Shabaz S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil er am 7. Oktober 2018 in W***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung (ICD 10, F 22) sowie einer rezidivierenden Depression (ICD 10; F 33), beruhte,

A./ Enis Se***** und Erdan A***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung genötigt hat, indem er mit einem Hammer in der Hand drohte, er werde sie umbringen, wenn sie zu seiner Wohnung kämen;

B./ (Polizei-)Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich der Feststellung seiner Identität und seiner Festnahme, zu hindern versucht hat, indem er sich unter Einsatz von Körperkraft durch ruckartige Bewegungen loszureißen versuchte, mit den Armen um sich schlug, wobei er Markus P***** mit der rechten Hand im Bereich der Brust traf, sich am Boden heftig hin und her wälzte und mit den Beinen um sich trat, wobei es nur aufgrund des Einsatzes erheblicher Körperkraft durch mehrere Polizeibeamte beim Versuch blieb;

C./ durch die unter B./ genannte Handlung einen Polizeibeamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt hat, und zwar Markus P*****, der im Zuge der Amtshandlung eine Hautabschürfung am rechten Daumen erlitt,

und hierdurch Taten begangen hat, die als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (A./), als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B./) und als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 „Abs 1 und“ Abs 2 StGB (C./) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), dass dem Urteil nicht geltend gemachte Rechtsfehler (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaften.

Die Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach  21 Abs 1 StGB setzt die Begehung einer mit (ein Jahr übersteigender Freiheits-)Strafe bedrohten Handlung voraus, die nur dann gegeben ist, wenn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand erfüllt sind (RIS-Justiz RS0119623, RS0090295).

Zu der dem Betroffenen zu A./ zur Last gelegten Tat fehlen sowohl Feststellungen zum bedingt vorsätzlichen Einsatz einer (qualifizierten) Drohung als Nötigungsmittel (Schwaighofer in WK2 StGB § 105 Rz 59; Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 105 Rz 59) als auch – worauf auch die Nichtigkeitsbeschwerde hinweist – zum Sinngehalt der Drohung (vgl RIS-Justiz RS0092947).

Zu den dem Betroffenen zu B./ und C./ zur Last gelegten Taten enthält das Urteil überhaupt keine Konstatierungen zur subjektiven Tatseite.

Die Formulierung, es sei „unzweifelhaft, dass sich die Handlungsweisen des Betroffenen als folgerichtige Betätigung eines Willens in Richtung einer schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (A./), eines Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B./) und einer schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 StGB (C./) darstellen“ (US 7), vermag – mangels Sachverhaltsbezugs – die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0098936, RS0119090)

Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) machen die Aufhebung des Urteils und die Anordnung der Verfahrenswiederholung notwendig (§ 285e StPO).

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Betroffene auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§§ 280, 283 Abs 1 StPO) war bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Textnummer

E127726

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00011.20M.0304.000

Im RIS seit

22.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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