TE Bvwg Beschluss 2019/12/2 W128 1435575-4

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Veröffentlicht am 02.12.2019
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Entscheidungsdatum

02.12.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W128 1435575-4/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde des afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.11.2019, Zl. 821384910-191203807:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 Asylgesetz 2005 (AsylG) i.V.m. § 22 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 02.10.2012 einen - ersten - Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid vom 21.05.2013, Zl. 12 13849-BAL, wies das Bundesasylamt, den ersten Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchteil I.) als auch des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchteil II.) ab.

3. Dagegen erhob der Antragsteller fristgerecht Beschwerde.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.10.2014, W138 1435575-1/4E, wies das BFA die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid des BFA vom Bescheid vom 21.05.2013, Zl. 12 13849-BAL, gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchteil I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.10.2015 (Spruchteil III.).

5. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22.01.2016, Zl. 034 HV 140/2015i, rechtskräftig geworden am 14.03.2016, wurde der Antragsteller wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach § 223 Abs. 2 und § 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, welche unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

6. Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 14.01.2019 wurde der Antragsteller wegen Suchtgiftschmuggels gem. § 28a Abs. 1, 2. und 3. Fall SMG (Verbrechen) teils als Beitragstäter nach § 12 3. Fall StGB, wegen Suchtgifthandels gem. § 28a Abs. 1, 5. Fall SMG (Verbrechen) und wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtgiften gem. §§ 27 Abs. 1 Z. 1, 1. und 2. Fall SMG (Vergehen) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

7. Aufgrund dieser Verurteilung leitete das BFA von Amts wegen ein Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes ein.

8. Mit Bescheid vom 26.02.2019, Zl. 821384910-1558195, erkannte das BFA dem Antragsteller den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchteil I.) und entzog ihm die mit Bescheid vom 27.10.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 1 AsylG (Spruchteil II.). Ferner wurde dem Antragsteller ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchteil III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchteil IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchteil V.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchteil VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Antragsteller ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchteil VII.).

9. Dagegen erhob der Antragsteller fristgerecht Beschwerde.

10. Mit Erkenntnis vom 06.05.2019, W192 1435575-3/5E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers gemäß § 9 Abs. 1 Z 1. §§ 10 und 57 AsylG, §§ 52, 53 Abs. 3 Z 1 und 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchteil A.). In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, dass der Antragsteller aufgrund seiner individuellen Umstände als gesunder alleinstehender Mann ohne Vulnerabilitätsaspekte, welcher über eine Ausbildung sowie über Berufserfahrung verfüge, ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen in den urbanen Zentren Kabul und Herat zumutbar sei. Der Feststellung, dass eine Rückkehr des Antragstellers nach Mazar-e Sharif möglich sei, sei nicht zu folgen, da diese ohne zugrundliegende Länderfeststellungen getroffen worden sei.

11. Am 07.11.2019 stellte der Antragsteller neuerlichen einen Antrag (Folgeantrag) auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der dazu erfolgten Erstbefragung gab der Antragsteller u. a. an, dass sich die Situation in Afghanistan seit 2015 verschlechtert habe, da nun der Anführer der Taliban über die gesamte Region "regiere". Sein Bruder und sein Vater seien von den Taliban getötet worden. Nun würden allerdings die Probleme, die er damals mit den Taliban gehabt habe, verstärkt.

12. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 14.11.2019 und am 27.11.2019 brachte der Antragsteller im Wesentlichen Folgendes vor:

Sein Bruder habe für die Regierung in Afghanistan gearbeitet, er sei Offizier gewesen, weshalb seine Familie viele Feinde habe. Die "Leute", die dem Antragsteller Probleme gemacht hätten, befänden sich nach wie vor in XXXX , Provinz Kabul. Diese "Leute" würden ihn einerseits auffordern, gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, andererseits würde er umgebracht. Seit seiner Ausreise hätten sich die Probleme verstärkt, da die französische Armee damals noch die Kontrolle über sein Herkunftsgebiet gehabt habe. Im Jahr 2016 habe die französische Armee Afghanistan verlassen, seitdem seien die Taliban erstarkt. Darüber hinaus habe er sich bei der afghanischen Armee gemeldet, da er dort arbeiten habe wollen. Er habe auch einen "Antrag" unterschrieben, in dem gestanden sei, wie lange er der afghanischen Armee dienen wolle. Allerdings sei er kurz vor Dienstantritt "abgehauen". Der "Antrag" sei schließlich von den Taliban vernichtet worden. Seine Beziehung, zu seiner in XXXX lebenden Freundin, habe er beendet. Zudem leide er an Depressionen, weshalb er Medikamente einnehme.

Als er im Mai 2019 einen negativen Asylbescheid erhalten habe, habe er Österreich Richtung Frankreich verlassen. Im Oktober 2019 habe er in Österreich schließlich die B1 Deutschprüfung ablegen wollen, dabei sei er von der Polizei aufgegriffen worden. In Österreich wolle er nun ein neues Leben beginnen.

13. Mit (mündlich verkündetem) Bescheid vom 27.11.2019, Zl. 821384910-191203807, hob das BFA den faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG auf. Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Es hätten sich keine entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben, weshalb nicht erkannt werden könne, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten würde. So habe der Antragsteller bereits in seinem Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz ausgeführt, dass sein Vater und sein Bruder von den Taliban getötet worden seien. Im gegenständlichen Verfahren habe sich der Antragsteller daher auf seine bereits "ursprünglichen nicht glaubhaften Gründe" bezogen. Neue Gründe habe er nicht vorgebracht.

Soweit der Antragsteller vorbringe, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe, ist auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.05.2019, W192 1435575-3/5E, zu verweisen, wonach die Rückkehr des Antragstellers nach Kabul und Herat möglich sei.

14. Der gegenständliche Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 28.11.2019 (eingelangt am 29.11.2019) übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der am XXXX geborene Antragsteller ist Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er leidet an Depressionen, befindet sich jedoch in keiner regelmäßigen ärztlichen Behandlung.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.10.2014, W138 1435575-1/4E, erwuchs am 30.10.2014 (Datum der Zustellung) in Rechtskraft.

Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22.01.2016, Zl. 034 HV 140/2015i, rechtskräftig geworden am 14.03.2016, wurde der Antragsteller wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs. 1 StGB sowie der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach § 223 Abs. 2 und § 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, welche unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 14.01.2019 wurde der Antragsteller wegen Suchtgiftschmuggels gem. § 28a Abs. 1, 2. und 3. Fall SMG (Verbrechen) teils als Beitragstäter nach § 12 3. Fall StGB, wegen Suchtgifthandels gem. § 28a Abs. 1, 5. Fall SMG (Verbrechen) und wegen unerlaubtem Umgang mit Suchtgiften gem. §§ 27 Abs. 1 Z. 1, 1. und 2. Fall SMG (Vergehen) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.05.2019, W192 1435575-3/5E, erwuchs am 09.05.2019 (Datum der Zustellung) in Rechtskraft.

Im nunmehr am 07.11.2019 angestrengten erneuten Verfahren auf Gewährung von internationalem Schutz (Asylfolgeverfahren) hat sich der Antragsteller auf keine neuen Vorbringen gestützt. Die Lage im Herkunftsstaat des Antragstellers stellt sich gegenüber den im rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren getroffenen Feststellungen im Wesentlichen als unverändert dar.

Der Antragsteller ging zuletzt keiner legalen Beschäftigung in Österreich nach. Er war vom 22.05.2019 bis zum 10.11.2019 nicht in Österreich gemeldet. Seit dem 08.11.2019 befindet er sich in Schubhaft.

Es liegt kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des Erstantrages ergeben hätte.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Antragsteller, zum Gang des ersten Asylverfahrens sowie des gegenständlichen Folgeverfahrens basieren auf seinen Angaben, den vorgelegten Verwaltungsakten des BFA, den Akten der h.g. Verfahren zu W138 1435575-1 und W192 1435575-3 sowie der Auskunft aus dem Strafregister vom 29.11.2019.

Dass das Vorbringen betreffend die Probleme des Antragstellers mit den Taliban bereits im ersten Asylverfahren behandelt wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des BFA. So brachte der Antragsteller in diesem Verfahren vor, dass sein "Vater und sein Bruder [...] von den Taliban umgebracht" worden seien, weshalb ihm "das gleiche Schicksal" drohe (siehe Erstbefragung vom 02.10.2012, AS 13 des Verfahrens zum ersten Asylantrag). Dies deckt sich auch mit dem Vorbringen in seinem Folgeantrag vom 07.11.2019, wo er selbst vorbrachte, dass sein Fluchtvorbringen auf den "gleichen Gründen" beruhe, jedoch seien "die Probleme [...] jetzt noch stärker geworden". Nachgefragt, seit wann seine Probleme stärker geworden seien, gab er an, dass sich die Situation in Afghanistan seit 2015 bzw. 2016 mit dem Rückzug der französischen Armee aus Afghanistan verschlechtert habe (siehe Erstbefragung vom 07.11.2019 und niederschriftliche Einvernahme vom 14.11.2019, AS 41 und 79f. des gegenständlichen Verfahrens). Auch, dass der Antragsteller eine Verfolgung durch die afghanische Nationalarmee befürchte, wurde bereits im Verfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz behandelt (siehe niederschriftliche Einvernahme vom 03.12.2012, AS 74).

Sein Fluchtvorbringen wurde jedoch mit Bescheid des BFA vom 21.05.2013, 12. 13.849-BAL, bzw. mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.10.2014, W138 1435575-1/4E, als unglaubwürdig qualifiziert. Da das BFA bzw. das Bundesverwaltungsgericht sein Fluchtvorbringen (Verfolgung durch Taliban, Verfolgung durch afghanische Nationalarmee) als unglaubwürdig erachteten und er sich seit 2009 nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat, kann auch sein Vorbringen in Bezug auf die "stärker" gewordenen Probleme mit den Taliban keine Beachtung geschenkt werden. Somit handelt es sich bei den im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten Behauptungen und vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen des Antragstellers nicht um Sachverhalte, die erst nach Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklicht wurden.

Es kann daher nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des Erstantrages ergeben hat.

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Antragstellers in Österreich gründen ebenfalls auf dessen Angaben in Zusammenschau mit der historischen Abfrage des Zentralen Melderegisters vom 02.12.2019. Der Antragsteller gab bereits in seiner Stellungnahme vom 15.02.2019 zu Protokoll, keine Verwandten oder sonstige Bindungen in Österreich zu haben (vgl. AS 69 des gegenständlichen Verfahrens). Dass er die Beziehung zu seiner in XXXX lebenden Freundin inzwischen beendet hat, ergibt sich aus seinem Vorbringen im Folgeverfahren (vgl. AS 81 des gegenständlichen Verfahrens).

Dass sich der Antragsteller seit dem 08.11.2019 in Schubhaft befindet, ergibt sich aus der Auskunft der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres vom 02.12.2019.

Die Feststellungen, dass die Gefährdungslage in Afghanistan bzw. die Möglichkeit der Rückkehr - jedenfalls in die Städte Kabul und Herat - keiner relevanten Änderung unterlag, stützen sich auf Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.05.2019, W192 1435575-3/5E; die im Folgeverfahren dazu eingeholten Beweismittel (aktualisierte Länderinformationen) ergaben keine Anhaltspunkte, die für den vorliegenden Beschwerdefall zur Annahme einer wesentlich geänderten Sachlage zwängen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG sind die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.

Der hier maßgebliche §§ 12a AsylG lautet wie folgt:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12. (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn

1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,

2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,

3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben., und

4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

[...]

(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüberhinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, Ausweisungen gemäß § 66 FPG und Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüberhinausgehenden Zeitraum festgesetzt wurden."

Der einschlägige § 22 des BFA-VG lautet folgendermaßen:

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG) ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

3.1.2. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") bedeutet, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" durchzuführen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; 12.12.2018, Ra 2018/19/0010).

Im vorliegenden Fall wurde ein Folgeantrag gestellt, nachdem dem Antragsteller der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig aberkannt wurde, eine Rückkehrentscheidung getroffen wurde und ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wurde.

Es liegt daher ein Fall vor, in dem das BFA den faktischen Abschiebeschutz nach § 12a Abs. 2 AsylG aberkennen "kann". Indizien dafür, dass ein Fall vorliegt, bei dem die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern, liegen bereits in der Ausreise des Antragstellers nach Frankreich.

Im vorliegenden Fall kann schon bei einer Grobprüfung gesagt werden, dass die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat: Sowohl sein Vorbringen in Bezug auf die Verfolgung durch die Taliban als auch sein Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch die afghanische Nationalarmee stützen sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt, der im Verfahren über den ersten Asylantrag behandelt und als unglaubwürdig erachtet wurde (vgl. Punkt I.2).

Dem gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz steht daher die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.10.2014, W138 1435575-1/4E, entgegen.

Die für den Antragsteller maßgebliche Ländersituation in seinem Herkunftsstaat Afghanistan ist im Wesentlichen gleichgeblieben. Zumindest gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Kabul und Herat zu einer wesentlichen Verschlechterung gekommen wäre, weshalb nach wie vor eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan besteht (vgl. Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.05.2019, W192 1435575-3/5E sowie vgl. VfGH 29.06.2011, U1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 m.w.N.).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Antragsteller dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände ist vor dem Hintergrund der Feststellungen jedenfalls zu verneinen.

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

Es sind auch keine erheblichen in der Person des Antragstellers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden. Zwar gab der Antragsteller an, an Depressionen zu leiden, der Antragsteller befindet sich jedoch einerseits in keiner regelmäßigen Therapie, andererseits gibt es in Afghanistan sehr wohl Behandlungsmöglichkeiten, die für den Antragsteller zugänglich sind und eine medizinische Versorgung gewährleisten.

Ebenso wenig sind Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Antragsteller ein "reales Risiko" einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Antragsteller hat auch solche Umstände weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme durch das BFA vorgebracht.

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK hat der Antragsteller bereits im ersten Asylverfahren angegeben, in Österreich keine Familie oder Verwandte zu haben. Abgesehen davon war er vom 22.05.2019 bis zum 10.11.2019 nicht in Österreich gemeldet und beendete in dieser Zeit seine Beziehung zu seiner (damaligen) in XXXX lebenden Freundin. Es kann daher auch keine Verletzung seines Rechts auf Privat- oder Familienleben durch eine Abschiebung festgestellt werden.

Entsprechend den obigen Ausführungen stellt - nach einer Grobprüfung - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Antragstellers in seinen Herkunftsstaat für ihn somit keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK dar bzw. ist ein Eingriff in allfällig bestehende Rechte nach Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Es besteht für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Da somit alle Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG erfüllt sind, ist spruchgemäß festzustellen, dass die mit mündlich verkündetem Bescheid vom 27.11.2019 ausgesprochene Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig war.

3.1.3. Gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung und ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Entscheidung folgt dem Erkenntnis VfGH 10.10.2018, G 186/2018 ua., mit dem Anträge des VwGH und des BVwG (darunter ein aus Anlass des vorliegenden Verfahrens gestellter Antrag) auf Aufhebung der hier anzuwendenden Rechtsnormen als verfassungswidrig ab- bzw. zurückgewiesen wurden.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung, faktischer Abschiebeschutz -
Aufhebung rechtmäßig, Folgeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W128.1435575.4.00

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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