TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/8 W189 2182760-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs2
StGB §125
StGB §127
StGB §229
StGB §83
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W189 2182760-1/21E

W189 2182760-2/4E

W189 2182762-1/17E

W189 2182752-1/12E

W189 2182757-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, 1.) vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 2.) bis 4.) vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017, Zlen. 1.) 1050885205-150107517, 2.) 1050885401-150107541, 3.) 1084337704-151187071 und 4.) 1134228303-161500451, sowie gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2019, Zl. 2182760-2, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.06.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen die Bescheide vom 06.12.2017 werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG und § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 16.04.2019, Zl. 2182760-2 wird gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) führte mit der Zweitbeschwerdeführerin (BF2) eine Lebensgemeinschaft und die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder (BF3 und BF4). Gemeinsam werden sie als die BF bezeichnet.

1. BF1 und BF2, Staatsangehörige in der Ukraine, reisten gemeinsam illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 28.01.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.01.2015 erklärte BF1, Staatsangehöriger der Ukraine zu sein. Er sei orthodoxen Glaubens, Zugehöriger der Volksgruppe der Ukrainer und habe keine Ehe geschlossen. Er spreche die Sprachen Ukrainisch und Russisch. Im Herkunftsstaat habe er im Waisenhaus sieben Jahre die Grundschule und eine Lehre als Koch absolviert. Zuletzt habe er als Koch gearbeitet. Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass seine Lebensgefährtin schwanger sei. Da sie aus Donezk stammen würden und er sie liebe, habe er beschlossen, zu flüchten. Er wolle eine Familie gründen und ein gesundes Kind. In Donezk herrsche Krieg. Sonstige Fluchtgründe habe er nicht.

BF2 gab im Zuge ihrer Erstbefragung am selben Tag an, dass sie Staatsangehörige der Ukraine sei. Sie spreche Russisch und Ukrainisch, gehöre der Volksgruppe der Ukrainer an und bekenne sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Von 2000 bis 2009 habe sie die Grundschule und von 2009 bis 2011 die Ausbildung zum Koch / Konditor gemacht. Zuletzt habe sie als Konditorin gearbeitet. Im Herkunftsstaat würden ihre Eltern leben. Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass sie vor dem Krieg geflüchtet seien. Es habe Bombenanschläge gegeben, weshalb sie etwa ein halbes Jahr im Keller gelebt hätten. Da BF2 ein Kind erwartet habe, hätten sie sich zur Flucht entschieden.

2. Am XXXX ist BF3 im Bundesgebiet geboren und wurde für diese am 24.08.2015 durch ihre gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

3. Am XXXX ist BF4 im Bundesgebiet geboren und wurde für diese am 31.10.2016 durch ihre gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

4. Laut Abschlussbericht der LPD Oberösterreich vom 29.07.2016, Zl. B6/6571/2016-SCM, wird BF1 beschuldigt, das Delikt der Körperverletzung begangen zu haben.

5. Laut Meldung der LPD Oberösterreich vom 14.07.2017, Zl. E1/77780/2017, wurde BF1 wegen Fremdgefährdung gemäß § 46 Abs. 1 SPG einem Arzt vorgeführt. Laut Sachverhalt habe er fremde Personen im Park attackiert und sei auf zwei Frauen des Ordnungsdienstes losgegangen.

6. Am 27.11.2017 wurde BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen und gab dabei an, dass er bei seiner Großmutter aufgewachsen und mit sieben Jahren in ein Internat gekommen sei. Danach habe er nicht die Ausbildung zum Koch gemacht, sondern Jura studiert und ab 2012 bei der Polizei gearbeitet. Danach sei er in einem privaten Wachdienst tätig gewesen. In der Erstbefragung habe er Stress und Angst gehabt, weshalb er das nicht erzählt habe. Nachgefragt gab BF1 zu Protokoll, dass er keine Dokumente aus dem Herkunftsstaat beschaffen könne. Im Herkunftsstaat hätten die BF in einem Eigentumshaus gelebt und seien die Lebensverhältnisse schlecht gewesen. Als Fluchtgrund brachte BF1 zunächst die allgemeine Lage in Donezk vor. Überdies seien er und BF2 eines Tages beim Grillen von pro-ukrainischen "Militärs" entführt worden. Sie seien getrennt gewesen, BF1 sei ungefähr zwei Tage in einer Zelle gewesen und wieder freigelassen worden. BF2 sei ein Tag nach ihm nachhause gekommen und sei ihr die Nase gebrochen worden. BF1 habe keine Polizeidienststelle aufgesucht, weil er nicht gewusst habe, wohin er gehen solle. Aufgrund der Bombardierungen hätten die BF etwa sechs Monate lang im Keller gelebt und seien dann nach Österreich gekommen. Im Bundesgebiet lebe BF1 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern. Er habe einen A1 Deutschkurs besucht und sei nicht Mitglied bei einem Verein. Im Herkunftsstaat habe BF1 keine Verwandten mehr, aber oft Kontakt zu seinen Freunden und Bekannten. Zum Gesundheitszustand führte BF1 an, dass er eine "Nervenkrankheit" im Gesicht habe und deswegen in ständiger Behandlung sei. Auch befinde er sich in psychiatrischer Behandlung. Vorgelegt wurden medizinische Unterlagen.

BF2 gab in ihrer Einvernahme vor dem BFA am selben Tag an, dass sie über keine identitätsbezogenen Dokumente verfüge. BF2 sei bei ihren Großeltern groß geworden. Im Herkunftsstaat hätten die BF in einem Haus gewohnt. Zu den Fluchtgründen brachte BF2 vor, dass in der Ukraine Krieg geherrscht habe. Auch schilderte sie den Vorfall, wonach sie und ihr Mann beim Grillen pro-ukrainischen "Militärs" entführt worden seien. Man habe ihnen immer wieder gedroht, sie umzubringen. Sie sei an einem ihr unbekannten Ort in eine Zelle gesteckt worden, wo man sie vergewaltigt habe und ihr die Nase gebrochen worden sei. Am 26. Mai 2014 habe das alles angefangen. Dann hätten sie bei Freunden geschlafen und seien ungefähr drei Monate im Keller gewesen. Als sie schwanger gewesen sei, seien sie nach Österreich geflüchtet. Im Bundesgebiet habe BF2 an einem Frauentreffen teilgenommen und sie wolle einen Deutschkurs beginnen. Die Mutter von BF2 lebe in der Ukraine, jedoch habe sie keinen Kontakt mehr. Ihre Großeltern seien bereits verstorben. Sie habe Bekannte in Donezk. Sie und die minderjährigen BF3 und BF4 seien gesund.

Am Ende ihrer jeweiligen Einvernahme wurde den BF die Möglichkeit geboten, in das aktuelle Länderinformationsblatt zur Lage in der Ukraine Einsicht zu nehmen und dazu eine schriftliche Stellungnahme anzugeben.

7. Laut Bericht der LPD Oberösterreich vom 29.11.2017, Zl. B6/7928/2017-Es, wurde BF1 aufgrund eines Betretungsverbotes, beginnend am 29.11.2017, gemäß § 38a SPG weggewiesen. Grund dafür war, dass er einen Mitbewohner der Unterkunft angegriffen hat.

8. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention darzulegen. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.

9. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Nach Wiedergabe des Vorbringens wurde insbesondere mangelhafte Ermittlungen sowie eine mangelhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Fluchtgründe moniert. So hätten die BF zu den fluchtauslösenden Vorfällen konkrete und umfangreiche Angaben gemacht und würden sich die geschilderten Erlebnisse - rassistisch motivierte Angriffe - mit den Länderberichten decken. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht gegeben, da eine Reisefreiheit für Personen aus der Ostukraine nicht gegeben sei und mit einer Verfolgung im gesamten Staatsgebiet zu rechnen sei. Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

10. Laut Bericht der LPD Niederösterreich vom 04.02.2018, Zl. PAS/18/00175167/002/VW, wurde gegen BF1 ein Betretungsverbot, beginnend am 04.02.2018, 19:11, im Umkreis von 50m der Räumlichkeiten des Asylquartiers von BF2, BF3 und BF4, ausgesprochen.

11. Laut Meldung über die Straftat eines Asylwerbers gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG der LPD Oberösterreich vom 05.02.2018, Zl. PAD/18/00175167/001/KRIM, wurde BF1 beschuldigt die Delikte der Körperverletzung, des Diebstahls durch Einbruch mit Waffen, sowie der gefährlichen Drohung begangen zu haben.

12. Am 15.03.2018 wurde vom Bezirksgericht Perg gegen BF1 eine einstweilige Verfügung gemäß § 382e EO ausgesprochen.

13. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14.05.2018, Zl. Hv 9/2018h, wurde BF1 wegen § 125 StGB und § 83 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

14. Laut Meldung über die Straftat eines Asylwerbers gemäß § 30 Abs. 2 BFA-VG der LPD Oberösterreich vom 15.05.2018, Zl. PAD/18/00290281/001/KRIM, wurde BF1 des gewerbsmäßigen Diebstahls und des Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung beschuldigt.

15. Laut Berichterstattung der LPD Oberösterreich vom 18.07.2018, Zl. PAD/18/01328038/001/KRIM, wurde gegen BF1 wegen Körperverletzung eine Wegweisung inkl. Betretungsverbot hinsichtlich der Asylunterkunft ausgesprochen.

16. Laut Anzeigen der LPD Oberösterreich vom 26.07.2018, Zlen. PAS/18/10383595/002-008/VStV, wurde BF1 wegen Verletzung des Anstandes zur Anzeige gebracht. Dabei hat er sich aggressiv verhalten, den Beamten mehrmals den Mittelfinger gezeigt und sie bzw. das KFZ der Beamten bespuckt.

17. Am 30.08.2018 wurde BF1 durch die LPD Oberösterreich wegen § 141 StGB zur Anzeige gebracht.

18. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Rohrbach vom 31.08.2018, Zl. 96/18g-27, wurde die Aussetzung des Kontaktrechts von BF1 zu BF3 und BF4 wegen Gefährdung des Kindeswohls beschlossen.

19. Laut Meldung der LPD Niederösterreich vom 18.10.2018, Zl. PAD18/01387835/002/KRIM, wurde BF1 wegen §§ 229 und 134 StGB zur Anzeige gebracht.

20. Am 19.11.2018 wurde BF1 durch die LPD Oberösterreich wegen § 141 StGB zur Anzeige gebracht.

21. Am 23.02.2019 wurde BF1 durch die LPD Oberösterreich wegen § 127 StGB zur Anzeige gebracht.

22. Laut Abschlussbericht der LPD Oberösterreich vom 13.03.2019, Zl. PAD/19/00382490/001/KRIM, besteht bei BF1 der Verdacht dies Diebstahls.

23. Mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 03.04.2019, Zl. Hv 31/2019t, wurde BF1 wegen §§ 15, 127 und § 83 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

24. Mit Bescheid des BFA vom 16.04.2019 wurde gegen BF1 gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Begründet wurde dieses mit den Betretungsverboten, den zahlreichen Anzeigen, die gegen BF1 bestehen würden, sowie der Verurteilung durch das Landesgericht Linz vom 14.05.2018. Trotz dieser Verurteilung habe BF1 zahlreiche weitere strafbare Handlungen gesetzt. Auch bestreite er seinen Lebensunterhalt durch Mittel der öffentlichen Hand. Insgesamt ergebe sich aus seinem Verhalten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Im Falle einer neuerlichen Einreise sei in seinem Fall davon auszugehen, dass er sein Verhalten fortsetzen werde, weshalb ein Einreiseverbot für die Dauer von vier Jahren gerechtfertigt sei. Die familiären oder privaten Anknüpfungspunkte seien auch nicht derart stark ausgeprägt, dass sie einen Verbleib im Bundesgebiet rechtfertigen würden.

25. Mit der Rechtsvertretung von BF1 wurde dagegen eine Beschwerde erhoben. Der Sachverhalt stehe in keinem Zusammenhang mit dem Sachverhalt, der zur Rückkehrentscheidung geführt habe. Beantragt wurde den Bescheid aufzuheben, allenfalls diesen an die Behörde zurückzuverweisen.

26. Mit Eingabe der Rechtsvertretung von BF2 wurde dem Gericht mitgeteilt, dass die Lebensgemeinschaft mit BF1 wegen häuslicher Gewalt seit eineinhalb Jahren nicht mehr bestehe. Vorgelegt wurden die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichtes Linz vom 14.05.2018, der Beschluss des Bezirksgerichtes Rohrbach vom 31.08.2018, ärztliche Unterlagen sowie ein Zeugnis über die abgelegte Integrationsprüfung (A2) von BF2.

27. Am 21.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, zu welcher die BF und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. Dabei wurden BF1 und BF2 getrennt einvernommen. Mit Schreiben vom 11.06.2019 verzichtete das BFA auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und ist ein Vertreter der Behörde entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen ihrer jeweiligen Verhandlung wurde sowohl BF1, als auch BF2 die Möglichkeit geboten ausführlich zu ihren Fluchtgründen Stellung zu nehmen. Auch konnten sie sich zu ihrer Integration im Bundesgebiet äußern und wurde BF1 das gegen ihn verhängte Einreiseverbot vorgehalten. BF1 legte ein ärztliches Schreiben (Allgemeinmedizin) betreffend Behandlung wegen depressiver Psychose und Opiatsersatzbehandlung und ein Medikamentenverordnungsblatt vor. BF2 legte einen Befund (Psychiatrie und Neurologie) zur bei ihr festgestellten Anpassungsstörung sowie einen Arztbrief zum Gesundheitszustand von BF3 vor.

28. Mit Schriftsatz vom 02.07.2019 wurde durch die Rechtsvertretung von BF1 auf die in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2019 herangezogenen Länderberichte zur Lage in der Ukraine Stellung bezogen und insbesondere moniert, dass BF1 weder in die Ost-Ukraine, noch in die West-Ukraine, wo er der Unterstützung der pro-russischen Separatisten bezichtigt werden würde, zurückkönne. Auch wolle BF1 nicht am Krieg in der Ukraine teilnehmen und bestehe für ihn dort kein Auffangnetz. Im Bundesgebiet sei er gut intergiert und stelle er keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

29. Mit Schriftsatz vom 02.07.2019 wurde durch die Rechtsvertretung von BF2 auf die in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2019 herangezogenen Länderberichte zur Lage in der Ukraine für die BF2, BF3 und BF4 Stellung bezogen. Dabei wurde insbesondere auf die Vulnerabilität der BF hingewiesen und dass BF2 im Herkunftsstaat keinen Schutz vor ihrem gewalttätigen Ex-Lebensgefährten BF1 bekommen würde, zumal dieser Kontakt zu den örtlichen Behörden hätte. Ihnen könne auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zugemutet werden, dies insbesondere im Hinblick auf den ineffektiven Rechtsschutz und der Tatsache, dass BF2 keine Verwandten oder andere soziale Anknüpfungspunkte habe, auf die sie zurückgreifen könne. Auch wäre das Kindeswohl verletzt. BF2 hätte sich im Bundesgebiet weitgehend integriert, lerne Deutsch im Selbststudium und habe bereits ein paar Freundschaften geknüpft. Schließlich sei ihr eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 zu gewähren, da es gegenüber BF1 Betretungsverbote gegeben habe und die einstweilige Verfügung vom 15.03.2018 hätte verlängert werden müssen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der BF, beinhaltend ihre jeweiligen Erstbefragungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.01.2015 und die jeweiligen niederschriftlichen Einvernahmen von BF1 und BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 27.11.2017, sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2019, und schließlich durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS und IZR sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine.

1. Feststellungen:

1.1. Festgestellt wird, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine, aus einem Vorort von Donezk sind. Sie sind Zugehörige der Volksgruppe der Ukrainer und bekennen sich zum orthodoxen Glauben. BF1 und BF2 waren Lebensgefährten und reisten gemeinsam illegal in das Bundesgebiet ein. BF3 und BF4 sind ihre gemeinsamen im Bundegebiet nachgeborenen minderjährigen Kinder. Die BF beherrschen die Sprachen Russisch und Ukrainisch in Wort und Schrift.

Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 im Herkunftsstaat das Studium der Rechtswissenschaften absolviert hat und danach als Polizist gearbeitet hat. Es ist davon auszugehen, dass er die Schule absolvierte und einem Erwerb nachging. Es kann ferner nicht festgestellt werden, über welche Verwandte und Familienangehörige BF1 im Herkunftsstaat verfügt. Jedenfalls lebt seine Schwester in der Ukraine, zu welcher er in Kontakt steht. Er hat Freunde und Bekannte in der Ukraine.

BF2 besuchte elf Jahre die Schule, erlernte die Ausbildung "Koch und Konditor" und arbeitete als Köchin und in einer Bäckerei. Die Mutter von BF2 lebt in der Ukraine und der Kontakt zu dieser kann wiederhergestellt werden. Auch hat sie Freunde und Bekannte, zu denen der Kontakt wiederhergestellt werden kann.

Die BF lebten finanziell abgesichert in einer Mietwohnung.

1.2. BF1 und BF2 stellten nach illegaler Einreise am 28.01.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. BF3 und BF4 sind die im Bundesgebiet nachgeborenen gemeinsamen Kinder.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht. Die BF haben im Herkunftsstaat niemals Probleme mit den heimatlichen Behörden gehabt und sind auch niemals politisch tätig oder in einer politischen Partei gewesen.

Die BF können in ein weit von den von Unruhen entfernten Gebiet in der Ukraine und wo die Lage ruhig ist, wie zum Beispiel in Kiew, ziehen.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

BF1 und BF2 sind mittlerweile getrennt.

BF2 erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines "Aufenthaltstitels besonderer Schutz".

Die BF haben keine Verwandten oder sonstigen nahen Angehörigen in Österreich und konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Im Bundesgebiet leben die BF aus Leistungen von der Grundversorgung und sie sind nicht selbsterhaltungsfähig.

BF1 kann sich kaum auf Deutsch verständigen und er legte keine Deutschkursbestätigung im Verfahren vor. Er hat keine Kurse, eine Schule oder die Universität besucht, ist nicht Mitglied in einem Verein und geht keinen kulturellen Aktivitäten nach. Gelegentliche spielt er Fußball mit den Bewohnern der Unterkunft. Er hat keine österreichischen Freunde. BF1 muss anhand einer Gläubigerliste seine offenen Strafen abbezahlen.

Gegen BF1 bestehen sieben Anzeigen wegen Delikten gegen Leib und Leben, sowie Delikte gegen fremdes Vermögen. Gegen BF1 wurden drei Betretungsverbote und eine einstweilige Verfügung erlassen. Auch wurde ihm das Kontaktrecht zu seinen Töchtern BF3 und BF4 entzogen.

BF1 ist strafrechtlich nicht unbescholten und wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14.05.2018, Zl. Hv 9/2018h wegen § 125 StGB und § 83 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 03.04.2019, Zl. Hv 31/2019t, wurde BF1 wegen §§ 15, 127 und § 83 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt

BF2 absolvierte die Integrationsprüfung (des Deutsch-Niveaus A2) und ist in der Lage, sich auf Deutsch zu verständigen. Sie kümmert sich um die minderjährigen BF3 und BF4 und hat ein paar gute Bekannte im Bundesgebiet. Sie hat keine ehrenamtlichen Tätigkeiten verrichtet, bzw. Ausbildungen, sonstige Kurse, eine Schule oder die Universität absolviert. Sie ist nicht Mitglied in einem Verein und geht keinen sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach. BF2 ist unbescholten.

BF1 ist nicht lebensbedrohlich erkrankt. Die Ukraine verfügt über eine funktionierende medizinische Versorgung.

BF2, BF3 und BF4 sind gesund.

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

KI vom 09.01.2019, Kriegsrecht beendet (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat wie angekündigt, das für Teile der Ukraine verhängte 30-tägige Kriegsrecht, nicht verlängert. Es lief damit wie geplant am 26.12.2018 um 13 Uhr (MEZ) aus. Der Präsident betonte, das Kriegsrecht habe in keiner Weise den Alltag der Zivilbevölkerung beeinflusst (ZO 26.12.2018; vgl. DW 26.12.2018).

Quellen:

-

DW - Deutsche Welle (26.12.2018): Poroschenko beendet das Kriegsrecht,

https://www.dw.com/de/poroschenko-beendet-das-kriegsrecht/a-46868008, Zugriff 9.1.2019

-

ZO - Zeit Online (26.12.2018): Kriegsrecht in der Ukraine ist beendet,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/petro-poroschenko-ukraine-kriegsrechtbeendet, Zugriff 9.1.2019

KI vom 28.11.2018, 30 Tage Kriegsrecht für bestimmte Oblaste verhängt (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Das ukrainische Parlament hat am 26. November dem Antrag von Präsident Poroschenko zugestimmt, in Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Betroffen sind die "gegenüber russischer Aggression verwundbarsten Regionen" des Landes (siehe Karte) (RFE/RL 26.11.2018).

Bild kann nicht dargestellt werden

(RFE/RL 27.11.2018)

Das Kriegsrecht ermöglicht in den genannten Oblasten eine teilweise Mobilisierung, eine Stärkung der Luftverteidigung sowie eine nicht näher spezifizierte Stärkung des Konterspionage-, Konterterrorismus- und Kontersabotage-Regimes und der Informationssicherheit. Von den 450 Abgeordneten der Obersten Rada (ukrainisches Parlament) stimmten nach hitziger Debatte 276 für und 30 gegen den Antrag. Zuerst hatte Poroschenko die Maßnahme noch für 60 Tage gefordert, das aber später reduziert (RFE/RL 26.11.2018).

Anlass für diesen in der ukrainischen Geschichte beispiellosen Schritt, war ein Vorfall in der Meerenge von Kertsch (der einzigen Zufahrt zum Asowschen Meer) vom vergangenen Wochenende, bei dem die russische Küstenwache Patrouillenboote der ukrainischen Marine erst beschoss, einen Schlepper rammte und die Boote danach festsetzte und insgesamt 23 ukrainische Seeleute inhaftierte. Russland behauptet, die ukrainischen Seefahrzeuge hätten illegal russische Gewässer befahren. Seit die ukrainische Krimhalbinsel von Russland annektiert worden ist, gibt es gehäuft Probleme beim freien Zugang zum Asowschen Meer und damit zum für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Hafen Mariupol. Mittlerweile hat Russland auch eine Brücke über die Meerenge von Kertsch gebaut (RFE/RL 26.11.2018).

Präsident Poroschenko sagte vor der Debatte im Parlament, die Verhängung des Kriegsrechts sei nötig, damit die Ukraine unverzüglich die Verteidigung stärken kann, um im Falle einer Invasion schnell reagieren zu können. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ukraine offensive Operationen unternehmen wolle; es gehe ausschließlich um den Schutz des Territoriums und die Sicherheit der Bürger. Das Kriegsrecht sieht Dutzende Handlungsoptionen vor, die ergriffen werden können - aber nicht müssen. Diese müssen vor Inkrafttreten von der Regierung festgelegt werden. So gehen die Polizeiaufgaben in Kampfgebieten an die Armee über. Das Militär erhält erweiterte Rechte und ist beispielsweise berechtigt, Ausgangssperren zu verhängen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Verkehrs- und Personenkontrollen vorzunehmen. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Auch ist es während des Kriegsrechts verboten, Verfassungsänderungen, Parlaments- oder Präsidentenwahlen durchzuführen. Das Kriegsrecht lässt aber keine Folter zu. Bei Rechtsverstößen können nur reguläre Gerichte urteilen. Zusätzlich können weitere Maßnahmen getroffen werden wie Einschränkung der Pressefreiheit, Kontrollen oder Einschränkungen der Kommunikationsmittel usw. Im Gesetz ist festgehalten, dass das Kriegsrecht nach dem festgelegten Zeitraum enden muss. Eine Verlängerung würde dementsprechend einen erneuten Antrag des Präsidenten erfordern. Allerdings kann das Kriegsrecht auch frühzeitig beendet werden. Das derzeit geltende Kriegsrecht gilt für 30 Tage. Es trat am 28. November 2018, 9 Uhr morgens in Kraft und endet am 27. Dezember 2018 (SO 27.11.2018).

Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sind für den 21. März 2019 angesetzt und sollen wie geplant stattfinden (RFE/RL 26.11.2018).

Quellen:

-

RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (26.11.2018): Ukraine Backs Martial Law After Gunfire At Sea, https://www.rferl.org/a/ukrainian-lawmakers-to-consider-martial-law-proposal-after-russia-opens-fire-on-ships-in-black-sea/29620128.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-

RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (27.11.2018): Ukraine's Martial Law,

https://www.rferl.org/a/ukraines-martial-law/29623833.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

-

SO - Spiegel Online (27.11.2018): So weitreichend ist das ukrainische Kriegsrecht,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-was-bedeutet-das-kriegsrecht-a-1240658.html, Zugriff 28.11.2018

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

Halbinsel Krim

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten