TE OGH 2019/12/16 1Ob177/19i

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Veröffentlicht am 16.12.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Parzmayr und Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** H*****, vertreten durch Dr. Stefan Rieder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 140.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. August 2019, GZ 4 R 79/19v-31, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 8. April 2019, GZ 3 Cg 38/17w-27, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte wurde im Vorprozess (Amtshaftungsverfahren) mit Urteil des Erstgerichts vom 1. 5. 2012 nach erfolgloser Berufung und Revision (1 Ob 250/12i) verurteilt, an den Kläger 225.303,40 EUR samt Stufenzinsen und Prozesskosten zu zahlen. Weiters wurde die Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden „aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten“ des Gerichtskommissärs (gemeint: seiner Auskunft, der Kläger dürfe die im Nachlass befindliche Wohnung verkaufen und den Erlös für einen Hausbau auf seinem Grund verwenden) festgestellt. Das Verlassenschaftsverfahren betraf die 1998 verstorbene geschiedene Ehefrau des Klägers und Mutter der zwei gemeinsamen minderjährigen Töchter (geboren 1983 und 1984). Im Vertrauen auf die Auskunft des Gerichtskommissärs verkaufte der Kläger, dem nach dem Tod der Mutter die Obsorge über die Töchter zukam, im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens – als Vertreter des ruhenden Nachlasses – die Eigentumswohnung der Erblasserin um einen Kaufpreis von (umgerechnet) 167.147,42 EUR und verwendete diesen Betrag zur (Mit-)Finanzierung eines Hauses auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in S***** (kurz: Haus S*****). Die Errichtung des aus fünf parifizierten Wohnungen bestehenden Hauses war im Juli 2000 abgeschlossen. Die Verwendung des den Töchtern, die Erbinnen nach ihrer Mutter waren, zustehenden Erlöses aus dem Wohnungsverkauf für Investitionen in den Bau eines neuen Hauses war pflegschaftsgerichtlich nicht genehmigt; der Antrag auf nachträgliche Genehmigung wurde rechtskräftig abgewiesen.

Nachdem mehrere Lösungsansätze zur Sicherung des Erbteils der Töchter nicht verwirklicht werden konnten, verpflichtete sich der Kläger schließlich mit prätorischem Vergleich vom August 2001, seinen Töchtern bis Ende Juli 2002 je 1,15 Mio S (= 83.573,76 EUR) samt 4 % Zinsen seit 1. 10. 1999 zu zahlen. Zur Finanzierung dieser Zahlungen verkaufte er schließlich alle fünf Wohnungen des Hauses S*****.

Im Vorverfahren erhielt der Kläger folgende Schadenersatzbeträge zugesprochen und danach von der Beklagten ersetzt:

1. Rechtsvertretungskosten          33.321,49 EUR

2. Honorar Gutachter R*****           3.529,28 EUR

3. Honorar Gutachter A*****  514,47 EUR

4. Honorar Dr. K*****           3.488,30 EUR

5. Pauschalgebühr prätorischer

Vergleich                                      1.787,02 EUR

6. Verlust aus Verkauf

Wohnungen Top 2 und 4           114.134,71 EUR

7. Verlust aus Verkauf

Wohnungen Top 3 und 5                    3.285,91 EUR

8. Küchenverkauf                             1.090,09 EUR

9. Kosten Ersatzwohnung           5.108,77 EUR

10. Immobilienmaklerprovision 18.966,61 EUR

11. Zinsschaden                             8.720,74 EUR

12. Mietkosten Kinder                   17.004,00 EUR

13. Mietkosten des Klägers          14.352,00 EUR

Summe                              225.303,40 EUR

Im Vorprozess wurde im Zusammenhang mit den Schadenspositionen 6., 7. und 9. festgestellt: Wäre der Kläger nicht unrichtig vom Gerichtskommissär belehrt worden, wäre der Bau des Hauses S***** unterblieben, er hätte sich die Baukosten erspart und wäre weiter Eigentümer dieses Grundstücks gewesen. Schon der Verkauf der im Eigentum der Erblasserin gestandenen Wohnung wäre unterblieben.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Vorverfahren aus, dass sich aus einer Gegenüberstellung des Werts des Grundstücks S***** und der Baukosten einerseits und den Verkaufspreisen der Wohnungen andererseits ein Verlust in Höhe des zugesprochenen Betrags ergebe. Dieser Verlust stelle einen Schaden dar, der dem Kläger zu ersetzen sei. Bei den Kosten der Ersatzwohnung seien Instandhaltungs- und Betriebskosten zu berücksichtigen. In Bezug auf die Mietkosten des Klägers sei davon auszugehen, dass er noch bis 2004 in der Wohnung der Erblasserin gewohnt hätte, ab dann im neuen Haus in S*****. Von den geltend gemachten Mietkosten seien noch die (ersparten) Instandhaltungs- und Betriebskosten abzuziehen. Das Feststellungsbegehren bestehe zu Recht, weil der Kläger nach wie vor gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die Mietwohnung bewohne und aufgrund der zu zahlenden Mieten weitere Schäden möglich seien.

Nach den nunmehr getroffenen Feststellungen hatte der Kläger zur Finanzierung der Errichtung des Hauses S***** endfällige Fremdwährungskredite aufgenommen. Abgesehen von dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück und der (teilweisen) Verwendung des Erlöses aus dem Verkauf der der Erblasserin gehörenden Wohnung setzte er keine „Eigenmittel“ ein.

Bei pflichtgemäßer Aufklärung durch den Gerichtskommissär hätte er den Bau des Hauses S***** erst nach Volljährigkeit seiner jüngeren Tochter im November 2002 in Angriff genommen. Erst dann wäre die Wohnung der Erblasserin verkauft worden. Das zu errichtende („hypothetische“) Haus hätte dem tatsächlich gebauten im Wesentlichen entsprochen. Diesen späteren Hausbau im November 2002 hätte er auf dieselbe Art und Weise finanziert wie den tatsächlichen, wobei ihm seine Töchter gestattet hätten, den Erlös aus dem (späteren) Verkauf der Wohnung ihrer verstorbenen Mutter für den Hausbau zu verwenden. Im Gegenzug wäre ihnen das Eigentumsrecht an einer Wohnung im Kellergeschoß übertragen worden.

Mit Kaufvertrag vom (richtig:) 13. 8. 2013 – nach rechtskräftiger Beendigung des Vorprozesses – kaufte der Kläger im Rahmen eines sogenannten „Baulandmodells“ ein Grundstück in H***** und errichtete darauf ein Haus (kurz: Haus H*****). Dieses bewohnt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin; die zweite Wohnung wird vermietet. Das Grundstück kostete 118.712 EUR und er nahm zur Finanzierung ein Darlehen über 365.000 EUR in Form eines Abstattungskredits auf. Die Töchter leisteten keine finanziellen Beiträge zum Hausbau.

Der Kläger begehrt nun aus dem Titel der Amtshaftung unter Berufung auf den rechtskräftigen Feststellungsanspruch im Vorverfahren (neuerlich) den Ersatz von Schäden, die ihm durch die unrichtige Auskunft des Gerichtskommissärs entstanden seien. Er bezifferte diesen Vermögensnachteil zunächst mit 57.940,55 EUR und begründete dies im Wesentlichen damit, dass er bei pflichtgemäßer Aufklärung durch den Gerichtskommissär mit dem Hausbau S***** erst nach Volljährigkeit der jüngeren Tochter im November 2002 begonnen hätte. Das Haus wäre im September 2003 fertiggestellt worden und er wäre gemeinsam mit seinen Kindern Eigentümer des Hauses geworden. Die zur Finanzierung notwendigen endfälligen Fremdwährungskredite mit einer Laufzeit von 12 Jahren wären ab September 2003 bedient worden, und zwar sowohl mit den Mieteinnahmen aus den Wohnungen als auch mit seinen Eigenmitteln, die im Vorverfahren mit monatlich 526,19 EUR beziffert worden seien. Durch steigende Mieteinnahmen hätte er diese Eigenmittel spätestens ab Jänner 2015 nicht mehr aufbringen müssen und ihm wären ab diesem Zeitpunkt keine Wohnkosten mehr entstanden; ein Teil der Mieteinnahmen wäre ihm sogar als Überschuss verblieben. Mit Kaufvertrag vom 13. 8. 2013 habe er ein Grundstück in H***** erworben und darauf ein Fertigteilhaus errichten lassen, das er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin bewohne. Im Erdgeschoß des Hauses befinde sich eine weitere Wohnung, die er um monatlich 880 EUR vermiete. Grundstücks- und Gebäudeerrichtungskosten würden sich auf insgesamt 549.000 EUR belaufen. Zur Finanzierung habe er einen Abstattungskredit von 365.000 EUR aufgenommen, die monatliche Pauschalrate belaufe sich einschließlich der Kreditversicherung auf 1.997,95 EUR ab Jänner 2015. Bei pflichtgemäßer Aufklärung durch den Gerichtskommissär hätte er das Bauvorhaben Haus S***** umgesetzt und ab Jänner 2015 keine Kreditraten mehr bedienen müssen, weshalb die ab diesem Zeitpunkt zu zahlenden monatlichen Raten von 1.997,95 EUR einen weiteren Schaden darstellten. Mittlerweile seien 29 dieser Raten fällig geworden, woraus sich der (ursprüngliche) Klagsbetrag von 57.940,55 EUR ergebe.

Nach Erörterung durch das Erstgericht zur fehlenden Nachvollziehbarkeit und zur Unschlüssigkeit der behaupteten Schadenshöhe dehnte der Kläger sein Leistungsbegehren auf 140.000 EUR aus und legte der Berechnung seines (weiteren) Vermögensnachteils einen „liegenschaftsbezogenen Vermögenssituationsvergleich“ in Form der Gegenüberstellung der Verkehrswerte abzüglich des Herstellungsaufwands/Anschaffungsaufwands zuzüglich der (laufenden) Erträge, und zwar des hypothetischen Hauses S***** einerseits und des Hauses H***** andererseits zugrunde. Für das Haus H***** habe der Gesamtaufwand 572.128 EUR betragen (Grundstückskosten 120.000 EUR, Errichtungskosten 430.000 EUR und Fremdfinanzierungskosten 22.128 EUR). Der Verkehrswert betrage zum Stichtag 31. 12. 2017 510.000 EUR und das „liegenschaftsbezogene Reinvermögen“ „daher 447.872 EUR“. Für das Haus S***** hätte sich der Gesamtaufwand auf 743.134 EUR belaufen (Grundstückskosten 211.914 EUR, Errichtungskosten 508.710 EUR, Fremdfinanzierungskosten bis 12/2014 19.210 EUR und Fremdfinanzierungskosten Kreditrestbetrag 2015 bis 2017 3.300 EUR). Er besäße ein Objekt mit einem Verkehrswert von 640.000 EUR, für welches er 743.134 EUR aufzuwenden gehabt hätte; der Mehraufwand gegenüber dem Wert errechne sich mit 103.134 EUR, das „liegenschaftsbezogene Reinvermögen“ läge bei 563.866 EUR. Ein Vergleich des Hauses S***** und des Hauses H***** zeige einen Differenzschaden von 88.994 EUR. Zusätzlich seien die Mieterträge aus dem Haus H***** geringer, er habe bis zum 31. 12. 2017 lediglich Mieteinnahmen von 26.600 EUR netto (monatlich 700 EUR) lukriert. Aus dem Haus S***** hätte er hingegen bis Dezember 2014 Mieteinnahmen von 240.000 EUR netto bzw seit 2015 weitere 50.400 EUR (monatlich 1.400 EUR), gesamt 290.400 EUR, lukriert. Ein Vermögensvergleich aus den Mieterträgen ergebe somit einen zusätzlichen „Mietertragsdifferenzschaden“ von 263.800 EUR. Insgesamt belaufe sich der Differenzschaden auf 352.794 EUR, wobei er aus „gebührenrechtlichen Gründen“ vorerst lediglich 140.000 EUR begehre. Beim ursprünglichen Klagsbetrag handle es sich „um einen Teil des nunmehr auf 140.000 EUR ausgedehnten Klagebegehrens“.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dem Kläger sei im Rahmen des Vorverfahrens der Differenzschaden bereits vollständig ersetzt worden. Der nunmehr geltend gemachte Vermögensnachteil stelle keinen adäquat kausal durch die Auskunft des Gerichtskommissärs herbeigeführten Schaden dar, und beruhe ausschließlich auf der Disposition des Klägers über die Verwendung des Schadenersatzbetrags. Es fehle auch am Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil das Vermögen des Klägers nicht Gegenstand der seinerzeitigen Beratung durch den Gerichtskommissär gewesen sei. Er mache einen sogenannten Drittschaden geltend, für den sie nicht zu haften habe. Der Kläger vergleiche bei seiner Schadensberechnung auch Alleineigentum mit Miteigentum, zumal er gemeinsam mit seinen Töchtern Miteigentümer des Hauses S***** gewesen wäre, nun aber Alleineigentümer des Hauses H***** sei. Der Vermögensvergleich zwischen den beiden Häusern sei nicht nachvollziehbar, vielmehr zeige sich ein Vermögensverlust durch die Errichtung des Hauses S*****, dennoch mache er einen Differenzschaden von 88.994 EUR zu seinen Gunsten geltend. Die Mietertragsdifferenz sei keinesfalls zu ersetzen, weil ihm bereits im Vorverfahren die Schäden durch das Projekt in S***** ersetzt worden seien. Wenn er in der Folge ein Objekt errichte, mit dem er weniger Mietertrag erziele und das einer geringeren Wertsteigerung unterliege, sei das ausschließlich auf seine Disposition zurückzuführen. Insoweit habe er seine Obliegenheit zur Schadensminderung missachtet. Ungeachtet des Feststellungsurteils sei sein Anspruch bereits verjährt. Er habe den gegenständlichen Kredit am 2. 5. 2014 aufgenommen, zu diesem Zeitpunkt sei der Schaden entstanden und ihm bereits zur Gänze bekannt gewesen.

Das Erstgericht „verwarf“ mit Zwischenurteil „die Verjährungseinrede der Beklagten“ und sprach aus, das Zahlungsbegehren von 140.000 EUR samt Verzugszinsen bestehe dem Grunde nach zu Recht. Es verneinte das Vorliegen des von Amts wegen wahrzunehmenden Prozesshindernisses der entschiedenen Sache. Bezugspunkt des Vorverfahrens sei die Behauptung des Klägers gewesen, der Bau des Hauses S***** wäre bei richtiger Aufklärung durch den Gerichtskommissär unterblieben. Gegenstand des Vorverfahrens seien also alle Schäden gewesen, die er durch den Bau des Hauses und dessen letztlich notwendigem Verkauf erlitten habe. Durch den Zuspruch im Vorverfahren sei er (wirtschaftlich) so gestellt worden, wie er stünde, wenn es nie zum Bauprojekt S***** gekommen wäre. Seine „Reinvermögenssituation“ stelle sich nach Rechtskraft des Urteils im Vorverfahren im Endeffekt (wirtschaftlich betrachtet) so dar, dass er noch Eigentümer des Grundstücks in S***** wäre und dort nie mit einem Bau begonnen hätte. Nunmehr behaupte er „weitere“ Schäden. Bei richtiger Aufklärung wäre der Bau nur vorerst unterblieben und er hätte mit dem Bau des Hauses S***** später und unter zulässiger Verwendung des Erlöses aus dem Verkauf der erblasserischen Wohnung begonnen. Ausgehend davon sei – verglichen mit seiner derzeitigen Vermögenssituation – von Einbußen in Form von Wertdifferenzen der Häuser S***** und H*****, unterschiedlichen Bau- und Fremdfinanzierungskosten und geringeren Mieterträgen auszugehen. Damit wichen sowohl das Begehren als auch die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen vom Vorverfahren ab, weshalb das Prozesshindernis der entschiedenen Sache nicht vorliege.

Der geltend gemachte Schaden liege primär in der vom Kläger (spätestens ab Fertigstellung des „hypothetischen“ Hauses S*****) unerwünschten Wohn- bzw (im Hinblick auf die angestrebten Mieteinnahmen) Finanzsituation. Wann genau dieser Primärschaden letztlich eingetreten sei, könne dahingestellt bleiben, weil [der Anspruch über] das Feststellungsbegehren einer Verjährung entgegenstehe. Dieses umfasse schon nach seinem Wortlaut eine Haftung für „sämtliche Schäden“. Der Verjährungseinwand der Beklagten sei daher zu „verwerfen“.

Der Eintritt des Primärschadens und die Kausalität der unzureichenden Aufklärung ergebe sich „aus den getroffenen Feststellungen“ zum tatsächlichen und hypothetischen Verhalten des Klägers. Rechtswidrigkeit und Verschulden würden schon aus der Bindungswirkung des Urteils im Vorverfahren folgen. Es fehle auch nicht am Adäquanz- und Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil Behördenauskünfte den Dispositionsschutz bezwecken würden. Der Auskunftsanspruch beziehe sich auf eine der Sache nach richtige Information. Werde Dispositionsschutz durch eine Fehlinformation vereitelt, bestehe Anspruch auf Ersatz des (reinen) Vermögensschadens, wenn die Auskunft als fehlerhafter Hoheitsakt zu qualifizieren sei. Vom Schutzzweck umfasst sei damit nicht nur der Erbteil der Töchter oder deren Vermögen, sondern auch das Vermögen des Klägers als Ganzes, zumal die Auskunft ihm erteilt worden sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Rechtlich führte es aus, der Kläger mache keine neuen Schadenspositionen aufgrund der rechtswidrigen Auskunft des Gerichtskommissärs geltend, sondern begehre nach der bereits erfolgten Erfüllung der im Vorverfahren festgestellten schadenersatzrechtlichen Verpflichtung durch die Beklagte eine neuerliche Schadensbemessung zum heutigen Zeitpunkt aufgrund der ihm erteilten rechtswidrigen Auskunft. Bereits im Vorverfahren sei nach der Differenzrechnung sein Interesse ersetzt und bei der Bemessung auch berücksichtigt worden, dass ohne die unrichtige Auskunft des Gerichtskommissärs der Hausbau nur vorläufig unterblieben wäre. So ergebe sich aus den Feststellungen im Vorverfahren, dass nach Erreichen der Volljährigkeit der jüngeren Tochter im November 2002 mit dem Hausbau begonnen worden wäre und der Neubau nach einem Jahr fertiggestellt worden wäre. Dementsprechend sei im Vorverfahren auch ein Zuspruch von Mietkosten für die Zeit nach der hypothetischen Fertigstellung des Neubaus (Schadensposition 13 im Vorverfahren) erfolgt. Der Kläger könne nun nicht neuerlich, nachdem ihm schon im Vorverfahren jene Vermögensnachteile ersetzt worden seien, die er „ohne den vorzeitigen Hausbau“ samt nachfolgender Veräußerung der Liegenschaft erlitten habe (unter anderem Grundstückskosten, Errichtungskosten und Wohnungskosten), als Schaden geltend machen, dass er nach Erfüllung der schadenersatzrechtlichen Verpflichtung durch die Beklagte den zuerkannten Geldbetrag in ein völlig anders gelagertes „Hausprojekt“ mit geringerem Wert und geringeren Mieteinnahmen investiert habe. Sein diesbezüglicher Interessenschaden sei von ihm bereits im Vorverfahren geltend gemacht und auch abgegolten worden. Mangels neuer Schäden erweise sich das Klagebegehren als nicht berechtigt. Der Kläger habe im Vorverfahren bereits einen Ausgleich für jene Schäden erhalten, die ihm durch die Rückabwicklung des vorzeitigen Hausbaus im Vergleich zu einer hypothetischen Fertigstellung des Hauses im Jahr 2003 entstanden seien. Mit der Klage mache er keine vom Feststellungsurteil umfassten, zukünftigen, nicht bereits abgedeckten Ersatzansprüche geltend.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene – nach Freistellung der Revisionsbeantwortung von der Beklagten beantwortete – Revision des Klägers ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kläger mache keine neuen Schadenspositionen geltend und verlange nur eine neuerliche Schadensbemessung zum heutigen Zeitpunkt, einer Korrektur bedarf. Die Revision ist im Ergebnis mit dem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag berechtigt.

1. Im Vorprozess wurden verschiedene Feststellungen zum Bau des Hauses S***** getroffen. Einerseits stellten die Tatsacheninstanzen fest, wäre der Kläger vom Gerichtskommissär nicht unrichtig belehrt worden, wäre der Bau des Hauses S***** ebenso wie der Verkauf der erblasserischen Wohnung unterblieben, er hätte sich die Baukosten erspart und er wäre nach wie vor Eigentümer des unbebauten Grundstücks S*****. Auf dieser Sachverhaltsgrundlage wurde dem Kläger sein Verlust aus dem Verkauf der vier Wohnungen Top 2 bis 5 zuerkannt. Andererseits wurde auch festgestellt, wäre die unrichtige Belehrung durch den Gerichtskommissär unterblieben, wäre die Wohnung der Erblasserin vorerst nicht verkauft worden und hätte bis zur späteren Realisierung des Hausbaus S***** als Wohnung für die Familie gedient. Nach Erreichen der Volljährigkeit der jüngeren Tochter im November 2002 wäre mit dem Hausbau begonnen worden; das Haus wäre nach einem Jahr fertiggestellt gewesen. Auf dieser Sachverhaltsgrundlage (Hausbau wäre nur vorläufig unterblieben) wurden dem Kläger seine Mietkosten für die Zeit nach der hypothetischen Fertigstellung des Neubaus (Schadensposition 13 des Vorprozesses) zugesprochen und auch der Feststellungsanspruch damit begründet, dass der Kläger aufgrund der zu zahlenden Miete weitere Schäden erleide. Da die Rechtsmittelwerber damit zusammenhängende Rechtsfragen im Vorprozess nicht an den Obersten Gerichtshof herantrugen, konnten diese zu 1 Ob 250/12i nicht aufgegriffen werden.

2. Nunmehr macht der Kläger Schäden geltend, die daraus resultieren, dass er nicht Eigentümer des (bei ordnungsgemäßer Aufklärung des Gerichtskommissärs später errichteten) Hauses S*****, sondern jener des im August 2013 gekauften und danach errichteten Hauses H***** ist. Als Schadenspositionen macht er einerseits einen Differenzschaden des „liegenschaftsbezogenen (Rein-)Vermögens“ und andererseits einen Differenzschaden wegen der geringeren Mieterträge aus dem Haus H***** geltend. Zudem behauptet er einen Schaden in der Höhe des Kreditzinses für das Haus H*****. Er hätte bei hypothetischer Fertigstellung des Neubaus S***** im Jahr 2003 ab Jänner 2015 keine Kreditraten mehr bedienen müssen, weshalb die ab diesem Zeitpunkt für das Haus H***** zu zahlenden monatlichen Raten einen weiteren Schaden darstellten. Keine dieser Schadenspositionen war Gegenstand des Vorprozesses. Diese Schäden können daher nicht abgegolten sein. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handelt es sich nicht um „eine neuerliche Schadensbemessung zum heutigen Zeitpunkt“, sondern der Kläger macht drei neue Schadenspositionen geltend. Dass es sich dabei um keine vom Feststellungsurteil umfassten, sondern um bereits abgegoltene Ersatzansprüche handle, kann im derzeitigen Verfahrensstadium nicht gesagt werden.

3. Das Klagebegehren über 140.000 EUR samt Verzugszinsen ist allerdings nach wie vor unschlüssig:

3.1. Macht ein Kläger nur einen Teil des (behaupteten) Gesamtschadens geltend und können dabei einzelne Schadenspositionen unterschieden werden, die ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben, hat er klarzustellen, welche Teile von seinem pauschal formulierten Begehren erfasst sein sollen, um den Umfang der Rechtskraft bestimmen zu können. Die Aufteilung des Pauschalbetrags auf die einzelnen Schadenspositionen kann nicht dem Gericht überlassen werden (RIS-Justiz RS0031014 [T17, T22, T25]). Eine alternative Klagenhäufung, bei welcher der Kläger dem Gericht die Wahl überlässt, welchem Begehren es stattgeben will, ist jedenfalls unzulässig, und zwar selbst dann, wenn nur ein Teilbetrag der angeblich insgesamt zustehenden Forderungen eingeklagt wird (RS0031014 [T20, T21]).

3.2. Der Kläger begehrt zuletzt „aus gebührenrechtlichen Gründen“ 140.000 EUR. Dazu verwies er einerseits auf die Differenz des Werts der beiden Liegenschaften von 88.994 EUR und die Differenz des Mietertrags zum Stichtag 31. 12. 2017 von 263.800 EUR. In seinem weiteren Vorbringen hielt er fest, beim ursprünglichen Klagebetrag von 57.940,55 EUR handle es sich „um einen Teil des nunmehr auf 140.000 EUR ausgedehnten Klagebegehrens“. Der Kläger hat aber hinsichtlich seines Schadenersatzbegehrens von 140.000 EUR darzulegen, wie sich diese Gesamtsumme zusammensetzt und dabei insbesondere klarzustellen, welcher Betrag auf welche Schadensposition entfällt. Damit ist aber entgegen der Ansicht im Urteil des Erstgerichts – die Beklagte erhob insofern keinen entsprechenden Einwand – das Klagebegehren unbestimmt nach der zuvor angeführten Rechtsprechung.

Das Fehlen des Bestimmtheitserfordernisses im Sinn des § 226 ZPO führt nicht zur sofortigen Abweisung der Klage. Der Kläger ist nach § 182 ZPO – auch wenn er anwaltlich vertreten ist – im fortzusetzenden Verfahren zu einer entsprechenden Präzisierung seines Begehrens aufzufordern (RS0031014 [T10]; RS0037166).

4. Sollte das Klagebegehren schlüssig gestellt werden, ist insbesondere Folgendes zu beachten:

4.1. Der Kläger verweist in der Revision darauf, hätte er weiter in Miete gewohnt, wäre davon auszugehen, dass die Beklagte diese Mieten weiterhin (bis zu seinem Lebensende) zu tragen hätte. Er habe sich aber entschieden, aus der „Mietsituation herauszugehen und wieder Eigentum zu schaffen“. So gesehen handle es sich um „nichts anderes als Wohnungskosten (Mietkosten) 'in einem anderen Gewand'“.

Dazu ist festzuhalten, dass es unter dem Aspekt des von der Beklagten erhobenen Einwands der Schadensminderung nicht angeht, den im Vorprozess als berechtigt erkannten und teilweise auch zuerkannten Schaden infolge seiner Verpflichtung zur Zahlung eines Mietzinses dadurch zu vergrößern, dass er nunmehr ein Bauprojekt im Eigentum verwirklicht, woraus ihm weit höhere Aufwendungen erwachsen. Dass der Kläger „aus freien Stücken“ für seine Wohnversorgung etwas ganz anderes baut, als er hypothetisch verwirklicht hätte, kann die Ersatzpflicht der Beklagten nicht vergrößern. Insofern liegt keine vergleichbare Ersatzlage vor. Unverständlich ist auch, warum er seiner Schadensberechnung den gesamten (hypothetischen) Wert von S***** zugrunde legt, obwohl doch eine der fünf Wohnungen seinen Kindern gehört hätte. Für einen Schaden, der aus seinem freien menschlichen Handeln resultiert, mit dem die Beklagte nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen brauchte, haftet sie nicht (RS0022914 [T9]; RS0022918 [T13]).

4.2. Für die Auslegung des Spruchs der Vorentscheidung (Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden „aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten“ des Gerichtskommissärs) sind auch die Entscheidungsgründe heranzuziehen (RS0041331 [T5, T7]; RS0041454 [T4]; RS0043259 [T1]). Die Bindungswirkung dieser Entscheidung bezieht sich darauf, dass der Kläger vom Gerichtskommissär die falsche Auskunft erhielt, er dürfe die im Nachlass befindliche Wohnung verkaufen und den Erlös für einen Hausbau auf seinem Grund verwenden. Im Regressprozess der hier Beklagten und dortigen Klägerin gegen die Rechtsnachfolgerin (Erbin) des Notars beurteilte der Oberste Gerichtshof (9 ObA 8/15i [2.2.] = SZ 2016/25) die uneingeschränkte Information, dass „das mit dem Hausbau in Ordnung“ ginge, als ungewöhnliche Vernachlässigung der von einem Gerichtskommissär zu erwartenden Sorgfalt bei der Aufklärung des rechtsunkundigen Klägers und damit als grob fahrlässiges Verhalten des Organs der Beklagten. Dieser Beurteilung schließt sich der erkennende Senat an.

Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens wird nur für jene Schäden gehaftet, die die übertretene Verhaltensnorm gerade verhindern wollte (Rechtswidrigkeitszusammenhang). Bei Verletzung von Aufklärungspflichten ist entscheidend, ob sich jenes Risiko verwirklicht hat, über das aufzuklären gewesen wäre (Karner in KBB5 § 1295 ABGB Rz 9 mwN). Nach dem im Vorprozess festgestellten Sachverhalt hat der Gerichtskommissär den rechtsunkundigen Vater der minderjährigen Erbinnen nicht darüber aufgeklärt, dass der Verkaufserlös der erblasserischen Wohnung, der dem Nachlass und in der Folge den Erbinnen zugute zu kommen hatte, nicht ohne Weiteres von diesem für sein eigenes Bauvorhaben verwendet werden konnte, sondern dafür eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einzuholen gewesen wäre. Für Schäden, die aus dieser unrichtigen Aufklärung des Gerichtskommissärs entstehen, haftet die Beklagte dem Kläger aufgrund des rechtskräftigen Feststellungsurteils.

In jedem Fall, in dem die Ersatzpflicht für künftige Schäden festgestellt wird, kann sich die Feststellung notwendigerweise nur auf die des haftungsbegründenden Verhaltens, nicht aber auf die eines in Zukunft mit Sicherheit konkret zu erwartenden Schadens und des Bestehens eines Kausalzusammenhangs beziehen (RS0038915). Mit einem Feststellungsurteil (wie hier) wird daher wohl die Ersatzpflicht des Haftenden festgelegt, nicht aber, welche künftigen Schäden von ihm zu ersetzen sind. Bei Vorliegen eines positiven Feststellungsurteils muss im folgenden Leistungsprozess geprüft werden, ob der geltend gemachte Schaden von der Ersatzpflicht umfasst ist, insbesondere also, ob das haftungsbegründende Verhalten für den Schaden ursächlich war (RS0111722 [T6]).

4.3. Der von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung erstmals konkret ausgeführte Einwand der Verjährung, weil die geltend gemachte Wertdifferenz der Liegenschaften des Klägers „spätestens mit dem Kauf der Liegenschaft H***** am 18. 3. 2013 bekannt gewesen sein musste“, verstößt gegen das Neuerungsverbot und ist unbeachtlich (§ 504 Abs 2 ZPO). Im erstinstanzlichen Verfahren erhob die Beklagte zum geltend gemachten „Differenzschaden“ nur unsubstantiiert den Einwand der Verjährung, ohne dazu irgendwelche Ausführungen zu tätigen.

5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher aus den vorstehenden Gründen zur Abklärung der Schlüssigkeit des Zahlungsbegehrens aufzuheben und dem Erstgericht ist diesbezüglich die Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E127112

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00177.19I.1216.000

Im RIS seit

24.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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