TE OGH 2019/10/30 9ObA93/19w

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Veröffentlicht am 30.10.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Gerald Fida als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** H*****, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** S.r.l., *****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen 2.524,79 EUR brutto und 314,40 EUR netto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 2.524,79 EUR brutto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. April 2019, GZ 10 Ra 105/18m-21, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 6. August 2018, GZ 17 Cga 12/18k-17, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin war von 1. 6. 2013 bis 31. 8. 2017 als Verkäuferin in einem Geschäft der Beklagten in Wien mit einer Wochenarbeitszeit von 24 Stunden teilzeitbeschäftigt.

Die Beklagte vorenthielt der Klägerin die ihr nach dem auf das Dienstverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben (kurz: Handelsangestellten-KV) zustehenden Zeitgutschriften für Arbeitszeiten während der „erweiterten Öffnungszeiten“ von Montag bis Freitag zwischen 18:30 Uhr und 20:00 Uhr sowie ab 20:00 Uhr und Samstag zwischen 13:00 Uhr und 18:00 Uhr. Spätestens ab Herbst 2016 urgierte die Klägerin – erfolglos – bei ihrem Vorgesetzten mehrmals die Abgeltung ihrer Ansprüche aufgrund ihrer Arbeitsleistungen während der erweiterten Öffnungszeiten. Sie wurde damit vertröstet, dass vom Sitz des Unternehmens in Italien eine Lösung kommen müsse. Die Beklagte führte die Arbeitszeitaufzeichnungen anhand der Stechuhrzeiten. Zeitgutschriften für Arbeitszeiten während der „erweiterten Öffnungszeiten“ fanden sich darin aber nicht. Die Beklagte gewährte ihren Teilzeitmitarbeiterinnen, daher auch der Klägerin, grundsätzlich keinen Zeitausgleich.

Mit Schreiben vom 30. 7. 2017 und 18. 9. 2017 machte die Klägerin unter Hinweis auf Punkt VIII. des Handelsangestellten-KV Entgelt inklusive Zuschläge für geleistete Arbeitsstunden im Rahmen der erweiterten Öffnungszeiten bis 31. 8. 2017 geltend.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren
– soweit noch revisionsverfangen – mit 2.524,79 EUR brutto an Differenz des ausbezahlten Entgelts zum Entgelt für Arbeitsleistungen während der erweiterten Öffnungszeiten für 2015 (2.161,19 EUR) und 2016 (restlich 363,60 EUR) statt. Dem Verfallseinwand der Beklagten wurde entgegnet, dass der Entgeltanspruch der Klägerin für Zuschläge aufgrund von Arbeitsleistungen während der erweiterten Öffnungszeiten erst mit Beendigung des Dienstverhältnisses fällig geworden sei, weil die Klägerin während des laufenden Dienstverhältnisses ein Zeitausgleichsguthaben erworben habe, ihr die Beklagte dafür aber keinen Zeitausgleich gewährt habe. Diesen klagsgegenständlichen Entgeltanspruch habe die Klägerin daher rechtzeitig geltend gemacht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage eines Zeitkontos nach dem Handelsangestellten-KV noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten nicht zulässig. Diffiziele Fragen eines Zeitkontos stellen sich hier nicht. Die Beklagte hat kein Zeitkonto geführt und der Klägerin den zustehenden Zeitausgleich vorenthalten.

1. Punkt VIII A. Z 1 und 2 des Kollektivvertrags für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben gewährt für Normalarbeitsstunden und Mehrarbeitsstunden im Ausmaß von 1,5 Stunden pro Woche, die im Rahmen der „erweiterten Öffnungszeiten“ gemäß dem Öffnungszeitengesetz erbracht werden, eine Zeitgutschrift, die grundsätzlich in Freizeit zu verbrauchen ist. Es kann aber auch die Abgeltung der Zeitgutschrift durch Bezahlung vereinbart werden (Punkt VIII A. Z 7 Handelsangestellten-KV). Können vereinbarte Zeitgutschriften iSd Punkte VIII A. Z 4 und 5 Handelsangestellten-KV wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr verbraucht werden oder verursacht der Arbeitgeber, dass entgegen einer Vereinbarung der Ausgleich dieser Zeitgutschriften nicht erfolgt, sind diese Zeitgutschriften bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bezahlen.

2. Die Beklagte bestreitet in ihrer Revision nicht, dass die Klägerin auch Arbeitsleistungen erbrachte, für die sie ihr aufgrund deren zeitlichen Lage im Rahmen der erweiterten Öffnungszeiten nach Punkt VIII A. Z 1 Handels-angestellten-KV Zeitgutschriften gewähren hätte müssen. Sie macht aber geltend, dass schon die Ansprüche der Klägerin auf Zeitguthaben (und damit auch die daraus resultierenden Entgeltansprüche) verfallen seien, weil sie von der Klägerin nicht innerhalb der sechsmonatigen Verfallsfrist des Punktes XX. A. Handelsangestellten-KV bzw des Punktes 12. des Dienstvertrags geltend gemacht worden seien.

3.1. Richtig ist, dass nach Punkt XX. A. des Handelsangestellten-KV der Arbeitnehmer – soweit in diesem Kollektivvertrag nicht anders geregelt – seine Ansprüche bei sonstigem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen hat. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt.

3.2. Bei Abgeltung von Arbeitszeit, Mehrarbeit, Überstunden und Zuschlägen in Form von Zeitausgleich hat der Arbeitgeber ein Zeitkonto zu führen. Das Zeitkonto muss mindestens einmal im Quartal dem Arbeitnehmer zur Bestätigung der Richtigkeit vorgelegt werden. Bestätigt der Arbeitnehmer die Richtigkeit des Zeitkontos, sind weitere Ansprüche auf Zeitguthaben ausgeschlossen. Wird die Richtigkeit nicht bestätigt, gelten die Bestimmungen unter A. Vom Arbeitgeber anerkannte Zeitgutschriften verfallen nicht (Punkt XX C. des Handelsangestellten-KV).

4. Die Beklagte führte entgegen ihrer Verpflichtung nach Punkt XX C. Handelsangestellten-KV kein Zeitkonto (vgl dazu Maska/Steinlechner, Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben, 199 f) für das von der Klägerin laufend erworbene Zeitguthaben. Das streitgegenständlich erworbene Zeitguthaben der Klägerin fand auch in den von der Beklagten geführten und der Klägerin monatlich vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen gemäß Punkt XX B. des Handelsangestellten-KV keinen Niederschlag. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, es könne daher hier nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin die Richtigkeit eines „Null-Zeitstands“ für erweiterte Öffnungszeiten auf einem Zeitkonto iSd Handelsangestellten-KV anerkannt habe, die Klägerin habe nur ihre aufgelisteten tatsächlichen Arbeitszeiten bestätigt, begegnet aufgrund der konkreten Umstände des Falls keinen Bedenken. Dass die Klägerin bei Zugrundelegung dieser Beurteilung ihre klagsgegenständlichen Entgeltansprüche innerhalb der sechsmonatigen Verfallsfrist des Punktes XX. A. Handelsangestellten-KV (bzw des Punktes 12. des Dienstvertrags) geltend gemacht hat, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen.

5.1. Soweit die Revisionswerberin aber damit argumentiert, dass die Klägerin schon ihren (Grund-)Anspruch auf Zeitguthaben (die Zeitgutschrift nach Punkt VIII A. Z 1 und 2 des Handelsangestellten-KV) nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht habe, kommt der Erwiderung der Klägerin, der Verfallseinwand der Beklagten verstoße gegen Treu und Glauben, nach der Lage des Falls (9 ObA 68/15p; 8 ObA 35/18g Pkt 3; RS0110900) Berechtigung zu. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Verfallseinwand des Arbeitgebers nämlich gegen Treu und Glauben verstoßen und daher sittenwidrig sein, wenn dem Arbeitnehmer durch das kollektivvertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers die Geltendmachung seiner Ansprüche erschwert wird (RS0051974 [T6]; vgl RS0097759 [T3]; RS0034487 [T11, T12]). Dies ist hier der Fall.

5.2. Zum einen hat die Beklagte – entgegen ihrer Verpflichtung nach Punkt XX C. Handelsangestellten-KV – kein Zeitkonto geführt, aus dem die Klägerin das Ausmaß des ihr gebührenden Zeitguthabens ablesen hätte können. Zum anderen hat die Beklagte schon vorab erklärt, dass sie den bei ihr Teilzeitbeschäftigten, daher auch der Klägerin, grundsätzlich keinen Zeitausgleich gewährt, obwohl die der Klägerin gebührende Zeitgutschrift für ihre Arbeitsleistungen im Rahmen der erweiterten Öffnungszeiten nach Punkt VIII A. Z 1 Handelsangestellten-KV grundsätzlich in Freizeit zu verbrauchen ist. Auch nach Urgenz der Klägerin sah sich die Beklagte nicht veranlasst, ihr mehrfach kollektivvertragswidriges Verhalten zu korrigieren. Gesamt betrachtet hat sohin die Beklagte mit ihrem Verhalten der Klägerin die rechtzeitige Geltendmachung ihres Anspruchs in einer Art und Weise erschwert, die die spätere Berufung auf die Verfallsklausel als rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Textnummer

E126774

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00093.19W.1030.000

Im RIS seit

06.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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