TE OGH 2019/8/22 4Ob139/19y

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Veröffentlicht am 22.08.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder 1) S***** S*****, geboren am *****, und 2) N***** S*****, geboren am *****, beide wohnhaft bei ihrer Mutter D***** S*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt St. Pölten, Jugendhilfe, *****), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der minderjährigen Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 15. Mai 2019, GZ 23 R 151/19g-27, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 28. März 2019, GZ 2 Pu 88/11v-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Erhöhung der Unterhaltsbeiträge für das Jahr 2018 (Pkt 1.aa und 1.ba des Beschlusses des Erstgerichts) in Rechtskraft erwachsen sind, werden in ihrem abweisenden Teil (Pkt 2.a und 2.b) dahin abgeändert, dass die Pkt 1.ab und 1.bb des Beschlusses des Erstgerichts lauten:

1. A***** S*****, ist als Vater

a) des mj S***** S*****, geboren am *****, schuldig, zusätzlich zu der ihm aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts St. Pölten vom 13. 2. 2018, *****, auferlegten Unterhaltsverpflichtung von bisher monatlich 300 EUR

ab) beginnend ab 1. 1. 2019 bis auf weiteres, längstens bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit, einen weiteren Betrag von monatlich 140 EUR, insgesamt somit monatlich 440 EUR

und

b) der mj N***** S*****, geboren am *****, schuldig, zusätzlich zu der ihm aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichts St. Pölten vom 13. 2. 2018, *****, auferlegten Unterhaltsverpflichtung von bisher monatlich 250 EUR

bb) beginnend ab 1. 1. 2019 bis auf weiteres, längstens bis zu deren Selbsterhaltungsfähigkeit, einen weiteren Betrag von monatlich 115 EUR, insgesamt somit monatlich 365 EUR

je zu Handen des gesetzlichen Vertreters bei sonstiger Exekution zu zahlen.

Die bis zur Rechtskraft des Beschlusses fälligen Beträge sind binnen 14 Tagen, die weiterhin fällig werdenden Beträge jeweils am 1. eines jeden Monats im Vorhinein zu entrichten.

Die Abweisung eines Mehrbegehrens entfällt.

Text

Begründung:

Die antragstellenden Kinder sind elf und sechs Jahre alt; sie haben einen Bruder im Alter von zehn Jahren. Die Ehe der Eltern wurde am ***** einvernehmlich geschieden. Seither leben die Kinder im Haushalt der Mutter. Der geldunterhaltspflichtige Vater erzielt ein für den Unterhalt anrechenbares monatliches Durchschnitts-einkommen von 2.241,48 EUR. Die Hälfte des Familienbonus Plus beträgt nach § 33 Abs 3a Z 1 lit a EStG monatlich 62,50 EUR je Kind bis zum 18. Lebensjahr.

Mit dem zugrunde liegenden Antrag begehrten die Kinder die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge für das Jahr 2018 (nicht mehr Gegenstand des Verfahrens) sowie ab 1. 1. 2019, und zwar für S***** (von bisher 300 EUR) auf monatlich 440 EUR und für N***** (von bisher 250 EUR) auf monatlich 365 EUR. Seit Jänner 2019 könne der Vater für jedes seiner drei minderjährigen Kinder zumindest die Hälfte des neuen Familienbonus Plus beantragen. Dadurch komme es zu einer Steuerersparnis, die das Nettoeinkommen des Vaters erhöhe. Der Umstand, dass der Vater einen solchen Antrag nicht gestellt habe, schade nicht, weil ihn in dieser Hinsicht eine Anspannungsobliegenheit treffe. Im Anlassfall habe durch den Familienbonus Plus keine zusätzliche steuerliche Entlastung des Vaters zu erfolgen. Damit erhöhe sich die Unterhaltsbemessungsgrundlage von monatlich 2.241,48 EUR auf monatlich 2.428,98 EUR.

Der Vater sprach sich gegen die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge aus, weil er nach der Trennung von seiner Ehegattin Schulden begleichen müsse und überdies nicht verpflichtet sei, die monatliche Ausschüttung des Familienbonus Plus zu beantragen.

Das Erstgericht gab den Anträgen der Kinder teilweise statt und erhöhte die monatlichen Unterhaltsbeiträge für das Jahr 2018 antragsgemäß sowie jene ab 1. 1. 2019 auf monatlich 415 EUR für S***** und auf monatlich 345 EUR für N*****; das Mehrbegehren wies es ab. Der Familienbonus Plus sei ein Steuerabsetzbetrag in Höhe von 1.500 EUR pro Kind und Jahr bis zum 18. Lebensjahr. Dieser könne ab 1. 1. 2019 sowohl von der familienbeihilfeberechtigten Person als auch von jener Person, die für das Kind Unterhalt zahle, in Anspruch genommen und zwischen den Eltern auch aufgeteilt werden. Da der Familienbonus Plus die Steuerlast senke, sei der (auf den Unterhaltsschuldner entfallende) Hälftebetrag in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Dies gelte aber nur für jenen Teil, der auf das jeweilige unterhaltfordernde Kind entfalle. Im Anlassfall sei die Unterhaltsbemessungsgrundlage daher um 62,50 EUR (auf 2.303,98 EUR) zu erhöhen. Unter Zugrundelegung der Prozentsatzmethode errechneten sich die erhöhten Unterhaltsbeiträge.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Auch bei getrennt lebenden Partnern könne der Familienbonus Plus aufgeteilt werden. Beim geldunterhaltspflichtigen Elternteil hänge die Möglichkeit der Ausschöpfung des Familienbonus Plus aufgrund des Verweises auf den Unterhaltsabsetzbetrag davon ab, ob er seine Geldunterhaltspflicht zur Gänze erfülle. Fraglich sei, ob der Familienbonus Plus bei der steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners oder bei der Ermittlung des Nettoeinkommens zu berücksichtigen sei. Das Rekursgericht sei der Ansicht, dass beides zu berücksichtigen sei, die Erhöhung des Unterhalts aber nie mehr ausmachen dürfe als der Familienbonus Plus selbst. Im Anlassfall reichten die Unterhaltsabsetzbeträge für die gebotene steuerliche Entlastung des Unterhaltsschuldners aus, weshalb der Familienbonus Plus zur Gänze in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen sei. Nach Ansicht des Rekursgerichts sei der gesamte vom Vater ausschöpfbare Betrag für alle drei Kinder und nicht nur der Anteil für das unterhaltfordernde Kind zu berücksichtigen. Die vom Erstgericht herangezogene Rechtsprechung zu Kinderzuschüssen und Kinder- bzw Familienzuschlägen sei inkonsequent. Dem – auf den gesamten begehrten Erhöhungsbetrag gerichteten – Rekurs der Kinder sei aber dennoch nicht stattzugeben, weil derzeit keine Anspannung des Vaters auf den Bezug des Familienbonus Plus erfolgen könne. Nach dem maßgebenden „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ könne der steuerliche Vorteil erst berücksichtigt werden, wenn er tatsächlich geltend gemacht werde. Die Annahme einer Obliegenheit zur sofortigen Beantragung auf Auszahlung durch den Dienstgeber scheitere daran, dass dies einer unterhaltsrechtlichen Offenbarungseidespflicht gleichkomme. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Einführung des Familienbonus Plus zu einer wesentlichen Änderung der Rechtslage geführt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Kinder mit dem Antrag, ihrem Rekurs vollinhaltlich stattzugeben.

Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Vater, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Die Kinder führen in ihrem Revisionsrekurs aus, dass der Anspannungsgrundsatz von der Obliegenheit des Unterhaltsschuldners ausgehe, bei Kenntnis seiner Unterhaltspflichten für deren Erfüllung alle seine Kräfte im Rahmen des Zumutbaren anzuspannen. Aus diesem Grund habe er auch von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, ab 1. 1. 2019 zumindest die Hälfte des Familienbonus Plus für jedes seiner Kinder zu beantragen. Der Hälftebetrag für alle Kinder sei daher sofort in die unterhaltsrechtliche Kalkulation miteinzubeziehen. Das vom Rekursgericht herangezogene „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ führe dazu, dass sich der Unterhaltsschuldner über viele Monate Unterhaltsleistungen erspare.

Der Vater hält dem in seiner Revisionsrekursbeantwortung entgegen, dass er den Familienbonus Plus tatsächlich nicht beziehe und auch nicht verpflichtet sei, die monatliche Ausschüttung dieser Leistung beim Dienstgeber zu beantragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

1. Der Revisionsrekurs betrifft den „Familienbonus Plus“ und damit die Unterhaltsbeiträge ab 1. 1. 2019, zumal der Familienbonus Plus durch das Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 2018/62, mit Wirksamkeit ab dem Veranlagungsjahr 2019 als echter Steuerabsetzbetrag neu eingeführt wurde (§ 33 Abs 3a EStG). Der Familienbonus Plus beträgt, sofern er voll ausschöpfbar ist, bis zum Ablauf des Monats, in dem das Kind das 18. Lebensjahr vollendet hat, für jeden Kalendermonat 125 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit a EStG), ab diesem Zeitpunkt für jeden Kalendermonat 41,68 EUR (§ 33 Abs 3a Z 1 lit b EStG). Voraussetzung für den Bezug des Familienbonus Plus ist der Bezug der Familienbeihilfe für das Kind nach dem FLAG 1967. Er kann von jedem Elternteil beantragt oder zwischen ihnen auch aufgeteilt werden. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass der Familienbonus Plus den Eltern jeweils zur Hälfte zusteht (§ 33 Abs 3a Z 3 lit c EStG). § 33 Abs 3a Z 3 lit b EStG betrifft Kinder, für die ein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, also solche, für die vom nicht im selben Haushalt mit dem Kind lebenden Elternteil Unterhaltsleistungen erbracht werden. In diesem Fall ist der Familienbonus Plus mit dem Unterhaltsabsetzbetrag verknüpft, für den nach § 33 Abs 4 Z 3 EStG zusätzlich vorausgesetzt ist, dass der Steuerpflichtige für dieses Kind den gesetzlichen Unterhalt tatsächlich leistet. Für einen Monat, für den kein Unterhaltsabsetzbetrag zusteht, steht dem Unterhaltsschuldner daher auch kein Familienbonus Plus zu. Der Familienbonus Plus kann entweder im Nachhinein im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung oder aber im Rahmen der monatlichen Lohnverrechnung durch Antrag beim Dienstgeber geltend gemacht werden.

2. Das Erstgericht hat den Hälftebetrag des Familienbonus Plus für ein Kind (das jeweilige unterhaltfordernde Kind) in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen. Dem tritt der Vater nicht entgegen. Die Kinder begehren aber, dass der Hälftebetrag des Familienbonus Plus für alle drei Kinder berücksichtigt wird.

Im hier vorliegenden Verfahren ist daher vordergründig die – im Revisionsrekurs thematisierte – Frage zu klären, ob der Unterhaltsschuldner – mangels Antrags auf sofortige Berücksichtigung des Familienbonus Plus beim Dienstgeber – auf den monatlichen Bezug des (wirksam ausschöpfbaren) Hälftebetrags ab 1. 1. 2019 anzuspannen ist oder diese Leistung erst mit tatsächlicher Auszahlung (aufgrund eines Antrags beim Dienstgeber oder im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung) berücksichtigt werden kann.

Das Rekursgericht hat dem Rekurs der Kinder mit der Begründung nicht stattgegeben, dass in Bezug auf den vom Vater noch nicht beantragten Familienbonus Plus keine Anspannung stattzufinden habe, sondern das „Zufluss-Abfluss-Prinzip“ gelte.

Dieser Ansicht ist nicht beizutreten:

3.1 Nach der im Unterhaltsrecht allgemein anerkannten Anspannungstheorie trifft den Unterhaltsschuldner die Obliegenheit, alle seine Kräfte anzuspannen und alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen (RS0009564). Tut er dies nicht, so wird er so behandelt, als beziehe er jene Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielen würde (RS0047686; RS0047550; RS0047511). Davon ausgehend muss sich der Unterhaltspflichtige auch öffentlich-rechtliche Leistungen für die Unterhaltsbemessung anrechnen lassen, wenn er es aus in seiner Sphäre liegenden Gründen unterlässt, einen Antrag auf Gewährung dieser Leistungen zu stellen (RS0047385). Dies gilt nach der Rechtsprechung etwa für den Fall einer unterlassenen Arbeitnehmerveranlagung zum Zweck der Lohnsteuerrückvergütung (RS0123500).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 5 Ob 236/18v unter Hinweis auf die einschlägige Literatur (siehe dazu vor allem Neuhauser, Einige Auswirkungen des Familienbonus Plus auf die Bemessung des Kinderunterhalts, iFamZ 2018/196, und Gitschthaler, Familienbonus Plus und Unterhaltsrecht, EF-Z 2019/62, 116) ausgesprochen, dass der geldunterhaltspflichtige Elternteil, der einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht, grundsätzlich auf den Hälftebetrag des Familienbonus Plus anzuspannen ist, wenn er diese Leistung mangels Antragstellung nicht bezieht. Auch wenn dieser Bezug an jenen des Unterhaltsabsetzbetrags gekoppelt und damit von der Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht abhängig sei, komme insoweit der Anspannungsgrundsatz zum Tragen. Ein geldunterhaltspflichtiger Elternteil, der mangels Erfüllung seiner Verpflichtungen den Unterhaltsabsetzbetrag und deshalb auch den Familienbonus Plus nicht erhalte, sei im Verhältnis zu einem unterhaltsberechtigten Kind so zu behandeln, als ob er diese Beträge erhielte. Dazu zwinge schon die Überlegung, dass sonst jede Nichtleistung des Unterhalts gleichzeitig eine Verringerung des Unterhaltsanspruchs nach sich ziehe.

3.2 Der erkennende Senat schließt sich diesen Überlegungen an. Die vom Rekursgericht dazu geäußerten Bedenken werden nicht geteilt. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit zur sofortigen Inanspruchnahme des Familienbonus Plus durch Antragstellung beim Dienstgeber bewusst geschaffen. Aus diesem Grund kann nicht unterstellt werden, dem Unterhaltspflichtigen sei es grundsätzlich unzumutbar, seinem Dienstgeber die Geldunterhaltspflicht und die von ihm in dieser Hinsicht erbrachten Zahlungen nachzuweisen. Im Fall einer vom Rekursgericht befürchteten motivbedingten Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber bestünde die Möglichkeit der Kündigungsanfechtung. Die Anspannungsobliegenheit könnte nur dann verneint werden, wenn es dem Geldunterhaltspflichtigen aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen unmöglich oder unzumutbar wäre, bei seinem Arbeitgeber den sofortigen Bezug des Familienbonus Plus zumindest in halber Höhe – wenn er weiß oder wissen muss, dass der andere Elternteil mangels Einkommens keine Steuerersparnis beanspruchen kann, allenfalls auch in voller Höhe (vgl dazu Gitschthaler, EF-Z 2019/62, 116) – zu beantragen. Die Behauptungs- und Beweispflicht für derartige Umstände trifft den Unterhaltsschuldner (vgl RS0006261 [T18 und T19]; RS0111084 [T1]).

3.3 Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass das Erstgericht zu Recht vom Anspannungsgrundsatz ausgegangen und dementsprechend den Hälftebetrag des Familienbonus Plus im Rahmen der Bemessungsgrundlage zugunsten der Kinder berücksichtigt hat. Die Ausführungen im Revisionsrekurs der Kinder sind insoweit berechtigt.

4.1 Wie bereits ausgeführt, tritt der Vater der Einbeziehung des Hälftebetrags des Familienbonus Plus in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht entgegen. Im Anlassfall ist daher nicht zu prüfen, ob der Familienbonus Plus zunächst im Rahmen der steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners oder nur durch Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist und ob der halbe Familienbonus Plus für alle drei Kinder voll ausgeschöpft werden kann.

4.2 In ihrem Antrag auf Unterhaltserhöhung sind die Kinder von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von 2.241,48 EUR (monatliches Nettoeinkommen) + 187,50 EUR (dreimal 62,50 EUR) = 2.428,98 EUR ausgegangen. Sie haben somit dem Nettoeinkommen des Vaters den Hälftebetrag des Familienbonus Plus für alle drei Kinder des Unterhaltspflichtigen hinzugerechnet. Das Erstgericht hat abweichend davon die Hälfte des Familienbonus Plus nur für das jeweilige unterhaltfordernde Kind in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen und den Familienbonus Plus für die beiden anderen Kinder jeweils unberücksichtigt gelassen. Fraglich bleibt somit allein, ob bei Einbeziehung des Familienbonus Plus in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nach dem Anspannungsgrundsatz bei Vorhandensein mehrerer Kinder, für die der Unterhaltsschuldner Anspruch (maximal) auf den Hälftebetrag des Familienbonus Plus hat, die Summe dieser Beträge oder nur der Hälftebetrag für das konkret unterhaltfordernde Kind zu berücksichtigen ist.

4.3 Das Erstgericht stützt seine Ansicht auf die Rechtsprechung, wonach ein dem Unterhaltsschuldner ausgezahlter Kinderzuschuss oder eine solche Kinder- oder Familienzulage nur dann in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist, wenn die Zahlung für jenes Kind gewährt wird, dessen Unterhalt zu bemessen ist (RS0047467; RS0112964; 6 Ob 299/98h). Dieser Rechtsprechung liegt die Überlegung zugrunde, dass die in Rede stehenden, an den Unterhaltsschuldner direkt ausgezahlten Zuschussleistungen für ein bestimmtes Kind gewährt werden und für den Unterhalt bzw die Pflege dieses Kindes zu verwenden sind. Diese Beträge sind daher kind- und zweckgebunden (vgl 1 Ob 76/99d).

Auf den Familienbonus Plus sind diese Überlegungen nicht übertragbar. Beim Familienbonus Plus handelt es sich um keine direkt an den Unterhaltsschuldner ausgezahlte Kinderzuschussleistung, sondern um einen echten Steuerabsetzbetrag (Steuerreduktionsbetrag), der unter bestimmten Voraussetzungen die Steuerlast vermindert und zu einer Steuerersparnis führt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Familienbonus Plus nicht zu einer Negativsteuer führen und daher nur so weit wirksam ausgeschöpft werden kann, bis sich die Einkommensteuer auf Null reduziert. Dies führt dazu, dass der Familienbonus Plus bei mehreren Kindern – abhängig vom Einkommen des Unterhaltsschuldners – nicht für jedes Kind und jedenfalls nicht für jedes Kind im selben Ausmaß ausgeschöpft werden kann und es daher von Zufälligkeiten abhängt, für welches Kind der Familienbonus Plus letztlich gewährt wird. Die Zuordnung des steuerlich wirksamen Betrags zu einem bestimmten Kind wäre somit willkürlich. Dies spricht dafür, dass in einem Fall wie dem hier vorliegenden aus unterhaltsrechtlicher Sicht der gesamte vom Unterhaltsschuldner ausschöpfbare Familienbonus Plus zu berücksichtigen und in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen ist. Diese Ansicht wird durch die Überlegung bestätigt, dass eine echte Steuerersparnis das Nettoeinkommen des Unterhaltsschuldners erhöht und es
– abgesehen von kind- und zweckgebundenen Direktleistungen an den Unterhaltsschuldner – grundsätzlich nur eine einheitliche Unterhaltsbemessungsgrundlage gibt. Darüber hinaus wird bei der Unterhaltsbemessung dem Umstand, dass mehrere unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind, nicht im Rahmen der Unterhaltsbemessungsgrundlage, sondern dadurch Rechnung getragen, dass für weitere Sorgepflichten eine Reduktion der Prozentsatzkomponente erfolgt.

4.4 Gegen diese Überlegungen könnte eingewendet werden, dass der Familienbonus Plus vom Alter des Kindes abhängt und es nicht sachgerecht erschiene, wenn ältere Kinder vom Familienbonus Plus jüngerer Kinder profitierten. Richtig ist auch, wie Bräumann (Umfassende Reformen der steuerlichen Familienförderung, iFamZ 2018, 186) betont, dass der Anspruch auf den Familienbonus Plus vom einzelnen Kind abgeleitet wird. Die Erläuterungen halten dazu fest, dass die (steuerrechtlichen) Regeln des Familienbonus Plus stets für jedes Kind gesondert gelten (190 RV BlgNR 26. GP 9).

Aus unterhaltsrechtlicher Sicht ist im gegebenen Zusammenhang allerdings zu berücksichtigen, dass es sich beim Familienbonus Plus um ein Instrument zur steuerlichen Entlastung der Eltern bzw zur teilweisen steuerlichen Entlastung des Unterhaltsschuldners handelt. Es ist in der Natur der Sache gelegen, dass steuerliche Berechnungsmodelle aufgrund der Vielzahl der möglichen Konstellationen im Rahmen der Unterhaltsbemessung in Einzelfällen zu nicht vorhersehbaren Ergebnissen führen können. Da der Unterhalt aber nicht berechnet, sondern ausgemittelt wird und sich die Unterhaltsbemessung nicht strikt in mathematische Formeln pressen lässt (vgl 8 Ob 89/17x; 4 Ob 54/19y), können allfällige Unbilligkeiten im Einzelfall korrigiert werden.

5.1 Für den Anlassfall ergibt sich zusammenfassend, dass der geldunterhaltspflichtige Vater ab 1. 1. 2019 auf den sofortigen Bezug des Hälftebetrags des Familienbonus Plus anzuspannen ist; Umstände, die ihm den sofortigen Bezug des Familienbonus Plus aus bestimmten rücksichtswürdigen Gründen unmöglich oder unzumutbar machen könnten, hat er nicht behauptet. Ist der Familienbonus Plus im konkreten Einzelfall in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, so ist bei mehreren Kindern der gesamte vom Unterhaltsschuldner ausschöpfbare Familienbonus Plus zu berücksichtigen, ohne dass eine Zuordnung zu den einzelnen unterhaltsberechtigten Kindern stattzufinden hat.

5.2 Konkret bedeutet dies, dass dem unstrittigen Nettoeinkommen in Höhe von 2.241,48 EUR der vom Vater wirksam ausschöpfbare Hälftebetrag des Familienbonus Plus für drei Kinder unter 18 Jahren (187,50 EUR) hinzuzurechnen ist, sodass sich eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 2.428,98 EUR ergibt. Davon ausgehend errechnen sich die monatlichen Unterhaltsbeiträge des Vaters nach der Prozentsatzkomponente (18 % bzw 15 %) ab 1. 1. 2019 mit monatlich 440 EUR für S***** und 365 EUR für N*****.

Der Revisionsrekurs ist demnach berechtigt. In Stattgebung des Rechtsmittels der Kinder waren die Beschlüsse der Vorinstanzen hinsichtlich der Unterhaltsbeiträge des Vaters ab 1. 1. 2019 entsprechend abzuändern.

Textnummer

E126266

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00139.19Y.0822.000

Im RIS seit

17.10.2019

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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