TE Bvwg Beschluss 2019/4/12 L521 2177728-1

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Veröffentlicht am 12.04.2019
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Entscheidungsdatum

12.04.2019

Norm

AsylG 2005 §18 Abs1
AsylG 2005 §19 Abs1
AsylG 2005 §20 Abs1
AsylG 2005 §3
AVG §37
AVG §39 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz 2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

L521 2177728-1/7E

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. in der Beschwerdesache des XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2017, Zl. 1068286204-150502491, in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 den

BESCHLUSS

gefasst:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 13.05.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 15.05.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau gab der Beschwerdeführer an, den im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in London geboren und zuletzt in Bagdad gelebt, sei Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem und ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 06.04.2015 legal von Bagdad ausgehend im Luftweg in die Türkei verlassen zu haben. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und von dort mit verschiedenen Verkehrsmitteln - teilweise selbständige und teilweise neuerlich schlepperunterstützt - nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, in der Nähe seines Arbeitsplatzes in Bagdad habe sich in einer schiitischen Moschee eine Explosion ereignet. Daraufhin hätten maskierte Personen ihn mitnehmen wollen, was sein schiitischer Arbeitgeber aber verhindern habe können. Seine Eltern hätten ihm daraufhin zum Verlassen des Irak geraten

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 02.10.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache und einer Vertrauensperson niederschriftlich vor der zur Entscheidung berufenen Organwalterin einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben und die arabische Sprache zu verstehen.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer an, er habe in Bagdad in einem Supermarkt gearbeitet. An einem Samstag habe sich in einer nahegelegenen schiitischen Moschee eine Explosion ereignet. Kurz danach hätten Militär und Milizen Kontrollen durchgeführt, seinen Ausweis verlangt, ihn beschimpft und ihn mitnehmen wollen. Sein schiitischer Arbeitgeber habe dies verhindern können, Milizen hätten ihm zuvor allerdings noch mitgeteilt, dass alle Sunniten an diesem Ort getötet würden.

Der Beschwerdeführer brachte außerdem vor, homosexuell zu sein und deshalb nicht in den Irak zurückkehren zu können. Sein Freund, mit dem er eine sexuelle Beziehung unterhalte, sei als Vertrauensperson bei der Einvernahme anwesend. Im Irak habe er seine sexuelle Orientierung aus Angst vor Verfolgung verheimlicht.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak von schiitischen Milizen verfolgt werde. Ferner könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 16 - 107 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe kein glaubhaftes Vorbringen hinsichtlich seiner sexuellen Orientierung erstattet. Bei der Erstbefragung habe er seine sexuelle Orientierung als Fluchtgrund nicht erwähnt. Das Vorbringen in der Einvernahme stelle sich als unplausibel dar und habe der Beschwerdeführer insgesamt keinen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Eine Einsichtnahme in den Verfahrensakt seines als Vertrauensperson anwesenden Freundes habe ergeben, dass sich dieser zwar ebenfalls als homosexuell orientiert deklariert habe, jedoch angegeben habe, dass sich sein Freund in Syrien befinde.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, die Glaubhaftmachung eines asylrelevanten Sachverhalts sei nicht gelungen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 19.10.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 24.10.2017 im Wege der Hinterlegung zugestellten Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In der Beschwerde wird - soweit hier von Relevanz - ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 24.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde zunächst der Gerichtsabteilung G308 zugewiesen. Am 05.04.2019 erklärte die Leiterin der Gerichtsabteilung G308, sich aufgrund der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner homosexuellen Orientierung gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 als unzuständig zu erachten. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge am 05.04.2019 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter und dritter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann, sind nachstehende Grundsätze maßgeblich:

Die Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur meritorischen Entscheidung nach sich ziehen, nicht vorliegen. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 24.06.2015, Ra 2015/04/0019 mwN).

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, bekennt sich zum islamischen-sunnitischen Glauben und ist ledig. Er wurde am XXXX in London geboren, kehrte aber bereits im Jahr 1990 mit seinen Eltern nach Bagdad zurück und lebte dort bis zur Ausreise.

Der Beschwerdeführer stellte nach der Einreise in das Bundesgebiet am 13.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Der Verfahrensgang vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gestaltete sich wie unter Punkt I. dieser Erledigung dargestellt.

2.3. Dem syrischen Staatsangehörigen XXXX , wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2016 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Er ist in XXXX , wohnhaft.

2.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im Verfahren erster Instanz notwendige Ermittlungen zur vorgebrachten sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers, nämlich die nach der Lage des Falls gebotene zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX , unterlassen.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Beweis wurde erhoben wurde durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde einschließlich der Beschwerdeergänzung sowie durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister den Beschwerdeführer betreffend. Ferner wurde hinsichtlich des vom Beschwerdeführers angegebenen Freundes Auszüge aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich sowie dem Zentralen Melderegister angefertigt.

3.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde.

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche Lebensumstände im Herkunftsstaat ergeben sich aus den insoweit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde sowie den vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Erhebungen und sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig.

3.3. Dass das belangte Bundesamt die Einvernahme des XXXX als Zeuge unterlassen hat ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

4.1. Da die belangte Behörde auch notwendige Ermittlungen unterlassen hat, ist die Beschwerde im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, homosexuell orientiert zu sein und im Fall einer Rückkehr in den Irak aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht leben zu können, zumal homosexuelle Personen mit dem Tode bestraft würden. Er habe seine sexuelle Orientierung im Irak aus diesem Grund verheimlicht.

Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet und vertritt die Auffassung, dass der Beschwerdeführer sich nur aus "asyltaktischen Gründen" als homosexuell bezeichnen würde.

§ 18 AsylG 2005 verpflichtet die Asylbehörden, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Der Verwaltungsgerichtshof betont in seiner ständigen Rechtsprechung, dass § 18 AsylG 2005 für das Asylverfahren eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (VwGH 20.10.2015, Ra 2015/18/0082 bis 0087 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, etwa im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfGH 20.02.2015, E 1278/2014 mwN).

Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen. Im gegenständlichen Fall war die belangte Behörde aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers bei dessen Einvernahme in Kenntnis darüber, dass sich dessen (angeblicher) Freund XXXX nicht nur als Asylberechtigter im Bundesgebiet befindet und der Beschwerdeführer eine Liebesbeziehung zu diesem unterhält, sondern sogar der Einvernahme als Vertrauensperson beiwohnte. Der Beschwerdeführer legte auch explizit dar, mit dem Genannten eine sexuelle Beziehung zu unterhalten.

Der belangten Behörde wäre es demnach einfach möglich gewesen, die zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX im gegenständlichen Verfahren herbeizuführen, zumal XXXX bei der Einvernahme des Beschwerdeführers anwesend war und das belangte Bundesamt die zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX ohne weiteres im Anschluss an die Befragung des Beschwerdeführers hätte durchführen können. Dass eine zeugenschaftliche Einvernahme unternommen wurde, ist indes weder anhand der Aktenlage erkennbar, noch hat sich die belangte Behörde in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides darauf berufen.

Keiner weiteren Erörterung bedarf aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts, dass die zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX geeignet ist, über den Gegenstand dieses Verfahrens - zumindest hinsichtlich einer allfälligen homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers - Beweis zu liefern, und eine solche Einvernahm somit zur Ermittlung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalts beitragen kann.

Dass der Beweiswürdigung der belangten Behörde bei einem derart gewichtigen Verfahrensmangel von vornherein die Grundlage entzogen ist, bedarf aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ebenfalls keiner weiteren Erörterung. Gerade vor dem Hintergrund, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in ihrer Beweiswürdigung vorhält, die behauptete homosexuelle Beziehung zu dem Genannten werde bezweifelt, erweist es sich als eindeutig als in die Verfassungssphäre reichendes willkürliches Verhalten, wenn gleichzeitig von der zeugenschaftlichen Einvernahme ebendieser, sogar unmittelbar anwesenden Person Abstand genommen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits erkannt, dass die Einvernahme von Zeugen, die von Wahrnehmungen zur sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers bzw. einer gleichgeschlechtlichen Beziehung berichten können, geboten ist (VwGH 22.02.2017, Ra 2016/19/0229).

Bei diesem Ergebnis hätte die belangte Behörde aber gemäß § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 dieses - zusätzlich zur Aussage des Beschwerdeführers zur Verfügung stehenden - präsenten Beweismittel auch von Amts wegen zu berücksichtigen gehabt, ohne dass ein auf Vernehmung des XXXX gerichteter Beweisantrag vorlag (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0022). Da dies unterblieben ist, kann von einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren keine Rede sein. Lediglich am Rande sei angemerkt, dass das belangte Bundesamt auch gegen § 20 Abs. 1 AsylG 2005 verstoßen hat, zumal die Einvernahme auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine homosexuelle Orientierung von einer Person weiblichen Geschlechts fortgesetzt wurde und der Beschwerdeführer entgegen § 20 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 auch nicht über seine Rechte belehrt wurde.

Die Einvernahme des XXXX und entsprechende Feststellungen im Hinblick auf dessen Verfahren werden somit nachzuholen sein, um ein mangelfreies Verfahren zu gewährleisten. Ferner wird der Beschwerdeführer nochmals von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen sein.

Dem Bundesverwaltungsgericht erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht, aus welchen irrigen Erwägungen heraus geleitet die belangte Behörde einen derart naheliegenden Schritt wie die Einvernahme der im Bundesgebiet aufhältigen Familienangehörigen des Beschwerdeführers als Zeugen unterlassen konnte, obwohl diese der belangten Behörde namentlich bekannt sind. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist naheliegend, dass die belangte Behörde die zeugenschaftliche Einvernahme im Hinblick auf das ohnehin zu erwartende Beschwerdeverfahren unterlassen, damit die zeugenschaftliche Einvernahme im Rechtsmittelverfahren vorgenommen werde. Das Bundesverwaltungsgericht musste bereits mehrfach feststellen, dass im Bundesgebiet aufhältige Zeugen von der belangten Behörde grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (siehe etwa die Entscheidungen L521 2123001-1, L521 2127194-1, L521 2138871-1, L521 2136593-1 oder L521 2143298-1 sowie L521 2199364-1), sodass aus Sicht des Bundesverwaltungsgericht der Schluss als berechtigt erscheint, dass solche grundsätzlich gebotenen Verfahrensschritte seitens der belangten Behörde regelmäßig mit der Intention unterlassen werden, dass diese durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden.

Dies berechtigt jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

4.2. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die von ihr unterlassenen Ermittlungen durch die zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX zur vorgebrachten sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers jedenfalls nachzuholen haben. Allfällige Widersprüche in Ansehung von dessen Vorbringen in seinem eigenen Asylverfahren sind mit dem Zeugen zu erörtern. Eine Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst ist im gegenständlichen Fall weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, zumal das belangte Bundesamt unmittelbaren Zugang zu den Asylakten des Zeugen hat (was sogar im angefochtenen Bescheid erwähnt wird), wohingegen das Bundesverwaltungsgericht erst dahingehende Ermittlungen pflegen müsste.

Im Anschluss an die durchzuführenden Ermittlungen hat eine beweiswürdigende Auseinandersetzung unter Einbeziehung sämtlicher gewonnener Ermittlungsergebnisse zu erfolgen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung, die sich nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, Bedenken bestehen (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017). Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zufolge dürfen die zuständigen nationalen Behörden ferner im Rahmen der Prüfung der Glaubwürdigkeit eines Vorbringen nicht allein deshalb zu dem Ergebnis gelangen, dass die Aussagen des betreffenden Asylbewerbers nicht glaubhaft sind, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat (EuGH 02.12.2014, C-148/13 bis C-150/13, A u. a. gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie). Sollte der Beschwerdeführer im fortgesetzten Verfahren eine homosexuelle Orientierung erfolgreich glaubhaft machen können, wäre er außerdem detailliert zu den diesbezüglichen Rückkehrbefürchtungen zu befragen, zumal die derzeitigen Angaben äußerst vage erscheinen. Dabei wird der Beschwerdeführer von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen sein.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist. Durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte, sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insbesondere dem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

5.1. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Ungeachtet eines entsprechenden Antrags kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Durchführung einer Verhandlung auch dann unterbleiben, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 GRC nicht entgegenstehen.

5.2. Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde keine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht beantragt. Der für die kassatorische Entscheidung maßgebliche und unter Punkt 2. festgestellte Sachverhalt ist aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde im Sinn des Beschwerdevorbringens als geklärt anzusehen, sodass gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden konnte.

Schlagworte

Asylverfahren, Behebung der Entscheidung, Einvernahme,
Ermittlungspflicht, Fluchtgründe, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit,
Homosexualität, Kassation, mangelhaftes Ermittlungsverfahren,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung, sexuelle Orientierung,
Verfahrensmangel, Verfolgungsgefahr, Willkür, Zeugenbeweis,
Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L521.2177728.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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