TE OGH 2019/6/24 2Ob106/19f

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Veröffentlicht am 24.06.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. 

Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj P***** W*****, vertreten durch den Vater A***** W*****, vertreten durch die Mag. iur. Oliver Lorber Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. M***** M*****, und 2. U*****, vertreten durch die Hofer & Zechner Rechtsanwalts GmbH in Friesach, wegen 25.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. März 2019, GZ 5 R 164/18d-38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Mitverschuldenseinwand

1.1. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828 [T1]). Gegenteiliges gilt im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann, wenn die

Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist (RS0042828 [T7]).

Es ist nicht erforderlich, dass der Beklagte das Mitverschulden des Klägers ausdrücklich geltend macht; es genügt, wenn sich dem

Vorbringen des Beklagten entnehmen lässt, dass damit ein Verschulden des Verletzten behauptet wird (RS0027103).

1.2. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten hätten in erster Instanz ein Verschulden der erstbeklagten Lenkerin am Unfall verneint und vorgebracht, es läge ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG vor. Damit hätten sie implizit das Alleinverschulden des (im Unfallszeitpunkt knapp achtjährigen) Klägers und Revisionswerbers (als Fußgänger) am Unfall behauptet, weshalb als Minus dessen Mitverschulden zu prüfen sei.

Dem Revisionswerber ist zuzugestehen, dass das vom Berufungsgericht wiedergegebene Vorbringen der Beklagten nicht notwendig einen Mitverschuldensvorwurf gegen ihn impliziert, weil – auch ohne sein Verschulden – eine Haftung der Beklagten aus dem Verkehrsunfall zur Gänze entfiele, wenn auf ihrer Seite weder ein eine Schadenersatzhaftung nach ABGB begründendes Verschulden noch – wegen eines unabwendbaren Ereignisses nach § 9 EKHG – eine Gefährdungshaftung nach diesem Gesetz vorläge. In diesem Sinn vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass die bloße Behauptung der Haftungsfreiheit kein ausreichender Mitverschuldenseinwand ist (RS0027103 [T3]; RS0111235).

1.3. Die Beklagten haben aber auch vorgebracht, der Kläger sei plötzlich und für die Erstbeklagte völlig unerwartet auf die Fahrbahn gelaufen, was eine krass verkehrswidrige Verhaltensweise sei (ON 5, S 3 f). Sie warfen dem Kläger die Nichtbeachtung des Fahrzeugs der Erstbeklagten aufgrund einer Falschreaktion bzw eines Aufmerksamkeitsfehlers vor (ON 8, S 2). Überdies wendeten sie wegen der durch die Kollision des Klägers mit dem Fahrzeug der Erstbeklagten daran entstandenen Sachschäden eine Gegenforderung ein (ON 8, S 4). Die (teilweise) Berechtigung der Gegenforderung setzt aber (abgesehen von § 1310 dritter Fall ABGB, wozu die Beklagten aber keinerlei Tatsachenvorbringen erstattet haben) denknotwendig ein (Mit-)Verschulden des Klägers iSd § 1304 iVm § 1310 erster Fall ABGB voraus, weil gegen ihn andere Anspruchsgrundlagen als eine Verschuldenshaftung nach ABGB nicht ersichtlich sind.

1.4. Unter Berücksichtigung des unter 1.3. wiedergegebenen weiteren Vorbringens der Beklagten liegt im Licht der unter Punkt 1.1. dargestellten Grundsätze der Rechtsprechung jedenfalls im Ergebnis keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor, wenn das Berufungsgericht von einem Mitverschuldenseinwand der Beklagten ausgegangen ist.

2. Mitverschulden des Klägers

Schon das Berufungsgericht hat zutreffend auf die ständige Rechtsprechung verwiesen, wonach (unter Umständen sogar jüngere als sieben Jahre alte) Kinder im Straßenverkehr grundsätzlich ein Mitverschulden treffen kann (RS0027824; RS0027048; RS0027473; RS0027518). Dies gilt insbesondere auch für einen – hier vorliegenden – Verstoß des Kindes gegen die Pflicht nach § 76 Abs 1 StVO, die Fahrbahn nicht überraschend zu betreten (RS0027824; RS0027645; 2 Ob 91/81 = EFSlg 38.580 mwN; 2 Ob 225/02f).

Die Beurteilung des (Mit-)Verschuldensgrades ist einzelfallbezogen zu lösen und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0087606). Sie ist im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Mitverschulden von Kindern geringer zu werten ist, als das von Erwachsenen (RS0026996) nicht korrekturbedürftig (vgl 2 Ob 225/02f).

Textnummer

E125613

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00106.19F.0624.000

Im RIS seit

23.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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