TE Vwgh Erkenntnis 2019/3/26 Ra 2019/16/0064

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Veröffentlicht am 26.03.2019
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Niederösterreich
L82003 Bauordnung Niederösterreich
001 Verwaltungsrecht allgemein
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ABGB §1017
AVG §10
AVG §10 Abs1
AVG §10 Abs4
AVG §8
BauO NÖ 2014 §11
BauO NÖ 2014 §23
BauO NÖ 2014 §38 Abs1 Z1
BauO NÖ 2014 §9 Abs1
VwRallg

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/16/0065

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revisionen von DI und II, beide in M, beide vertreten durch die Onz Onz Kraemmer Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 27. November 2018, LVwG-AV-1199/001-2018, betreffend Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe nach der NÖ Bauordnung 2014 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtrat der Stadtgemeinde Mödling), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadtgemeinde Mödling hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerber sind Miteigentümer des Grundstückes Nr. EZ KG M.

2 In einem Bescheid vom 17. Mai 2018 erklärte der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling dieses Grundstück im Ausmaß von 1.092m2 gemäß § 23 Abs. 3 Nö Bauordnung 2014 zum Bauplatz und erteilte den Revisionswerbern gemäß § 14 Z 1 iVm § 23 Abs. 1 Nö Bauordnung 2014 die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses.

Unbestritten ist, dass der Zweitrevisionswerber am 18. Mai 2018 im Stadtamt der Stadtgemeinde die an ihn und die Erstrevisionswerberin gerichteten Bescheidausfertigungen persönlich übernahm und beide Ausfolgungen auf den Rückscheinen mit seiner Unterschrift als "Empfänger/in" bestätigte. Am selben Tag langte bei der Stadtgemeinde ein vom Zweitrevisionswerber unterfertigtes, mit dem Namen beider Revisionswerber tituliertes Schreiben, betreffend "Rechtsmittelverzicht" mit folgendem Wortlaut ein:

"Hiermit verzichten wir auf das ordentliche Rechtsmittel der Berufung betreffend den Baubewilligungsbescheid vom 17.05.2018 ... für das Bauvorhaben ‚Errichtung eines Einfamilienhauses' in M ...

Grundstück Nummer: EZ: KG M".

In einer Eingabe vom 7. November erhob die Erstrevisionswerberin Berufung gegen den Bescheid vom 17. Mai 2018.

3 Mit einem weiteren Bescheid vom 11. Juni 2018 schrieb der Bürgermeister der Stadtgemeinde Mödling den Revisionswerbern gemäß § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 eine Aufschließungsabgabe im Betrag von EUR 32.633,32 vor, wogegen die Revisionswerber mit der Begründung Berufung erhoben, dass das Grundstück mit einem kleinen Einfamilienhaus bebaut sei, welches in seinen Anfängen bereits aus der Zwischenkriegszeit stammte. Bereits dadurch sei die Liegenschaft ein Bauplatz und sei keine Aufschließungsabgabe mehr vorzuschreiben.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 wies der Stadtrat der Stadtgemeinde Mödling die Berufung als unbegründet ab, weil - so die wesentliche Begründung - die Revisionswerber einen Rechtsmittelverzicht gegen den Baubewilligungsbescheid abgegeben hätten. Baubewilligung und Bauplatzerklärung könnten nicht mehr im ordentlichen Rechtsweg bekämpft werden. Es handle sich damit um einen letztinstanzlichen Bescheid im Sinne des § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachten die Revisionswerber vor, dass eine allseits rechtskräftige Bauplatzerklärung im Sinn des § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 nicht vorliege. Der Rechtsmittelverzicht des Zweitrevisionswerbers dürfe der Erstrevisionswerberin nicht vorgehalten werden. Diese habe die Bauplatzerklärung auch bekämpft.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. Begründend traf es nach Darstellung des Verfahrensganges zunächst folgende Feststellungen:

"(Der Zweitrevisionswerber) und (die Erstrevisionswerberin) sind grundbücherliche Eigentümer des Grundstückes ..:

...

Auf dem Grundstück ist offenkundig ein - von den (Revisionswerbern) als ‚bestehendes kleines Einfamilienhaus' bezeichnetes - Gebäude errichtet worden. Für dieses Objekt liegt im maßgeblichen Bauakt der Stadtgemeinde Mödling keine Baubewilligung auf.

Aus den Akten der belangten Behörde ergibt sich, dass für das verfahrensgegenständliche Grundstück vor 2015 keine Aufschließungsabgabe bzw. Aufschließungsbeitrag iSd NÖ Bauordnung vorgeschrieben worden ist.

1.5.2. Zu den vorgenommenen Zustellungen:

Die beiden Bescheidausfertigungen des Bescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018, ..., die an die (Revisionswerber) adressiert waren, wurden am 18. Mai 2018 vom (Zweitrevisionswerber) anlässlich eines Termins im Stadtamt persönlich übernommen und die Übernahme mit seiner Unterschrift auf den Rückscheinen bestätigt:

...

Der (Zweitrevisionswerber) unterfertigte weiters am 18. Mai 2018 einen Rechtsmittelverzicht hinsichtlich des Bescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018, ...."

Nach Darlegung der Beweiswürdigung sowie Zitierung der anzuwendenden Rechtsvorschriften erwog das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht:

"3. Würdigung:

3.1. Zu Spruchpunkt 1:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

3.1.1.

In der Sache ist eingangs festzuhalten, dass die von den Abgabenbehörden der mitbeteiligten Gemeinde der Abgabenfestsetzung zugrunde gelegten Berechnungen vom Beschwerdeführer nicht kritisiert werden. Das Beschwerdevorbringen lässt sich vielmehr auf die Frage reduzieren, ob die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe überhaupt erfolgen durfte, da nach Ansicht der Beschwerdeführer der Abgabenanspruch noch nicht entstanden gewesen.

3.1.2.

Nach § 4 Abs. 1 der von den Verwaltungsbehörden (und dem erkennenden Gericht) anzuwendenden BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Angesichts der Komplexität der Sachlage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus der rechtlichen Konstruktion der Abgabenschuldverhältnisse folgt, dass dieses bereits mit Verwirklichung eines gesetzlich normierten Abgabentatbestandes entsteht. Der Abgabenbescheid ist seinen wesentlichen Merkmalen nach lediglich feststellender Natur. Er bringt den Abgabenanspruch nicht zum Entstehen, sondern stellt den aus dem Gesetz erwachsenden Anspruch lediglich fest (vgl. VwGH vom 25. Juni 2014, Zl. 94/17/0419). Daraus ergibt sich, dass die Abgabenbehörde die Abgabe festzusetzen hat, sobald der Abgabenanspruch entstanden ist. Da sich der Abgabenanspruch der Gemeinde aus der Sicht des Abgabepflichtigen als Abgabenschuld darstellt, ist die Abgabenfestsetzung zulässig, sobald die Abgabenschuld entstanden ist.

Gemäß § 38 Abs. 1 Zif. 1 NÖ Bauordnung 2014 ist dem Eigentümer eines Grundstücks im Bauland von der Gemeinde eine Aufschließungsabgabe vorzuschreiben, wenn mit Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 ein Grundstück oder Grundstücksteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt wird (vgl. Kienastberger/Stellner-Bichler, NÖ Baurecht, Praxiskommentar, S.188).

3.1.3.

Die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe setzt ausdrücklich einen rechtskräftigen Bauplatzerklärungsbescheid bzw. Baubewilligungsbescheid voraus. Erst mit der Rechtskraft dieses Bescheides entsteht der Abgabenanspruch der Gemeinde. Ausgeschlossen ist somit, dass die Bauplatzerklärung und die Abgabenvorschreibung im selben Bescheid erfolgen (...). Durch die Novelle 8200-3 wurde in § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 1996 nach dem Wort ‚wenn' die Wortfolge ‚mit rechtskräftigem Bescheid' eingefügt. Der Landesgesetzgeber wollte damit eine Klarstellung dahingehend erreichen, dass die Aufschließungsabgabe erst dann vorgeschrieben werden darf, wenn ein rechtskräftiger Bescheid (Bauplatzerklärung oder Baubewilligung) vorliegt. Dies soll eine exakte Ermittlung des Zeitpunktes, in dem der Abgabenanspruch entsteht, ermöglichen (siehe den Motivenbericht zur 1. Novelle der NÖ Bauordnung 1996 vom 27. April 1999, Zl. RU1-A-200/225, sowie VwGH 2005/17/0165).

3.1.4.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018, ..., wurde in Spruchpunkt I. das Grundstück ... gemäß § 23 Abs. 3 NÖ Bauordnung 2014 zum Bauplatz erklärt. Die beiden Bescheidausfertigungen (adressiert jeweils an B und A) wurden am 18. Mai 2018 vom (Zweitrevisionswerber) anlässlich eines Termins im Stadtamt persönlich übernommen und die Übernahme mit einer Unterschrift auf den Rückscheinen bestätigt.

Der (Zweitrevisionswerber) unterfertigte am 18. Mai 2018 auch einen Rechtsmittelverzicht hinsichtlich des Bescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018, ... Ein Rechtsmittelverzicht kann nur von einer Partei des Verfahrens abgegeben werden. Dies kann - und zwar durch ausdrückliche Erklärung - erst nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides und während der Rechtsmittelfrist erfolgen (vgl. VwGH Ra 2016/02/0227). Der in Rede stehende Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018 erwuchs mit der Unterfertigung des Rechtsmittelverzichtes am 18. Mai 2018 in Rechtskraft.

Daraus folgt, dass gegenüber dem (Zweitrevisionswerber) der Abgabentatbestand des § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 in Gestalt eines rechtskräftigen Bauplatzerklärungsbescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018 (Rechtskraft infolge des Rechtsmittelverzichtes vom 18. Mai 2018) zum Zeitpunkt der Abgabenvorschreibung am 11. Juni 2018 erfüllt war (vgl. VwGH 2008/17/0095 und VwGH Ro 2014/17/0026).

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe gegenüber dem (Zweitrevisionswerber) als rechtsrichtig.

3.1.5.

Die allgemeine Vertretungsvollmacht im Sinne des § 10 AVG schließt im Allgemeinen die Zustellungsbevollmächtigung ein. Dies gilt auch, wenn eine der im § 10 Abs. 4 AVG bezeichneten Personen unter Berufung auf die erteilte Vollmacht einschreitet, sofern kein gegenteiliger Anhaltspunkt vorliegt (vgl. VwGH 92/09/0293 und VwGH 2007/12/0080). Es genügt in Bezug auf den im § 10 Abs. 4 AVG bezeichneten Personenkreis das Fehlen von Zweifeln über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis; die Behörde braucht daher zunächst in einem solchen Fall nicht Untersuchungen in der Richtung anzustellen, die auf einen Nachweis einer ausdrücklichen Vollmacht hinauslaufen würden, von der nach § 10 Abs. 4 AVG gerade abgesehen werden kann (vgl. VwGH 2004/07/0172).

Unter dem (u.a. aus § 1029 Satz 2 ABGB abgeleiteten) Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht versteht man, dass die Vertretungsmacht an ein als bloße Wissenserklärung zu qualifizierendes Verhalten des Geschäftsherrn (also des Vertretenen) anknüpft. Dazu ist erforderlich, dass der Vertretene ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet ist, im Dritten den begründeten Glauben zu erwecken, dass der Vertreter zur Abgabe von Erklärungen für den Vertretenen befugt ist. Das Vertrauen des Dritten muss seine Grundlage in einem zurechenbaren Verhalten des Vollmachtgebers haben, welches den äußeren Tatbestand, auf den der Dritte vertraut, begründet (vgl. VwGH 2001/16/0175).

Die Behörden der mitbeteiligten Gemeinde konnten im Ergebnis davon ausgehen, dass der (Zweitrevisionswerber) in Vertretung seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin agierte und somit berechtigt war die an diese gerichtete Bescheidausfertigung zu übernehmen. Diese Übernahme wurde auch mit seiner Unterschrift quittiert.

Nach § 24 ZustG kann ein bereits versandbereites Schriftstück dem Empfänger unmittelbar bei der Behörde gegen eine schriftliche Übernahmsbestätigung ausgefolgt werden. Die Ausfolgung hat die Rechtswirkungen der Zustellung (vgl. Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, S. 124, sowie VwGH 97/21/0489).

Im Beschwerdefall erfolgte die Zustellung gemäß § 24 ZustG durch unmittelbare Ausfolgung des Schriftstückes bei der Behörde. Dass der zur Vertretung seiner Ehegattin befugte (Zweitrevisionswerber) als ‚Empfänger' unterschrieben hat, steht außer Streit. Mit der Ausfolgung des an die Beschwerdeführerin gerichteten Bescheides an den (Zweitrevisionswerber) gilt dessen Zustellung an die vertretene Ehegattin als bewirkt, ohne dass es eines Hinweises auf das bestehende Vertretungsverhältnis zur (Erstrevisionswerberin) bedurfte. Die (Erstrevisionswerberin) hat weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde vorgebracht, dass ihr Ehegatte keine oder bloß eine auf die Abgabe einer Stellungnahme vor der Behörde erster Instanz beschränkte Vertretungsbefugnis besessen hat. Bei Würdigung der Gesamtheit dieser Umstände konnte die Behörde erster Instanz unbedenklich von einer Bevollmächtigung des Ehegatten der (Erstrevisionswerberin) im bei ihr anhängigen Verwaltungsstrafverfahren ausgehen, die auch die Zustellbevollmächtigung im Sinn des § 9 Abs. 1 Zustellgesetz erfasste, und dementsprechend den Ehegatten der (Erstrevisionswerberin) als Empfänger im zustellrechtlichen Sinn in die Zustellverfügung aufnehmen (vgl. VwGH 92/09/0293).

Der an die (Erstrevisionswerberin) adressierte Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018 wurde somit am 18. Mai 2018 wirksam zugestellt.

Ein Rechtsmittelverzicht ist eine von der Partei vorgenommene Prozesshandlung, der die Wirkung anhaftet, dass ein von der Partei eingebrachtes Rechtsmittel einer meritorischen Erledigung nicht zugeführt werden darf. Ein einmal ausgesprochener Rechtsmittelverzicht kann auch nicht mehr zurückgenommen werden. Das Vorliegen eines Rechtsmittelverzichtes ist besonders streng zu prüfen und es ist ein anlässlich der Abgabe eines Rechtsmittelverzichtes vorliegender Willensmangel zu Gunsten der Partei zu beachten (vgl. VwGH 2005/02/0049 und VwGH Ra 2016/09/0098).

Da der Rechtsmittelverzicht nicht ihr gegenüber wirken konnte, da sie diesen nicht ausdrücklich abgegeben (i.e. unterschrieben) hatte (und ein konkludenter Verzicht nicht erfolgen kann), ist der Bescheid vom 17. Mai 2018 jedenfalls mit Verstreichen der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist am 1. Juni 2018 in Rechtskraft erwachsen. Der Vollständigkeit halber darf diesbezüglich angemerkt werden, dass sich diesfalls die mit Schreiben vom 7. November 2018 erhobene Berufung als verspätet erweisen dürfte.

Somit war auch gegenüber der (Erstrevisionswerberin) der Abgabentatbestand des § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 in Gestalt eines rechtskräftigen Bauplatzerklärungsbescheides des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Mödling vom 17. Mai 2018 (Rechtskraft am 1. Juni 2018) zum Zeitpunkt der Abgabenvorschreibung am 11. Juni 2018 erfüllt.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Vorschreibung der Aufschließungsabgabe gegenüber der (Erstrevisionswerberin) als rechtsrichtig."

Abschließend begründete das Verwaltungsgericht die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung und seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision, letzteres unter Hinweis auf die in seiner Würdigung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

5 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision erachten sich die Revisionswerber in ihrem Recht auf Unterbleiben der Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe mangels rechtskräftiger Bauplatzerklärung verletzt. Die Zulässigkeit ihrer Revision begründen sie damit, das angefochtene Erkenntnis weiche in seiner rechtlichen Würdigung der Zustellung des Bescheides des Bürgermeisters vom 17. Mai 2018 von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 4 AVG ab: Darnach dürfe von einer ausdrücklichen Vollmacht nur dann abgesehen werden, wenn

-

eine Vertretungsbefugnis (Ermächtigung des Vertreters durch den Vertretenen) im Innenverhältnis bestehe (VwGH 25.5.1993, 93/04/0027),

-

das Vollmachtsverhältnis durch den Handelnden offengelegt werde (VwGH 24.5.2012, 2012/07/0013),

-

seitens der Behörde keine Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsmacht bestünden (VwGH 28.3.1996, 95/07/0213) und

-

ein "amtsbekanntes" Familienmitglied als Vertreter auftrete (VwGH 4.11.1986, 86/05/0036).

Das Verwaltungsgericht sei über diese Grundsätze hinweg gegangen und habe zu den Tatbestandsmerkmalen nach § 10 Abs. 4 AVG keine Ermittlungen und Feststellungen getroffen. Es gehe stattdessen vom Vorliegen einer Vollmacht aus, aufgrund derer der Zweitrevisionswerber die Erstrevisionswerberin vertrete.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision das Vorverfahren gemäß § 36 VwGG eingeleitet; Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7 Die Revision erweist sich aus folgenden Gründen als zulässig und auch als berechtigt:

8 Gegenstand des angefochtenen Erkenntnisses ist die Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe nach § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 2014 gegenüber den Miteigentümern eines Grundstücks.

9 Diese Bestimmung setzt in der maßgebenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 8200-22 die Erlassung des letztinstanzlichen Bescheides der Behörde nach § 2 voraus, mit dem ein Grundstück oder Grundstückteil zum Bauplatz (§ 11) erklärt wird.

10 § 2 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 8200-22 bestimmt, dass

Baubehörde erster Instanz

o der Bürgermeister

o der Magistrat (in Städten mit eigenem Statut)

Baubehörde zweiter Instanz

o der Gemeinderat (Stadtrat)

o der Stadtsenat (in Städten mit eigenem Statut)

(örtliche Baupolizei)

ist.

11 Ein letztinstanzlicher Bescheid im Sinn des § 38 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 liegt dann vor, wenn dieser keinem administrativen Instanzenzug mehr unterworfen ist, sei es, dass dieser Bescheid von der Baubehörde zweiter Instanz erlassen wurde oder gegen einen Bescheid der Baubehörde erster Instanz ein Rechtsmittel nicht mehr zusteht.

12 Gemäß § 9 Abs. 1 NÖ Bauordnung 2014 in der Fassung der genannten Novelle kommt allen Bescheiden nach diesem Gesetz sowie allen Erkenntnissen und Beschlüssen des Landesverwaltungsgerichtes,

die nicht nur verfahrensleitend sind, in den Angelegenheiten dieses Gesetzes - ausgenommen jenen nach § 37 - insofern eine dingliche Wirkung zu, als daraus erwachsende Rechte oder Pflichten auch vom Rechtsnachfolger geltend gemacht werden dürfen oder zu erfüllen sind.

Von dinglicher Wirkung eines Bescheides kann dann gesprochen werden, wenn dieser gegenüber jedem wirkt, der entsprechende Rechte an der betreffenden Sache hat (vgl. W. Pallitsch/Ph. Pallits ch/W. Kleewein, Niederösterreichisches Baurecht10, Anm. 11 zu § 9 NÖ BauO mwN).

13 Da die Erklärung eines Grundstückes zum Bauplatz (ebenso wie eine Baubewilligung) für und wider alle Miteigentümer wirkt, sind all diese vermöge eines Rechtsanspruches an der Sache "Bauplatzerklärung" beteiligt (§ 8 AVG).

14 Dem Bescheid des Bürgermeisters vom 17. Mai 2018 als Baubehörde erster Instanz käme die Eigenschaft eines letztinstanzlichen Bescheides im Sinn dieses § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 2014 daher nur dann zu, wenn, eine wirksame Erlassung an alle Miteigentümer der Liegenschaft vorausgesetzt, keinem Miteigentümer ein weiterer administrativer Instanzenzug - sei es nach Ablauf der Rechtsmittelfrist oder infolge eines Rechtsmittelverzichts - offen steht.

15 Das Verwaltungsgericht leitet die Letztinstanzlichkeit des Bescheides vom 17. Mai 2018 aus einer wirksamen Zustellung beider Bescheidausfertigungen am 18. d.M. an den (bevollmächtigten) Ehegatten der Erstrevisionswerberin, den Zweitrevisionswerber, ab; der von diesem abgegebene Rechtsmittelverzicht wirke zwar nicht für die Erstrevisionswerberin, jedoch sei ihre Berufung vom 7. November 2018 verspätet.

16 Die Revision wendet sich gegen die Annahme einer Bevollmächtigung des Zweitrevisionswerbers durch die Erstrevisionswerberin.

17 Das Verwaltungsgericht billigte, dass die Behörden "im Ergebnis" davon ausgegangen seien, dass der Zweitrevisionswerber in Vertretung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegattin agiert und somit berechtigt gewesen sei, die an diese gerichtete Bescheidausfertigung zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht gründete seine Billigung auf die seiner Ansicht nach erfüllten Voraussetzungen nach § 10 Abs. 4 AVG und auf die Annahme einer Anscheinsvollmacht.

18 Nach § 10 Abs. 1 zweiter Satz AVG haben sich Bevollmächtigte durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Gemäß § 10 Abs. 4 AVG kann die Behörde von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung durch amtsbekannte Angehörige (§ 36a), Haushaltsangehörige, Angestellte oder durch amtsbekannte Funktionäre von beruflichen oder anderen Organisationen handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten.

19 Die Begünstigung des § 10 AVG befreit von einer Vollmachtsvorlage, aber nicht von der Offenlegung des Vertretungsverhältnisses durch den Handelnden, der somit behaupten muss, (auch) in Vertretung eines Beteiligten zu handeln (VwGH 24.5.2012, 2012/07/0013). Auch in den Fällen des § 10 AVG ist es der Behörde unbenommen, bei Zweifeln am Bestehen der Vollmacht oder deren Umfang nach § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen (VwGH 27.1.2009, 2008/22/0879).

Die Begünstigung des § 10 Abs. 4 AVG befreit daher lediglich von der Vorlage einer Vollmacht nach § 10 Abs. 1 AVG, nicht jedoch von der Einräumung von Vollmacht und der Offenlegung des Vertretungsverhältnisses (Hengstschläger/Leeb, AVG i2, Rz 14 zu § 10 AVG, mwN).

Weder den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses noch den vorgelegten Verwaltungsakten (noch dem Vorbringen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) sind Feststellungen über die Erteilung einer Vertretungsbefugnis von der Erstrevisionswerberin an den Zweitrevisionswerber oder die Offenlegung des Vertretungsverhältnisses anlässlich der Entgegennahme der Bescheide vom 17. Mai 2018 zu entnehmen.

20 Nach der weiteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 4 AVG obliegt es der behaupteter Maßen zu Unrecht vertretenen Partei, gewichtige Gründe für ihre Behauptungen darzutun - etwa, dass (und warum) sie selbst nicht an der Verhandlung habe teilnehmen wollen und dem Familienmitglied ihre Vertretung überhaupt oder in einer bestimmten Richtung untersagt habe - dann, wenn die Partei ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen und selbst nicht dort erschienen ist. Um eine Vertretung durch amtsbekannte Familienmitglieder im Sinn des § 10 Abs. 4 AVG annehmen zu können, ist es aber erforderlich, dass der zu Vertretende nachgewiesenermaßen von der Verhandlung persönlich verständigt worden ist, weil nur damit die Prämisse für das "Absehen von einer ausdrücklichen Vollmacht" im Sinn des § 10 Abs. 4 leg.cit. geschaffen worden wäre (VwGH 26.1.2006, 2004/07/0172).

21 Das vom Verwaltungsgericht für die Annahme einer Bevollmächtigung nach § 10 Abs. 4 AVG ins Treffen geführte Erkenntnis vom 26.1.2006 erweist sich als nicht auf den vorliegenden Revisionsfall übertragbar, weil im Revisionsfall nicht von einer vorgängigen, nachweislichen Ladung der Erstrevisionswerberin zu einer Verhandlung die Rede ist, auf die die Behörde ihr Vertrauen auf die Bevollmächtigung des Zweitrevisionswerbers hätte gründen können.

22 Soweit das Verwaltungsgericht schließlich seine Annahme einer Bevollmächtigung auch auf das Vorliegen einer Anscheinsvollmacht unter Berufung auf das Erkenntnis vom 19. September 2001, 2001/16/0175, gründete, ist diesem Erkenntnis zu entnehmen, dass das Vertrauen des Dritten seine Grundlage in einem zurechenbaren Verhalten des Vollmachtgebers haben müsse, welches den äußeren Tatbestand, auf den der Dritte vertraue, begründe. Weder den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses noch den vorgelegten Verwaltungsakten (noch dem Vorbringen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) ist allerdings zu entnehmen, dass die Erstrevisionswerberin vor der Übernahme der Bescheidausfertigungen am 18. Mai 2018 selbst irgendein Verhalten gesetzt hätte, auf das die Behörde ein Vertrauen in die Erteilung einer Vollmacht an den Zweitrevisionswerber hätte gründen können und gegründet hätte. Allein in der Übernahme der Bescheidausfertigungen durch den Zweitrevisionswerber liegt kein der Erstrevisionswerberin zurechenbares Verhalten.

23 Feststellungen zu einer allfälligen Heilung des solcherart vorliegenden Zustellmangels (§ 7 ZustG) hat das Verwaltungsgericht ebenfalls nicht getroffen.

24 Die Annahme des Vorliegens einer letztinstanzlichen Bauplatzerklärung erweist sich daher für die Vorschreibung einer Aufschließungsabgabe nach § 38 Abs. 1 Z 1 NÖ Bauordnung 2014 als nicht tragfähig, womit sich die Vorschreibung - gegenüber beiden Revisionswerbern - als rechtswidrig erweist.

25 Das angefochtene Erkenntnis ist daher wegen Rechtswidrigkeit seiner Inhaltes, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

26 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 29. März 2019

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019160064.L00

Im RIS seit

10.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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