TE OGH 2019/5/21 5Ob45/19g

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.05.2019
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*****, 2. Mag. R*****, 3. Mag. A*****, 4. Arch. F*****, 5. K*****, 6. B*****, 7. E*****, 8. E*****, 9. M*****, 10. B*****, 11. R*****, alle vertreten durch Mag. Andreas Hertl, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. D*****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, 2. H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. R. Eberl, Dr. R. Hubner, Dr. R. Krivanec, Dr. G. Ramsauer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revisionen der erst- und zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2018, GZ 53 R 224/18z-28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 25. Juni 2018, GZ 26 C 351/17x-22, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Die erst- und die zweitbeklagte Partei sind schuldig, den Klägern binnen 14 Tagen anteilig deren mit 2.499,12 EUR (darin 416,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger und der Erstbeklagte sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die Zweitbeklagte betreibt seit August 2015 mit Genehmigung des Erstbeklagten als Mieterin in seinem Wohnungseigentumsobjekt eine Kinderbetreuungseinrichtung, bei der derzeit 12 Kinder (Alter 1–4 Jahre) angemeldet sind. Die maximale wöchentliche Betreuungszeit beträgt 40 Stunden. Als Rahmenöffnungszeiten sind 7:00 Uhr früh bis 18:00 Uhr abends bewilligt. Obwohl der Wohnungseigentumsvertrag aus 1972 das Objekt des Erstbeklagten als Wohnung auswies, wurde es von Anfang an ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken genutzt; zunächst als Architekturbüro, dann als Immobilienbüro, Steuerberatungskanzlei und zuletzt als Versicherungsbüro. Die faktische Nutzung des Objekts als Büro war allen Wohnungseigentümern erkennbar, dies insbesondere durch Personen- und Garagenverkehr, eigenen Außeneingang und die jeweilige firmenmäßige Beschilderung. Wegen dieser Nutzung gab es keine Differenzen mit den anderen Wohnungseigentümern.

Die Kläger begehren gegenüber beiden Beklagten die Unterlassung der Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts des Erstbeklagten auf andere Weise denn als Büroräume samt PKW-Abstellplätze, insbesondere als Kinderbetreuungs-einrichtung.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt.

Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung des Erstbeklagten wegen behaupteter Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und gab den Berufungen beider Beklagten im Übrigen nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts zur konkludenten Widmungsänderung auf einen Bürobetrieb mit Kundenverkehr. Die zurückhaltende Interpretation schlüssiger Verhaltensweisen spreche gegen die von den Beklagten ins Treffen geführte Umwidmung auf eine unspezifizierte Geschäftstätigkeit. Die Änderung des im Geschäftslokal betriebenen Unternehmensgegenstands und seiner Betriebsform sei ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer oder eine diese ersetzende Zustimmung des Außerstreitrichters ein Eingriff in die Rechtssphäre der übrigen Miteigentümer, wenn damit eine wesentliche Interessensbeeinträchtigung der anderen Miteigentümer verbunden sei. Die Möglichkeit der Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer sei bei der Betreuung von 12 kleinen Kindern in einer Wohnung offensichtlich. Umso mehr gelte dies für die Widmungsänderungen bei Allgemeinflächen. Eine Kinderbetreuungseinrichtung sei im Übrigen auch im Rahmen einer Wohnungswidmung nicht zulässig.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision zu den Fragen zu, ob die faktische Nutzung des Objekts als Büro über Jahrzehnte eine konkludente Widmungsänderung bewirke, inwiefern der Betrieb einer Kinderbetreuungseinrichtung von einer Widmung als Wohnung oder Büro gedeckt wäre, ob die stillschweigende Umwidmung auf Büro einer späteren Nutzung als Wohnung im Sinn der ursprünglichen Widmung entgegenstehe und wie deutlich die Möglichkeit der Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der übrigen Wohnungseigentümer festgestellt sein müsse.

In ihren ordentlichen Revisionen beantragen beide Beklagten die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin, dass das Unterlassungsbegehren abgewiesen werde, hilfsweise stellen sie jeweils einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen die Revisionen jeweils als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Die Vorinstanzen gingen zutreffend von der ständigen Rechtsprechung aus, wonach der in § 16 Abs 2 WEG verwendete Begriff „Änderungen“ weit auszulegen ist, dieser umfasst insbesondere auch die im Gesetz ausdrücklich genannten Widmungsänderungen. Jede solche Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig solche Änderungen vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg mit einer Unterlassungs- oder Beseitigungsklage nach § 523 ABGB vorgehen (RIS-Justiz RS0005944 [T1]; RS0083156 [T15]). Daneben steht die Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB jedem Mit- und Wohnungseigentümer gegen Dritte zu, die in sein Nutzungsrecht eingreifen (vgl 5 Ob 41/18t mwN).

2. Ob eine (eigenmächtige) Widmungsänderung vorliegt, folgt aus der Gegenüberstellung der gültigen Widmung des betreffenden Objekts mit der beabsichtigten (tatsächlichen) Verwendung des Objekts (RS0101800 [T1, T2, T4, T8]). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung für die Frage der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts grundsätzlich auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen (RS0120725 [T1], RS0119528 [T4]); spätere Widmungsänderungen können allenfalls konkludent die Zustimmung aller Mit- und Wohnungseigentümer finden (RS0120725 [T4, T9], RS0119528 [T6]; 5 Ob 224/15z). Abzustellen ist auf den objektiven Erklärungswert der jeweiligen Willensäußerung (5 Ob 100/14p).

3. Das rechtswirksame Zustandekommen und der Inhalt einer Widmung von Teilen einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft hängen regelmäßig von den konkreten Umständen des zu beurteilenden Falls ab (RS0120725 [T3]). Da für die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts grundsätzlich kein Formerfordernis besteht, kann sie auch auf einer konkludent zustande gekommenen Willenseinigung der Miteigentümer beruhen, die sich gemäß § 863 ABGB etwa an lang geübten Nutzungen oder dem Baukonsens bei einvernehmlich vorgenommenen Ein- und Ausbauten festmachen lässt (5 Ob 156/98x; 5 Ob 52/00h; 5 Ob 290/07v; 5 Ob 100/14p). Auch die Beurteilung der Konkludenz einer Willenserklärung hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor (RS0043253 [T1, T8]; 5 Ob 100/14p). Davon ist hier nicht auszugehen:

4.1. Dass entgegen der ursprünglichen Widmung im Wohnungseigentumsvertrag das Objekt des Erstbeklagten seit den 70iger-Jahren nicht als Wohnung, sondern – abgesehen von kurzen Leerstehungszeiten – immer nur zu geschäftlichen Zwecken und zwar als Büro mit Kundenbetrieb verwendet wurde, stellten die Vorinstanzen ebenso fest wie den Umstand, dass dies sämtlichen anderen Mit- und Wohnungseigentümern eindeutig erkennbar war und sie dagegen keine Einwände äußerten. In einem solchen Fall davon auszugehen, die Mit- und Wohnungseigentümer, die sich der – ursprünglich – widmungswidrigen Verwendung nicht widersetzten, seien in Kenntnis der Umwidmung und ihres Untersagungsrechts gewesen und dennoch untätig geblieben (5 Ob 128/02p), hält sich im Rahmen der bisherigen Judikatur (vgl 5 Ob 172/10w, 5 Ob 100/14p zur jahrelangen widerspruchslosen Duldung der Verwendung von als Wohnung gewidmeten Objekten als Wahlarztpraxis).

4.2. Auch dass die Vorinstanzen das Verhalten der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer als schlüssige Zustimmung zu einer spezifizierten Geschäftsraumwidmung – als Büro mit Kundenbetrieb – werteten, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung und ist daher nicht korrekturbedürftig. Erst jüngst sprach der erkennende Senat aus (5 Ob 160/17s), dass eine konkludente Widmungsänderung von der spezifizierten Geschäftsraumwidmung „Gastwirtschaft“ zu einer unspezifischen Geschäftsraumwidmung bloß aufgrund der Duldung der Nutzung als Verkaufslokal nicht in Betracht kommt. Schon nach allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen ist diesbezüglich besondere Vorsicht geboten. Der hier zu beurteilende Fall ist vergleichbar. Nach den Kriterien des § 863 ABGB kann den übrigen Mit- und Wohnungseigentümern, die in Kenntnis der Nutzung einer Wohnung als Büro mit Kundenbetrieb zustimmen, nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel unterstellt werden, damit würden sie jeglicher Geschäftsraumwidmung zustimmen wollen (etwa auch als Prostitutionslokal – vgl 5 Ob 41/18t). Die hier über Jahrzehnte unverändert beibehaltene Nutzung als Büro mit Kundenbetrieb lässt vielmehr eindeutig erkennen, dass sich eine Zustimmung zur Widmungsänderung nur auf diese – nur insoweit den übrigen Mit- und Wohnungseigentümern erkennbare – eingeschränkte Geschäftsraumwidmung beziehen sollte.

4.3. Da somit nach der nicht korrekturbedürftigen Auffassung der Vorinstanzen dem Erstbeklagten die unspezifische Geschäftsraumnutzung nicht zusteht, sondern sich die konkludente Zustimmung zur Widmungsänderung nur auf ein Büro mit Kundenbetrieb bezieht, stellt sich die in der Revision angesprochene Frage der Verkehrsüblichkeit der Änderung des im Objekt betriebenen Unternehmens nicht. Vielmehr liegt eine bewilligungspflichtige Widmungsänderung in einem solchen Fall in jeder Änderung des Gegenstands und der Betriebsform (5 Ob 160/17s mwN). Auf die Verwendung als Büro eingeschränkte Geschäftsraumwidmungen lagen den Entscheidungen 5 Ob 210/13p und 5 Ob 128/02p zugrunde, sie sind nicht unzulässig. Dass das WEG 1948 (ebenso wie auch das WEG 1975 und das WEG 2002) den Begriff „Büro mit Kundenbetrieb“ nicht ausdrücklich nennt, steht einer derart spezifizierten Geschäftsraumwidmung nicht entgegen. Da es zu den angesprochenen Rechtsfragen bereits ausreichend höchstgerichtliche Judikatur gibt, in deren Rahmen sich die Vorinstanzen bewegt haben, ist keine erhebliche Rechtsfrage zu erkennen.

5. Nach der nicht zu beanstandenden Auslegung durch die Vorinstanzen stellt sich die Frage einer allenfalls noch weiter aufrechten Wohnraumwidmung nicht, zumal nach den Feststellungen von Anfang an nicht etwa der Fall einer teilweisen Nutzung für Wohnen und für Bürozwecke (vergleichbar etwa 5 Ob 224/15z) vorlag. Den Begriff des Wohnens hat der Fachsenat zu 5 Ob 53/15b im Übrigen bereits dahin definiert, dass jemand seine Wohnung (sein Zuhause) an einem bestimmten Ort hat, was bei einer Tagesmutter, die allenfalls mit einem Partner und eigenen Kindern als Kernfamilie in einer Eigentumswohnung lebt, dort der Fall ist. Demgemäß sprach der Senat aus, dass die zusätzlich betreuten Kinder ihren Lebensmittelpunkt (ihr Zuhause) selbst bei ganztägiger Betreuung nicht bei der Tagesmutter haben, weil sie nicht wie die Kernfamilie im Wohnungseigentumsobjekt wohnen. Gerade dieser Fall liegt bei der hier von der Zweitbeklagten geführten Kinderbetreuungseinrichtung vor. Die ein- bis dreijährigen Kinder mögen dort zwar durchaus in einer ihrem Heim vergleichbaren liebevollen Art und Weise umsorgt und begleitet werden; dies ändert aber nichts daran, dass sie dort nicht wohnen. Nach dem aus dem Vorbringen erkennbaren Rechtsschutzziel (vgl RS0041254 [T36]) betrifft das Unterlassungsbegehren nur die geschäftliche Nutzung des Objekts auf andere Weise denn als Büroräume samt PKW-Abstellplatz, insbesondere als Kinderbetreuungsstätte. Eine – bisher nicht erfolgte und derzeit nicht unmittelbar bevorstehende – Nutzung als Wohnung im eigentlichen Sinn war nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit ist eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten.

6. Das Berufungsgericht ging richtig davon aus, dass der Streitrichter im Fall des Vorliegens einer (Widmungs-)Änderung nur deren Genehmigungsbedürftigkeit, nicht hingegen deren Genehmigungsfähigkeit zu beurteilen hat. Daraus folgt aber, dass schon der Umstand alleine, dass eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer möglich ist, zu einer Genehmigungsbedürftigkeit im Sinn des § 16 Abs 2 WEG führen muss. Feststellungen, aus denen sich die Möglichkeit einer derartigen Beeinträchtigung erschließen lässt, reichen für die rechtliche Beurteilung daher aus. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht es sogar als offenkundig (und damit nicht einmal beweisbedürftig) wertete, dass die Änderung eines Bürobetriebs auf eine Kinderbetreuungseinrichtung mit 12 Kindern schutzwürdige Interessen anderer Wohnungseigentümer beeinträchtigen kann, ist dies auch aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über die faktische Nutzung der Einheit
– insbesondere deren Intensität innerhalb des Objekts und im Garten – abzuleiten. Die Frage, ob mit der Widmungsänderung tatsächlich eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer verbunden ist, bleibt der Beurteilung des Außerstreitrichters in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG vorbehalten und ist hier nicht zu erörtern. Die in der Revision behauptete Widersprüchlichkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts ist daher nicht zu erkennen. Auch insoweit wird keine erhebliche Rechtsfrage angesprochen.

7. Damit war die Revision zurückzuweisen.

8. Gemäß §§ 41, 50 ZPO haben die Beklagten den Klägern, die auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen haben, die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen anteilig zu ersetzen. Der Einheitssatz steht hiefür aber nur einfach zu.

Textnummer

E125237

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00045.19G.0521.000

Im RIS seit

13.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten