TE OGH 2019/5/15 9Ob31/19b

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Veröffentlicht am 15.05.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei M***** T*****, vertreten durch Draxler Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. G***** S***** und 2. M***** S*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Schartner Rechtsanwalt GmbH in Altenmarkt, wegen Feststellung, Beseitigung und Unterlassung (Gesamtstreitwert: 6.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 31. Jänner 2019, GZ 53 R 275/18z-13, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 19. September 2018, GZ 1 C 158/18s-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das auf Feststellung gerichtete Begehren der Klägerin, die Beklagten hätten ihre auf einem Grundstück der Beklagten bestehende Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts eingeschränkt, weiters das Begehren, die Beklagten hätten den auf ihrem dienenden Grundstück befindlichen Zaun an jenen Stellen zu entfernen, an welchen durch diesen die Fahrbahnbreite der Straße weniger als 3 m betrage und letztlich das Begehren, es künftig zu unterlassen, die Straße auf eine Breite unter 3 m zu schmälern, ab.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Klägerin das angefochtene Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die Zulässigkeit des Rekurses begründete es damit, dass sich in Dienstbarkeitsverträgen immer wieder ähnliche Formulierungen fänden, die bei einer nicht ausreichend deutlichen Textgestaltung geeignet seien, die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen, weiters keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob und inwieweit beim Verzicht auf eine Dienstbarkeit auch das nachfolgende Verhalten der Beteiligten Berücksichtigung finden könne, und letztlich zur Frage, ob im Zusammenhang mit der Störungshandlung durch einen Dritten nur eine Einwirkung auf den Dritten (und nicht Unterlassung) begehrt werden könne, eine Judikaturdivergenz bestehe.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung den Rekurs der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurswerber beziehen sich in ihrer Erklärung zur Zulässigkeit ihres Rekurses ausdrücklich und ausschließlich auf die ersten beiden Zulassungsbegründungen des Berufungsgerichts. Ihr Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Für die Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs genügt nicht schon der Umstand, dass es an einer Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Vertragsbestimmungen mangelt (vgl 2 Ob 210/08h). Die Zurückweisung des Rekurses mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO; RS0043691).

I. Zur Rechtzeitigkeit des Rekurses:

Der Einwand der Rekursgegnerin, der Rekurs sei verspätet erhoben worden, trifft nicht zu. Richtig ist, dass der Rekurs irrtümlich beim Rekursgericht und nicht beim Erstgericht eingebracht wurde (§ 520 Abs 1 ZPO). Der Rekurs wurde aber vom Rekursgericht per Fax – noch innerhalb der Rekursfrist – an das Erstgericht weitergeleitet. Dass das vom Rekursgericht auch per Post an das Erstgericht weitergeleitete Original des Rekurses dort erst einen Tag nach der Rekursfrist einlangte, steht zufolge vorheriger rechtzeitiger Weiterleitung per Fax der Bejahung der Rechtzeitigkeit der Rekurserhebung nicht entgegen (7 Ob 191/03v).

II. Zum Rekurs:

1. Das Ausmaß der Dienstbarkeit, der Umfang der dem Inhaber zustehenden Befugnisse, richtet sich nach dem Inhalt des Titels. Bei einer – wie hier – vertraglich eingeräumten Dienstbarkeit sind Art und Umfang nach den allgemeinen Regeln der §§ 914 f ABGB auszulegen. Dabei ist insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten. Bei der Auslegung eines Dienstbarkeits-(bestellungs-)vertrags ist daher zunächst vom Wortlaut auszugehen, wobei jedoch dem von den Parteien der Vertragsbestimmung beim Vertragsabschluss beigelegten Verständnis in jedem Fall der Vorrang gebührt, und zwar vor jedem anderen Auslegungskriterium. Erst wenn sich ein solches übereinstimmendes Verständnis nicht ermitteln lässt, dann hat eine normative Interpretation unter besonderer Berücksichtigung des Zwecks der Dienstbarkeitseinräumung stattzufinden (9 Ob 51/17s [Pkt 4.]; RS0011720 [T20]; RS0107851 [T1]).

Ob ein Vertrag bzw eine Dienstbarkeit im Einzelfall richtig ausgelegt und den verwendeten Begriffen der richtige Inhalt beigemessen wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn wegen wesentlicher Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936 [T15]; RS0044358 [T23]). Dies ist hier nicht der Fall.

Nach den Feststellungen wurde der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1954 das Recht des Gehens und Fahrens über bestimmte Grundstücke der Rechtsvorgänger der Beklagten auf einem 1,30 m breiten Weg eingeräumt. Im Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1989 wurde diese Dienstbarkeit dahin modifiziert, dass die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts nicht mehr im Sinne der seinerzeitigen Einschränkung auf einem Weg von 1,30 m Breite, sondern auf dem derzeit gegebenen Weg (3 m Breite), der über die ursprünglich eingeräumte Breite hinausgeht, ausgeübt werden darf, wobei sich das Recht des Zugangs und der Zufahrt sowohl auf Hausbewohner, als auch auf Besucher erstrecken soll. Ob der Dienstbarkeitsweg zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags in seinem gesamten Verlauf eine durchgehende Breite von 3 m aufwies, konnte nicht mehr festgestellt werden.

Wenn das Berufungsgericht diese im Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahr 1989 festgelegte Erweiterung des Dienstbarkeitswegs auf eine Breite von 3 m nicht bloß als Richtwert versteht, sondern davon ausgeht, dass eine Mindestbreite von 3 m vertraglich bedungen sei, so ist dies nicht zu beanstanden.

2. Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0107199). Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vermögen die Rekurswerber nicht aufzuzeigen.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe durch die Erklärung in der Sitzung der Interessenweggenossenschaft vom 25. 7. 2002 (Familie R. sei aufgrund der neuen Weganlage einverstanden, auf das Fahrtrecht zu verzichten, wobei auf die Errichtung einer privatrechtlichen Vereinbarung verwiesen werde) keinen rechtsgültigen Verzicht auf das hier strittige Geh- und Fahrtrecht abgegeben, ist aufgrund der konkreten Umstände des Falls vertretbar. Die angesprochene privatrechtliche Vereinbarung wurde in der Folge nämlich nicht getroffen. Wenn das Berufungsgericht dazu näher ausführte, dass auch das (im Ersturteil näher festgestellte) nachfolgende Verhalten der Beteiligten zeige (bestätige), dass die Rechtsvorgänger der Parteien tatsächlich nicht von einer bindenden Verzichtsvereinbarung ausgegangen seien, so ist diese Beurteilung ebenfalls nicht zu beanstanden. Damit ist das Berufungsgericht auch nicht vom (ursprünglichen) Vorliegen eines Verzichts und einer nachträglichen einseitigen Abänderung des zuvor abgeschlossenen Verzichtsvertrags durch die Rechtsvorgängerin der Klägerin ausgegangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222 [T8]).

Textnummer

E125211

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0090OB00031.19B.0515.000

Im RIS seit

11.06.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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