TE OGH 2019/4/24 7Ob206/18x

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Veröffentlicht am 24.04.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** S*****, vertreten durch Mag. Dr. Irina Schiffer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Musey rechtsanwalt gmbh in Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. August 2018, GZ 1 R 190/17p-24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 20. Juli 2017, GZ 21 C 540/16i-19, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei habe dem Kläger auf Grund und im Umfang des zwischen dem Kläger und der beklagten Partei abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrags zur Polizzennummer ***** für den Schadensfall vom 22. 9. 2015 Deckungsschutz zu gewähren, wird abgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.518,50 EUR (darin 586,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.360,38 EUR (darin 202,98 EUR an Umsatzsteuer und 1.143 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.264,88 EUR (darin 138,98 EUR an Umsatzsteuer und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Diesem liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 2009) zugrunde, die auszugsweise lauten:

„…

Artikel 1

Was ist versichert?

Wir bieten Versicherungsschutz, wenn der versicherten Person ein Unfall zustößt. (...)

Artikel 2

Was ist der Versicherungsfall?

Versicherungsfall ist der Eintritt eines Unfalles (...).

(...)

Artikel 6

Was ist ein Unfall?

1. Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet oder stirbt.

(…)

Artikel 7 Dauerinvalidität

Was gilt bei vereinbarter Leistung dauernde Invalidität?

1. Voraussetzung für die Leistung:

Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei uns geltend gemacht worden. (…)

2. Art und Höhe der Leistung

2.1. Die Invaliditätsleistung zahlen wir als Kapitalbetrag.

(...)

6. Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl die versicherte Person als auch wir berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis 4 Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen.

(...).

Der Kläger erlitt am 22. 9. 2015 einen Tauchunfall und infolge dessen eine inkomplette Tetraparese sub C4 bei akuter kutaner und neurologischer Dekompressionskrankheit und eine neurogene Blasen- und Darmentleerungsstörung; die Lähmungserscheinungen sind bis heute nicht gänzlich abgeklungen.

Der Kläger meldete der Beklagten den Unfall am 17. 10. 2015. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 14. 1. 2016 gemäß § 12 Abs 3 VersVG die Deckung ab.

Der Kläger begehrte mit seiner am 27. 12. 2016 eingebrachten Klage mit der Behauptung, es liege ein von der Beklagten zu deckender Unfall vor, und unter Hinweis auf dessen Folgen die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass kein Unfall im Sinn der AUVB 2009 vorgelegen habe und dem Kläger im Hinblick auf die bereits erfolgte abschließende Bestreitung jeglicher Leistungspflicht ein Feststellungsinteresse fehle.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es bejahte rechtlich das Vorliegen eines Unfalls im Sinn der AUVB 2009 und ein Feststellungsinteresse des Klägers, das immer dann gegeben sei, wenn der Versicherer die Leistungspflicht dem Grunde nach bestreite.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es war der Rechtsansicht, dass
– entgegen der von der Beklagten in ihrer Rechtsrüge vertretenen Ansicht – das Feststellungsinteresse des Klägers zu bejahen sei. Es stehe fest, dass die Unfallfolgen noch nicht abgeklungen seien und daher der Umfang der Dauerfolgen noch nicht abschließend beurteilt werden könne.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und – infolge Abänderungsantrags der Beklagten – dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Beurteilung, ob das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung trotz endgültiger Leistungsablehnung durch den Versicherer gegeben sei, eine erhebliche Rechtsfrage sei.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung. Hilfsweise stellte die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise dieser keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

Die Revisionsbeantwortung des Klägers ist verspätet.

1. Die Feststellungsklage ist bei gleichem Rechtsschutzeffekt subsidiär zur Leistungsklage (RIS-Justiz RS0038849; vgl auch RS0038817). Kann der Kläger bereits Leistungsklage erheben, fehlt seinem Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse (RS0039021 [T5, T8]). Das Feststellungsinteresse ist Voraussetzung für den Feststellungsanspruch (RS0039177). Es ist vom Kläger durch Geltendmachung konkreter Umstände zu behaupten und (erforderlichenfalls) zu beweisen (RS0039239; RS0037977). Der Mangel rechtlichen Interesses an der Feststellung ist auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen wahrzunehmen (RS0039123).

2. Eine Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers ist zwar dann zulässig, wenn er diese dem Grunde nach bestreitet, der Schaden nicht außer Streit steht und ein nach den Versicherungsbedingungen vorgesehenes (fakultatives) Sachverständigenverfahren noch nicht stattgefunden hat (7 Ob 163/03a mzN; vgl RS0038854). Dass die Versicherungsbedingungen ein solches Sachverständigenverfahren vorsehen, hat aber der Kläger nicht geltend gemacht, selbst ein solches nicht in Anspruch genommen und die Beklagte hat durch Ablehnung der Deckung auf ein solches jedenfalls verzichtet (7 Ob 291/06d). Unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich keine Grundlage für ein Feststellungsbegehren des Klägers.

3. Nach Art 7.1. AUVB 2009 ist Voraussetzung für die Leistung infolge Dauerinvalidität, dass diese innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist. Der Kläger hat seine Klage später als ein Jahr nach dem Unfall eingebracht und (erkennbar) Dauerfolgen behauptet, sodass er nach Ablehnung durch den Versicherer gemäß § 12 Abs 3 VersVG die Leistung infolge dauernder Invalidität bereits mit Leistungsklage geltend machen konnte.

4. Sollte der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig feststehen, wäre der Kläger (und auch die Beklagte) nach Art 7.6. AUVB 2009 berechtigt, den Invaliditätsgrad bis vier Jahre ab dem Unfalltag jährlich ärztlich neu bemessen zu lassen. Für ein solches Neubemessungsverfahren ist kein Feststellungsbegehren erforderlich (vgl 7 Ob 36/02y).

5. Die Leistung aus der Unfallversicherung ist üblicherweise eine Kapitalzahlung (Invaliditätsentschädigung; vgl Art 7.2.1. AUVB 2009; s auch 7 Ob 2/94). Dass dem Kläger sonstige Leistungsansprüche aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrag zustehen könnten, hat der Kläger in erster Instanz nicht behauptet. Beim dazu erst in der Berufungsbeantwortung erstatteten Vorbringen handelt es sich um unzulässige Neuerungen.

6. Das fragliche Feststellungsinteresse und die Notwendigkeit zur Umstellung auf ein Leistungsbegehren müssen nicht erörtert werden, weil die Beklagte durch ausdrückliche Bestreitung des Feststellungsinteresses im erstgerichtlichen Verfahren bereits auf diese Schwäche im Prozessvorbringen des Klägers hingewiesen hat. Demnach liegt auch der vom Kläger behauptete Erörterungsmangel nicht vor (vgl RS0122365).

7.1. Im Ergebnis erweist sich die Revision der Beklagten als berechtigt, weil der Kläger ein Interesse an der begehrten Feststellung nicht behauptet hat. Das Feststellungsbegehren war folglich abzuweisen.

7.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

8. Die Revisionsbeantwortung ist verspätet. Die Revisionsbeantwortung ist nach § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen, wenn dieses – wie hier – dem Revisionsgegner nach § 508 Abs 5 ZPO freigestellt hat, eine solche einzubringen. Die Mitteilung des Berufungsgerichts, dass die Beantwortung der Revision freigestellt werde (§ 507a Abs 2 Z 2 ZPO), wurde der Klagevertreterin am 31. 8. 2018 zugestellt. Die am letzten Tag der Rechtsmittelfrist (28. 9. 2018) beim Erstgericht eingebrachte Revisionsbeantwortung langte beim Berufungsgericht erst nach Fristablauf ein. Wenn eine Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Gericht eingebracht und erst von diesem dem zuständigen Gericht übersendet wird, ist die Zeit dieser Übersendung in die Rechtsmittelfrist einzurechnen (RS0041584). Die erst nach Fristende beim Berufungsgericht eingelangte Revisionsbeantwortung ist somit als verspätet zurückzuweisen (4 Ob 122/16v; 2 Ob 265/06v).

Textnummer

E124974

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00206.18X.0424.000

Im RIS seit

16.05.2019

Zuletzt aktualisiert am

27.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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