TE Lvwg Beschluss 2018/9/28 VGW-101/029/25732/2014

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Veröffentlicht am 28.09.2018
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Entscheidungsdatum

28.09.2018

Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
66/03 Sonstiges Sozialversicherungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ASVG §354
ASVG §414
BPGG 1993 §22
BPGG 1993 §24
BPGG 1993 §34
B-VG Art120b Abs2
B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art131 Abs2
AVG §6

Text

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Schweiger im Verfahren über die Beschwerde des Herrn A. B., vom 28.6.2013, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt - Landesstelle Wien, vom 3.6.2013, Zl. …, betreffend Wiederaufnahme gemäß § 69 AVG des mit Bescheid vom 5.10.2009 abgeschlossene Verfahrens auf Gewährung des Pflegegeldes sowie Ablehnung des Antrages auf Pflegegeld und Rückforderung gemäß §§ 107 und 357 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), in Verbindung mit § 48c Abs. 7 und § 4 Bundespflegegeldgesetz (BPGG), den

BESCHLUSS

Gefasst

I.       Die Beschwerde wird wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien zurückgewiesen.

II.      Die Beschwerde wird gemäß § 6 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet.

III.     Gemäß § 25a VwGG ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

B e g r ü n d u n g

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde das des Antrages des Beschwerdeführers auf Gewährung des Pflegegeldes eingeleitete und mit Bescheid vom 5.10.2009 abgeschlossene Verfahren wieder aufgenommen und den Antrag auf Gewährung des Pflegegeldes abgelehnt. Weiters hat sie den Bescheid vom 5.10.2009 über die Gewährung und vom 9.5.2012 über die Entziehung des Pflegegeldes aufgehoben sowie die in der Zeit von 1.6.2009 bis 30.6.2012 zu Unrecht in Empfang genommenen Beträge zurückgefordert.

Die Wiederaufnahme begründend führte die belangte Behörde an, nach Bescheiderteilung sei der Pensionsversicherungsanstalt bekannt geworden, dass die Zuerkennung des Pflegegeldes durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt worden sei. Es bestehe der Verdacht des schweren Betruges gemäß § 147 StGB. Nach den durchgeführten medizinischen Untersuchungen seien alle maßgeblichen Verrichtungen zumutbar und ein Pflegebedarf nicht gegeben.

Der nunmehrige Beschwerdeführer hat gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 3.6.2013 Einspruch erhoben und wurde aufgrund dieses Einspruchs gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme der mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 40 (für den Landeshauptmann) vom 7.8.2013 das Verwaltungsverfahren bis zur rechtskräftigen Enscheidung des mit einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft vom 21.5.2013 von der Pensionsversicherungsanstalt eingeleiteten Verfahrens bezüglich des Verdachts, dass die Zuerkennung des Pflegegeldes durch eine gerichtlich strafbare Handlung von Herrn A. B. herbeigeführt wurde, gemäß § 38 AVG ausgesetzt. Nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurde die nunmehrige Beschwerdesache an das Bundesverwaltungsgericht und in der Folge von dort an das Verwaltungsgericht Wien abgetreten.

Den Leistungsanspruch auf Pfegegeld betreffend wurde vom Beschwerdeführer zur Zl. … des Arbeits- und Sozialgerichts Wien Klage geführt.

Mit dem vom Verwaltungsgericht Wien beigeschafften – in einem wiederholten Rechtsgang ergangenen – Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31.01.2017, …, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, in Wien, im Zeitraum von 8.5.2009 bis 5.10.2009 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig (§ 70 Abs. 1 Z 2 und Z 3 zweiter Fall StGB) die ihn begutachtenden Ärzte im Verfahren auf Gewährung von Pflegegeld und Beamte der Magistratsabteilung 40 der Stadt Wien durch die unrichtige Behauptung, er leide an einer Lähmung, obwohl er tatsächlich nach seinem Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Pflegegeld hatte, somit durch Täuschung über Tatsachen, zu einer Handlung, nämlich zur Gewährung von Pflegegeld der Stufe 4 ab 1.6.2009 verleitet zu haben und die nachstehend Geschädigten in einem 5000 Euro übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt zu haben: im Zeitraum 1.6.2009 bis 31.12.2011 das Land Wien in Höhe von 19.331,12 Euro, im Zeitraum 1.1.2012 bis 31.5.2014 die Pensionsversicherungsanstalt in Höhe von 19.264.,70 Euro. Der dagegen erhobenen Berufung hat das Oberlandesgerichts Wien mit Urteil vom 13.03.2018, …, keine Folge gegeben. Die Strafsache ist nunmehr rechtskräftig abgeschlossen.

RA Mag. Dr. C., der als Vertreter des Beschwerdeführers die gegenständliche Beschwerde (Einspruch) erhoben hat, hat im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien am 09.07.2018 zu Protokoll erklärt, dass er per 04.07.2018 das Mandat zur Vertretung des Beschwerdeführers zurückgelegt habe, sodass Zustellungen nicht mehr an ihn, sondern direkt an den Beschwerdeführer zu richten seien.

Aufgrund der inzwischen ergangenen, aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, vgl. E 06.03.2018, Ra 2017/08/0071, ergibt sich nunmehr:

Gemäß § 22 BPGG sind zur Entscheidung in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz verschiedene näher bezeichnete Sozialversicherungsträger (PVA, Unfallversicherungsträger mit Ausnahme der AUVA, Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau) zuständig.

Gemäß § 24 BPGG finden, soweit das BPGG nichts anderes bestimmt, auf das Verfahren vor den Sozialversicherungsträgern die §§ 354, 358 bis 361, 362a bis 367 ASVG und auf das Verfahren vor den übrigen Entscheidungsträgern die Vorschriften des AVG mit Ausnahme der §§ 45 Abs. 3 und 68 Abs. 2 Anwendung.

9 Gemäß § 27 Abs. 2 BPGG haben Bescheide auf die Möglichkeit der Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht hinzuweisen.

Aus dem Verweis auf § 354 ASVG ergibt sich, dass auch im Anwendungsbereich des BPGG die Verwaltungssachen von den Leistungssachen abzugrenzen sind. Bei der Entscheidung über einen Wiederaufnahmeantrag handelt es sich um keine Entscheidung in einer Leistungssache im Sinn der genannten Bestimmung, weshalb gegen einen solchen Bescheid der Klagsweg nicht zulässig ist (vgl. auch die Definition der Sozialrechtssachen in § 65 ASGG). Er ist vielmehr gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG mit Beschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht zu bekämpfen (vgl. zur Zuordnung von Bescheiden der Sozialversicherungsträger, mit denen in Leistungssachen die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wird, zu den Verwaltungssachen etwa auch VwGH 20.2.2008, 2006/08/0239, mwN).

Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Beschwerden gegen Bescheide in Verwaltungssachen regelt das BPGG nicht; der Verweis des § 24 BPGG umfasst nicht auch den § 414 ASVG, aus dem sich eine Zuständigkeit des BVwG ergäbe. Somit ist die Zuständigkeit zur Entscheidung über solche Beschwerden unmittelbar auf Grund des Art. 131 B-VG zu beurteilen.

Diese Bestimmung enthält in ihrem Abs. 1 eine Generalklausel zugunsten der Verwaltungsgerichte der Länder für alle Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG. Die Zuständigkeiten des Verwaltungsgerichts des Bundes sind in Art. 131 Abs. 2 und 3 B-VG taxativ aufgezählt. Demnach erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes - gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG - insbesondere über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Ausgehend davon ist im vorliegenden Fall zunächst zu klären, ob die Vollziehung des BPGG - die gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG ("Pflegegeldwesen") Bundessache ist - im Sinn des Art. 131 Abs. 2 B-VG unmittelbar von Bundesbehörden, das heißt in unmittelbarer Bundesverwaltung, besorgt wird. Diese Form der Vollziehung wäre gemäß Art. 102 Abs. 2 B-VG, der das "Pflegegeldwesen" ausdrücklich nennt, verfassungsrechtlich zulässig.

§ 22 BPGG überträgt die Vollziehung des Gesetzes, wie dargestellt, verschiedenen Sozialversicherungsträgern (PVA, Unfallversicherungsträger mit Ausnahme der AUVA, Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau). Gemäß § 34 BPGG haben sie ihre Aufgaben nach den Weisungen des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (PVA, Unfallversicherungsträger) bzw. des Bundesministers für Finanzen (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau) zu vollziehen.

Die genannten Sozialversicherungsträger sind keine Bundesbehörden im organisatorischen Sinn, sondern im Vollziehungsbereich des Bundes nach Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG ("Sozial- und Vertragsversicherungswesen") eingerichtete Selbstverwaltungskörper, denen der Bundesgesetzgeber, gestützt auf Art. 120b Abs. 2 B-VG, Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen hat. Entscheidend ist, ob die Besorgung der übertragenen Angelegenheit durch diese Selbstverwaltungskörper (im vorliegenden Fall: die PVA) als Besorgung unmittelbar durch eine Bundesbehörde im Sinn des Art. 131 Abs. 2 B-VG (als unmittelbare Bundesverwaltung) zu qualifizieren ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfGH 4.3.2015, E 923/2014, VfSlg 19.953, der Auffassung, dass ein Fall der unmittelbaren Bundesverwaltung nicht vorliegen könne, wenn ein Organ eines anderen Rechtsträgers als des Bundes tätig werde, ausdrücklich eine Absage erteilt, und zwar vor allem mit dem Argument, die von ihm abgelehnte Auffassung übersehe, dass die Tätigkeit von Organen solcher Rechtsträger dann auch der mittelbaren Bundesverwaltung und damit der Bundesverwaltung überhaupt nicht zurechenbar wäre. Dass die Verfassung eine Vollzugstätigkeit für den Bund durch solche Rechtsträger schlechthin ausschließe, sei ihr aber nicht zu unterstellen. Solche "bundesnahen Organe" seien daher nach den sie einrichtenden Rechtsgrundlagen der unmittelbaren Bundesverwaltung (und in der Folge der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes) oder der mittelbaren Bundesverwaltung (und damit der Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte) zuzuordnen.

Aus dieser vom Verwaltungsgerichtshof geteilten Auffassung folgt, dass die hoheitliche Besorgung von Aufgaben der Bundesvollziehung (etwa durch Erlassung von Bescheiden) durch Organe eines nichtgemeindlichen Selbstverwaltungskörpers grundsätzlich auch in einer Weise in Betracht kommt, die als Besorgung "unmittelbar durch Bundesbehörden" im Sinn des Art. 131 Abs. 2 B-VG zu verstehen ist. Eine solche liegt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes dann vor, wenn die hoheitliche Besorgung von Aufgaben der Bundesvollziehung durch das Organ eines "bundesnahen" nichtgemeindlichen Selbstverwaltungskörpers ohne Einbindung des Landeshauptmanns (als wesentliches Element der mittelbaren Bundesverwaltung) erfolgt.

Dies trifft hier zu: Im Hinblick auf die in § 34 BPGG ausdrücklich normierte Bindung unmittelbar an Weisungen eines Bundesministers handelt es sich bei den in § 22 BPGG genannten Sozialversicherungsträgern nicht nur um "bundesnahe" Einrichtungen, sondern es liegt - mangels Einbindung des Landeshauptmannes - auch eine Besorgung unmittelbar durch Bundesorgane vor (vgl. zur Maßgeblichkeit der Stellung des Landeshauptmannes auch Wiederin, Das Bundesverwaltungsgericht: Zuständigkeiten und Aufgabenbesorgung, in Holoubek/Lang (Hrsg.), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz (2013) 29 (42), und Faber, Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013), Art. 131 B-VG Rz 18).

Daraus folgt gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG die Zuständigkeit des BVwG für Entscheidungen über Beschwerden gegen Bescheide in Verwaltungssachen nach dem BPGG, sohin auch über die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Beschwerde. Daran vermögen die Ausführungen in den ErläutRV 2193 BlgNR 24. GP, 11, wonach gegen verfahrensrechtliche Bescheide künftig im Bereich des BPGG eine Beschwerde an die Verwaltungsgerichte der Länder möglich sein soll, nichts zu ändern.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da die rechtliche Beurteilung im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere vom zitierten Erkenntnis vom 6. März 2018, Ra 2017/08/0071, zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts in Verwaltungssachen nach dem Bundespflegegeldgesetz, gelöst wurde.

Schlagworte

Pflegegeld; Selbstverwaltung; Sozialwesen; Bundesbehörde; Vollzug unmittelbar durch Bundesorgane; Aufsicht; Selbstverwaltungskörper; Zuständigkeit; Landesverwaltungsgericht; Bundesverwaltungsgericht; Weiterleitung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.101.029.25732.2014

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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