TE OGH 2019/3/5 1Ob18/19g

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Veröffentlicht am 05.03.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Mag. Korn und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. P***** H*****, geboren am ***** 2004, und 2. V***** H*****, geboren am ***** 2006, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Vaters R***** H*****, vertreten durch Mag. Athanasia Toursougas-Reif, Rechtsanwältin in Pöls-Oberkurzheim, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 9. November 2018, GZ 2 R 229/18b-22, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Judenburg vom 12. September 2018, GZ 20 Pu 52/18i-17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Vater hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Obsorge über die beiden Kinder steht beiden Elternteilen zu, wobei die überwiegende Betreuung durch die Mutter ausgeübt wird.

Die damals noch verheirateten Eltern der beiden Minderjährigen mieteten im März 2007 ein Reihenhaus um monatlich 293,28 EUR (Mietzins, Betriebskosten, öffentliche Abgaben und Umsatzsteuer). Im selben Jahr sanierten und möblierten sie die Wohnung. Im August 2008 hatten sie Bankschulden von mehr als 95.000 EUR; im November 2008 nahmen sie zu deren Abdeckung gemeinsam einen Kredit über 97.500 EUR auf.

Im April 2013 beantragten die Kinder (vertreten durch ihre Mutter) Unterhalt vom Vater. Im Juni 2013 legten die Eltern – erkennbar im Zusammenhang mit der bevorstehenden Scheidung – dem Erstgericht ein Schreiben der Bank vor, wonach diese die Mutter aus jeglicher Haftung für den Kredit entließ. Die Mutter verzichtete auf alle Unterhaltsansprüche und vereinbarte mit dem Vater, den Unterhalt für die beiden Kinder von monatlich rund 600 EUR auf rund 400 EUR zu reduzieren, während sich der Vater zur alleinigen Rückzahlung des mit noch knapp 84.000 EUR aushaftenden Kredits verpflichtete. Daraufhin setzte das Erstgericht den monatlichen Unterhalt ab Juli 2013 mit 230 EUR je Kind fest.

Im Dezember 2013 endete die Ehe der Eltern einvernehmlich. Sie verzichteten unter anderem wechselseitig auf Unterhalt; der Vater verpflichtete sich, für die überwiegend von der Mutter betreuten Kinder monatlich je 230 EUR Unterhalt zu zahlen. Die Mutter blieb mit den Kindern in der bisherigen Ehewohnung, wo sie noch immer leben. Sie zahlt den monatlichen „Mietaufwand“ von 609 EUR.

Im Zuge der Scheidung übernahm der Vater den Kredit allein zur Rückzahlung. Der Kredit haftete im Juni 2018 noch mit rund 69.000 EUR aus. Die monatlichen Pauschalraten betragen seit Juni 2013 450 EUR.

Der Vater leistete von April 2015 bis einschließlich Juni 2017 monatlichen Unterhalt von 230 EUR je Kind. Seit Juli 2017 zahlt er je Kind monatlich 250 EUR. Zusätzlich zahlte er „im antragsgegenständlichen Zeitraum insgesamt 1.200 EUR zu Schulbeginn“, 400 EUR für einen Laptop und 100 EUR für eine Brille für den älteren Sohn und 425 EUR für den Laptop für den jüngeren Sohn. Ihn treffen keine weiteren Sorgepflichten. Er verdiente im Jahr 2015 monatlich 2.068 EUR, im Jahr 2016 monatlich 2.177 EUR und im Jahr 2017 monatlich 2.193 EUR (jeweils inklusive Sonderzahlungen).

Im April 2018 (verbessert im August 2018) begehrten die Kinder – nun vertreten durch den zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger – vom Vater für die Zeit vom 1. 4. 2015 bis zum 31. 12. 2017 Unterhaltsnachzahlungen von 3.222 EUR bzw 1.734 EUR sowie ab dem 1. 1. 2018 einen monatlichen Unterhalt von jeweils 380 EUR. Zwar sei der Kredit hauptsächlich für die Sanierung der Wohnung verwendet worden, doch schmälere die Rückzahlung durch den Vater ihren Unterhaltsanspruch nicht.

Der Vater brachte vor, der Kredit sei zur Gänze für die Wohnungssanierung verwendet worden, sodass eine Kreditrückzahlung von monatlich 450 EUR in voller Höhe als Naturalunterhalt für die Kinder anzurechnen sei. Er erklärte sich bereit, daneben monatlich 250 EUR je Kind an Geldunterhalt zu leisten.

Das Erstgericht gab dem Erhöhungsbegehren der Kinder statt und lehnte eine Berücksichtigung der Rückzahlungsraten des Vaters ab. Soweit er sich auf eine Vereinbarung mit der Mutter berufe, seien die Kinder im Hinblick auf § 190 Abs 3 ABGB nicht daran gebunden. Bedenke man, dass zwischen der Anschaffung der Kinderzimmermöbel und ähnlichen Gegenständen (2007) und der ab April 2015 begehrten Unterhaltserhöhung acht Jahre lägen und die Minderjährigen ohnehin in der Vergangenheit eine Unterhaltsminderung von jeweils rund 100 EUR pro Monat hinnehmen hätten müssen, sei jener Teilbetrag des Kredits für Kinderzimmermöbel und essentiell notwendige Gegenstände ausreichend berücksichtigt worden. Unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Vaters und auf die von ihm erbrachten Leistungen sei die begehrte Unterhaltserhöhung angemessen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es schloss sich der Begründung des Erstgerichts grundsätzlich an. Rechtlich führte es ergänzend aus, zwar sei der Vater nicht Eigentümer der der Mutter im Zuge der Scheidung überlassenen Mietwohnung, doch wäre es nicht sachgerecht, wollte man Kosten für die Adaptierung und Einrichtung einer Mietwohnung von vornherein nicht als Naturalunterhalt ansehen. Für die Berücksichtigung solcher Kreditraten bei der Bemessung des Unterhalts sei ein „gewisses zeitliches Naheverhältnis“ erforderlich, das sich hier auf die Zeit zwischen der Sanierung und Möblierung der Wohnung und den Beginn des Erhöhungsbegehrens beziehe und rund acht Jahre umfasse. Bedenke man, dass sich die Kinder an den monatlichen Kosten von 609 EUR für eine nicht besonders große Mietwohnung beteiligen müssten, dass „bei acht Jahren nicht mehr von einem zeitlichen Naheverhältnis gesprochen werden“ könne und dass schließlich die Kinder bis April 2015 vereinbarungsgemäß jeweils rund 100 EUR pro Monat weniger Unterhalt bekommen hätten, als ihnen zugestanden wäre, so hätten sie auch dann keine Minderung ihrer Unterhaltsansprüche durch Anrechnung der Rückzahlungsraten hinzunehmen, wenn der gesamte Kredit für die notwendige Sanierung und Einrichtung der Wohnung verwendet worden wäre.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil – soweit überblickbar – Rechtsprechung zur Frage der Anrechenbarkeit von Kreditrückzahlungen bei Mietwohnungen fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der – von den Kindern nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Vaters ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die Unterhaltsbemessung hat sich an den in § 231 Abs 1 ABGB genannten Faktoren, also neben den Bedürfnissen des Kindes vor allem an der Leistungsfähigkeit des zur Zahlung von Geldunterhalt verpflichteten Elternteils zu orientieren (9 Ob 72/15a mwN). Bei der Unterhaltsbemessung ist jedoch – worauf der Vater in der Sache hinweist – eine absolute Leistungsgrenze zu berücksichtigen, die zu Lasten des Unterhaltsschuldners nicht überschritten werden darf. Ihm hat jener Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit unbedingt notwendig ist (RIS-Justiz RS0008667). Als Richtsatz für die Belastungsgrenze orientiert sich die Rechtsprechung am Unterhaltsexistenzminimum des § 291b EO, ohne dass dieses jedoch eine in jedem Fall gültige starre Untergrenze bildet, sondern bei Bedarf in den Grenzen des § 292b EO noch unterschritten werden darf (RIS-Justiz RS0017946; RS0047455; vgl RS0047686 [T8]). Eine genaue Berechnung der Belastungsgrenze ist nicht möglich, es ist vielmehr im Einzelfall eine nach den gegebenen Umständen für den Unterhaltsschuldner und den Unterhaltsberechtigten noch am ehesten tragbare Regelung zu treffen (RIS-Justiz RS0008667 [T2]; RS0013458 [T3]).

Entgegen der Meinung des Vaters wäre der von den Vorinstanzen seinen Söhnen zuletzt zuerkannte Unterhalt für ihn nicht existenzbedrohend. Sein monatliches Einkommen (inklusive Sonderzahlungen) beträgt seit 2017 im Durchschnitt 2.193 EUR. Selbst unter Zugrundelegung einer monatlichen Unterhaltsverpflichtung von 380 EUR je Sohn ab 1. 1. 2018 (insgesamt 760 EUR) verbleibt dem Vater noch ein monatlicher Betrag von 1.433 EUR, den er zur Abdeckung seiner monatlichen Kreditrate von 450 EUR verwenden kann. Selbst ausgehend von den von den Vorinstanzen festgesetzten Unterhaltsbeträgen für seine beiden Söhne wäre er in seiner wirtschaftlichen Existenz nicht gefährdet. Dies gilt auch für den Zeitraum ab 1. 4. 2015.

2. Wenn der Vater erstmals im Revisionsrekurs die Höhe des von der Mutter geleisteten Mietzinses von monatlich 609 EUR bekämpft, ist er darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0007236 [T2]), weshalb die im Rechtsmittel erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht behandelt werden können (RIS-Justiz RS0007236 [T4]).

3. Als Naturalunterhalt in angemessenem Umfang anrechenbar ist die Begleichung von Wohnungsbenützungskosten durch den Unterhaltspflichtigen, das heißt von Kosten, die aufgrund der Benützung der Wohnung durch den Unterhaltsberechtigten oder für deren Erhalt in gebrauchsfähigem Zustand anfallen (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 204). Darunter versteht die Rechtsprechung beispielsweise die Bezahlung von Energiekosten oder Reparaturaufwendungen durch den Unterhaltspflichtigen (9 Ob 64/05k; 1 Ob 3/06g; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 [2015] Rz 127 [1.]) während jener Zeiträume, für die die Geldunterhaltspflicht zu beurteilen ist. Derartige Zahlungen stehen hier nicht zur Diskussion.

4. Mit der anlässlich der einvernehmlichen Scheidung im Dezember 2013 geschlossenen schriftlichen Vereinbarung trennten die Eltern ihre Vermögenssphären. Sie vereinbarten, dass die Mutter das bisher gemeinsame Mietverhältnis an der Ehewohnung allein fortsetzt. Das Mietrecht an der (durch Investitionen sanierten) Wohnung steht seither ausschließlich der Mutter zu. Sie stellt die Mietwohnung (im sanierten Zustand) den Kindern zur Verfügung und befriedigt damit deren Wohnbedarf. Eine Leistung von Naturalunterhalt durch den Vater liegt insofern nicht vor.

5. Hat der unterhaltspflichtige Elternteil im Zuge der Aufteilung eheliche Verbindlichkeiten übernommen (oder behalten), so ist allerdings seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch die Zahlung der Kreditraten gemindert. Maßgebend für die Beurteilung, ob und inwieweit Kreditrückzahlungen für Schulden, die während aufrechter Ehe im beiderseitigen Einvernehmen der Ehegatten aufgenommen worden sind, zu berücksichtigen sind, ist, wie sich ein Unterhaltspflichtiger verständigerweise bei Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft verhalten hätte. Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0047479). Für die Interessenabwägung, inwieweit Schulden eine Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage bilden, sind der Zeitpunkt und die Art der Entstehung der Schulden, der Zweck, für den sie aufgenommen wurden, das Einverständnis des (nunmehr) betreuenden Elternteils zu dieser Schuldaufnahme, die Dringlichkeit der Bedürfnisse des Verpflichteten und des Berechtigten sowie das Interesse an einer Schuldentilgung, um die Verbindlichkeit nicht weiter anwachsen zu lassen und dadurch die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten weiter herabzudrücken, maßgeblich. Eine Berücksichtigung von Schulden ist unter diesen Gesichtspunkten nach billigem Ermessen vorzunehmen (RIS-Justiz RS0079451). Damit käme für einen Abzug von der Unterhaltsbemessungsgrundlage des Vaters jedenfalls nur jener Teil des Kredits – im Ausmaß der (allenfalls nur anteilig zu berücksichtigenden) monatlichen Rückzahlung – in Betracht, der tatsächlich in die Sanierung und Ausstattung der Familienwohnung geflossen ist. Insoweit und zur Vornahme der vorstehend genannten Interessenabwägung wird die Entscheidungsgrundlage im fortzusetzenden Verfahren zu verbreitern sein.

6. Eine andere Beurteilung (als nach Punkt 5.) hätte stattzufinden, wenn und soweit – wie die Kinder behaupten – die alleinige Übernahme des Kredits durch den Vater darauf beruhte, dass die Mutter ihm gegenüber auf eigene Unterhaltsansprüche verzichtete. Insoweit lägen berücksichtigungswürdige Schulden nach der Judikatur nicht vor, sondern hätte die Schuldübernahme der pauschalen Abdeckung der zukünftigen (Unterhalts-)Schulden des Vaters gegenüber der Mutter gedient. Soweit dies der Fall gewesen sein sollte (dazu fehlen entsprechende Feststellungen), wären die vom Vater gegenüber den beiden Söhnen eingewendeten Zahlungen für die Abdeckung des Kredits nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Dann hätte allerdings der im Rahmen der Ausmittlung des „Prozentunterhalts“ gebotene Abzug wegen einer weiteren Unterhaltspflicht zu erfolgen.

7. Zur Durchführung der Verfahrensergänzung sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird die erforderlichen Feststellungen
– zweckmäßigerweise nach Vernehmung der Eltern – nachzutragen und eine neuerliche Entscheidung zu fällen haben.

8. Gemäß § 101 Abs 2 AußStrG findet im Verfahren über den Unterhalt eines minderjährigen Kindes kein Kostenersatz statt. Der Vater hat die Kosten seines Revisionsrekurses daher jedenfalls selbst zu tragen.

Textnummer

E124670

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00018.19G.0305.000

Im RIS seit

18.04.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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