TE OGH 2019/1/30 7Ob181/18w

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Veröffentlicht am 30.01.2019
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****-Privatstiftung, *****, vertreten durch die Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Priv.-Doz. MMag. Dr. Martin Oppitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 418.375 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Juli 2018, GZ 5 R 51/18h-49, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Der weite Schadensbegriff des ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RIS-Justiz

RS0022537). Für das Vorliegen eines „realen Schadens“ ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich. Es reicht aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspricht, oder dass sich das Vermögen des Anlegers wegen einer Fehlinformation des Schädigers anders zusammensetzt, als es bei pflichtgemäßem Verhalten der Fall wäre (RIS-Justiz RS0022537 [T12, T22]). Der Schaden eines Anlegers wegen einer für den Erwerb einer Anlage kausalen Verletzung von im konkreten Fall bestehenden Sorgfaltspflichten liegt im Erwerb einer Anlage, die er so nicht gewollt hätte (4 Ob 174/11h mwN; RIS-Justiz RS0022537 [T24]). In diesem Fall gebührt dem Anleger grundsätzlich ein Anspruch auf „Naturalersatz“ in der Form, dass ihm im – hier vorliegenden – Ankaufsfall Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere der zu deren Erwerb gezahlte Kaufpreis abzüglich erhaltener Zinsen bzw Dividenden zurückzuzahlen und zudem die Entwicklung der gewünschten alternativen Veranlagung zu berücksichtigen ist (RIS-Justiz

RS0129706).

1.2. Prospekthaftungsansprüche bestehen, wenn ein Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewegt wird. Es handelt sich dabei um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risken verbundenen Beteiligungsbeschluss. Aus diesem Grund muss sich der potentielle Kapitalanleger grundsätzlich auf die sachliche Richtigkeit und Vollständigkeit der im Prospekt enthaltenen Angaben verlassen dürfen (RIS-Justiz RS0107352).

1.3. Der Prospektbegriff ist im umfassenden Sinn zu verstehen. Maßgeblich ist dafür, ob der Werbeprospekt des freien Kapitalmarkts dem Vertrieb der Anlage dient und dabei als Schriftstück generell geeignet ist, den Anlageentschluss eines potenziellen Anlegers in Ansehung einer konkreten Anlage zu beeinflussen, indem er den Anschein ausreichender und objektiver Anlageinformation erweckt (RIS-Justiz RS0108623). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Prospekthaftungsansprüche nicht nur nach § 11 KMG (mangelhafte Angaben im Kapitalmarktprospekt), sondern auch nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen dann bestehen, wenn der Anleger durch falsche, unvollständige oder irreführende Prospektangaben zur Zeichnung einer Kapitalanlage bewegt wird (4 Ob 90/14k mwN).

1.4. Maßstab für die schadenersatzrechtliche Beurteilung eines Prospekts wegen inhaltlicher Mängel, im Besonderen Unvollständigkeit, sind nicht die Einzeltatsachen, sondern es kommt darauf an, welches Gesamtbild der Prospekt durch seine Aussagen über das beworbene Anlageobjekt in Ansehung von der Vermögenslage, Ertragslage und Liquiditätslage macht. Die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Angaben müssen darüber hinaus wesentlich, das heißt so beschaffen sein, dass sich unter Anlegung eines objektiven Maßstabs ein durchschnittlicher, verständiger Anleger von diesen Angaben bei einer Auswahlentscheidung unter mehreren Anlagemöglichkeiten beeinflussen lässt, sie somit bei seiner Anlageentscheidung, dem Abwägen zwischen Ertragsgesichtspunkten und Risikogesichtspunkten gerade zu Gunsten dieses Anlageobjekts mitberücksichtigt (RIS-Justiz RS0108624). Die Ursächlichkeit ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschlossen hat, wenn er also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für diesen Ursachenzusammenhang ist der des Vertragsabschlusses in Ansehung der konkreten Anlageentscheidung (RIS-Justiz RS0108626).

2. Hier kaufte die klagende Privatstiftung über Empfehlung der beklagten Privatbank, bei der sie Kundin war, obligatorische Genussscheine, die von einer Tochter der Beklagten emittiert worden waren. Die Genussrechte vermittelten eine Beteiligung an Ertrag und Vermögen eines von mehreren Rechnungskreisen, die aus US-amerikanischen Second-Hand-Versicherungspolizzen gebildet wurden. Die von den Vorinstanzen als Prospekt qualifizierte Produktbroschüre enthielt – was Organen der Beklagten bekannt war – unrichtige, unvollständige bzw unrealistische Angaben über die Renditeprognosen und Szenariorechnungen, über das Risiko eines wertlosen Verfalls einer Polizze bei Erreichen eines vertragsmäßig vereinbarten Ablaufalters, über Überschneidungen bei der Befüllung der mehreren Polizzenportfolien sowie daraus folgende mögliche Interessenskonflikte und das Wiederanlagerisiko aus Ersatzbeschaffungen durch Kaufrücktritte von amerikanischen Versicherungsnehmern und über die fehlende bankrechtliche Konzession der Emittentin.

3.1. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Produktbroschüre ein Prospekt im dargelegten Sinne ist, hält sich im Einzelfall ebenso im Rahmen der Rechtsprechung wie deren Ansicht, dass sich aus den Hinweisen und Erklärungen in der Produktbroschüre auch für einen gewöhnlich aufmerksamen erfahrenen Kunden der Beklagten (die sich mit der gehobenen Verwaltung und Vermehrung von Stiftungs- und unternehmerischem Privatvermögen beschäftigt) nicht der Eindruck ergibt, dass es dem – der Klägerin nicht übergebenen – „Information Memorandum“ in wesentlichen Punkten widersprechen könnte, oder dass die in der Produktbroschüre enthaltenen Aussagen über Struktur und Zusammensetzung des Produkts, das der Klägerin von der Beklagten von sich aus angetragen worden war, nicht ernst zu nehmen wären (vgl 8 Ob 25/10z). Dass sich der Anleger bei Interesse selbst aktiv um die Beischaffung des Kapitalmarktprospekts bemühen musste, kann vertretbar dahin verstanden werden, dass es sich dabei nur um eine Langfassung der Produktbroschüre mit weiteren „technischen Daten“ handelt, nicht jedoch um von der Broschüre in zentralen Punkten abweichende Informationen. Überdies steht fest, dass auch das Information Memorandum nicht konkret auf das Risiko des auszahlungslosen Ablaufs von Polizzen hinweist.

Dem steht die Entscheidung 10 Ob 32/13y gerade nicht entgegen, weil im dort zu beurteilenden Sachverhalt den Anlegern – anders als hier – ein umfangreicher Verkaufsprospekt übergeben wurde, neben dem einem im Zug des Beratungsgesprächs auch gezeigten „Factsheet“ keine Prospekteigenschaft zuzumessen war. Dies ist mit der vorliegenden Produktbroschüre – welche nach den Feststellungen zudem durch Mitarbeiter der Beklagten bei mündlichen Beratungen inhaltlich bekräftigt wurde – nicht vergleichbar.

3.2. Banken sind zu besonderer Vorsicht und Zurückhaltung verpflichtet, wenn sie gegenüber ihrem Kunden zukünftige Entwicklungen prognostizieren (4 Ob 516/93). Prognosen müssen jedenfalls (wie hier) einen Hinweis auf ihre Unsicherheit und Abhängigkeit von zukünftigen Entwicklungen enthalten und auf einer sorgfältigen Auswertung der verfügbaren Quellen beruhen (vgl 1 Ob 21/16v mwN).

Die Vorinstanzen beurteilten die Informationen in der Produktbroschüre in entscheidungsrelevanten Punkten
– insbesondere in Ansehung des Risikos eines wertlosen Verfalls einer Polizze bei Erreichen eines vertragsmäßig vereinbarten (Ablauf-)Alters des Versicherten sowie der unvollständigen bzw unrealistischen Angaben über die Renditeprognosen und Szenariorechnungen – als unrichtig. Es steht dazu bindend fest, dass ex ante betrachtet die im Prospekt enthaltenen Prognosegrundlagen falsch und die tatsächliche Streuung der Polizzen nicht geeignet waren, um die prognostizierten Kapitalrückflüsse zu erreichen. Es steht weiter fest, dass unter anderem diese Unrichtigkeiten des Prospekts zu die Werthaltigkeit der Investition maßgebend bestimmenden Umständen für die Anlageentscheidung ausschlaggebend waren.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der Rechtsprechung, ohne dass die Revision eine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzeigen oder darlegen könnte.

Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft und liegen nicht vor. Die Revision wendet sich in Wahrheit
– unzulässigerweise (RIS-Justiz RS0042903) – gegen die von den Vorinstanzen getroffenen Sachverhaltsfeststellungen. Die Darlegung von

Stoffsammlungsmängeln ist keine gehörige Ausführung der Rechtsrüge (RIS-Justiz RS0043312 [T10]). Soweit die Revision Feststellungen vermisst, spricht sie rechtliche Feststellungsmängel an, welche im Hinblick auf positive Feststellungen der Vorinstanzen nicht vorliegen.

3.3. Inwieweit sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Bei der Prospekthaftung ist dafür die „Wissensdifferenz“ zwischen dem Prospekthaftpflichtigen und dem Anleger maßgeblich (RIS-Justiz RS0078931 [insbes T5]).

Warum in Ansehung der unrichtigen Renditeprognosen und Szenariorechnungen – Umständen, die in der für Außenstehende nicht prüfbaren Sphäre der Beklagten und der Emittentin lagen – Fachkunde von Mitgliedern des Stiftungsvorstands der Klägerin deren Mitverschulden begründen könnte, ist nicht nachvollziehbar. Die Einschätzung der Vorinstanzen, dass die Falschinformation, wonach die Höhe der Ablaufleistung einer Versicherungspolizze mit der Versicherungssumme von Beginn an feststehe und die Versicherungssumme nach Ableben des Versicherten ausbezahlt werde, auch von informierten „gehobenen“ Anlegern nicht in Betracht zu ziehen sei, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Die nach den Feststellungen besonderes Vertrauen der Klägerin genießende Beklagte stellte in ihrem Prospekt (der bereits im Einleitungssatz auf in den USA häufig „auf die gesamte Lebensdauer geschlossene“ Lebensversicherungen Bezug nimmt) gerade die erwähnten Aspekte in den Vordergrund. Sie erweckte damit sowie mit den persönlichen Beratungsgesprächen auch bei einem aufmerksamen, informierten Vertreter einen unrichtigen Eindruck über die mit der Anlage verbundenen Risiken (vgl 4 Ob 188/08p [Pkte 4.1.4 f] = RIS-Justiz RS0078931 [T2]). Daher vermag der Hinweis der Revision auf den im Prospekt verwendeten
– nicht näher erläuterten – Begriff der „Risiko-Lebensversicherung“ keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

3.4. Auf die Frage der fehlenden Bankkonzession der Emittentin ist mangels Relevanz nicht mehr einzugehen (RIS-Justiz RS0088931).

4. Insgesamt werden in der Revision keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E124273

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00181.18W.0130.000

Im RIS seit

15.03.2019

Zuletzt aktualisiert am

09.09.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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