TE OGH 2018/10/30 9ObA78/18p

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. 

Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. 

Stefula sowie die fachkundigen

Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Angela Taschek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** K*****, vertreten durch Frischenschlager . Navarro, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Günther

Klepp, Dr. Peter

Nöbauer ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 44.875,04 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Mai 2018, GZ 12 Ra 26/18g-15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Dezember 2017, GZ 31 Cga 19/17a-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der

außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des

Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.083,22 EUR (darin 513,87 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 5.081,84 EUR (darin 370,14 EUR USt und 2.861 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begann am 1. 9. 1992 bei der H***** Gesellschaft m.b.H. (FN *****), welche ab 1994 als S*****gesellschaft m.b.H. firmierte (in der Folge: „Transportabwicklungs-GmbH“), eine Lehre als Speditionskaufmann. In das Lehrverhältnis trat einvernehmlich ab 12. 7. 1994 die Beklagte (FN *****), die bis 2015 als H***** I***** Gesellschaft m.b.H. firmierte, ein.

Die Transportabwicklungs-GmbH war gegründet worden, um mit dem Zollgeschäft verbundene Risken auszulagern. Beide Gesellschaften wurden – auch hinsichtlich der Geschäftsführung und der betrieblichen Abläufe – als einheitlicher Betrieb am gleichen Standort geführt. Die Mitarbeiter im Betrieb hatten keine getrennten Arbeitsbereiche, sondern führten alle Tätigkeiten je nach Bedarf für die eine oder andere Unternehmung aus. Nur hinsichtlich eines bestimmten Zollverfahrens wurden Tätigkeiten betreffend die Transportabwicklungs-GmbH vorgenommen.

Im Anschluss an die Lehre war der Kläger bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Er verrichtete – wie alle anderen Dienstnehmer auch – Arbeiten sowohl für die Beklagte als auch für die Transportabwicklungs-GmbH.

Zu Beginn des Jahres 2004 kündigte der Kläger sein bis dahin durchgehendes Dienstverhältnis zum 30. 4. 2004, weil er mit dem Österreichischen Bundesheer an einem Auslandseinsatz teilnehmen wollte. Da er für diesen Einsatz vom Bundesheer jedoch nicht zugelassen wurde, wandte er sich noch während der Kündigungsfrist mit dem Ansinnen, das Arbeitsverhältnis wie bisher fortsetzen zu wollen, an K***** H*****, den damals alleinvertretungsbefugten Geschäftsführer sowohl der Beklagten als auch der Transportabwicklungs-GmbH. Es wurde noch vor dem 1. 5. 2004 mit dem Kläger vereinbart, dass sein Dienstverhältnis ab diesem Datum bei der Transportabwicklungs-GmbH „neu“, bei „null“ beginnen sollte, was Bedingung für die Begründung des neuen Dienstverhältnisses war. Dem Kläger war bewusst und von seinem Willen getragen, dass mit dem 1. 5. 2004 ein neues Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstgeber als bisher beginnen sollte. Dem Kläger war zu dieser Zeit auch bewusst, dass es zwei Abfertigungssysteme gab, worüber anlässlich des Abschlusses des neuen Dienstvertrags aber nicht gesprochen wurde. Zu dieser Zeit wurden alle Dienstnehmer – mit Ausnahme einer Mitarbeiterin – in das Abfertigungssystem „neu“ übergeleitet.

Das zum 30. 4. 2004 infolge Kündigung des Klägers beendete Dienstverhältnis zur Beklagten wurde endabgerechnet. Der Kläger erhielt eine Urlaubsersatzleistung, anteilige Sonderzahlungen sowie eine Lohnabrechnung darüber. Er wurde bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet.

Der Kläger arbeitete ab 1. 5. 2004 bis zum 31. 12. 2016 am gleichen Arbeitsplatz bei gleicher Tätigkeit und gleichem Gehalt wie bisher weiter. Am 5. 5. 2004 unterfertigte er mit der Transportabwicklungs-GmbH einen schriftlichen Dienstvertrag, in dem der Beginn des Dienstverhältnisses mit 1. 5. 2004 festgehalten wurde.

Mit 1. 10. 2005 wurden die Beklagte als übernehmende und die Transportabwicklungs-GmbH als übertragende Gesellschaft verschmolzen.

Am 18. 4. 2011 unterfertigte der Kläger einen neuen Dienstvertrag zur Beklagten, in dem in einer Präambel festgehalten wurde, dass er bis 30. 4. 2004 bei der Beklagten beschäftigt gewesen, mit diesem Datum auf eigenes Verlangen aus dem Unternehmen ausgeschieden und mit 1. 5. 2004 in die Transportabwicklungs-GmbH eingetreten sei.

Von Seiten der Beklagten wurde das Dienstverhältnis des Klägers unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist schließlich zum 31. 12. 2016 gekündigt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für Angestellte in Spedition und Logistik anzuwenden.

Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass seine bis zum 30. 4. 2004 und seine ab dem 1. 5. 2004 zurückgelegten Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen und die Gesamtbeschäftigungszeit für die Höhe der Abfertigung („alt“) nach den Regeln der §§ 23 und 23a AngG und die Dauer der Kündigungsfrist ausschlaggebend sei. Dementsprechend begehrt er mit der vorliegenden Klage Abfertigung („alt“; unter Anrechnung der von der Beklagten an die Mitarbeitervorsorgekasse geleisteten Beiträge) in Höhe von 30.384,25 EUR und Kündigungsentschädigung (infolge fristwidriger, weil nur eine dreimonatige statt einer viermonatigen Kündigungsfrist einhaltenden Kündigung) in Höhe von 14.490,76 EUR.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach. Das (erste) Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten habe durch Dienstnehmerkündigung mit Ablauf des 30. 4. 2004 geendet. Es sei hierauf mit der Transportabwicklungs-GmbH ein neues Dienstverhältnis begründet worden. Dieses sei zwar später aufgrund der Verschmelzung im Herbst 2005 auf die Beklagte übergegangen, was aber am Fehlen eines durchgehenden Dienstverhältnisses nichts ändere. Der Kläger habe allein Ansprüche auf „Abfertigung neu“ gegenüber der Mitarbeiterversorgungskasse nach den Regeln des BMSVG. Aufgrund einer nicht mehr als zwanzigjährigen Betriebszugehörigkeit habe die Beklagte auch keine viermonatige Kündigungsfrist einzuhalten gehabt.

Das Erstgericht traf – zum Teil disloziert – die eingangs wiedergegebenen (und dabei um unstrittige Sachverhaltsaspekte ergänzten) Feststellungen und wies ausgehend davon die Klage ab. Die geltend gemachten Ansprüche setzten voraus, dass der Kläger über den 30. 4. 2004 hinaus in einem durchgehenden Dienstverhältnis beschäftigt gewesen sei. Das erste Dienstverhältnis habe aber über Betreiben des Klägers am 30. 4. 2004 geendet. Es sei vereinbart worden, dass ab 1. 5. 2004 ein neues Dienstverhältnis zu einem neuen Dienstgeber beginne.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts, ergänzte diese um unstrittige Sachverhaltsaspekte (insbesondere betreffend das Verhältnis beider Gesellschaften) und änderte das Ersturteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Da Arbeitsplatz, Tätigkeit und Gehalt des Klägers nach dem 30. 4. 2004 gleich geblieben seien, liege ein Umgehungsgeschäft vor, sodass die umgangene Norm anzuwenden sei, wobei eine Analogie zu § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG zu schließen sei. Aufgrund der Konzernzugehörigkeit der Beklagten und der Transportabwicklungs-GmbH sei daher von einem ohne Unterbrechung bei demselben Arbeitgeber fortgesetzten Arbeitsverhältnis auszugehen. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil die Beurteilung, ob ein Umgehungsgeschäft vorliege, nur im konkreten Einzelfall möglich sei.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung.

Der Kläger beantragt in seiner vom Senat

freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil das Berufungsgericht in seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgegangen ist. Sie ist auch berechtigt.

1. In ihrer außerordentlichen Revision bestreitet die Beklagte das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts und behauptet in Gestalt des neuen Dienstvertrags einen Vergleich. Darüber hinaus sieht sie sich durch die Bejahung eines Umgehungsgeschäfts überrascht, woraus sie auch eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und eine Aktenwidrigkeit sowie überschießende Feststellungen ableitet.

2.1. Soweit die Revisionswerberin in der Bejahung eines Umgehungsgeschäfts durch das Berufungsgericht das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung ortet und daraus eine Nichtigkeit sowie eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ableitet sowie im Abstellen auf ein Umgehungsgeschäft aufgrund des aus ihrer Sicht fehlenden entsprechenden Vorbringens des Klägers überschießende Feststellungen und eine Aktenwidrigkeit erblickt, ist ihr in all dem nicht zu folgen. Der Kläger berief sich nämlich – was die Beklagte im Rechtsmittel übersieht – bereits in der Klage ausdrücklich darauf, dass der Vertrag vom 5. 5. 2004 als eine Umgehung der Abfertigungsbestimmungen des AngG zu sehen und somit rechtswidrig sei. Demgemäß war während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens (auch) ein Hauptstreitpunkt, ob eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten des Klägers bei den unterschiedlichen Dienstgebern zu erfolgen hat, was das Erstgericht verneinte und das Berufungsgericht bejahte. Ausgehend vom Vorbringen des Klägers ist dem Berufungsgericht weder eine Überraschungsentscheidung noch eine Aktenwidrigkeit – welche auch nur bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das Gericht andererseits verwirklicht wäre (RIS-Justiz RS0043397 [T2]) – vorzuwerfen und traf es auch keine überschießenden Feststellungen.

2.2. Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts kann im Übrigen keine Nichtigkeit, sondern nur einen Verfahrensmangel darstellen (vgl RIS-Justiz RS0037335; Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §§ 182, 182a Rz 94); dies aber auch nur dann, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. Werden hingegen nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zu Grunde lagen, rechtlich anders gewertet, kann die Verletzung des § 182a ZPO keine Rechtsfolgen haben (RIS-Justiz RS0037300 [T44]). Der von der Beklagten gewünschten Auslegung der neuen Vereinbarung als Vergleich steht entgegen, dass die Streitteile nach den Feststellungen keine Klärung und Bereinigung einer bis dahin ungeklärten Sach- und Rechtslage anstrebten (vgl RIS-Justiz RS0028337 [T9]). Dass der neue Dienstvertrag zu einem anderen Dienstgeber im Jahr 2004 als Vergleich anzusehen wäre, behauptete die Beklagte in erster Instanz auch nicht. Die Anleitungspflicht geht in der Regel nicht soweit, dem Beklagten rechtliche Einwendungen nahezulegen, die er nicht einmal andeutungsweise erhoben hat (vgl Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §§ 182, 182a Rz 69 und 97).

Zur Frage des anzuwendenden Abfertigungsrechts:

3. Das am 1. 7. 2002 in Kraft getretene Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz (BMVG; idF des BGBl I 2007/102 nunmehr BMSVG) gilt für alle privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31. 12. 2002 liegt (§ 46 Abs 1 BMSVG). Für zum 31. 12. 2002 bestehende Arbeitsverhältnisse kann ab 1. 1. 2003 in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab einem zu vereinbarenden Stichtag für die weitere Dauer des Arbeitsverhältnisses die Geltung dieses Bundesgesetzes anstelle der Abfertigungsregelungen nach dem AngG festgelegt werden (§ 47 Abs 1 BMSVG).

Eine solche Vereinbarung wurde hier nicht getroffen. Folge dessen ist, dass für den „Altvertrag“ des Klägers – sein Dienstverhältnis zur Beklagten vor dem 1. 5. 2004 – die Bestimmungen der §§ 23 und 23a AngG galten („Abfertigung alt“).

4. Nach § 23 Abs 7 AngG besteht – vorbehaltlich der (hier nicht einschlägigen) Fälle des § 23a AngG – der Anspruch auf Abfertigung unter anderem dann nicht, wenn der Angestellte kündigt. Dies war hier der Fall: Das Dienstverhältnis endete durch die zu Beginn des Jahres 2004 vom Kläger erklärte Kündigung zum 30. 4. 2004. Durch diese Kündigung ging der Kläger seiner damaligen Abfertigungsanwartschaft verlustig.

5. Im Anschluss an das durch Kündigung zum 30. 4. 2004 beendete Dienstverhältnis ging der Kläger mit der Transportabwicklungs-GmbH – somit mit einem anderen Dienstgeber – ein neues Dienstverhältnis ein.

Auf alle privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31. 12. 2002 liegt, ist gemäß seinem § 46 Abs 1 das BMSVG anzuwenden. Liegt, wie hier, keine Umstiegsvereinbarung im Sinne des § 47 Abs 1

BMSVG vor, sieht § 

46 Abs 3

BMSVG für Arbeitsverhältnisse, deren vertraglich vereinbarter Beginn nach dem 31. 12. 2002 liegt, in drei Fällen den Verbleib von Arbeitnehmern, die den bisherigen

Abfertigungsregelungen unterlegen sind, im alten

Abfertigungssystem vor (Wiedereinstellungszusagen oder -vereinbarungen [Z 1]; Wechsel im Konzern [Z 2]; Kollektivvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten bei unterbrochenen Arbeitsverhältnissen [Z 3]). Von diesen Ausnahmefällen kommt hier nur jener der Z 2 des § 46 Abs 3 BMSVG in Betracht, der nach dem Gesetzeswortlaut dann Platz greift, „wenn Arbeitnehmer innerhalb eines Konzerns im Sinne des § 15 AktG oder des § 115 GmbHG in ein neues Arbeitsverhältnis wechseln“.

5.1. Der Grund der Sonderregelung ist darin zu sehen, dass Wechsel innerhalb des Konzerns in der Regel nicht als Wechsel des Arbeitgebers im eigentlichen Sinn gesehen werden, Konzernwechsel oft auch nur vorübergehend erfolgen und bei diesen uneigentlichen Arbeitsplatzwechseln dem Arbeitnehmer das bisherige Abfertigungsrecht samt der bereits erworbenen Abfertigungsanwartschaft erhalten bleiben soll (Neubauer/Rath in Neubauer/Rath/Hofbauer/Choholka, Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz [2008] § 46 Rz 15). Dementsprechend setzt die Vorschrift nach herrschender Ansicht stillschweigend voraus, dass dem Arbeitnehmer aufgrund des Wechsels von seinem bisherigen Arbeitgeber keine Abfertigung ausbezahlt wird; im Falle einer Auszahlung findet nach herrschender Ansicht auf das zum anderen Konzernunternehmen eingegangene, neue Arbeitsverhältnis das BMSVG Anwendung (Schrank, Verbleib in der Abfertigung „Alt“ bei neuem Arbeitsverhältnis/neuem Arbeitgeber? ecolex 2004, 122 [125]; Mayr in Mayr/Resch, Abfertigung neu – Betriebliches Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz2 [2009] § 46 Rz 21 f; ders in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 46 BMSVG Rz 12 f; Lang, Geltungsbereich des BMSVG, in Drs, Abfertigungsrecht [2012] 43 [69]; dies, Abfertigung neu – Persönlicher, örtlicher und zeitlicher Anwendungsbereich [2015] 130 f).

5.2. Ebenso unangewendet muss § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG aber auch dann bleiben, wenn dem Arbeitnehmer zwar keine Abfertigung ausbezahlt wird, dies aber allein deshalb, weil er den Abfertigungsanspruch durch Selbstkündigung verlor, und er anschließend mit einem anderen Unternehmen desselben Konzerns ein neues Arbeitsverhältnis einging. Bei Anwendbarkeit des § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG auch auf diesen Fall wäre der Regelungszweck unerfindlich (vgl Klein, Arbeitsrechtliche Inhalte und Probleme der Abfertigungsreform, wbl 2002, 485 [494]).

Gerade dies erfolgte im vorliegenden Fall: Der Kläger beendete sein Dienstverhältnis durch Kündigung zur Beklagten, welches sodann auch endabgerechnet wurde. Auf das hierauf zur Transportabwicklungs-GmbH eingegangene neue Dienstverhältnis fände damit § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG selbst dann keine Anwendung, wenn man die Transportabwicklungs-GmbH und die Beklagte als Konzernunternehmen im Sinne des § 115 GmbHG qualifizieren sollte (was mangels Relevanz hier offenbleiben kann). Das neu eingegangene Dienstverhältnis zur Transportabwicklungs-GmbH – welches im Weiteren durch Verschmelzung auf die Beklagte überging (§ 96 Abs 1 Z 1 GmbHG) – unterlag damit der „Abfertigung neu“ nach BMSVG. Passivlegitimiert für diese ist die Betriebliche Vorsorgekasse (§ 14 BMSVG), nicht die Beklagte (Mayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 14 BMSVG Rz 2).

Zur Frage des Vorliegens eines Umgehungsgeschäfts:

6. Das Berufungsurteil fußt auf der Überlegung, dass die Dienstzeiten des Klägers vor und nach dem Mai 2004 zusammenzurechnen gewesen wären, wäre im Mai 2004 der neue Dienstvertrag mit der Beklagten abgeschlossen worden. In diesem Fall wäre ein ununterbrochenes Dienstverhältnis im Sinne des § 23 Abs 1 Satz 3 AngG vorgelegen, sodass auf das (gesamte) Dienstverhältnis weiterhin das alte Abfertigungsregime des AngG anzuwenden gewesen wäre. All dies habe – so implizit das Berufungsgericht – K***** H***** umgangen, indem er den neuen Dienstvertrag mit dem Kläger namens der Transportabwicklungs-GmbH abgeschlossen habe.

7. Ein Umgehungsgeschäft ist – im Gegensatz zum Scheingeschäft nach § 916 ABGB – nicht schlechthin nichtig (RIS-Justiz RS0113579 [T2]). Nur wenn sonst der Zweck der umgangenen Norm, also jener Vorschrift, welche dem primär gewollten Geschäft entgegensteht, vereitelt würde, ist die umgangene Norm auf das Umgehungsgeschäft anzuwenden (RIS-Justiz RS0016469 [T8]).

7.1. § 23 Abs 1 Satz 3 AngG ordnet für die Abfertigung bloß eine Berücksichtigung aller Zeiten, die der Angestellte in unmittelbar vorausgegangenen Dienstverhältnissen als Arbeiter oder Lehrling „zum selben Dienstgeber“ zurückgelegt hat, an. Vordienstzeiten bei anderen Dienstgebern sind von Gesetzes wegen nicht zu berücksichtigen. Sollen derartige Zeiten angerechnet werden, bedarf es einer besonderen (kollektivvertraglichen oder einzelvertraglichen) Vordienstanrechnung (9 ObA 232/92; 9 ObA 155/03i; 9 ObA 25/05z = DRdA 2006/33 [Mayr]; Wachter in Reissner, AngG2 § 23 Rz 30, 34), die hier nicht vorliegt.

7.2. In 9 ObA 25/05z = DRdA 2006/33 [Mayr] entschied der Senat, dass auch bei Dienstzeiten, die bei verschiedenen Konzernunternehmen verbracht wurden, es sich nicht um solche beim selben Arbeitgeber handelt. In der Entscheidung wurde eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 13b Abs 6 Satz 1 BUAG abgelehnt, wonach, wenn das Unternehmen (der Betrieb) des Arbeitgebers einem Konzern (§ 15 AktG bzw § 115 GmbHG) angehört, die Voraussetzung der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber auch bei Beschäftigungen in anderen den Abfertigungsbestimmungen des BUAG unterliegenden Unternehmungen (Betrieben) des Konzerns erfüllt ist. Es handle sich um eine Sondernorm. Eine gesetzliche Wertung, sie auch für Sachverhalte „außerhalb der Bauwirtschaft“ anzuwenden, sei nicht erkennbar.

7.3. In der Literatur wurde von Kreil (Arbeitsverhältnisse im Konzern [1996] 116) die Ansicht vertreten, es sei unabhängig von möglichen vertragsrechtlichen Lösungen zu fragen, ob die Arbeitnehmermobilität im Konzern nicht generell zur Anrechnung führen müsse. Abgesehen könne davon dann werden, wenn der Wechsel nicht im Interesse des Konzerns erfolgt sei, sondern auf eigenes Bestreben des Arbeitnehmers.

7.4. Hiermit inhaltlich übereinstimmend vertritt in jüngerer Zeit Holzer (in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 23 Rz 18a) die Ansicht, dass es sich bei verschiedenen Konzernunternehmen verbrachten Dienstzeiten zwar grundsätzlich nicht um solche beim selben Arbeitgeber handle, dass gleichwohl in den meisten Konstellationen viel für deren Anrechnung auch dann spreche, wenn eine solche nicht ausdrücklich oder konkludent vereinbart sei. Dies gelte vor allem, wenn die Initiative für den Wechsel, was den Regelfall bilden werde, vom Unternehmen ausgegangen sei. Auch müsse es gelten, wenn im Wechsel geradezu eine Strategie der Abfertigungsvermeidung zu erblicken sei oder das Arbeitsverhältnis vom Wechsel des Arbeitgebers abgesehen völlig unverändert weiterlaufe. In die Richtung der vollen Anrechnung von Arbeitszeiten in Konzernunternehmen deute auch die Bestimmung des § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG.

7.5. In seiner Glosse zu 9 ObA 25/05z in DRdA 2005/33 vertritt Mayr die Ansicht, es sei zwar richtig, dass das BUAG eine spezielle Branchenregelung der Abfertigung sei, um die Bauarbeiter vor Nachteilen zu schützen, die aus der Praxis der Unternehmungen und Betriebe resultierten, dass aber vergleichbare Probleme auch in Konzernen bestünden. Wenn ein Konzernunternehmen einen bestimmten Arbeitnehmer eines anderen Konzernunternehmens benötige, werde der Arbeitnehmer im Normalfall zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes (im Konzern) zustimmen (müssen). Ob der Arbeitnehmer in diesem Falle eine – von der Judikatur geforderte – Einzelvereinbarung über eine Anrechnung bzw Vordienstzeitenanrechnung bekomme, werde von ihm – vorausgesetzt er kenne diese Problematik überhaupt – kaum beeinflussbar sein. Da eine Regelung im AngG fehle, liege eine Lücke vor, die auch planwidrig sei und sinnvollerweise durch § 13b Abs 6 Satz 1 BUAG geschlossen werden sollte.

7.6. Der Senat hat hierzu erwogen:

Rechtlich verschiedene Arbeitgeber als „selben Dienstgeber“ im Sinne des § 23 Abs 1 Satz 3 AngG anzusehen, wenn diese nur demselben Konzern angehören, wäre – auch im Lichte der einer solchen Sicht entgegenstehenden Entscheidung 9 ObA 25/05z – eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie ginge auch über die zitierten Literaturmeinungen, die eine Zusammenrechnung von Dienstzeiten bei Unternehmen desselben Konzerns insbesondere dann befürworten, wenn der konzerninterne Wechsel nicht vom Arbeitnehmer initiiert wurde, hinaus. Eine solche generelle Regelung wurde bislang vom Gesetzgeber einzig im besonderen Bereich der Bauwirtschaft eingeführt (§ 13b Abs 6 Satz 1 BUAG). § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG enthält dagegen keine materiell-rechtliche Regelung, sondern regelt
– wie auch aus der Überschrift zu § 46 BMSVG ersichtlich – nur den „zeitlichen Geltungsbereich“ des neuen Abfertigungssystems (9 ObA 62/11z; vgl auch ErläutRV 1131 BlgNR 21. GP 59; AB 1176 BlgNR 21. GP 7). Dass einer solchen, an sich nur der allgemeinen intertemporalen Regelung des § 5 ABGB derogierenden Vorschrift über den zeitlichen Geltungsbereich eines Gesetzes (vgl Vonkilch/Kehrer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 5 ABGB Rz 1) eine darüberhinausgehende Wirkung zukommen soll, ist grundsätzlich nicht anzunehmen. Es ist damit nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit § 46 Abs 3 Z 2 BMSVG auch das materielle Recht ändern und generell eine Zusammenrechnung der Zeiten aufeinanderfolgender Dienstverhältnisse zu verschiedenen, aber dem selben Konzern angehörenden Arbeitgebern bewirken wollte. Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei

wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht. Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers zu treten und einen Regelungsinhalt (rechtsfortbildend) zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu (RIS-Justiz RS0098756 [T3]).

Darauf, ob eine Qualifizierung zweier (rechtlich verschiedener) Konzernunternehmen als „selber Dienstgeber“ (§ 23 Abs 1 Satz 3 AngG) in den im Schrifttum angesprochenen Fällen, in denen der Dienstgeberwechsel auf einer Initiative des Dienstgebers beruht, geboten ist, braucht – wie bereits in 9 ObA 25/05z – nicht eingegangen werden, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Beklagten zum 30. 4. 2004 wurde vom Kläger – ohne Initiierung durch die Beklagte – bewirkt.

Es bleibt daher dabei, dass (außerhalb des Anwendungsbereichs des BUAG) bei verschiedenen Arbeitgebern verbrachte Zeiten grundsätzlich auch dann nicht zusammenzurechnen sind, wenn die Arbeitgeber demselben Konzern angehören; solche Zeiten werden daher nicht im Sinne des § 23 Abs 1 Satz 3 AngG beim „selben Dienstgeber“ zurückgelegt.

Durch die Entscheidung des Geschäftsführers K***** H*****, zwar bereit zu sein, mit dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag abzuschließen, dies aber nicht namens der Beklagten, sondern der Transportabwicklung-GmbH, wurde der Normzweck des § 23 Abs 1 Satz 3 AngG nicht umgangen. Es liegt kein Umgehungsgeschäft vor.

8. Die vom Kläger geltend gemachten Abfertigungsansprüche bestehen damit nicht zu Recht.

9. Auch für die Bemessung der Kündigungsfrist nach § 20 Abs 2 AngG sind – wenn wie hier im Kollektivvertrag oder Einzelvertrag keine Vordienstzeitanrechnung normiert ist – nur die im Angestelltenverhältnis beim

selben Dienstgeber zurückgelegten Zeiten maßgeblich (RIS-Justiz RS0114972; Reissner/Heinz-Ofner in Reissner, AngG2 § 20 Rz 33). Mangels Zusammenrechenbarkeit der Dienstzeiten des Klägers vor und nach dem 1. 5. 2004 war der Kläger auch im Sinne des § 20 Abs 2 AngG (iVm § 10 Kollektivvertrag für Angestellte in Spedition und Logistik) zwar mehr als fünf, aber weniger als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt, sodass die Kündigungsfrist nur drei Monate betrug. Der von einer viermonatigen Kündigungsfrist ausgehende Anspruch des Klägers auf Kündigungsentschädigung besteht damit ebensowenig zu Recht.

10. Wenn der Kläger der Beklagten in der Revisionsbeantwortung als „Rechtsformenmissbrauch“ vorwirft, willkürlich ihren Betrieb in die Transportabwicklungs-GmbH und in die Beklagte „aufgespalten“ zu haben, so ist er auf die obigen Ausführungen zum – verneinten – Umgehungsgeschäft zu verweisen, zumal er auf S 4 der Revisionsbeantwortung selbst erklärt, dass der von ihm „gebrauchte Begriff des 'Rechtsformenmissbrauchs' nichts anderes bezeichnet als die konkrete Umgehungshandlung, durch welche die zwingenden arbeitsrechtlichen Vorschriften hinsichtlich Abfertigung (alt) einerseits und Dauer der Kündigungsfrist andererseits 'ausgehebelt' werden sollten“.

11. Der außerordentlichen Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die klagsabweisende erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

12. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO (iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Textnummer

E123444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00078.18P.1030.000

Im RIS seit

12.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten