TE OGH 2018/11/29 2R247/18s

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Veröffentlicht am 29.11.2018
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Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht hat durch den Richter Hofrat Dr. Höfle als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Mahuschek und Hofrätin Dr. Ciresa als weitere Senatsmitglieder in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Arch. A***** R*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass, Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Dr. N***** R*****, vertreten durch Pichler Rechtsanwalt GmbH in Dornbirn, wegen EUR 3.073,60 sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 24. August 2018, 16 C 83/18g-20, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Begründung:

Text

Gegenstand des mit Mahnklage vom 15.2.2018 eingeleiteten Verfahrens sind behauptete Honoraransprüche des Klägers gegenüber dem Beklagten im Betrag von EUR 3.073,60 sA. Das Erstgericht hat antragsgemäß am 16.2.2018 einen Zahlungsbefehl erlassen, welcher dem Beklagten durch einen elektronischen Zustelldienst gemäß § 35 ZustG, laut Zustellkarte am 16.2.2018 durch Hinterlegung, zugestellt wurde.

Am 26.4.2018 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl, wobei er den Einspruch unter einem nachholte, sowie gleichzeitig die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls mit der Begründung, er habe vom Zahlungsbefehl und von einer Exekution gegen ihn erstmals durch ein Schreiben des Drittschuldners A***** vom 12.4.2018, welches am 17.4.2018 im Postkasten vorgefunden worden sei, Kenntnis erlangt. Die Kommission seines Rechtsvertreters beim Erstgericht habe ergeben, dass ihm sowohl der Zahlungsbefehl als auch die Exekutionsbewilligung elektronisch zugestellt worden seien. Von diesen Zustellungen habe er keine Kenntnis erlangt. Es sei richtig, dass er im Jänner/Februar 2018 eine Bürgerkarte beantragt und aktiviert habe, ohne dass er allerdings darauf aufmerksam gemacht worden wäre, dass er dadurch die Zustellung amtlicher Behördenschriftstücke begehre bzw dieser zugestimmt habe. Er sei technisch nicht „bewandert“. In die „Zustellbox“, für die er nie Benachrichtigungen erhalten habe, habe er nie hineingesehen. Es seien auch weder E-Mails noch sonstige elektronische Verständigungen bei ihm eingegangen, wonach eine behördliche Sendung im elektronischen Postfach eingelangt sei. Auch postalisch sei er vom Zahlungsbefehl nicht informiert worden. Eine wirksame Zustellung im Wege der elektronischen Hinterlegung sei gemäß § 35 Abs 7 Z 1 ZustG nicht erfolgt und der Zustellvorgang rechtswidrig. Die Vollstreckbarkeitsbestätigung sei somit zu Unrecht erteilt und die Frist zur Erhebung des Einspruchs noch nicht ausgelöst worden. An einer Fristversäumnis treffe ihn jedenfalls kein, höchstens aber ein leichtes Verschulden.

Der Kläger beantragte in seiner Äußerung vom 9.5.2018 (ON 6), den Wiedereinsetzungsantrag und den Antrag des Beklagten auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit abzuweisen. Der Zahlungsbefehl sei wirksam zugestellt worden. Die Voraussetzungen des § 146 ZPO würden nicht vorliegen. Vor der Aktivierung der „Bürgerkarte“ sei der Beklagte über die Funktion eines elektronischen Postfachs sowie darüber aufgeklärt worden, dass über dieses behördliche Schriftstücke rechtswirksam zugestellt werden könnten.

In einer „Gegenäußerung“ vom 29.5.2018 (ON 8) beantragte der Beklagte, zunächst über den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und nur in eventu über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden. Ergänzend wurde nach Vorliegen des Gutachtens DI H***** S***** vom Beklagten vorgebracht (ON 16), dass sein Versuch, sich Anfang des Jahres mit der Bürgerkarte anzumelden, offenbar misslungen sei. Die E-Mail-Adresse r*****.n*****@gvn.at sei von ihm bzw seiner Praxis zuletzt im Jahr 2013 zu beruflichen Zwecken genutzt worden. Auf diese Adresse habe er nach Übergabe der Praxis keinen Zugriff mehr, da dieser ausschließlich über die EDV-Anlage in der Praxis in der S*****straße möglich gewesen sei. Es handle sich um ein „totes“ Postfach. Er sei davon ausgegangen, dass diese E-Mail-Adresse, die in erster Linie der Übermittlung und dem Versand von Befunden etc gedient habe und ausschließlich für praktizierende Ärzte gedacht sei, nicht mehr bestehe. Er habe seine Praxis im Juli 2014 anlässlich der Pensionierung an Dr. S***** samt der EDV-Anlage übergeben und seither faktisch keinen Zugang mehr auf die E-Mail-Adresse seiner Praxis. Er sei davon ausgegangen, dass im Rahmen der Abmeldung bei der Ärztekammer bzw der Pensionierung diese E-Mail-Adresse gelöscht werde.

Zum Schriftsatz des Beklagten (ON 16) erstattete der Kläger seinerseits eine Äußerung (ON 18), wobei er gleichzeitig Kostennote legte.

Am 6.9.2018 langte zudem ein Einspruch des Beklagten beim Erstgericht ein (ON 21).

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht die am 29.3.2018 erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit hinsichtlich des Zahlungsbefehls vom 16.2.2018 gemäß § 7 Abs 3 EO aufgehoben und die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls an den Beklagten verfügt (Spruchpunkt I.) sowie in Spruchpunkt II. den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen. Es verpflichtete den Kläger, dem Beklagten Kosten von EUR 1.111,74 zu ersetzen, während das Kostenbegehren des Klägers abgewiesen wurde (Spruchpunkte III. und IV.).

Das Erstgericht hat seiner Entscheidung den auf der Seite 5 des Beschlusses wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt zu Grunde gelegt, auf welchen verwiesen wird. Hervorgehoben werden folgende Feststellungen:

Die beklagte Partei ist seit 1.7.2014 pensioniert und hat die E-Mail-Adresse der Arztpraxis (r*****.*****@gnv.at) seither nicht mehr in Verwendung. Die Hinterlegung erfolgte somit an ein „totes“ Postfach.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass die Zustellung gemäß § 35 Abs 7 Z 1 ZustG als nicht bewirkt gelte, wenn sich ergebe, dass der Empfänger von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis gehabt habe. Im gegenständlichen Fall sei die Zustellung in ein „totes“ Postfach vorgenommen worden und habe der Beklagte somit keine Kenntnis von den elektronischen Verständigungen erlangen können. Die Zustellung gelte daher als nicht bewirkt, weshalb die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 16.2.2018 aufzuheben und gleichzeitig die neuerliche Zustellung des Zahlungsbefehls anzuordnen sei. Wegen eines gesetzwidrigen Zustellvorgangs könne die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht beantragt werden. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt dem erhobenen Einspruch sei daher zurückzuweisen.

Gegen den Beschluss richten sich die Rekurse beider Parteien.

Der Kläger, der den Beschluss in seinem gesamten Inhalt anficht, begehrt die Abänderung der Entscheidung dahingehend, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie der Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit(sbestätigung) kostenpflichtig abgewiesen werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte bekämpft den Beschluss insoweit, als sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist samt erhobenem Einspruch zurückgewiesen wurde, mit dem Abänderungsantrag, dass Punkt II. des Beschlusses ersatzlos zu entfallen hat. Hilfsweise wird beantragt, den Beschluss zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht aufzuheben.

In seiner Rekursbeantwortung beantragt der Beklagte, dem Rekurs des Klägers nicht Folge zu geben bzw diesen zurückzuweisen.

Beide Rekurse erweisen sich als begründet.

Rechtliche Beurteilung

Zum Rekurs des Klägers:

Im Rekurs vertritt der Kläger den Standpunkt, der Zahlungsbefehl sei dem Beklagten ordnungsgemäß zugestellt worden. Der Umstand, dass der Beklagte vom Zustellvorgang keine Kenntnis erlangt habe, ändere an der rechtmäßigen Zustellung des Zahlungsbefehls nichts. Für die Rechtmäßigkeit der Zustellung sei es irrelevant, ob der Beklagte sein elektronisches Postfach im Zeitpunkt der Zustellung genützt habe oder nicht. Es wäre am Beklagten gelegen gewesen, nach seiner Pensionierung sein elektronisches Postfach aufzulösen. Eine diesbezügliche Nachlässigkeit könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Wenn der Beklagte vom Zustellvorgang tatsächlich keine Kenntnis gehabt haben sollte und ihm diese Unkenntnis nicht schuldhaft vorzuwerfen sei, hätte das Erstgericht seinem Wiedereinsetzungsantrag Folge leisten müssen. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung lägen jedenfalls nicht vor.

Dem hält der Beklagte in der Rekursbeantwortung entgegen, dass die E-Mail-Adresse ein „totes Postfach“ dargestellt habe, das nach dem 21.2.2013 nicht mehr genützt worden sei. Es habe sich um eine rein zu beruflichen Zwecken installierte E-Mail-Adresse des seit langer Zeit pensionierten Beklagten gehandelt. Dass es beim Versenden einer E-Mail an diese Adresse zu keiner Fehlermeldung komme, sei ihm, der als Empfänger von der elektronischen Verständigung keine Kenntnis gehabt habe, nicht vorzuwerfen. Die erstinstanzliche Entscheidung sei richtig. Auf die Bewilligung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei er daher nicht zu verweisen.

1. Die Zustellvorschriften sind zwingendes Recht; ihre Einhaltung hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen (RIS-Justiz RS0036440). Zustellvorschriften sind schon aus Gründen der Rechtssicherheit in der Regel strikt einzuhalten. Ist dies nicht der Fall, ist regelmäßig von einer Zustellwirkung nicht auszugehen (1 Ob 105/11i mwN).

2. § 89a GOG regelt die Zulässigkeit elektronischer Eingaben und elektronischer Zustellungen von gerichtlichen Erledigungen. § 89d GOG regelt den Zeitpunkt der Einbringung und jenen der Zustellung (8 Ob 155/17b). Ist die Zustellung im elektronischen Rechtsverkehr nicht möglich, kann sie auch über elektronische Zustelldienste nach den Bestimmungen des 3. Abschnitts des Zustellgesetzes, BGBl 1982/200, in der jeweils geltenden Fassung erfolgen (§ 89a Abs 3 GOG). § 89a Abs 3 GOG wurde durch das Budgetbegleitgesetz 2011 eingeführt und eröffnet seither neben dem ERV einen zweiten Weg der elektronischen Zustellung nach dem 3. Abschnitt des ZustG (Schumacher/Klingler, Zustellung im österreichischen Zivilverfahren, FS Danzl [2017] 559 [568]; Stumvoll in Fasching/Konecny3 II/2 § 1 ZustG Rz 31; Gitschthaler in Rechberger4 § 88 ZPO Rz 9).

Seit dem 11.3.2015 besteht auch die praktische Möglichkeit, gerichtliche Zustellungen nach dem 3. Abschnitt des ZustG durchzuführen, der vorher für die ordentlichen Gerichte keine Bedeutung hatte (Stumvoll, Gelöste und ungelöste Fragen im inländischen Zustellrecht Teil II, RZ 2018, 193 [194]; Stumvoll, Gelöste und ungelöste Fragen im inländischen Zustellrecht, RZ 2014, 78 [84]). Die gerichtliche elektronische Zustellung ist damit unter bestimmten Voraussetzungen auch nach dem 3. Abschnitt des ZustG möglich geworden, der bisher der elektronischen Zustellung im Verwaltungsrecht vorbehalten war (Stumvoll aaO § 1 ZustG Rz 31, § 22 Rz 25, § 35 Rz 3).

3. Eine „elektronische Zustelladresse“ ist gemäß § 2 Z 5 ZustG eine vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem anhängigen oder gleichzeitig anhängig gemachten Verfahren angegebene elektronische Adresse. Als „elektronische Zustelladressen“ kommen sowohl E-Mail-Adresse und Faxnummer, aber auch Handynummer (zB SMS, MMS) und Kennungen von Instant-Messaging-Diensten (zB Skype) in Frage (Kronschläger/Mauernböck, Elektronischer Rechtsverkehr mit Behörden und Gerichten des öffentlichen Rechts, ZTR 04/2015, 230 [239, 240] mwN; JusGuide 2009/20/987 [VwGH]; Klauser/Kodek, JN-ZPO17 § 2 ZustG Anm 8).

Elektronische Zustelladressen müssen anders als Abgabestellen vom Empfänger, sei es gegenüber einem elektronischen Zustelldienst, sei es im konkreten Verfahren gegenüber der Behörde, selbst benannt worden sein. Damit kommt die Freiwilligkeit der elektronischen Zustellung zum Ausdruck (Klauser/Kodek aaO § 2 ZustG Anm 7). Zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr ist etwa eine einmalige – kostenfreie – Registrierung mit der Handysignatur oder der Bürgerkarte beim elektronischen Zustelldienst erforderlich, um behördliche Schriftstücke über das Internet empfangen zu können (Schumacher/Klingler aaO [574]).

Im Rekursverfahren ist grundsätzlich nicht mehr strittig, dass der Beklagte – seit dem Jahre 2013 – über eine elektronische Zustelladresse (über den BRZ-Zustelldienst) verfügt/e. Die von ihm in diesem Zusammenhang angegebene E-Mail-Adresse lautet/e r*****.n*****@gnv.at, die Postanschrift S*****straße *****.

4. Die nachweisliche elektronische Zustellung erfolgt nach § 35 ZustG über einen (behördlichen) elektronischen Zustelldienst.

Gemäß § 35 Abs 1 Satz 1 ZustG hat der Zustelldienst den Empfänger unverzüglich davon zu verständigen, dass ein Dokument für ihn zur Abholung bereitliegt. Diese elektronische Verständigung ist an die dem Zustelldienst bekannt gegebene elektronische Adresse des Empfängers zu versenden. Hat der Empfänger dem Zustelldienst mehrere solcher Adressen bekannt gegeben, so ist die elektronische Verständigung an alle Adressen zu versenden; für die Berechnung der Frist gemäß Abs 2 erster Satz ist der Zeitpunkt der frühesten Versendung maßgeblich. Wird das Dokument nicht innerhalb von 48 Stunden abgeholt, so hat eine zweite elektronische Verständigung zu erfolgen; Abs 1 dritter Satz ist sinngemäß anzuwenden (§ 35 Abs 2 ZustG). Der Zustelldienst hat das Dokument zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Wird das Dokument innerhalb dieser Frist nicht abgeholt, ist es zu löschen; andernfalls ist es nach Ablauf der Abholfrist (Abs 1 Z 3) weitere zwei Wochen bereitzuhalten und danach, wenn zwischen Empfänger und Zustelldienst nicht anderes vereinbart wurde, zu löschen. Ein zur Abholung bereitgehaltenes Dokument gilt spätestens mit seiner Abholung als zugestellt (§ 35 Abs 5 ZustG). Die Zustellung gilt als am ersten Werktag nach der Versendung der ersten elektronischen Verständigung bewirkt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten (§ 35 Abs 6 Satz 1 ZustG).

Leitet der Zustelldienst ein zuzustellendes Dokument zur elektronischen Übermittlung nach den §§ 89a ff GOG weiter, ist die Zustellung nach diesen Bestimmungen vorzunehmen (§ 35 Abs 9 ZustG). Elektronisch übermittelte gerichtliche Erledigungen (§ 89a Abs 2 GOG) gelten auch nach § 89d Abs 2 GOG idgF erst an dem auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag als zugestellt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten (8 Ob 155/17b; RIS-Justiz RS0129672). Gemäß § 89d Abs 2

GOG aF galten

elektronisch übermittelte gerichtliche Erledigungen und Eingaben (§ 89a Abs 2

GOG) als zugestellt, sobald ihre Daten in den

elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt waren. Erst seit der Novellierung der Bestimmung durch BGBl I 2012/26 gilt als Zustellungszeitpunkt

elektronisch übermittelter gerichtlicher Erledigungen (§ 89a Abs 2

GOG) jeweils der auf das Einlangen in den

elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten (zu den Gründen für diese Änderung vgl ErläutRV 1676 BlgNR XXIV. GP 3). Die neue Regelung ist auf Zustellungen nach dem 1.5.2012 anzuwenden.

Das zuzustellende Dokument steht dem Empfänger grundsätzlich bereits am Tag seines Einlangens im

elektronischen Verfügungsbereich zur Verfügung, wobei das Einlangen des Dokuments im elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers aber keineswegs nur dem Zurücklassen einer Hinterlegungsanzeige bei postalischer Zustellung entspricht (11 Os 122/17a; 3 Ob 128/18x; Stumvoll aaO § 1 ZustG Rz 26/1). Dies bedeutet, dass der Zustellvorgang mit Einlangen in den Verfügungsbereich des Empfängers beendet, die

Zustellung also bewirkt ist, sobald sich die Daten auf einem wo auch immer befindlichen Speichermedium befinden, der Empfänger über die Berechtigung zum Zugriff verfügt und auch darauf zuzugreifen vermag (10 ObS 113/12h mwN; Schwab, Glosse zu 10 ObS 113/12h, EvBl 2013/54, 370 [371]). Das ist etwa der Fall, wenn die Sendung am Server eines Providers des Empfängers gespeichert wurde (Frauenberger-Pfeiler in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 § 89d GOG Rz 1).

Die Zustellwirkung des Dokuments tritt bei der elektronischen Zustellung somit entweder (spätestens) mit der Abholung des Dokuments durch den Empfänger oder auf Grund der Versendung der zweiten elektronischen [Anmerkung: bzw früher auch physischen] Verständigung an den Empfänger ein (Sander in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 § 35 ZustG Rz 15; Deibl, Anmerkungen zu VwGH 31.7.2013, 2009/13/0105 in ZTR 01/2014 [35]). Kraft gesetzlicher Anordnung gilt die Zustellung aber erst als am nächsten Werktag bewirkt (Stumvoll aaO § 1 ZustG Rz 27/2).

Technische Gebrechen oder Wartungsarbeiten, die eine Zustellung (Übertragung des zuzustellenden Dokuments in den elektronischen Verfügungsbereich) faktisch unmöglich machen, sind einer Ortsabwesenheit vergleichbar, weshalb versuchte Zustellvorgänge während eines technischen Gebrechens als unwirksam anzusehen sind. Ist die Zustellung hingegen wirksam und liegt der Hinderungsgrund für die tatsächliche Kenntnisnahme im Bereich des Empfängers (zB mangels Funktionsfähigkeit des Endgeräts), ist allenfalls eine Wiedereinsetzung möglich (10 ObS 113/12h mwN; Stumvoll aaO § 1 ZustG Rz 29, § 35 Rz 12; Frauenberger-Pfeiler aaO § 89a GOG Rz 6, § 89d GOG Rz 1).

Gemäß § 89e Abs 2 Z 2 GOG haftet der Bund für allfällige durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik verursachte Schäden bei Daten, die vom Gericht zu übermitteln sind, „bis zu ihrem Einlangen im Verfügungsbereich des Empfängers“.

5. Durch BGBl I 2017/40 wurde auf die postalische Verständigung des Empfängers an einer von ihm bekannt gegebenen Abgabestelle nach § 35 Abs 2 ZustG verzichtet. Einen Empfänger, der dem Zustelldienst keine Abgabestelle bekannt gegeben hatte, traf schon vor dieser Änderung die dauernde Obliegenheit zu kontrollieren, ob bei seiner elektronischen Adresse elektronische Verständigungen eingelangt sind, wenn er mögliche nachteilige Rechtsfolgen vermeiden wollte (Stumvoll aaO § 35 ZustG Rz 21, 23; Larcher, Zustellrecht [2010] Rz 543). Dagegen konnte sich ein Empfänger, der dem Zustelldienst eine Abgabestelle bekannt gegeben hatte, darauf verlassen, dass er spätestens mit der physischen Zustellung der Verständigung an der Abgabestelle davon erfährt, dass ein Dokument für ihn zur Abholung bereitliegt (vgl ErläutRV 294 BlgNR 23.GP 24 in Fasching/Konecny3 II/2 § 35 ZustG Rz 23; Sander aaO § 35 ZustG Rz 16).

Nach dem Entfall der Verpflichtung zur postalischen Verständigung des Empfängers ist im Rahmen der elektronischen Zustellung konsequenterweise nunmehr vom Bestehen einer Obliegenheit jeden Empfängers auszugehen, zu kontrollieren, ob bei seiner elektronischen Adresse elektronische Verständigungen eingelangt sind, wenn er keine Zeiten der Nichterreichbarkeit angegeben hat (Sander aaO § 33 ZustG Rz 12).

6. § 2 ZustG unterscheidet zwischen „Zustelladresse“ (Z 3) und Abgabestelle (Z 4).

„Zustelladresse“ ist eine Abgabestelle (Z 4) oder elektronische Zustelladresse (Z 5).

Die „Abgabestelle“ ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort. Für jede der möglichen Abgabestellen besteht für die Begründung der Wirksamkeit der Zustellung die Voraussetzung, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, also – von kurzfristigen Abwesenheiten abgesehen – immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Eine bloß vorübergehende (und damit unschädliche) Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle ist dann anzunehmen, wenn der Empfänger dadurch bloß vorübergehend an der Wahrnehmung eines Zustellvorgangs gehindert wird, was etwa bei einer Reise, bei einem Urlaub oder Krankenhausaufenthalt des Empfängers oder bei einem sonstigen diesen Fällen gleich zu haltenden Abwesenheitsgrund zutrifft (RIS-Justiz RS0083895; 8 ObA 61/03h mwN).

Die Rechtsfolgen einer „Abwesenheit“ des Empfängers werden für die elektronische Zustellung der Gerichte nicht eigens normiert. Der Umkehrschluss, solche Abwesenheiten würden die Zustellung gar nicht mehr in Frage stellen und der Empfängerschutz sei daher erheblich schwächer, sollte nach Stumvoll (aaO § 1 ZustG Rz 30/1, 30/2) aber nicht gezogen werden. Nur eine solche physische Anknüpfung mache herkömmliche Abwesenheiten sinnvoll möglich und prüfbar. Die „elektronische Zustelladresse“ allein (im Sinne von § 2 Z 5 ZustG) lasse die Abwesenheit des Empfängers nicht fassbar werden, werfe freilich analoge Fragestellungen einer möglichen Abmeldung auf, vor allem der Ausgestaltung und der Rechtsfolgen im Einzelnen. Der mögliche Weg, auf physische Komponenten überhaupt zu verzichten, sei (mit Ausnahme des Falles, in dem bei der Zustellung nach dem 3. Abschnitt des ZustG der Empfänger dem Zustelldienst keine Abgabestelle bekannt gegeben habe) nicht gewählt worden. Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten sei zwar dahin gegangen, dass ein vom eigenen fixen Empfangsgerät unabhängiger und weltweiter Zugang zu den Zustellinhalten möglich sei. Es fehle aber weiterhin die gesetzliche Anordnung, ob der elektronischen Zustelladresse eine physische Komponente zugeordnet werde. Dieses „missing link“ könnte auch redliche Empfänger schützen und Versuche vermindern, die Zustellung zu hintertreiben. Inwieweit Abwesenheiten (vom „Computer“ ?) die Zustellwirkungen überhaupt hinausschieben sollten, sollte gleichfalls überdacht werden. Der Empfänger solle es nicht in der Hand haben, durch geschickte Wahl der „Abgabestelle“ eine elektronische Zustellung zu vereiteln. Schützenswert seien nach dem Grundverständnis des ZustG aber etwa die Urlaubszeiten des Empfängers, die – nach bisheriger Auffassung – nicht mit täglichem Prüfen möglicher Zustellungen befrachtet werden sollten. Deutlich werde dieser Ansatz etwa auch bei Spitalaufenthalten. Eine lebensnahe gesetzliche Lösung stehe aus. Es obliege aber in jedem Fall der Ingerenz des Empfängers, den Zugang zu seinem Empfangsgerät eigenverantwortlich zu regeln, ohne dass daraus oder aus den daraus entstehenden tatsächlichen Auswirkungen die Unwirksamkeit einer sonst wirksamen Zustellung abgeleitet werden könnte. Allen bisherigen erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers sei der – nicht ausgesprochene, in der Vergangenheit häufig (aber nicht immer) wohl auch vorliegende – Ausgangsfall zugrunde gelegen, dass der Empfänger „seinen PC“ „zuhause“ aufgestellt habe.

Durch BGBl I 2017/40 wurde, wie bereits ausgeführt, auf die früher vorgesehene postalische Verständigung des Empfängers an einer von ihm bekannt gegebenen Abgabestelle verzichtet. Damit wurde, folgt man Stumvoll, bei der elektronischen Zustellung im Ergebnis auf die physische Komponente einer Abgabestelle verzichtet.

Es trifft jeden Empfänger („Kunden“ im Sinne des § 2 Z 9 ZustG) die dauernde Obliegenheit zu kontrollieren, ob bei seiner elektronischen Adresse elektronische Verständigungen eingelangt sind, wenn er mögliche nachteilige Rechtsfolgen vermeiden will (Larcher aaO Rz 543). Der „Kunde“ hat nach § 33 Abs 2 ZustG auch Änderungen der in Abs 1 genannten Daten dem Zustelldienst unverzüglich bekannt zu geben. Um die Akzeptanz des neuen Zustellverfahrens zu erleichtern, wird aber demjenigen, der sich gegenüber einem elektronischen Zustelldienst zur Entgegennahme elektronischer Zustellungen bereit erklärt hat, nach § 33 Abs 2 ZustG die Möglichkeit gegeben, die elektronische Zustellung durch Erklärung über die Unerreichbarkeit zeitweise auszuschließen (Lehner, Zustellung durch Zustelldienst: „E-Zustellung“ [§§ 28 ff ZustG], ÖRPfl 2016 H 1, 21). Es fehlt dann dieser Adresse die Eignung für die Zustellung, es kann an diese Adresse keine wirksame Zustellung erfolgen (Sander aaO § 33 ZustG Rz 10, § 35 Rz 18).

In § 33 Abs 2 ZustG wird eine lex specialis zu § 8 ZustG erblickt (Stumvoll aaO § 8 ZustG Rz 17, § 33 Rz 6; Sander aaO § 33 ZustG Rz 10; Larcher aaO Rz 500), wobei der 3. Abschnitt des ZustG allfällige Sanktionen ungelöst lässt (Stumvoll aaO § 33 ZustG Rz 6). Stumvoll (aaO § 33 ZustG Rz 7) schlägt vor, dass es verfahrensrechtlich zu Sanktionen zu Lasten des säumigen Empfängers zu führen hat, wenn die Zustellung wegen Missachtung des § 33 Abs 2 Satz 1 ZustG durch den Empfänger fehlschlägt und dies im Verfahren (vom Zustelldienst oder der Zustellbehörde) erkannt wird. Diese Sanktionen müssten sich nach den inhaltlich ähnlichsten Normen richten, wofür sich nur § 8 Abs 2 ZustG anbiete, der auch für die Zustellung nach dem 3. Abschnitt des ZustG insofern direkt anwendbar sei. Dies führe zu einer „Rückkehr“ zur physischen Zustellung. Im Regelfall müsse die „untauglich gewordene elektronische Abgabestelle“ für die Zustellbehörde erkennbar sein. Eine Übertragung der dem § 8 Abs 2 ZustG entnehmbaren Wertungen verweise hier zunächst auf die Verpflichtung der Zustellbehörde, einfache Erhebungen mit dem Ziel zu führen, eine taugliche Abgabestelle des Empfängers zu ermitteln. Führe dies zum Erfolg, sei physisch zuzustellen. Blieben jene Bemühungen erfolglos, sei nach § 8 Abs 2 ZustG zu hinterlegen. Problematisch bleibe allerdings die (im Vergleich zu § 8 Abs 1 ZustG) fehlende Einschränkung auf „laufende Verfahren“ in § 33 Abs 2 Satz 1 ZustG. Bei wörtlicher Auslegung dieser Norm könnte jeden Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr nach dem 3. Abschnitt des ZustG die dauernde Verpflichtung zur Aufrechterhaltung einer elektronischen Zustellmöglichkeit auch für Erstzustellungen treffen. Auch diese Frage habe der Gesetzgeber ungelöst gelassen. Alles spreche dafür, den Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr nach dem 3. Abschnitt des ZustG auch für Erstzustellungen (also für solche außerhalb eines anhängigen Verfahrens im Sinne des § 8 ZustG) nicht mehr zu belasten als eine Partei, die ihre physische Abgabestelle zwischen zwei Verfahren ändere. Bestehe für die Erstzustellung also mit anderen Worten keine taugliche elektronische Zustelladresse, setze auch hier die physische Zustellung durch die Zustellbehörde ein.

7. Die Zustellung gilt nach § 35 Abs 6 ZustG als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass die elektronischen Verständigungen nicht beim Empfänger eingelangt waren, doch wird sie mit dem dem Einlangen einer elektronischen Verständigung folgenden Tag innerhalb der Abholfrist (Abs 1 Z 3) wirksam. Dies bedeutet, so Stumvoll (aaO § 35 ZustG Rz 22), unter den normierten Voraussetzungen (hier wird auf das tatsächliche elektronische Einlangen abgestellt) eine absolute Wirksamkeit ohne Rücksicht auf die persönlichen Umstände des Empfängers.

Für den Beklagten wurde per 21.2.2013 ein elektronisches Postfach (eine elektronische Zustelladresse) eingerichtet, als E-Mail-Adresse wurde r*****.n*****@gnv.at benannt. Der Beklagte nahm damit freiwillig durch Anmeldung bei einem Zustelldienst (§ 33 Abs 1 ZustG) am elektronischen Rechtsverkehr teil, weshalb er auch mit behördlichen (Erst-)Zustellungen unter dieser elektronischen Zustelladresse rechnen musste. Der Zahlungsbefehl vom 16.2.2018 ist im

elektronischen Verfügungsbereich des Beklagten eingelangt, ebenso die elektronischen Verständigungen an der vom Beklagten angegebenen E-Mail-Adresse, sodass die Zustellung somit gemäß § 35 Abs 6 ZustG (als am nächsten Werktag) bewirkt anzusehen ist.

Nach § 35 Abs 7 ZustG idgF gilt die Zustellung als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger 1. von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis hatte oder 2. von diesen zwar Kenntnis hatte, aber während der Abholfrist von allen Abgabestellen (§ 2 Z 4) nicht bloß vorübergehend abwesend war, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an eine der Abgabestellen folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das Dokument abgeholt werden könnte.

Vor der Novellierung des § 35 ZustG durch BGBl I 2017/40 lautete der Abs 7 wie folgt:

„Sie (gemeint: die Zustellung) gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis hatte und wegen Abwesenheit von der Abgabestelle vom Vorgang der Zustellung der Verständigung an der Abgabestelle nicht rechtzeitig Kenntnis erlangen konnte, doch wird sie mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist (Abs 1 Z 3) wirksam“.

Den ErläutRV (1457 BlgNR XXV. GP) lässt sich zu den Gründen für die Änderung (Zu Z 13 [§ 35 Abs 6 bis 8]) Folgendes entnehmen:

Umstände, die die Kenntnis von der Verständigung im Sinn des Abs 7 verhindern können, sind zB technische Gebrechen und Ortsabwesenheiten mit mangelnder Internetverbindung. Sofern eine nicht bloß vorübergehende Abwesenheit während der Abholfrist von allen Abgabestellen im Sinne des § 2 Z 4 ZustG vorgelegen ist, soll eine Zustellung ebenfalls als nicht bewirkt gelten, selbst wenn die Person von den elektronischen Verständigungen Kenntnis hatte; die Zustellung soll aber an dem der Rückkehr an eine der Abgabestellen folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam werden, an dem das Dokument abgeholt werden könnte.

Wie bereits ausgeführt wurden schon bisher versuchte Zustellvorgänge während eines technischen Gebrechens als unwirksam angesehen. Dies soll mit der nunmehrigen Regelung des § 35 Abs 7 ZustG erkennbar beibehalten werden. Bei der Zustellung auf elektronischem Weg entspricht eine Änderung jener Daten eine Änderung der („elektronischen“) Abgabestelle, die eine weitere elektronische Zustellung unmöglich macht (Stumvoll aaO § 8 ZustG Rz 6). Eine Unzustellbarkeit an der vom Beklagten angegebenen E-Mail-Adresse war nicht gegeben. Die elektronischen Verständigungen sind eingelangt, wie das Gutachten zweifelsfrei ergeben hat. Es ist damit jedenfalls ein die Unwirksamkeit der Zustellung bedingendes technisches Gebrechen auszuschließen.

Allein die Tatsache, dass der Beklagte von den elektronischen Verständigungen keine Kenntnis erlangte, ist entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht ausreichend, nach § 35 Abs 7 Z 1 ZustG von der Unwirksamkeit der Zustellung auszugehen. Im Interesse der Rechtssicherheit soll die Wirkung der Zustellung nicht (allein) von der subjektiven Kenntnis des Empfängers abhängen, nachdem auch im Allgemeinen im Zustellrecht immer an objektive Tatbestände angeknüpft wird (Stumvoll aaO § 8 ZustG Rz 3; RIS-Justiz RS00837294 Ob 543/92). Die Wirksamkeit der Zustellung wird auch nicht von der aktiven Kenntnis des zugestellten Schriftstücks abhängig gemacht (Rassi in Burgstaller/Deixler-Hübner, § 64 EO Rz 11).

Eine (vorübergehende) Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle führt im Ergebnis (nur) zur Verschiebung des Tages der Wirksamkeit der Zustellung und ist vom Empfängerhorizont her mit der Zurücklassung der Hinterlegungsanzeige bei der Papierzustellung zu vergleichen. Der fingierte Zustelltag des § 89d Abs 2 GOG entspricht funktionell dem Tag des Beginns der Abholfrist bei der Papierzustellung mit dem Unterschied, dass bei der elektronischen Zustellung der Zustellinhalt nach dem Eingang in den elektronischen Verfügungsbereich bereits „abgeholt“ werden kann (Stumvoll aaO § 1 ZustG Rz 29/1). Stumvoll (aaO § 1 ZustG Rz 24) führt zudem aus, dass dann, wenn die Judikaturlinie der Entscheidung 2 Ob 239/13f beibehalten würde, sich bei urlaubs- und krankheitsbedingten Abwesenheiten von Privatpersonen schwer zu rechtfertigende und wohl auch dem Empfänger bisher nicht vorstellbare negative Rechtsfolgen ergeben würden, die dazu führen müssten, derzeit von der freiwilligen Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr abzuraten.

Der Oberste Gerichtshof hatte in der Entscheidung 2 Ob 239/13f (= RIS-Justiz RS0112905 [T 2]) die Anwendung des § 17 ZustG auf elektronische Zustellungen – auf Grund des Ausschlusses des gesamten 2. Abschnitts des ZustG (§§ 13 - 27) für die gerichtliche elektronische Zustellung – verneint, ebenso ein Hinausschieben der Wirkungen des Einlangens der Gerichtssendung in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers wegen der Ortsabwesenheit des Rechtsanwalts und seines Kanzleipersonals als in den maßgeblichen §§ 89a ff GOG nicht vorgesehen. Das Einlangen des Dokuments im

elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers, so der Oberste Gerichtshof auch in der Entscheidung 3 Ob 128/18x, entspreche keineswegs nur dem Zurücklassen einer Hinterlegungsanzeige bei postalischer

Zustellung. Das zuzustellende Dokument stehe dem Empfänger vielmehr bereits am Tag seines Einlangens im

elektronischen Verfügungsbereich zur Verfügung.

In den ErläutRV 1457 der Beilagen XXV. GP wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass beispielsweise „Ortsabwesenheiten mit mangelnder Internetverbindung“ die Kenntnis von der Verständigung im Sinne des § 35 Abs 7 Z 1 ZustG verhindern können. Dass nach der Novellierung des § 35 Abs 7 ZustG jede fehlende Kenntnis des Empfängers von den elektronischen Verständigungen („aus welchen Gründen immer“) ausreichen soll (vgl noch ErläutRV bei Stumvoll aaO § 35 ZustG Rz 23), die Wirksamkeit der erfolgten Zustellung zu beseitigen, ist nach Ansicht des Rekursgerichts – als auch mit den allgemeinen Grundsätzen des Zustellrechts nicht vereinbar – auszuschließen. Es wird aber den Bedenken von Stumvoll insoweit Rechnung getragen, als ausnahmsweise eine Ortsabwesenheit (etwa Urlaub, Krankenhausaufenthalt), soweit sie mit einem mangelnden Internetzugang verknüpft ist, die Unwirksamkeit einer dennoch erfolgten elektronischen Zustellung zur Folge haben kann.

Eine Ortsabwesenheit von der nunmehrigen Abgabestelle (Bergstraße 23 in 6850 Dornbirn) wird vom Beklagten nicht bzw eine solche lediglich hinsichtlich seiner früheren Ordinationsräume (S*****straße *****) behauptet, wobei letztere allerdings nicht (mehr) als Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG anzusehen wären und im Hinblick auf den Entfall der zusätzlichen Verpflichtung zur postalischen Zustellung des Dokuments insofern eine Änderung der Abgabestelle auch nicht maßgeblich sein könnte. Dass ihm in seiner Wohnung (als Abgabestelle) der Zugang zum Internet nicht möglich oder er zum Zustellungszeitpunkt (vorübergehend oder dauernd) von dort abwesend gewesen wäre, wurde vom Beklagten nicht geltend gemacht und insoweit auch keine Ortsabwesenheit mit mangelnder Internetverbindung behauptet. Der Beklagte hat seine mangelnde Kenntnis von den elektronischen Verständigungen im erstinstanzlichen Verfahren darauf gestützt, keinen Zugang mehr zu den früheren Ordinationsräumlichkeiten und damit auch zur EDV-Anlage gehabt zu haben.

Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber durch die Abschaffung der (zusätzlichen) postalischen Verständigung auf eine Anknüpfung an die „physische“ Abgabestelle verzichtet hat, ist der Schluss zulässig, dass eine wirksame elektronische Zustellung auch dann möglich sein soll, wenn ein Internetzugang für den Empfänger grundsätzlich vorhanden ist, selbst wenn die Möglichkeit für eine „Abholung“ des Dokumentes (iSd downloaden) durch den Empfänger aus in seiner Sphäre liegenden Gründen nicht gegeben ist. Jeder „Kunde“ trägt die Eigenverantwortung für das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen für den Empfang elektronischer Verständigungen, auf die im Vorhinein vereinbarte Art, und die Abholung elektronischer Daten. Dies bedeutet, dass allfällige Computerprobleme in der Sphäre des Empfängers auch diesem zuzurechnen sind (Larcher aaO Rz 473).

Ist die Sendung wie hier in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt, geht ein Hinderungsgrund für die tatsächliche Kenntnisnahme zu Lasten des Empfängers (Frauenberger-Pfeiler aaO § 89d GOG Rz 1). Das Scheitern des Einloggens beim Zustelldienst an einem Mangel, der dem Empfänger zuzurechnen ist (zB Vergessen der Zugangsdaten), verhindert die Wirksamkeit der Zustellung ebenso wenig wie der Umstand, dass dem Empfänger der Zugang zur Databox aufgrund der von ihm verwendeten EDV-Systemumgebung verwehrt wird (10 ObS 113/12h; Stumvoll aaO § 35 ZustG Rz 12; Kronschläger/Mauernböck aaO [242]). Verabsäumt es der die Dienste eines elektronischen Zustelldienstes freiwillig in Anspruch nehmende Empfänger etwa, die Voraussetzungen für eine Abholung des Dokumentes zu schaffen (verfügt er etwa über eine mangelhafte Software oder weist er ungenügende Computerkenntnisse auf), führt die Versendung der elektronischen (bzw physischen) Verständigung auch dann zu einer wirksamen Zustellung, wenn er keine Möglichkeit zum Download des Dokumentes hat (Deibl aaO [36]).

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen hatte der Beklagte die E-Mail-Adresse seiner Praxis seit seiner Pensionierung im Jahr 2014 nicht mehr in Verwendung. Nach den Recherchen des Rekursgerichts (telefonische Auskunft des Sachverständigen DI S*****) hätte sich der Beklagte mit den entsprechenden Unterlagen aber einen vom Empfangsgerät in den Ordinationsräumlichkeiten unabhängigen Zugang zu den Zustellinhalten (Mailbox) durchaus beschaffen können, sodass es eines (physischen) Zugangs zur früheren Ordination nicht bedurfte. Selbst wenn der Beklagte keine Kenntnis von den elektronischen Verständigungen im Sinne des § 35 Abs 7 Z 1 ZustG hatte, wovon das Erstgericht ausgegangen ist, lag letztlich ein ausschließlich der Sphäre des Beklagten zuzurechnendes Abrufproblem vor, welches für die Zustellbehörde zudem nicht erkennbar war. Die zu beurteilende Situation ist bei der postalischen/körperlichen Zustellung etwa dem Verlust eines Briefkastenschlüssels vergleichbar. Ob sich der Empfänger – mit oder ohne Hilfe geeignet verwahrter Aufzeichnungen – noch an die Zugangsdaten erinnern kann und wie gut oder schlecht die von ihm gerade verwendete „EDV-Systemumgebung" funktioniert, kann für die Wirksamkeit der Zustellung nicht maßgebend sein und ist nicht anders zu beurteilen als der Verlust eines Briefkastenschlüssels oder ein technischer Defekt in einem Fax-Empfangsgerät (vgl VwGH 31.7.2013, 2009/13/0105 = ZTR 01/2014,33 = ÖStZB 2014, 522).

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts ist daher von einer wirksam an den Beklagten erfolgten Zustellung des Zahlungsbefehls auszugehen. Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit hinsichtlich des Zahlungsbefehls vom 16.2.2018 ist daher weder gesetzwidrig noch irrtümlich erteilt worden.

Der Rekurs des Klägers erweist sich insoweit als begründet. Der angefochtene Beschluss ist in seinem Spruchpunkt I. dahingehend abzuändern, dass der Antrag des Beklagten auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls vom 16.2.2018 abgewiesen wird.

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt der Rechtsstreit in die Lage zurück, in welcher er sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat (§ 150 Abs 1 ZPO). Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit ist dann erforderlichenfalls von Amts wegen aufzuheben (Gitschthaler in Rechberger4 § 150 ZPO Rz 1; 3 R 176/18g LG Feldkirch).

Soweit der Kläger in seinem Rechtsmittel auch die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags des Beklagten begehrt, wozu er im Rekurs allerdings kein Vorbringen erstattete, ist er im Übrigen auf die nachstehenden Ausführungen zu verweisen.

Zum Rekurs des Beklagten:

Der Beklagte hat seinen Wiedereinsetzungsantrag – gegen die Versäumung der Frist zur rechtzeitigen Erhebung des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl vom 16.2.2018 – darauf gestützt, dass er von der Zustellung keine Kenntnis gehabt habe. Er hat primär die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls und nur für den Fall, dass diesem Antrag nicht Folge gegeben wird, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt, wie er in seinem Rekurs zu Recht geltend macht.

Das Erstgericht hat einen gesetzwidrigen Zustellvorgang angenommen und dem Antrag nach § 7 Abs 3 EO daher stattgegeben. Es hätte aber über den nur hilfsweise erhobenen Wiedereinsetzungsantrag nicht entscheiden dürfen (2 R 160/11m LG Feldkirch mwN). Da die Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung vom Kläger angefochten worden ist, war der Beklagte insofern auch beschwert und berechtigt, sich gegen die Zurückweisung seines nur hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrags zur Wehr zu setzen.

Liegt der Hinderungsgrund für die tatsächliche Kenntnisnahme von den elektronischen Verständigungen im Bereich des Empfängers, ist wie ausgeführt allenfalls eine Wiedereinsetzung nach §§ 146 ZPO möglich. Auch die unverschuldete oder höchstens leicht schuldhafte Unkenntnis einer ordnungsgemäßen Zustellung kann als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0036624, RS0107394; Fucik, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ÖJZ 2009/7, 53 [54]; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny3 II/3 § 146 ZPO Rz 25 ff).

Ob nach nunmehriger Abweisung des Hauptantrags des Beklagten auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls die Voraussetzungen dafür gegeben sind, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Einrichtung der elektronischen Zustelladresse (noch) nicht mit einer Zustellung (auch) gerichtlicher Sendungen bzw (noch) nicht mit dem Wegfallen einer postalischen Verständigung rechnen musste, wird vom Erstgericht zu beurteilen sein.

Dem Rekurs des Beklagten ist daher Folge zu geben. Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Beschlusses sind aufzuheben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten sowie die Verfahrenskosten nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.

Zur Kostenentscheidung im Rekursverfahren:

Das Verfahren zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist ebenso wie das Verfahren zu seiner Erteilung Teil des Titelverfahrens und richtet sich wie dieses nach den für das Titelverfahren geltenden Bestimmungen (RIS-Justiz RS0001596). Dies gilt auch für die Kostentragung. Dabei ist das Verfahren nach § 7 Abs 3 EO grundsätzlich ein vom Ausgang des Verfahrens unabhängiges und selbstständiges Verfahren, in dem jede Partei ihre Kosten zunächst selbst zu tragen hat, es sei denn, dass ein Zwischenstreit entstanden ist (RIS-Justiz RS0016629; 2 R 22/17a LG Feldkirch mwN). Ein derartiger, kostenmäßig gesondert zu behandelnder Zwischenstreit liegt dann vor, wenn die Parteien einander in Bezug auf eine bestimmte, außerhalb der eigentlichen Hauptsache liegende Frage mit widerstreitenden Anträgen gegenüberstehen oder anders ausgedrückt, wenn eine Partei durch ihr Verhalten eine Maßnahme des Gerichtes begehrt, die in die Rechte der anderen Partei eingreifen würde und der Gegner dies bekämpft.

Im vorliegenden Fall ist über die Berechtigung des Antrags auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ein Zwischenstreit entstanden, weil der Kläger dem Antrag des Beklagten (auch) im Rechtsmittelverfahren entgegengetreten ist. Im Hinblick auf das Obsiegen des Klägers im Rekursverfahren hat der Beklagte ihm daher die Rekurskosten zu ersetzen. Es gebührt allerdings der ERV-Zuschlag nach § 23a RATG nur in Höhe von EUR 2,10.

Trotz seines Erfolgs hat der Beklagte allerdings die Kosten seines Rechtsmittels hinsichtlich des Wiedereinsetzungsverfahrens selbst zu tragen, weil § 154 ZPO auch für das Rekursverfahren gilt (RIS-Justiz RS0109084; 2 R 177/09h LG Feldkirch mwN). Der Kläger hat zum Rechtsmittel des Beklagten keine Rekursbeantwortung erstattet.

Einer Bewertung des Streitgegenstands bedarf es nicht (RIS-Justiz RS0126302).

Gemäß § 528 Abs 2 Z 1 ZPO ist der ordentliche Revisionsrekurs gegen den abändernden Teil der Entscheidung jedenfalls unzulässig.

Textnummer

EFE0100042

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00929:2018:00200R00247.18S.1129.000

Im RIS seit

04.12.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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