TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/10 W182 1261327-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2018
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Entscheidungsdatum

10.10.2018

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AVG §71
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W182 1261327-3/ E

W182 1261327-2/ E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2017, Zl. 742324807/140298684 / BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gemäß § 71 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 5171999 idgF, stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 31.08.2017 stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. I Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2017, Zl. 742324807/140298684 / BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8 Abs. 1 Z 2, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, §§ 9, 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, al als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf 3 Jahre und 6 Monate herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. I Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, reiste im November 2004 im Alter von 11 Jahren illegal mit seinen Eltern und 3 Geschwistern ins Bundesgebiet ein und wurde für ihn am 16.11.2004 ein Asylantrag gestellt.

Der Vater des BF begründete seinen Asylantrag bei einer Einvernahme beim Bundesasylamt am 28.04.2005 im Wesentlichen damit, dass er von 1999 bis Oktober 2002 zwei Cousins, die Kämpfer gewesen seien, mit Medikamenten und Nahrung unterstützt habe. Er sei von irgendjemandem verraten worden und am 27.10.2002 in der Nacht von russischen Soldaten von zu Hause gewaltsam abgeholt und zu einer Militärbasis gebracht worden, wo er angehalten und gegen Lösegeld von Verwandten freigekauft worden sei. Nach seiner Entlassung habe er sich bei Verwandten oder Bekannten versteckt gehalten, da die Soldaten immer wieder nach ihm gesucht hätten. Im Oktober oder November 2004 habe er dann das Herkunftsland mit seiner Familie verlassen. Andere Fluchtgründe habe er nicht (vgl. As 111 zu 04 23.245-BAG). Sein Vater sowie seine vier Brüder würden sich nach wie vor in Tschetschenien aufhalten und hätten keine Probleme. Danach befragt, was genau und wie lange er im Herkunftsland gearbeitet habe, erklärte er ausdrücklich, von 1991 bis vor seiner Verhaftung 2002 in einer Schuhfabrik gearbeitet zu haben (vgl. As 109 zu 04 23.245-BAG).

In einer mündlichen Verhandlung beim Unabhängigen Bundesasylsenat am 16.05.2007 brachte der BF neuerlich vor, wegen der Unterstützung tschtetschenischer Kämpfer mit Essen und Medikamenten im Oktober 2002 von Soldaten festgenommen und nach einem Monat gegen Lösegeld freigelassen worden zu sein. In Tschetschenien würden sich 4 Brüder (zwei ältere und zwei jüngere) sowie drei Schwestern aufhalten. Sein Vater sei bereits verstorben.

Für den BF wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 27.06.2007, Zl. 261.324/0/7E-XII/36/05, wurde dem Vater des BF gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I Nr. 1997/76 idF 2003/101 iVm § 12 leg.cit. die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich sein Fluchtvorbringen als glaubwürdig erwiesen habe, er offenbar wegen der Unterstützung tschetschenischer Widerstandskämpfer ins Blickfeld der russischen Armee geraten und deswegen Verfolgungsmaßnahmen durch die Behörden seines Heimatsstaates ausgesetzt gewesen sei, wobei er nicht gehalten gewesen sei, weitere Verfolgungsmaßnahmen seines Heimatsstaates abzuwarten.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 29.06.2007, Zl. 261.327/0/6E-XII/36/05, wurde dem BF gemäß § 7 iVm § 10 Abs. 5 AsylG idF 2003/101 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm gemäß § 12 leg.cit. die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, das der BF - wie auch seine Mutter und seine Geschwister - in eigener Person die Voraussetzung der Asylgewährung nicht erfülle, ihm aber aufgrund des seinem Vater zuerkannten Asylstatus als Familienangehöriger nach § 10 Abs. 5 AsylG der gleiche Schutzumfang zu gewähren gewesen sei.

Laut Akt einer Landespolizeidirektion zur Zl. XXXX wurde der Vater des BF Ende März 2013 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Bundesgebiet bei der Weiterschleppung einer russischen Staatsangehörigen tschetschenischer Herkunft auf frischer Tat betreten, wobei er in diesem Zusammenhang laut Personendaten offenbar angegeben hat, in Tschetschenien Polizist gewesen zu sein. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft mangels Nachweisbarkeit der Entgeltlichkeit gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt. Dem Akt ist weiter zu entnehmen, dass im Mai 2014 bei einer Einreisekontrolle an einem polnischen Grenzübergang zu Weißrussland beim Vater des BF im Reisegepäck ein am 18.12.2013 auf seinen Namen ausgestellter russischer Reisepass vorgefunden wurde, wobei sich eine Kopie des Reisepasses im bereits genannten Akt befindet.

1.2. Der BF wurde erstmals mit Urteil eines Landesgerichtes vom 15.05.2009 gemäß §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB wegen schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 03.12.2009 wurde der BF wegen Raufhandels gemäß § 91 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten, deren Vollstreckung bedingt unter einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichts vom 21.12.2010 bzw. Oberlandesgerichtes vom 08.06.2011 wurde der BF wegen einer absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei die bedingte Strafnachsicht im Urteil eines Bezirksgerichtes vom 03.12.2009 widerrufen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF mit einem Mittäter im XXXX absichtlich einem Opfer mit Faustschlägen und einen Fußtritt ins Gesicht eine Verletzung zugefügt hat, die bei diesem einen doppelten Kieferbruch zufolge hatte.

Mit Urteil eines Bezirksgerichtes vom 02.03.2012 wurde der BF wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen, deren Vollstreckung bedingt unter einer Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 18.08.2011 bzw. Oberlandesgerichtes vom 02.05.2012 wurde der BF wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 1. Fall, des Verbrechens des teils versuchten Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 15 StGB, sowie der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Dem Urteil lag zugrunde, dass der BF im XXXX teilweise mit einem Mittäter drei Personen mit Gewalt und durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz teils abzunötigen versucht ( XXXX ), teils abgenötigt ( XXXX ) und teils weggenommen ( XXXX ) hat, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Erschwerend wurde das Zusammenkommen von 6 Verbrechen und 2 Vergehen, 3 auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende frühere Verurteilungen, die Tatbegehung während einer Probezeit bzw. eines anhängigen Rechtsmittelverfahrens, worin ein nach § 32 Abs. 2 StGB aggravierend zu wertender erhöhter Gesinnungswert zum Ausdruck komme, gewertet. Als mildernd wurde die Sicherstellung des geraubten XXXX sowie der Umstand, dass 4 Verbrechen und zwei Vergehen beim Versuch geblieben seien, gewertet.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 04.09.2014 wurde der BF zuletzt wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 2. Deliktsfall StGB, des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der BF einen Mitgefangenen durch Versetzen von Schlägen gegen den Körper und durch gefährliche Drohung mit Verletzung am Körper und an der Freiheit zum Teil von Sympathiepersonen zur Überweisung von Geldbeträgen im Zeitraum XXXX durch eine vorsatzlos handelnde dritte Person im Auftrag des Mitgefangenen in der Höhe von zusammengerechnet XXXX Euro genötigt hat; weiters von XXXX einen anderen Mitgefangenen durch Versetzen von Schlägen gegen das Gesicht und seinen Oberkörper und durch gefährliche Drohung mit zumindest Verletzung am Körper zum Teil von Sympathiepersonen zur Leistung von monatlichen Geldbeträgen (insgesamt XXXX ) genötigt, den selben Mitgefangenen zwischen XXXX unter Drohung mit einem an dessen Ohr angesetzten Messer zu nötigen versucht hat, mitzuteilen, wer gegen den BF schlecht geredet habe, sowie diesem eine Schnittverletzung am Ohr zugefügt hat. Weiters lag den Verurteilungen zugrunde, dass der BF im Winter 2012 einen anderen Mitgefangenen durch Drohung mit einem gegen diesen gerichteten Messer ein Mobiltelefon abgenötigt hat.

Erschwerend wurden 5 auf derselben schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen, das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und Vergehen, Tatbegehung während des Strafvollzuges im geschützten Bereich der Justizanstalt, die verstärkte Tatbestandsmäßigkeit und die mehrfachen Angriffe bei der Erpressung bewertet. Mildernd wurde bewertet, dass der BF die Taten nach Vollendung des 18. Lebensjahres, jedoch vor Vollendung des 21 Lebensjahres begangen hat und es hinsichtlich der Nötigung beim Versuch geblieben ist.

Mit Beschluss eines Landesgerichtes vom 20.04.2017 wurde dem BF nach Vollzug der Strafe im Ausmaß von 3 Jahren und 6 Monaten der Rest der Strafe gemäß § 46 Abs. 1 StGB iVm § 152 Abs. 1 Z 2 StVG unter einer Probezeit von 3 Jahren unter Anordnung einer Bewährungshilfe und der Weisung, an einer genannten Adresse Wohnung zu nehmen, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen bzw. sich am AMS arbeitssuchend zu melden und bezüglich aller Weisungen dem Gericht nach bedingter Entlassung vierteljährlich unaufgefordert einen Nachweis vorzulegen, bedingt nachgesehen. Als maßgebende Umstände wurden genannt: "Belastetes Vorleben, keine spezialpräventiven Gründe gegen BE, 3 Ordnungswidrigkeiten, zuletzt am XXXX , Verhalten entsprechend der Hausordnung, JE zum Tatzeitpunkt, sehr gute Arbeitsleistung, asylberechtigt, JA und StA für BE".

Der BF wurde am 27.06.2017 aus der Strafhaft entlassen.

2. Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) wurde zuvor hinsichtlich des BF ein Aberkennungsverfahren eingeleitet und der BF dazu am 05.05.2017 im Beisein eines Dolmetschers der russischen Sprache einvernommen. Der BF brachte im Wesentlichen vor, dass er Tschetschenien im Alter von 11 Jahren verlassen habe, weil die Eltern wegen des Krieges nicht dort bleiben hätten wollen und der Vater im Krieg verletzt worden sei. Im Herkunftsland würden sich Großeltern des BF aufhalten. In Österreich halten sich seine Eltern sowie Geschwister auf. Die zwei jüngeren Brüder würden bei den Eltern leben, der ältere Bruder und die Schwester seien verheiratet. Der Vater des BF sei in Pension, die Mutter arbeite als Putzfrau. Der BF sei seit 6 Jahren in Österreich nach muslimischen Ritus verheiratet, die Eheschließung habe drei Monate bevor er ins Gefängnis gekommen sei, stattgefunden, weswegen er keinen gemeinsamen Wohnsitz gründen habe können. Seine Frau sei Verkäuferin. Vor dem Gefängnis habe der BF als Hilfsarbeiter gearbeitet. Der BF wolle nicht nach Tschetschenien zurückkehren, da er nicht wisse, wie er dort leben solle. Er wolle in Österreich bleiben, arbeiten und nicht mehr kriminell sein. Er sei jung gewesen und habe seine Fehler eingesehen. Seine ganze Familie lebe in Österreich. Er könne sich das Leben in der Russischen Föderation nicht vorstellen. Er bekomme sicher Ärger, weil sein Vater damals geflüchtet sei.

Vom BF wurden in weiterer Folge u.a. eine Heiratsurkunde vom 30.05.2011 über eine islamische Eheschließung mit einer russischen Staatsangehörigen, ein Schreiben der Bewährungshilfe vom Juli 2017 sowie eine Bestätigung des AMS, wonach der BF seit 28.06.2017 als Arbeit suchend vorgemerkt sei, vorgelegt.

Mit dem unter Spruch II. genannten, angefochtenen Bescheid vom 26.07.2017 erkannte das Bundesamt dem BF den mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.06.2007, Zl. 261.327/0/6E-XII/36/05, zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Mit Spruchpunkt V. wurde einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Begründend wurde im Wesentlichen auf die bereits unter Punkt I.1.2. wiedergegebenen rechtskräftigen Verurteilungen des BF hingewiesen, wobei er zuletzt wegen eines besonders schweren Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden sei. Eine positive Zukunftsprognose sei nicht zu treffen. Für ihn seien im Asylverfahren zu keiner Zeit eigene Fluchtgründe vorgebracht worden und sei ihm das Asyl lediglich als Familienangehöriger gewährt worden. Zur Situation im Heimatland und dass dem BF im Heimatland keine Gefährdung bzw. Bedrohung zukomme, werde auf die betreffenden Feststellungen über Tschetschenien verwiesen. Es habe auch nicht festgestellt werden können, das der BF nach einer Rückkehr ins Herkunftsland dort in eine bedrohliche Situation geraten würde. Er habe einen großen Teil seines Lebens im Herkunftsland verbracht. Er sei in seinem familiären Umfeld mit den tschetschenischen Lebenssitten assoziiert und beherrsche die tschetschenische Sprache auf muttersprachlichem Niveau. Er sei volljährig und gesund. Bei einer Rückkehr sei es ihn zuzumuten, durch Erwerbstätigkeit sein Existenzminimum zu sichern. Er habe in Österreich die Hauptschule und das Polytechnikum abgeschlossen, weder einen Beruf erlernt noch eine sonstige Ausbildung absolviert. Er sei nach muslimischen Ritus verheiratet, es bestehe kein gemeinsamer Haushalt und habe er keine Kinder. Seine Eltern und Geschwister leben in Österreich. Er spreche sehr gut Deutsch. Weitere Integrationsmerkmale haben nicht festgestellt werden können. In einer Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK habe insbesondere angesichts der widerholten Verurteilungen des BF das öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Straftaten die privaten bzw. familiären Interessen des BF überwogen. Zudem sei die Erlassung eines Einreiseverbotes die einzige adäquate Maßnahme gewesen, um auf die vom BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu reagieren.

Der im Spruch genannte Bescheid wurde vom BF nachweislich am 31.07.2017 persönlich übernommen.

3. Am 31.08.2017 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter des BF eine Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes eingebracht. Darin wurde im Wesentlichen eine Verfolgungsgefahr des BF behauptet, die zum einem mit der Asylgewährung durch den Unabhängigen Bundesasylsenat, zum anderem mit einem SMS, das der BF erhalten hätte, wonach weiterhin im Herkunftsstaat nach ihm gesucht werde, begründet. Der BF würde bei einer zwangsweisen Rückkehr im Herkunftsland umgehend am Flughafen festgenommen und inhaftiert werden. Aufgrund der instabilen Situation in der Russischen Föderation - gerade was tschetschenische Staatsbürger betreffe - müssten diese mit gegen sie gerichteten Verfolgungshandlungen rechnen, insbesondere wenn sie im Ausland um Asyl angesucht haben. Sollten die Behörden in der Russischen Föderation zum Schluss kommen, dass der BF durch den gegenständlichen Asylantrag die Russische Föderation in Misskredit gebracht habe, müsste er mit drakonischen Strafen rechnen. Außerdem müsste der BF aufgrund der Vorverurteilungen in Österreich in seinem Heimatland ebenfalls einer strafrechtlichen Verurteilung zugeführt werden. Im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens hätte auch ein psychologischer Sachverständiger zur Gutachtenserstattung hinsichtlich einer Zukunftsprognose bestellt werden müssen. Weiters wurde die soziale und familiäre Integration des BF in Österreich betont, auf die Betreuung des BF durch die Bewährungshilfe und den Umstand, dass aufgrund des Wohlverhaltens des BF eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug erfolgt sei, hingewiesen. Die Interessensabwägung der Behörde im bekämpften Bescheid wurde als willkürlich bemängelt.

4. Die Beschwerde wurde zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF berechtigterweise davon ausgegangen sei, dass die bereits vorbereitete Beschwerde von seiner Rechtsberatung ( XXXX ) rechtzeitig eingebracht worden wäre und ihn sohin kein Verschulden bzw. allenfalls ein mittlerer Grad des Versehens treffe. Am 17.08.2017 habe der rechtsfreundliche Vertreter des BF auf Nachfragen erfahren, dass die Beschwerde nicht eingebracht worden sei.

Mit dem oben im Spruch I. genannten, angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 06.09.2017 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.). Darin wurde im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass mangels rechtzeitiger Einbringung einer Beschwerde der Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2017 mit 15.08.2017 in Rechtskraft erwachsen sei und der BF durch seine Rechtsberatung (VMÖ) am 09.08.2017 in Kenntnis davon gesetzt worden sei, dass die vorbereitete Beschwerde auf seinen Wunsch hin nicht abgeschickt worden sei, wie sich dies aus einer glaubwürdigen Stellungnahme des XXXX an das Bundesamt vom 05.09.2017 ergebe. Indem der BF infolge die Beschwerde durch seinen Anwalt, mit dem er innerhalb der Beschwerdefrist bereits im Kontakt gewesen sei, nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist eingebracht habe, treffe ihn ein zurechenbares Verschulden, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe.

Gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides des Bundesamtes vom 06.09.2017 richtet sich die binnen offener Frist eingebrachte Beschwerde des BF, in der im Wesentlichen die Darstellung in der Stellungnahme des XXXX vom 05.09.2017, wonach der BF am 09.08.2017 über die Nichteinbringung der Beschwerde in Kenntnis gesetzt worden sei, als nicht nachvollziehbar bestritten wurde. Dazu wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass in der Stellungnahme zwar vermeint werde, dass die Lebensgefährtin des BF am 08.09.2017 angerufen und erwähnt habe, dass der BF nicht die Unterstützung des XXXX wolle, sondern die Beschwerde von seinem Rechtsanwalt schreiben lassen wolle. Gleichzeitig werde aber in der Stellungnahme festgehalten, dass einige Tage später die Lebensgefährtin des BF abermals mit dem XXXX Kontakt aufgenommen habe, um anzufragen, ob eine Beschwerde eingebracht worden sei, wobei darauf hinzuweisen sei, dass dieser telefonische Kontakt am 17.08.2017 gewesen sei. Wäre die Lebensgefährtin des BF am 09.08.2017 bereits nachvollziehbar darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass von Seiten des XXXX keine Beschwerde eingebracht worden sei, hätte sie sicherlich Tage später nicht noch einmal angerufen, um anzufragen, ob die Beschwerde nunmehr eingebracht worden sei. All dies lasse den berechtigten Schluss zu, dass zweifelsohne Missverständnisse im gegenständlichen Fall zwischen dem XXXX und dem BF sowie seiner Lebensgefährtin vorgelegen seien, sohin dem BF nicht bewusst gewesen sei, dass der XXXX keine Beschwerde eingebracht habe. Dazu wurde der Antrag gestellt, den BF, seinen Rechtsvertreter sowie die Lebensgefährtin als Zeugin einzuvernehmen.

5. Am 19.04.2018 fand zur Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 26.07.2017 sowie 06.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF und seines rechtsfreundlichen Vertreters statt. In der Verhandlung wurden der Vater des BF als auch dessen Gattin zeugenschaftlich befragt. Insbesondere der Vater des BF brachte neu vor, dass er von 1980 bis ins Jahr 1999/2000 in Tschetschenien Milizionär (Polizist) gewesen sei und in diesem Zusammenhang eine Gefährdung des BF bei der Rückkehr ins Herkunftsland befürchte. Der BF brachte auf Befragen durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter u. a. neu vor, dass er nicht zum Militärdienst im Herkunftsland gehen wolle, weil er Angst habe, dort geschlagen oder umgebracht zu werden. Auch wolle er keine Zivilisten töten. Der Erhalt einer SMS, wonach der BF oder eine andere Person im Herkunftsland weiter gesucht werde, wurde trotz ausführlicher Befragung zu Befürchtungen bei einer Rückkehr ins Herkunftsland weder vom BF noch von dessen Vater vorgebracht. Auch eine Doppelbestrafung im Herkunftsland wurde nicht mehr geltend gemacht. Dem BF wurden aktuelle Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat zu Kenntnis gebracht.

In der Beschwerdeverhandlung wurde ein Versicherungsdatenauszug hinsichtlich des BF vorgelegt, wonach dieser von Februar bis April 2011 bei einem Personaldienstleistungsunternehmen, von Oktober bis November 2017 als Arbeiter in einem Unternehmen beschäftigt war sowie ab August 2017 mit Unterbrechungen bis dato geringfügig bei einem Security-Unternehmen sowie seit Jänner 2018 bei einem Personaldienstleistungsunternehmen beschäftigt sei. Zusätzlich wurde eine Stellungnahme der Bewährungshilfe vom 16.04.2018 vorgelegt, wonach der BF neben seiner Erwerbstätigkeit insbesondere im Rahmen der Sozialhilfebetreuung in der Deliktsverarbeitung große Fortschritte - etwa auch im Rahmen eines Anti Gewalttrainings - mache und sich nach seiner Entlassung nahezu vorbildhaft in die Gesellschaft re-integriert habe, weshalb eine positive Zukunftsprognose bestätigt werden können. Weiters wurden u.a. Lohn-/ Gehaltsabrechnungen sowie Bestätigungen und Dienstzeugnisse von Arbeitgebern des BF vorgelegt.

Die Gattin des BF legte zudem eine sie betreffende Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2015 vor, wonach ihr gemäß § 11 Abs. 3 und § 41 Abs. 9a NAG der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus" erteilt wurde.

6. In einer Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des BF vom 04.05.2018 wurde u.a. ausgeführt, dass der BF in seinem Heimatland den Militärdienst nicht abgeleistet habe und er aufgrund der Weigerung, den Militärdienst abzuleisten, als Tschetschene mit strengeren Strafen zu rechnen hätte, als dies üblicherweise bei russischen Staatsbürgern der Fall sei. Allein die Asylantragsstellung und die damit verbundene Zuerkennung des Flüchtlingsstatus würden ausreichen, um den BF in der Russische Föderation bei Habhaftmachung seiner Person festzunehmen. Faktum sei, dass der Vater des BF bei der Miliz tätig gewesen sei und ebenfalls fluchtartig sein Heimatland verlassen habe. Allein aufgrund der Tatsache, dass der Vater des BF bei der Miliz beschäftigt gewesen sei, sei aufgrund seiner eigenen Angaben im Asylverfahren sowie der nunmehrigen Angaben des Vaters des BF im Zuge der durchgeführten Beschwerdeverhandlung damit zu rechnen, dass der BF aufgrund der in der Russischen Föderation evidenten Sippenhaftung selbst mit drakonischen Strafen gegen seine Person zu rechnen hätte. Der BF sei zweifelsohne einer individuellen Verfolgungsgefahr in der Russischen Föderation ausgesetzt. Faktum sei weiters, dass der BF als sozial integriert anzusehen sei, wobei auch keinerlei Grund zur Annahme bestehen, dass der BF in Zukunft wieder straffällig werde. Er verfüge im Herkunftsland über keine existenzielle Grundlage und sei es ihm auch nicht möglich, sich dort eine Existenz zu schaffen. Sämtliche Familienmitglieder der Kernfamilie des BF seien im Bundesgebiet aufhältig.

Dazu wurde weiters auf die positive Zukunftsprognose in einem im Auftrag des rechtsfreundlichen Vertreters des BF erstatteten, dem Schreiben beigelegten psychologischen Gutachten eines Psychologen und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen vom 30.04.2018 verwiesen. Das Gutachten basiert offenbar auf einem (einmaligen) Untersuchungsgespräch zwischen dem Gutachter, dem BF und seiner Lebensgefährtin sowie der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2018. Darüber hinaus sind dem Gutachten keine anderen Befundquellen zu entnehmen. Bei der Untersuchung sei im Sinne der Gefährlichkeitsprognose das Querschnittsbild der Persönlichkeit, die kriminologische Vorgeschichte, der Lebensverlauf seit der Tathandlung und die Zukunftsperspektiven sowie weiters ein psychopathologischer Status des BF erhoben worden. Der Befund kommt zusammengefasst zum Ergebnis, dass der BF in der Vergangenheit zwar delinquente Taten zeigen würde, unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation (psychopathologischer Status mit Ausnahme einer absolvierten Antiaggressionstherapie im Wesentlichen unauffällig), des Lebensverlaufes seit der Tathandlung (Erwerbstätigkeit nach Haftentlassung, Zusammenleben mit Lebensgefährtin) und seiner Zukunftsperspektiven (Aufenthaltsberechtigung, Kinderwunsch, Festigung der beruflichen Aktivitäten, allenfalls auch eine Ausbildung) aber aus gutachterlicher Sicht eine positive Wohlverhaltensklausel festzustellen sei. Dazu wurde im Gutachten insbesondere noch ausgeführt, dass man einwenden könnte, dass die kriminelle Vorgeschichte mit den aggressiven Handlungen und "den Betrugsdelikten in Haft" negative Risikofaktoren beschreiben würden, die Befundaufnahme bezüglich des BF und seiner Gattin jedoch "ein wirkliches Bemühen einen Neuanfang in Österreich beginnen zu wollen" ergeben hätten. Insgesamt sei darüber hinaus positiv zu beurteilen, dass der BF offensichtlich besser gelernt habe, mit seinen Impulsen umzugehen. Im Gespräch habe sich keine erhöhte Gewaltbereitschaft oder eine Tendenz, im Allgemeinen delinquent zu handeln, ergeben. In Bezug auf familiäre Werte, den sozioökonomischen Status und den beruflichen Verpflichtungen verfüge der BF heute doch über strikte Ansichten und Werthaltungen, in denen er sich zumindest zurzeit insgesamt nicht beirren lasse und diese hier nicht nur als Verpflichtung, sondern auch als sein Recht wahrnehme. Die Zusammenschau aller Befundergebnisse verweise damit auch auf eine positive Prognose.

Der Stellungnahme waren weiters in Kopie Fotografien, die den Vater des BF in diversen, nicht näher bestimmbaren Uniformen zeigen, sowie schriftliche eidesstattliche Erklärungen von vier Personen, offenbar tschetschenischer Herkunft, die bestätigen, dass der Vater des BF von 1989 bis 1999 bzw. in den neunziger Jahren bei der Miliz in einem genannten Bezirk in Grosny tätig gewesen sei, beigelegt.

Letztlich wurde in der Stellungnahme der Antrag gestellt, den gegenständlichen Asylakt des Vaters des BF von Amts wegen beizuschaffen.

In einer Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters vom 17.05.2018 wurde die Terminbestätigung eines Standesamtes über den Termin einer Eheschließung am 01.06.2018 vorgelegt.

In weiterer Folge wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes der Akt des Vaters des BF vom Bundesamt angefordert, wobei von der Behörde dem Bundesverwaltungsgericht der Asylakt des Bundesasylamtes zur Zl. 04 23.245-BAG zusammen mit einem den Vater des BF betreffenden Akt einer Landespolizeidirektion (GZ: XXXX ) vorgelegt wurde.

In beide zuletzt genannten Akten wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter des BF am 05.07.2018 unter Hinweis darauf, dass der Vater des BF im Rahmen seines Asylverfahrens nicht nur nie eine Tätigkeit als Polizist oder bei der Polizei behauptet habe, sondern darüber hinaus unter diesbezüglicher Befragung ausdrücklich angegeben habe, von 1991 bis 2002 in einer Schuhfabrik gearbeitet zu haben, Einsicht gewährt. Es wurde eine Stellungnahmefrist von einer Woche eingeräumt.

In einer Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters vom 18.07.2018 wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vater des BF in seinem eigenen Asylverfahren zu seiner Funktion als Polizist nicht befragt worden sei, er aber im Verfahren vor einer Landespolizeidirektion zur Zl. XXXX darauf verwiesen habe, dass er Polizist gewesen sei, was auch den Personaldaten des Aktes der Landespolizeidirektion zu entnehmen sei. Der Vater des BF habe dem rechtsfreundlichen Vertreter mitgeteilt, dass er auch in einem Ermittlungsverfahren vor der Staatsanwaltschaft auch darauf verwiesen habe, in Tschetschenien als Polizist tätig gewesen zu sein, weshalb dessen Angaben stimmig, schlüssig und nachvollziehbar seien. Er sei in Tschetschenien als Polizist (stellvertretender Leiter des Kommandanten) und von 2001 bis 2002 in einer Schuhfabrik tätig gewesen.

In weiterer Folge wurde ein Jahresbericht der Bewährungshilfe zu bedingte Entlassung des BF vom 24.07.2018 vorgelegt, wonach der BF seit Juni 2018 auch standesamtlich mit seiner Lebensgefährtin verheiratet sei und diese mit Ende Jänner 2019 ein gemeinsames Kind erwarte. Der BF befindet sich weiterhin in Vollzeitbeschäftigung. Das soziale Umfeld des BF habe sich seit der letzten Haftentlassung grundlegend verändert, wobei die Kontakte zu Menschen aus delinquenten Kreisen abgebrochen und fortlaufend gemieden worden seien. Bei dem BF könne eine gesetzeskonforme Entwicklung sowie eine konstante Stabilität in seiner Lebenswelt wahrgenommen werden, wobei die hohe Betreuungsmotivation sowie die kooperative Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe besonders hervorzuheben sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zur Person des BF

Der BF ist russischer Staatsangehöriger, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Glaubens, ist im November 2004 im Alter von 11 Jahren illegal mit seiner Familie nach Österreich eingereist und hat mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 27.06.2007 den Status eines Asylberechtigten aufgrund seiner Familieneigenschaft zu seinem Vater zuerkannt erhalten. Eigene Fluchtgründe des BF wurden in der Entscheidung ausdrücklich verneint.

Der BF ist seit 2009 insgesamt 6 Mal durch Gerichte rechtskräftig wegen gerichtlich strafbarer Handlungen - im Wesentlichen gegen Leib und Leben gerichtete Vergehen und Verbrechen - verurteilt worden. Zuletzt wurde er mit Urteil eines Landesgerichts vom September 2014 u. a. wegen des Verbrechens des schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (unbedingt) rechtskräftig verurteilt. Die letzte Tatbegehung erfolgte Mitte 2013. Der BF wurde Ende Juni 2017 aus der Strafhaft entlassen.

Der BF ist seit Juni 2018 mit einer russischen Staatsangehörigen, der in Österreich ein Aufenthaltsrecht zukommt, verheiratet, wobei ein Zusammenleben - nach einer Heirat nach muslimischem Ritus im Jahr 2011 - im Wesentlichen nach der Haftentlassung des BF begründet wurde. Die Gattin des BF erwartet mit Ende Jänner 2019 ein gemeinsames Kind.

Der BF hat im Herkunftsland bis zu seiner Ausreise und in Österreich die Schule besucht, wobei er hier die Hauptschule und ein Polytechnikum abgeschlossen hat. Er spricht Deutsch, Tschetschenisch und Russisch. Er verfügt über keine Berufsausbildung. Er geht im Wesentlichen seit Oktober 2017 mit etwa einem Monat Unterbrechung einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nach.

Seine Eltern sowie Geschwister (3 Brüder, 1 Schwester) halten sich als Asylberechtigte im Bundesgebiet auf.

Im Herkunftsland halten sich in Tschetschenien zumindest ein Onkel väterlicherseits sowie die Großmutter mütterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits des BF auf.

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, wonach der BF bei einer Rückkehr ins Herkunftsland landesweit wegen seines Vaters oder sonstiger Gründe der Folter, einer unmenschlichen Bestrafung oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist, konnte nicht festgestellt werden.

2. Zum Wiedereinsetzungsantrag vom 31.08.2017

Der BF hat aufgrund eines kommunikativen Missverständnisses über die Übermittlung einer bereits verfassten Beschwerde an das Bundesamt bzw. aufgrund eines Irrtums über den Ablauf der Beschwerdefrist die gegenständliche Beschwerde verspätet eingebracht. Dabei ist ihm kein einem minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden anzulasten.

3. Im Übrigen wird der Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

4. Zur allgemeinen Situation in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

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Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

1.1. Nordkaukasus allgemein

Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Aus dieser Region kommen in den letzten drei Jahren zwiespältige Nachrichten. Einerseits heißt es, der bewaffnete Untergrund sei deutlich geschwächt und zersplittert. Andererseits verlagerte sich der regionale Jihad, der sich als Kaukasus-Emirat manifestiert hatte, auf die globale Ebene, weil Kämpfer aus der Region sich islamistischen Milizen in Syrien und Irak anschlossen. Von dauerhafter Stabilität ist der Nordkaukasus wohl noch entfernt. Das zeigte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien im Dezember 2016 und im März 2017. Zudem stellt sich für Russland, seine Nachbarn im Kaukasus und in Zentralasien wie auch für Europa die Frage, wie viele Jihadisten aus dem nun schrumpfenden IS-Territorium in ihre Heimatregionen zurückkehren werden. Für den Rückgang der Gewalt im Nordkaukasus werden unterschiedliche Gründe angeführt. Russische Sicherheitsorgane verweisen auf gesteigerte Effizienz bei der Bekämpfung des bewaffneten Untergrunds. In den letzten Jahren wurden dessen militärische und ideologische Führer in hoher Zahl bei gezielten Einsätzen von Eliteeinheiten getötet. Das Kaukasus-Emirat wurde innerlich gespalten, da viele seiner Führer sich von al-Qaida abwandten und dem sogenannten Islamischen Staat (IS) oder anderen Milizen in Syrien Treue schworen. Außerdem hieß es, russische Sicherheitsorgane hätten die Abwanderung von Kämpfern in den Mittleren Osten vorübergehend geduldet, wenn nicht sogar gefördert, um im eigenen Revier für Entlastung zu sorgen - besonders vor der Winterolympiade in Sotschi 2014. Seit 2016 sinkt die Jihad-Migration in den Mittleren Osten, da die Ressourcen des IS schrumpfen. Seine Anziehungskraft auf die nun zersplitternde Untergrundbewegung des Nordkaukasus hatte der IS in erster Linie seiner Territorialherrschaft zu verdanken, die in seinem Kerngebiet aber inzwischen zurückgedrängt wird. Auf seinem Staatsgebiet im Nordkaukasus favorisiert Russland militärische Einsätze, wenngleich in präzisierter, selektiver und gezielterer Form im Vergleich zur unverhältnismäßigen Gewalt in den beiden Tschetschenienkriegen, die nahezu in jeder tschetschenischen Familie Todesopfer gefordert hatte. Im Jahr 2009 eingeleitete Reformmaßnahmen, die auf sozioökonomische und politische Krisenursachen zielten, sind zugunsten der Agenda der "siloviki" (Sicherheitskräfte) wieder in den Hintergrund gerückt (SWP 4.2017).

In internationalen sicherheitspolitischen Quelle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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