TE OGH 2018/11/13 14Os115/18w

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Veröffentlicht am 13.11.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Kontrollorin Gsellmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 25. Juli 2018, GZ 24 Hv 20/18f-62, und weiters über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef P***** mehrerer Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB (I/A bis D [vgl aber RIS-Justiz RS0121981]), der (verfehlt, aber sanktionslos als „Vergehen“ bezeichneten [Ratz in WK² StGB § 29 Rz 6; RIS-Justiz RS0089903]) Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (II) sowie mehrerer Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in H***** und an anderen Orten des Bundesgebiets

I/ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Strafverfolgung (A und D) und auf Aufklärung und Verfolgung von Straftaten (C) sowie die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft Niederösterreich an ihrem Recht auf Befriedigung ihrer Ansprüche (B) zu schädigen, Beamte wissentlich zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen des Bundes oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem er diese durch die Übermittlung zahlreicher Schriftstücke im Urteil wörtlich wiedergegebenen Inhalts sinngemäß aufforderte, ihnen gesetzlich übertragenen Verpflichtungen nicht nachzukommen, und zwar

(A) am 30. März 2017 den Richter des Landesgerichts *****, Mag. ***** W*****, als im gegen den Angeklagten zum AZ ***** dieses Gerichts geführten Strafverfahren zuständiges Entscheidungsorgan, zur Unterlassung der Weiterführung dieses Verfahrens, insbesonders der Durchführung der Hauptverhandlung (US 11);

(B) am 24. April 2017 den Gerichtsvollzieher des Bezirksgerichts *****, L***** D*****, als für den Vollzug in mehreren bei diesem Gericht anhängigen, im Urteil näher bezeichneten Exekutionsverfahren zuständigen Sachbearbeiter und den Abteilungsleiter des Bereichs Versicherungswesen, Dr. Martin B*****, als für die Einhebung der Beiträge zuständiges Organ der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft *****, zur Unterlassung der Weiterführung und weiteren Betreibung der Exekutionsverfahren, insbesonders der Versteigerung seines PKWs (US 13);

(C) am 2. Mai 2017 den Polizeibeamten Franz H***** zur Unterlassung von Amtshandlungen im gegen den Angeklagten beim Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung anhängigen Ermittlungsverfahren, insbesonders der Zustellung von Schriftstücken und Ladungen im Rahmen der Amtshilfe (US 15);

(D) am 14. März 2018 den Richter des Landesgerichts *****, Mag. ***** P*****, als im gegen den Angeklagten zum AZ ***** dieses Gerichts geführten Strafverfahren zuständiges Entscheidungsorgan, zur Unterlassung der Weiterführung dieses Verfahrens, insbesonders der Durchführung der Hauptverhandlung (US 17);

(II) am 24. April 2017 durch die zu I/B angeführten Handlungen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz versucht, L***** D***** und Dr. Martin B***** durch gefährliche Drohung mit einer Schädigung am Vermögen, nämlich durch unberechtigte Schadenersatzforderungen und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung (US 14) zur Unterlassung der Fortführung und weiteren Betreibung der zu Punkt I/B angeführten Exekutionsverfahren, insbesonders der Versteigerung seines PKWs, zu nötigen, wodurch die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ***** mit zumindest 3.401,49 Euro am Vermögen geschädigt werden sollte;

(III) durch die zu I/C und D angeführten Handlungen versucht, folgende Personen durch gefährliche Drohung mit einer Schädigung am Vermögen, nämlich durch unberechtigte Schadenersatzforderungen und Androhung der Eintragung eines Pfandrechts in ein internationales Schuldenregister unter anschließender Zwangsvollstreckung (US 16 ff), zu einer Unterlassung zu nötigen, und zwar

A) am 2. Mai 2017 Franz H***** zur Unterlassung der Weiterführung des zu I/C angeführten Ermittlungsverfahrens, insbesonders der Zustellung von Schriftstücken und Ladungen;

B) am 14. März 2018 Mag. ***** P***** zur Unterlassung der Weiterführung des zu Punkt I/D angeführten Verfahrens, insbesonders der Durchführung der Hauptverhandlung.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen hat der Angeklagte rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet (ON 63), diese Rechtsmittel nach Zustellung der Urteilsausfertigung an den Verteidiger (Anhang zu ON 62) aber nicht ausgeführt und auch bei der Anmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 2 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die

(implizit erhobene; § 498 Abs 3 StPO) Beschwerde des Angeklagten

(§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt

mit Blick auf § 290 StPO anzumerken:

1. Seit der Einführung der Schadensqualifikation des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB durch BGBl I 2001/130 gilt für Missbrauch der Amtsgewalt der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB (RIS-Justiz RS0121981). Die damit verfehlte Annahme mehrerer Verbrechen nach § 302 Abs 1 StGB (US 5) wirkte sich in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, weshalb amtswegige Wahrnehmung des Subsumtionsfehlers nicht erforderlich war (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff).

2. Der Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt setzt Befugnisfehlgebrauch „in Vollziehung der Gesetze“, also im Rahmen der

Hoheitsverwaltung, voraus (RIS-Justiz RS0105870).

Hoheitsverwaltung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Beamte typisch hoheitliche Rechtsformen (Verordnung, Bescheid, Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) gebraucht. Davon abgesehen sind Amtsgeschäfte (etwa tatsächliche Verrichtungen) der

Hoheitsverwaltung zuzurechnen, wenn sie einen spezifischen Zusammenhang mit Hoheitsakten aufweisen (RIS-Justiz RS0130809; zuletzt

17 Os 2/18z mwN).

Nach den zu I/B getroffenen – hier wesentlichen – Feststellungen war Dr. B***** Abteilungsleiter der Abteilung Versicherungsservice der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ***** und als solcher (unter anderem) für die „Einhebung der Versicherungsbeiträge und die Festlegung des Versicherungsbeitrages“ zuständig, mit „dieser Angelegenheit“ befasst und auch in den im Urteil näher bezeichneten, beim Bezirksgericht ***** anhängigen Exekutionsverfahren für die Versicherungsanstalt tätig, in denen dieser als betreibender Partei (aufgrund vollstreckbarer Rückstandsausweise) zur Hereinbringung ihrer offenen Forderungen die Fahrnisexekution wider den Angeklagten als verpflichtete Partei gerichtlich bewilligt und (in einem dieser Verfahren) ein Termin für die Versteigerung seines PKWs anberaumt worden war.

Ziel des inkriminierten Schreibens, das der Angeklagte per Fax an den für die angeführten Verfahren zuständigen Gerichtsvollzieher des Bezirksgerichts ***** sowie Dr. B***** übermittelte, war es, die Genannten „zur Abstandnahme von der (gesetzmäßigen) Durchführung bzw Betreibung weiterer gebotener (Rechts-)Handlungen zur exekutiven Hereinbringung der offenen Forderungen, insbesonders von der Versteigerung seines PKWs“, zu veranlassen.

Er wusste und wollte, dass die Adressaten des Schreibens bei bestimmungsgemäßem Verhalten wissentlich ihre Befugnis, im Namen des Bundes (L***** D*****) oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts (Dr. B*****), als deren Organ „in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen“, missbrauchen. Sein Vorsatz war dabei zudem auf Nötigung der Genannten durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen (zum konstatierten Bedeutungsinhalt des Schreibens: US 14), auf unrechtmäßige Bereicherung sowie darauf gerichtet, den Sozialversicherungsträger an seinem Recht auf Befriedigung seiner Ansprüche sowie am Vermögen zu schädigen (US 11 ff).

Bedienstete der Sozialversicherungsträger, die dort Hoheitsakte vornehmen oder Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung erfüllen, sind Beamte im Sinn des § 74 Z 4 StGB (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 11;

Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch10 § 302 Rz 2, 6; Bertel in WK² StGB § 302 Rz 2, 5). Akt der Hoheitsverwaltung ist auch die Bestimmung der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung auf Basis der vorgeschriebenen Prozentsätze der Höchstbeitragsgrundlage (gegebenenfalls auch noch die Ausfertigung eines Zahlungsbefehls oder Rückstandsausweises), mit der Dr. B***** nach den eben wiedergegebenen Urteilsannahmen bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ***** betraut war. Mit der Beitragsfestsetzung ist jedoch das hoheitliche Verfahren beendet. Bei – wie hier – exekutiver Eintreibung kommt dem Sozialversicherungsträger die Stellung eines betreibenden Gläubigers, der der gerichtlichen Entscheidung unterliegt, zu. Unterlässt ein Dienstnehmer eines Sozialversicherungsträgers missbräuchlich die exekutive Eintreibung rückständiger Beiträge, kommt Strafbarkeit nach § 153 StGB in Betracht (Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch10 § 302 Rz 27).

Die rechtliche Beurteilung des zu I/B in Zusammenhang mit der Übermittlung des inkriminierten Schreibens an Dr. B***** konstatierten Täterverhaltens als (in Idealkonkurrenz zu jenem der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB [Schuldspruch II] verwirklichtes; vgl dazu 17 Os 10/18a) Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB, erfolgte daher rechtsirrig.

Auch insoweit bestand schon deshalb kein Anlass zu amtswegigem Vorgehen, weil dieser Subsumtionsfehler ohne Einfluss auf den rechtlichen Bestand der – nach dem Vorgesagten zu bildenden (vgl auch I/B) – Subsumtionseinheit (RIS-Justiz RS0120980; Ratz in WK² StGB § 29 Rz 5 ff) und damit den Strafrahmen blieb. Der Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 StGB (das „Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen“; US 27) wurde vom Erstgericht – wegen der Tatwiederholung zu I sowie der Begehung von Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (II) und mehreren Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III) – zu Recht angenommen (vgl dazu für viele auch 14 Os 22/18v mwN).

Angesichts dieser Klarstellungen ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufungen nicht an den insoweit fehlerhaften

Schuldspruch gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

Textnummer

E123271

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00115.18W.1113.000

Im RIS seit

28.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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