TE OGH 2018/5/9 13Os21/18i

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Veröffentlicht am 09.05.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Mai 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Albu als Schriftführer in der Strafsache gegen Peter B***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Privatbeteiligten Christopher Br***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 19. Juli 2017, GZ 11 Hv 63/17d-60, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer, des Privatbeteiligten Christopher Br***** und seines Vertreters Mag. Royer sowie des Angeklagten Peter B***** und seines Verteidigers Mag. Dr. Manhart zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Privatbeteiligte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter B***** des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zwischen dem 1. Jänner 2000 und dem 3. Mai 2003 in W***** Christopher Br***** durch einen Schlag ins Gesicht vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht.

Zugleich erging gemäß § 259 Z 3 StPO ein Freispruch von den Anklagevorwürfen, Peter B***** habe in W*****

(I) vom Jahr 1992 bis zum 30. September 1998 eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er mit seinem am 3. Mai 1989 geborenen Sohn Christopher Br***** in zahlreichen Angriffen analen und oralen Geschlechtsverkehr vollzog, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Persönlichkeitsänderung im Sinn einer chronischen Traumafolgestörung, zur Folge hatten,

(II) vom 1. Oktober 1998 bis zum (gemeint) 3. Mai 2003 mit einer unmündigen Person dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er mit seinem am 3. Mai 1989 geborenen Sohn Christopher Br***** in zahlreichen Angriffen analen und oralen Geschlechtsverkehr vollzog,

(III) vom Jahr 1992 bis zum 3. Mai 2003 in zahlreichen Angriffen eine Person durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er von Christopher Br***** durch die Erklärung, im Fall der Weigerung ihn oder seine Mutter zu töten, oralen und analen Geschlechtsverkehr erzwang,

(IV) durch die zu I bis III beschriebenen Taten, durch Betasten im Geschlechtsbereich und durch Veranlassen zur Masturbation mit seinem am 3. Mai 1989 geborenen, sohin minderjährigen Sohn Christopher Br***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihm an sich vornehmen lassen sowie

(V) vom Jahr 1992 bis zum 3. Mai 2003 Christopher Br***** durch gefährliche Drohung, nämlich die Äußerung, er werde ihn oder seine Mutter „umbringen“, zum Unterlassen der Weitergabe von Informationen über von ihm begangene strafbare Handlungen oder der Anzeigeerstattung genötigt.

Der zudem ergangene Freispruch nach § 259 Z 2 StPO ist unbeachtlich, weil er die Subsumtion der von den Freisprüchen I bis III umfassten Taten (auch) als Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (US 3) und solcherart der Sache nach keinen (teilweisen) Rücktritt von der Anklage, sondern bloß deren rechtliche Modifikation betrifft (14 Os 96/05g, RIS-Justiz RS0115553; vgl auch Lendl, WK-StPO § 259 Rz 31).

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den (somit ausschließlich nach § 259 Z 3 StPO ergangenen) Freispruch aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Privatbeteiligten Christopher Br***** ist – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Recht.

Vorweg sei festgehalten, dass das Unterbleiben eines ausdrücklichen Ausspruchs der Verweisung auf den Zivilrechtsweg hinsichtlich der vom Freispruch umfassten Anklagevorwürfe (§ 366 Abs 1 StPO) die dem Privatbeteiligten durch § 282 Abs 2 StPO eingeräumte Anfechtungsbefugnis nicht tangiert, weil die Unterlassung einer Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche einer Verweisung auf den Zivilrechtsweg gleichkommt (11 Os 109/11f, SSt 2011/49; RIS-Justiz RS0101309 [T1 und T2]; Spenling, WK-StPO § 366 Rz 12).

Hievon ausgehend kritisiert die Verfahrensrüge die Abweisung mehrerer Beweisanträge (ON 59 S 41) zu Recht:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft, das Gutachten der Sachverständigen DDr. Worgötter (ON 35) zu erörtern, (dem sich der Privatbeteiligte anschloss) zielte primär auf den Nachweis, dass Christopher Br***** an einer psychischen Störung im Sinn der Anklage (I) leidet, diese Störung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 84 Abs 1 StGB erfüllt und aus medizinischer Sicht auf die vom Privatbeteiligten geschilderten Taten zurückzuführen sein kann (ON 59 S 40). Damit war der Antrag keineswegs auf eine Gutachtenserstattung zur Aussageehrlichkeit (siehe aber ON 59 S 41 und US 7), sondern auf Kontrollbeweisführung hinsichtlich des vom Privatbeteiligten im Rahmen seiner Zeugenaussage behaupteten Tatsachensubstrats gerichtet. Da das Erstgericht dieser Zeugenaussage die Glaubwürdigkeit absprach (US 6) und solcherart hinsichtlich des Großteils der Anklagevorwürfe zu einem Freispruch gelangte (US 2 f), war die vom Privatbeteiligten angestrebte Beweisführung zur Beweiskraft seiner Aussage für die Schuldfrage (und demzufolge auch für die Geltendmachung der diesbezüglichen privatrechtlichen Ansprüche [§ 282 Abs 2 zweiter Satz StPO]) von Bedeutung, womit der darauf gerichtete Antrag rechtsfehlerhaft abgewiesen wurde (13 Os 127/03, RZ 2004, 139; RIS-Justiz RS0028345, jüngst 13 Os 4/17p; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350 mwN).

Hinzugefügt sei, dass der Befund-Teil der angesprochenen Expertise gemäß § 252 Abs 2 StPO jedenfalls zu verlesen (§ 258 Abs 1 StPO) und daher nach dem Gesetz auch Gegenstand der Erörterung im Rahmen sowohl der Hauptverhandlung als auch der Urteilsbegründung war.

Die Erwägungen zur Kontrollbeweisführung gelten sinngemäß ebenso für die Abweisung des Antrags auf Überprüfung des Zustandekommens der in der Beilage II zu ON 59 enthaltenen Lichtbilder. Diese wurden vom Erstgericht über Antrag der Verteidigung zum Beweis der Unrichtigkeit der Zeugenaussage des Privatbeteiligten zum Akt genommen (ON 59 S 38). Davon ausgehend widersprach es den Grundsätzen eines fairen Verfahrens (Art 6 MRK), den zur Entkräftung des Beweiswerts dieser Lichtbilder gestellten Antrag des Privatbeteiligten abzuweisen.

Aufgrund der dargelegten Verfahrensmängel war der Freispruch in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde aufzuheben.

Zudem überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Beschwerde, dass zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Bezüglich des Schuldspruchs wegen des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB ging das Erstgericht von einer Verlängerung der Verjährungsfrist im Sinn des § 58 Abs 3 Z 3 StGB aus (US 8). Dabei übersah es, dass der nach dem Gesetz vorzunehmende Günstigkeitsvergleich (§ 61 zweiter Satz StGB) insoweit zur Anwendung des Tatzeitrechts führt, weil § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der Tatzeitfassung (BGBl I 1998/153) die in Rede stehende Fristverlängerung für strafbare Handlungen gegen Leib und Leben nicht vorsah. Da die Verjährung ein Strafaufhebungsgrund ist, wäre die Strafbarkeit der vom Schuldspruch umfassten Tat bei isolierter Betrachtung somit spätestens am 3. Mai 2006 durch Fristablauf beseitigt gewesen (12 Os 78/08z, SSt 2008/42; RIS-Justiz RS0072368 [T2] und RS0091909 [T1]). Die erst danach, konkret am 1. Juni 2009, in Kraft getretene Ausdehnung des Regelungsbereichs des § 58 Abs 3 Z 3 StGB auf strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (BGBl I 2009/40) ist daher hier irrelevant.

Eine sofortige Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof in der Sache selbst konnte diesbezüglich dennoch nicht erfolgen, weil bei allfälligen Schuldsprüchen im zweiten Rechtsgang wegen der hier vom Freispruch umfassten Anklagefakten eine Verlängerung der Verjährungsfrist hinsichtlich des Vorwurfs der Körperverletzung mit Blick auf die Bestimmung des § 58 Abs 2 StGB möglich wäre.

Das angefochtene Urteil war somit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 288 Abs 2 Z 1 StPO und gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 StPO aufzuheben.

Hierauf war der Privatbeteiligte mit seiner Berufung zu verweisen.

Textnummer

E121542

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00021.18I.0509.000

Im RIS seit

05.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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