TE OGH 2018/4/20 7Ob36/18x

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.04.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** H*****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere, Rechtsanwälte in Linz und der Nebenintervenientin i***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dax & Partner Rechtsanwälte GmbH in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. November 2017, GZ 5 R 138/17a-38, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 20. Juni 2017, GZ 27 Cg 54/15v-33, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.275,62 EUR (darin enthalten 902,42 EUR an USt und 2.861 EUR an Barauslagen) und der Nebenintervenientin die mit 3.147,42 EUR (darin enthalten 524,57 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

R***** H*****, der Ehegatte der Klägerin, schloss mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag ab. Versicherungsbeginn war der 22. 12. 2013. Vom Versicherungsschutz umfasst war unter anderem der Allgemeine Vertrags-Rechtsschutz inklusive Versicherungs-vertragsstreitigkeiten. Die Klägerin ist eine mitversicherte Person. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen der Beklagten, Fassung 2013 (ARB) zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt:

„Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In allen übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung von reinen Vermögensschäden – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

[...]

Artikel 3

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eintreten.

[...]

Artikel 5

Wer ist versichert und unter welchen Voraussetzungen können mitversicherte Personen Deckungsansprüche geltend machen?

[...]

2. Mitversicherte Personen können Deckungsansprüche gegenüber dem Versicherer nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers geltend machen [...]

3. Der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Versicherungsschutz geht auf den Nachlass oder die eingeantworteten Erben des Versicherungsnehmers über, wenn der Versicherungsfall vor dessen Ableben eingetreten ist.

4. Der im Vertrag jeweils vereinbarte Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf Personen, für die der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt seines Ablebens nach dem Gesetz unterhaltspflichtig war, wenn sie aufgrund des Ablebens des Versicherungsnehmers eigene Schadenersatzansprüche geltend machen.

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[...]

1.2 in ursächlichem Zusammenhang [...]

1.2.2 mit [...]

- der Errichtung bzw baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung von Grundstücken, Gebäuden (Gebäudeteilen) oder Wohnungen, die sich im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befinden oder von ihm erworben werden;

- der Planung und Finanzierung der in Punkt 1.2.2 genannten Maßnahmen und Vorhaben einschließlich des Grundstückserwerbs;

[...]“

Die Klägerin und ihr Ehemann erwarben ein Haus, wofür sie eine Fremdfinanzierung benötigten. Daher schlossen sie am 20. 9. 2012 einen Kreditvertrag über 220.000 EUR ab. Im Juli 2014 schloss die Klägerin entsprechend einer im Kreditvertrag enthaltenen Verpflichtung einen Lebensversicherungsvertrag über 200.000 EUR ab. Versicherte Person war ihr Ehemann. Die Ansprüche aus diesem Lebensversicherungsvertrag wurden an die Kreditgeberin verpfändet.

Am 7. 5. 2015 nahm sich der Ehemann der Klägerin das Leben. Am 13. 5. 2015 ersuchte die Klägerin um die Stornierung und Abrechnung des Rechtsschutz-versicherungsvertrags.

In der Folge verweigerte der Lebensversicherer der Klägerin die Auszahlung der (restlichen) Versicherungssumme. Er habe auf die Rücktrittsrechte wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht verzichtet, dieser Verzicht sei jedoch höchstens auf 100.000 EUR beschränkt gewesen. Der Ehemann der Klägerin habe beim Antrag auf Abschluss der Versicherung nicht angegeben, bei welchem Facharzt er wegen Panikstörungen in Behandlung gewesen sei. Er erkläre daher für jenen Teil der Versicherungssumme, der den Verzicht auf das Rücktrittsrecht übersteige, den Rücktritt; er fechte den Vertrag auch wegen arglistiger Täuschung an.

Die Kreditgeberin trat am 3. 11. 2015 ihre Forderung aus dem Lebensversicherungsvertrag der Klägerin zum Inkasso ab. Die Klägerin ist eingeantwortete Erbin ihres Ehemanns.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus dem mit ihrem Ehemann abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag für den beabsichtigten Rechtsstreit mit dem Lebensversicherer betreffend die Auszahlung der Versicherungssumme von 100.000 EUR.

Der Rechtsschutzversicherungsvertrag sei erst mit 13. 5. 2015 storniert worden. Der erste (behauptete) Verstoß gegen Rechtspflichten sei gewesen, dass der Ehemann beim Antrag auf Abschluss des Lebensversicherungsvertrags am 23. 6. 2014 Fragen nach seinem Gesundheitszustand aus Sicht des Lebensversicherers nicht vollständig beantwortet habe. Somit sei der Versicherungsfall innerhalb der Vertragsdauer des Rechtsschutzversicherungsvertrags eingetreten. Das Verfahren diene auch nicht der Wahrnehmung des rechtlichen Interesses der Klägerin im Zusammenhang mit der Finanzierung des Bauvorhabens. Die Klägerin sei eingeantwortete Erbin nach ihrem Ehemann und bedürfe daher keiner weiteren Zustimmung zur Geltendmachung von Deckungsansprüchen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Der Rechtsschutzversicherungsvertrag sei per 13. 5. 2015 storniert. Der Versicherungsfall könne nur die Zahlungsverweigerung durch den Lebensversicherer sein, hier dessen Schreiben vom 17. 6. 2015. Der Rechtsschutzversicherungsfall habe sich daher erst nach dem Storno des Rechtsschutzversicherungsvertrags ereignet. Außerdem gelange Art 7.1.2.2 ARB 2013 zur Anwendung. Danach erstrecke sich die Rechtsschutzversicherung nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im ursächlichen Zusammenhang mit der Planung und Finanzierung des Eigentumserwerbs an Grundstücken, Gebäuden oder Wohnungen durch den Versicherungsnehmer. Dies sei hier der Fall, weil die Kreditgeberin den Abschluss und die Verpfändung der Lebensversicherungsverträge gefordert habe. Außerdem könne die Klägerin als Mitversicherte gemäß Art 5.2 ARB 2013 Deckungsansprüche nur mit Zustimmung des Versicherungsnehmers geltend machen. Die Voraussetzungen des Art 5.3 und 4 ARB 2013 lägen nicht vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Versicherungsfall sei eingetreten, als der verstorbene Versicherungsnehmer bei Abschluss des Lebensversicherungsvertrags angeblich unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe. Die angesprochene Regelung des Art 5.2 ARB 2013 sei teleologisch zu interpretieren, sodass das Erfordernis der Zustimmung des Versicherungsnehmers zur Erhebung von Deckungsansprüchen durch Mitversicherte nach dem Tod des Versicherungsnehmers obsolet sei. Der Risikoausschluss gemäß der Finanzierungsklausel betreffe nur Rechtsstreite, die eine typische Folge der Finanzierung eines Bauvorhabens seien. Der von der Klägerin beabsichtigte Prozess gegen den Lebensversicherer weise aber keinen Bezug zu den für Finanzierungen typischen Problemen auf.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Entscheidend für die Festlegung des Versicherungsfalls im Deckungsprozess sei allein der Tatsachenvortrag, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß eines Anspruchsgegners begründe, hier die außerhalb des zeitlichen Geltungsbereichs des Rechtsschutz-versicherungsvertrags liegende Leistungsverweigerung durch den Lebensversicherer; hingegen seien eigene Verstöße des Versicherungsnehmers, mit denen sich dessen Gegner zur Wehr setze, unbeachtlich.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur hier maßgeblichen Frage in jüngerer Zeit nicht Stellung genommen habe; der älteren Entscheidung 7 Ob 9/89 sei das Berufungsgericht nicht gefolgt.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers (RIS-Justiz RS0050063) und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks der Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063 [T6, T71]; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewöhnlichen Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RIS-Justiz RS0107031).

2.1 Die Beklagte argumentiert, der Klägerin fehle die aktive Klagslegitimation abgeleitet aus Art 5.3 und 5.4 ARB. Dies ist zutreffend:

Art 5.3 ARB betrifft den hier nicht vorliegenden Fall, dass der vom Versicherungsnehmer vor seinem Tod bereits erworbene Anspruch auf Versicherungsschutz auf den Nachlass oder den eingeantworteten Erben übergeht. Art 5.4 ARB bezieht sich auf den hier ebenfalls nicht gegebenen Fall des Versicherungsschutzes Unterhaltsberechtigter für die Geltendmachung eigener Schadenersatzansprüche aufgrund des Ablebens des Versicherungsnehmers.

2.2 Die Fälle des Art 5.3 und 5.4 ARB sind aber nicht mit der Geltendmachung des eigenen Deckungsanspruchs einer im Rechtsschutzvertrag mitversicherten Person zu verwechseln.

Der Klägerin gebührt als Mitversicherter Versicherungsschutz im gleichen Umfang wie dem Versicherungsnehmer. Sie macht hier auch einen solchen eigenen Deckungsanspruch geltend, wofür sie nach Art 5.2 ARB die Zustimmung des Versicherungsnehmers benötigt. Sinn dieser Bestimmung ist es, die Stellung des prämienzahlenden Versicherungsnehmers gegenüber der mitversicherten Person zu stärken, da die Gewährung von Versicherungsschutz an versicherte Personen rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen des Versicherungsnehmers widersprechen kann (vgl Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutzversicherung, 31). Da die Klägerin hier eingeantwortete Alleinerbin des Versicherungsnehmers ist, ist vom Vorliegen der in Art 5.2 ARB geforderten Zustimmung auszugehen, zumal auch der der Bestimmung zugrunde liegende Zweck für die Zustimmung, nämlich die Vermeidung einer Interessenskollision zwischen dem Versicherungsnehmer und der mitversicherten Person, nicht mehr denkbar ist.

3.1 Die Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Lebensversicherer fallen unter den Allgemeinen Vertrags-Rechtsschutz; daher ist für den Eintritt des Versicherungsfalls Art 2.3 ARB maßgeblich.

3.2 Strittig ist hier, ob in dem von der Klägerin gegen den Lebensversicherer angestrebten Aktivprozess, dessen seine Leistungsverweigerung begründenden Einwände zur Festlegung des Versicherungsfalls heranzuziehen sind. Diese Frage ist relevant für die Beurteilung, ob der Versicherungsfall während der Laufzeit des Versicherungsvertrags eingetreten ist.

3.3 In der Entscheidung 7 Ob 9/89 (= RIS-Justiz RS0082295 = RS0082167) hat der Oberste Gerichtshof zu einem Aktivprozess des Versicherungsnehmers ausgesprochen, dass bei der Prüfung der Frage, ob für einen Streit wegen angeblicher Vertragsverletzung Versicherungsschutz zu leisten ist, weil die Vertragsverletzung in die Geltungsdauer der Versicherung fällt, auch auf einredeweise (gerichtlich oder außergerichtlich) geltend gemachte adäquate Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers Bedacht zu nehmen ist. Für die Beurteilung der Gewährung von Versicherungsschutz ist entscheidend, ob die Behauptung des Gegners des Versicherungsnehmers Grundlage der außergerichtlichen Auseinandersetzung oder des Prozesses wird. Ist dies der Fall, dann gilt der Versicherungsfall im Zeitpunkt des (vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten) Beginns des Verstoßes des Versicherungsnehmers als eingetreten.

Auch in der Entscheidung 7 Ob 12/09d wird auf die vom Gegner gegenüber dem Versicherungsnehmer erhobenen Pflichtverletzungen (Verantwortung für Kartellverletzungen) abgestellt.

Zusammengefasst werden daher nach der bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich vom Gegner behauptete Verstöße des Versicherungsnehmers zur Beurteilung des Eintritts des Versicherungsfalls in der Rechtsschutzversicherung herangezogen. Dies entspricht auch dem bisherigen Meinungsstand in Deutschland bei vergleichbarer Bedingungslage (vgl 7 Ob 127/16a und die dortige Darstellung der deutschen Lehre und Rechtsprechung).

3.4 In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung, geht der Bundesgerichtshof nunmehr zum Aktivprozess des Versicherungsnehmers davon aus, dass für die den Versicherungsfall kennzeichnenden Pflichtverletzung eigene Verstöße des Versicherungsnehmers, mit denen sich dessen Gegner zur Wehr setzt, unbeachtlich seien. Entscheidend sei allein der Tatsachenvortrag, mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß seines Anspruchsgegners begründe (IV ZR 23/12 = VersR 2013, 899; IV ZR 214/14 = r+s 2015, 193). Diese Neuausrichtung der Rechtsprechung wurde von der deutschen Lehre begrüßt (vgl Cornelius-Winkler in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess3 § 23 Rn 84, ders, Der Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz, NJW 2013, 3060; Münkel in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungs-vertragsgesetz3 ARB 2010 § 4 Rn 8; Schaltke/Weidner, Der verstoßabhängige Rechtsschutzfall oder: Wer will was von wem woraus?, r+s 2016, 225; Maier, Die neue Rechtsprechung des BGH zum Eintritt des VersFalls in der Rechtsschutzversicherung [zugleich Besprechung von BGH IV ZR 214/14 = r+s 2015, 193], r+s 2015, 489; ders in Versicherungsfall und streitauslösende Willenserklärung in der Rechtsschutzversicherung, r+s 2017, 574; Armbrüster in Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz VVG30 ARB 2010 § 4 Rn 55).

3.5 Diese Änderung des bisherigen Meinungsstands in Deutschland veranlasst den Obersten Gerichtshof nicht, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen:

3.5.1 Wie ausgeführt liegt nach Art 2.3 ARB der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernstlich behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von dem Verstoß Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RIS-Justiz RS0114001).

3.5.2 Schon die Bedingungslage, die zur Festlegung des Versicherungsfalls keine Unterscheidungen vornimmt, ob der Versicherungsnehmer einen Anspruch aktiv verfolgt oder einen gegen ihn gerichteten Anspruch abzuwehren beabsichtigt, spricht für die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Es ist letztlich vom Zufall abhängig, ob sich der Versicherungsnehmer in einem Aktiv- oder einem Passivprozess befindet, sodass sich eine Differenzierung zur Festlegung des Versicherungsfalls verbietet.

Hinzu kommt, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer gerade in Fällen – wie dem hier vorliegenden –, in denen der Grund des Rechtsstreits darin liegt, dass er gegen Pflichten verstoßen haben soll und sein Gegner (ausschließlich) deshalb die sonst unstrittige Leistung verweigert, sein eigenes Verhalten als den „behaupteten Verstoß“ ansehen wird und nicht die darauf gegründete Leistungsverweigerung des Gegners.

Es mag zwar sein, dass neue Behauptungen des Gegners nachträglich den Versicherungsfall beeinflussen könnten, dieses Problem besteht aber gleichermaßen in Passivprozessen, wenn der Gegner des Versicherungsnehmers sein Klagsvorbringen ändert.

Die Befürchtung, dass der Gegner des Versicherungsnehmers, der als Außenstehender nur in seltenen Fällen überhaupt Einblick in das Rechtsschutzverhältnis haben wird, es gerade darauf anlegen könnte, durch die Wahl seiner Verteidigung dem Versicherungsnehmer den Rechtsschutz zu entziehen, tritt nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs gegenüber der durch das bloße Abstellen auf die Klagsausführungen eröffneten Möglichkeit des verpönten Zweckabschlusses völlig in den Hintergrund. Folgte man der Ansicht der Beklagten, könnte der Versicherungsnehmer, der weiß, dass der Anspruch, den er geltend zu machen beabsichtigt, wegen eigener Verfehlungen zweifelhaft ist, nämlich eine Rechtsschutzversicherung abschließen, den Gegner danach zur Leistung auffordern und hätte nunmehr trotz vorvertraglicher Verfehlung dennoch Rechtsschutz, wenn nur mehr die nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgte Leistungsverweigerung durch den Gegner zur Festlegung des Versicherungsfalls heranzuziehen wäre.

3.5.3 Der Oberste Gerichtshof hält seine Rechtsprechung für einen Aktivprozess des Versicherungsnehmers aufrecht, wonach bei der Prüfung der Frage, ob für einen Streit wegen angeblicher Vertragsverletzung Versicherungsschutz zu leisten ist, weil die Vertragsverletzung in die Geltungsdauer der Versicherung fällt, auch auf einredeweise geltend gemachte adäquate Vertragsverletzungen des Versicherungsnehmers Bedacht zu nehmen ist.

3.5.4 Die der Klägerin vorgeworfene vertragliche Aufklärungspflichtverletzung, auf die der Lebensversicherer seine Leistungsfreiheit gründet, fällt unstrittig in den zeitlichen Geltungsbereich des vorliegenden Rechtsschutzversicherungsvertrags.

4. Damit ist nunmehr das Vorliegen des Ausschlussgrundes des Art 7.1.2.2 ARB zu prüfen. Nach dieser Bestimmung besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im ursächlichen Zusammenhang mit der Finanzierung der dort angeführten Bauvorhaben einschließlich des Grundstückserwerbs.

4.1 Zu vergleichbaren Bedingungen (Art 7.1.11 ARB 2005) hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Ob 110/16a ausgeführt, dass zur Finanzierung genehmigungspflichtiger Bauvorhaben regelmäßig Vereinbarungen mit dem Zweck, Fremdmittel für solche meist kostenintensive Maßnahmen zu erhalten, geschlossen werden. Wirtschaftlicher Zweck des zu beurteilenden Risikoausschlusses ist daher erkennbar, die Rechtsschutzdeckung nicht nur für erfahrungsgemäß aufwändige und deshalb teure Bau-(mängel-)prozesse auszunehmen, sondern auch Streitigkeiten, die – wegen der häufigen Notwendigkeit, große Beträge fremdzufinanzieren – hohe Streitwerte zum Gegenstand haben und zwischen den Parteien der Finanzierungsvereinbarung auftreten, in der Regel also Streitfragen aus den geschlossenen Kreditverträgen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Grund dafür ist, dass nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherungs-nehmer ein solches Risiko entstehen kann.

Selbstverständlich ist, dass nicht jeder auch noch so ferne Zusammenhang mit der Finanzierung ausreicht, sondern zumindest ein ursächlicher Zusammenhang im Sinn der sine qua non-Formel zwischen der Finanzierung und jenen rechtlichen Interessen, die der Versicherungsnehmer mit Rechtsschutzdeckung wahrnehmen will, bestehen muss. Dies allein würde jedoch, – entgegen dem Grundsatz, Risikoausschlussklauseln tendenziell restriktiv auszulegen – immer noch zu einer sehr weiten und unangemessenen Lücke des Versicherungsschutzes führen, mit der der verständige durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht zu rechnen braucht. Ein Risikoausschluss kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn sich die typische Risikoerhöhung, die zur Aufnahme gerade dieses Ausschlusses geführt hat, verwirklicht. Es bedarf – wie im Schadenersatzrecht zur Haftungsbegrenzung – eines adäquaten Zusammenhangs zwischen Rechtsstreit und Baufinanzierung; es muss also der Rechtsstreit, für den Deckung gewährt werden soll, typische Folge der Finanzierung eines Bauvorhabens sein. Nur eine solche Auslegung der Klauseln entspricht dem dafür relevanten Verständnis eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers.

Ein solcher adäquater Zusammenhang liegt dann vor, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung einen Bezug zu den für Finanzierungen typischen Problemen wie Fälligstellungen wegen Zahlungsrückständen, Uneinigkeit über die Zinsenberechnung und Schlechtberatung bei der Wahl und der konkreten Gestaltung der Finanzierung aufweist. Die Baufinanzierungsklausel gilt sowohl dann, wenn die Bank den Darlehensvertrag kündigt, aus dem Darlehensvertrag vorgeht und die Zwangsvollstreckung betreibt, als auch dann, wenn die Bank Anweisungen des Kunden nicht beachtet (auch RIS-Justiz RS0126927).

4.2. Unter den Ausschluss zur Finanzierung fallen damit jedenfalls Streitigkeiten mit der finanzierenden Bank (Maier in Harbauer, Rechtsschutzversicherung8 § 3 ARB 2000 Rn 73).

Darüber hinaus werden von der Klausel aber auch Ansprüche gegen Dritte erfasst, wenn sich die Ansprüche des Versicherungsnehmers nicht gegen das Finanzierungsinstitut selbst richten, sondern gegen sonstige Institutionen oder zur Beratung eingeschaltete Dritte, so wenn der Versicherungsnehmer Schadenersatzansprüche wegen Anwalts-, Notar- oder Steuerberaterversehens geltend machen will, sofern sich der steuerliche oder anwaltliche Rat auf das Ob und Wie des aufgenommenen Baudarlehens bezogen hat (Maier aaO Rn 81).

4.3 Fraglich ist hier, ob ein ursächlicher Zusammenhang mit der Finanzierung gegeben ist, wenn der Streit die Geltendmachung der Versicherungsleistung aus der zur Besicherung der Finanzierung abgeschlossenen Lebensversicherung betrifft.

4.3.1 Der sogenannte Pfandbestellungs- oder Verpfändungsvertrag hat zum Inhalt, dass der Pfandgeber erklärt, zur Sicherung einer Forderung ein Pfand bestellen zu wollen und der Pfandnehmer damit übereinstimmend erklärt, dieses als Sicherheit annehmen zu wollen (RIS-Justiz RS0011356). Dieser Vertrag verschafft mangels Übergabeakts kein dingliches Recht, sondern nur den obligatorischen Anspruch auf Pfandgabe der bestimmt zugesagten Sache (RIS-Justiz RS0011356 [T1]). Das Pfandrecht verschafft einem Gläubiger das gegen jedermann wirkende Vorzugsrecht, sich bei Nichterfüllung seiner Forderung aus den verpfändeten Vermögensstücken zu befriedigen (RIS-Justiz RS0011299).

Forderungen des Versicherungsnehmers „aus der Versicherung“ (§ 15 VersVG) können als Geldforderungen im Allgemeinen ohne weiteres abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden und sind daher als Sicherungsmittel geeignet. Das heißt, der Versicherungsnehmer kann seine Ansprüche aus der Lebensversicherung wirksam verpfänden (RIS-Justiz RS0011319 [T2]). Verpfändet der Versicherungsnehmer seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag, wird dem Pfandgläubiger ein Vorrecht vor dem Bezugsberechtigten eingeräumt. Nach der Pfandreife ist der Pfandgläubiger bis zur Höhe seiner Forderung zur Einziehung der Versicherungsleistung berechtigt (RIS-Justiz RS0080565).

4.3.2 Richtig ist, dass der Abschluss der Lebensversicherung, der im Kreditvertrag zur Besicherung der Kreditforderung vereinbart wurde, mit diesem und damit mit der Finanzierung im ursächlichen Zusammenhang steht. Der darüber hinaus geforderte adäquate Zusammenhang zwischen der Geltendmachung der Versicherungsleistung aus der abgeschlossenen Lebensversicherung und der Finanzierung des Bauvorhabens ist aber zu verneinen.

4.3.3 Der Anspruch aus der Lebensversicherung stellt einen eigenständigen Vermögenswert dar, der häufig zur Besicherung von Kreditforderungen eingesetzt wird, mag er schon bestanden haben oder auch erst im Zuge der Kreditaufnahme geschaffen worden sein. Als Sicherungsmittel kann er – wie angeführt – zur Besicherung einer mit dem Bauvorhaben im Zusammenhang stehenden Fremdfinanzierung verwendet werden, betrifft damit aber nicht die Finanzierung im eigentlichen Sinn. Die Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Lebensversicherer stellt bloß eine Streitigkeit aus rein versicherungsvertragsrechtlichen Gründen ohne Bezug zu den dargestellten für Finanzierungen typischen Problemen auf.

4.3.4 Zusammengefasst bedeutet dies, selbst wenn der Versicherungsnehmer des Rechtsschutzversicherers im Zuge der Kreditaufnahme zur Finanzierung eines Bauvorhabens eine Lebensversicherung abschließt und den daraus resultierenden Anspruch zur Besicherung der Kreditforderung verpfändet, weisen Streitigkeiten mit dem Lebensversicherer aus dem Lebensversicherungsvertrag keinen adäquaten Zusammenhang mit der Finanzierung auf. Der Ausschlusstatbestand liegt damit nicht vor.

5. Davon ausgehend erweisen sich sämtliche die Leistungsfreiheit der Beklagten begründenden Einwände als nicht zutreffend. Damit war der Revision Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E121526

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00036.18X.0420.000

Im RIS seit

01.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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