TE OGH 1989/4/6 7Ob9/89

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Veröffentlicht am 06.04.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Norbert F***, Innsbruck, Andechsstraße 63, vertreten durch Dr.Peter Riedmann und Dr.Heinz Waldmüller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei G*** W*** V***, Landesdirektion für Tirol,

Innsbruck, Salurnerstraße 15, vertreten durch Dr.Walter Poschinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung einer Deckungspflicht (Streitwert 260.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 24.Juni 1988, GZ 4 R 63/88-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. Dezember 1987, GZ 5 Cg 419/87-4, bestätigt wurde,in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 9.887,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.647,90 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten bis 15.März 1985 rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsverhältnis lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 1965/82) und die Sonderbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (SRB) zugrunde. Die beiden ersten Absätze des Art. 5 der letztgenannten SRB lauten:

"Absatz 1. Versicherungsfall ist die tatsächliche oder behauptete Verletzung gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen. Absatz 2. Der Versicherungsfall tritt in dem Zeitpunkt ein, in dem der Versicherungsnehmer oder der Gegner erstmalig begonnen hat oder begonnen haben soll, gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen zu verletzen. Bei mehreren Verletzungen gesetzlicher oder vertraglicher Bestimmungen ist die erste maßgeblich. Tritt der Versicherungsfall innerhalb von drei Monaten nach Versicherungsbeginn ein, so wird kein Versicherungsschutz gewährt."

Im Jahre 1985 übernahm Nikolaus S*** vom Kläger eine Wohnung. Am 19.Jänner 1985 vereinbarten die beiden die Zahlung einer Investitionsablöse von 200.000 S für in die Wohnung gemachte Investitionen, wobei die erste Rate von 100.000 S bereits bezahlt wurde, die nach dem Vertrag am 1.April 1985 fällige zweite Rate von ebenfalls 100.000 S noch aushaftet. Mit Schreiben vom 19.März 1985 verweigerte Nikolaus S*** die Zahlung der zweiten Rate mit der Behauptung, die übernommenen Fahrnisse wären nur 46.100 S wert. Er sei vom Kläger in die Irre geführt worden, weshalb er nicht verpflichtet sei, den Vertrag zuzuhalten.

Dem Verlangen des Klägers, für den Streit mit Nikolaus S*** Versicherungschutz zu gewähren, hielt die Beklagte den Einwand entgegen, der Streit mit S*** wäre erst nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses am 15.März 1985 entstanden. Die Vorinstanzen haben der Deckungsklage stattgegeben, wobei das Berufungsgericht ausgesprochen hat, daß der Wert des Streitgegenstandes 60.000 S, nicht jedoch 300.000 S übersteigt. Die Revision hat das Berufungsgericht für zulässig erklärt. Die Vorinstanzen führten im wesentlichen aus, nach den SRB sei Versicherungsschutz für jene Versicherungsfälle zu gewähren, die während der Laufzeit der Versicherung eingetreten seien. Bei Vertragsverletzungen trete der Versicherungsfall schon zu jenem Zeitpunkt ein, zu dem der Versicherungsnehmer nach der Behauptung seines Gegners eine Vertragsverletzung begangen haben soll. Eine solche Behauptung bezüglich einer Vertragsverletzung des Klägers habe dessen Gegner schon für den Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages mit dem Versicherungsnehmer (19.Jänner 1985) aufgestellt. Die Beklagte müsse daher für den Streit des Klägers mit Nikolaus S*** Versicherungsschutz gewähren.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Daß auch für Streitigkeiten aus einer vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten Vertragsverletzung des Versicherungsnehmers Versicherungsschutz zu leisten ist, bestreitet die Beklagte nicht. Sie bestreitet auch nicht, daß sie dem Kläger Versicherungsschutz leisten müßte, falls Nikolaus S*** den Kläger wegen eines von ihm bei Vertragsabschluß am 19.Jänner 1985 begangenen Gesetzesverstoßes in Anspruch nehmen sollte. Fraglich kann also nur sein, ob im Falle des bloß aktiven Vorgehens des Versicherungsnehmers gegen seinen Vertragspartner die einredeweise geltend gemachte Vertragsverletzung des Versicherungsnehmers für die Beurteilung der Frage der Gewährung des Versicherungsschutzes heranzuziehen ist. Natürlich kann es bei der Beurteilung dieser Frage nicht nur auf Einwendungen in einem gerichtlichen Verfahren ankommen, weil Art. 1 Abs. 1 SRB die außergerichtliche Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen der gerichtlichen Verfolgung oder Abwehr gleichsetzt.

Im vorliegenden Fall mußte sich der Oberste Gerichtshof nicht mit der Frage des adäquaten Zusammenhanges mehrerer Verstöße auseinandersetzen, weil hier ein adäquater Zusammenhang zwischen der Nichtzahlung der zweiten im Vertrag vom 19.Jänner 1985 vereinbarten Rate einerseits und der vom Gegner des Versicherungsnehmers behaupteten Irreführung andererseits eindeutig gegeben ist. Die in der Revision zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (VersR 1975, 746) beschäftigte sich aber nur mit der Frage des damals zweifelhaften adäquaten Zusammenhanges. Sie kann daher für die Lösung der vorliegenden Rechtsfrage nicht herangezogen werden. Dem Obersten Gerichtshof stehen daher nur Literaturstellen und Entscheidungen aus der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung. Diese sind jedoch deshalb verwertbar, weil sich § 14 Abs. 3 der deutschen Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB) inhaltlich mit Art. 5 Abs. 2 SRB deckt.

Die hier aufgeworfene Frage war auch in der Bundesrepublik Deutschland strittig. Sie wurde letztlich im Sinne der Ausführungen der Vorinstanzen gelöst. Hiebei wurde der Gedanke hervorgehoben, daß nicht "vorprogrammierte" Streitigkeiten in ein Versicherungsverhältnis hineingetragen werden sollen. Bei einem Streit über Vertragsverletzungen sollen grundsätzlich alle aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit dieser Verletzung geklärt werden. Begeht der Gegner des Versicherungsnehmers eine Vertragsverletzung und behauptet er, es handle sich im Hinblick auf ein konkretes Fehlverhalten des Versicherungsnehmers gar nicht um eine Vertragsverletzung, vielmehr sei der Gegner zu seinem Verhalten berechtigt, so hängt die Beurteilung des vom Versicherungsnehmer behaupteten Anspruches von der Lösung der Einwendung des Gegners ab. Es ist daher nicht gerechtfertigt, die beiden Fragen gesondert zu beurteilen und dem Versicherungsnehmer etwa für sein Begehren Versicherungsschutz zu versagen, dagegen im Falle eines selbständigen aktiven Vorgehens des Gegners des Versicherungsnehmers für die Lösung derselben Frage den Versicherungsschutz zu gewähren. Wie bereits dargelegt wurde, soll der Versicherer durch die erwähnte Bestimmung davor geschützt werden, daß der Versicherungsnehmer sogenannte "vorprogrammierte" Streitigkeiten in das Versicherungsverhältnis einbringt. Diese zu seinem Schutz erlassene Bestimmung muß der Versicherer aber auch dann gelten lassen, wenn sie in Fällen wie dem vorliegenden gegen ihn spricht. Wenn daher der Gegner des Versicherungsnehmers den behaupteten Anspruch mit der Behauptung eines Verstoßes des Versicherungsnehmers gegen den Vertrag beantwortet, so ist für die Beurteilung der Frage, ob Versicherungsschutz zu gewähren ist, entscheidend, ob die Behauptung des Gegners Grundlage der außergerichtlichen Auseinandersetzung oder des Prozesses wird. Ist dies der Fall, dann gilt der Versicherungsfall im Zeitpunkt des (behaupteten) Beginnes des Verstoßes des Versicherungsnehmers als eingetreten (Harbauer, Rechtsschutzversicherung3, 337 f, Prölss-Martin, VVG24, 1336, VersR 1984, 530). Behauptet ist eine Pflichtverletzung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 SRB, wenn ein Sachvortrag vorliegt, der ernst gemeint ist und zumindest den Tatsachenkern eines Pflichtverstoßes enthält (VersR 1985,540). Nur ein Vorbringen, das lediglich als bloßes "Kolorit", ohne richtiges rechtliches Substrat anzusehen wäre, könnte bei der Beurteilung des Zeitpunktes des Eintrittes des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.

Im vorliegenden Fall verweigert der Gegner des Versicherungsnehmers die Bezahlung der zweiten, ihm durch Vertrag auferlegten Rate mit dem Einwand, er sei vom Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluß über den Wert jener Gegenstände, für die die Zahlung zu leisten ist, in Irrtum geführt worden. Die Frage der Berechtigung dieser Einrede des Gegners des Versicherungsnehmers ist daher Voraussetzung für die Entscheidung über den behaupteten Anspruch des Versicherungsnehmers. Aus diesem Grunde bilden die beiden Fragen eine adäquate Einheit, wobei der erste behauptete Verstoß, nämlich der angebliche Verstoß des Versicherungsnehmers, in den Gültigkeitszeitraum des Versicherungsvertrages fällt. Aus diesem Grunde hat die Beklagte Versicherungsschutz zu leisten. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E17799

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00009.89.0406.000

Dokumentnummer

JJT_19890406_OGH0002_0070OB00009_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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