TE Lvwg Beschluss 2017/7/19 LVwG-780066/20/ER

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.07.2017
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

19.07.2017

Norm

Art 130 B-VG
§5 SPG
§89 SPG
§41 ÄrzteG
§1 AnhO
§7 AnhO
§1 RLV
§4 RLV
§5 Grundausbildungsverordnung Allgemeiner Verwaltungsdienst BMI (BGBl II 154/2017)

Text

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich fasst durch seine Richterin Dr. Reitter aufgrund des Antrags gemäß § 89 Abs 4 Sicherheitspolizeigesetz des M S vom 21. April 2017, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. H, Mag. N, G. x, x B., auf Entscheidung über die Richtlinienbeschwerde vom 20. Februar 2017 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2017 den

BESCHLUSS

I.     Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

II.    Der Beschwerdeführer hat dem Bund (für den die belangte Behörde eingeschritten ist) Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 887,20 Euro (Ersatz des Vorlageaufwands, des Schriftsatzaufwands und des Verhandlungsaufwands) zu leisten.

III.   Gegen diesen Beschluss ist eine Revision unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.1. Mit direkt beim Landesverwaltungsgericht OÖ eingebrachtem Schriftsatz vom 20. Februar 2017 erhob der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) Beschwerde wegen Verletzung von § 4 der Richtlinie für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes – RLV. Begründend brachte der Bf darin vor, dass er am 9. Jänner 2017 von Beamten des Stadtpolizeikommandos L. aufgrund einer Beschuldigung, eine andere Person gefährlich bedroht zu haben, festgenommen worden sei. Er sei ins Polizeianhaltezentrum (im Folgenden: PAZ) in L. gebracht worden. Dort sei von ihm die Absolvierung eines Alkomat-Tests verlangt worden, der 1,15 Promille ergeben habe. Anschließend sei der Amtsarzt beigezogen worden. Dieser habe vom Bf einen Harntest verlangt. Der Bf habe erklärt, er wolle keinen Harntest machen. Anschließend sei ihm von einem Polizisten gesagt worden, wenn er keinen Harn abgebe, dann müsse er über Nacht im PAZ bleiben. Daraufhin habe sich der Bf entschlossen, Harn abzugeben. In weiterer Folge sei ihm von einem Polizisten erklärt worden, er müsse die Nacht trotzdem im PAZ verbringen. Durch das Abverlangen des Harntests hätten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienst § 4 RLV verletzt. Der Bf beantragte daher die Feststellung, dass der Bf am 9. Jänner 2017 durch das Abverlangen eines Harntests im PAZ L. durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in seinem Recht gemäß § 4 RLV verletzt worden sei. Zudem beantragte er den Zuspruch von Kostenersatz.

Mit Schreiben vom 8. März 2017 übermittelte das Landesverwaltungsgericht OÖ diese Beschwerde der Landespolizeidirektion Oberösterreich (im Folgenden: belangte Behörde) gemäß § 89 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz – SPG.

Mit Schriftsatz vom 21. April 2017 brachte der Bf beim Landesverwaltungsgericht OÖ einen Antrag auf Entscheidung gemäß § 89 Abs 4 SPG ein, da ihm mit Schreiben vom 13. April 2017 von der belangten Behörde mitgeteilt worden sei, dass die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei.

I.2. Nach diesbezüglicher Aufforderung legte die belangte Behörde mit Schriftsatz vom 10. Mai 2017 folgende Gegenschrift vor:

„I. Sachverhalt

Am 09.01.2017 wurde um 18:54 Uhr in der Polizeiinspektion H. die Anzeige erstattet, dass im C „B" in x L., L. x ein Mann von einem anderen mit dem Umbringen bedroht würde, weshalb Revlnsp T S und Bezlnsp M B der PI Sonderdienste entsandt wurden. Der vor dem Lokal angetroffene Beschwerdeführer M S wurde von Zeugen glaubhaft als Täter beschuldigt, weshalb um 19:15 Uhr die Festnahme gem. § 170 Abs. 1 Z 1 StPO gegen ihn ausgesprochen wurde. Aufgrund seines aggressiven Verhaltens wurden ihm Handfesseln (vorne) angelegt Anschließend wurde im Dienst-Kfz ins Polizeianhaltezentrum L. verbracht, wo er dem Polizeiarzt Dr. P K zur Untersuchung hinsichtlich seiner Haft- und Deliktsfähigkeit vorgeführt wurde.

Im Zuge dieser Untersuchung führte der im PAZ L. Dienst versehende Grlnsp C H einen Alkomat-Test bei M S durch, welcher einen Atemluftalkoholgehalt von 0,74 mg/L (entspricht einem Blutalkoholgehalt von 1,48 Promille) ergab.

Ebenfalls im Zuge der Untersuchung durch Dr. K wurde ein Drogenharntest bei M S durchgeführt, welcher positiv für BZO, THC ausfiel.

Anm.: An jenem Tag versahen folgende Beamte im PAZ L. Dienst: Bezlnsp A W, Grlnsp S B, Grlnsp C H und Grlnsp M W.

In der Regel bleiben die einliefernden Beamten (dies waren im konkreten Fall Revlnsp T S und Bezlnsp M B der PI Sonderdienste) bis zum Abschluss der Haftfähigkeitsuntersuchung anwesend.

Seitens der Beamten konnte sich mit Ausnahme von Grlnsp H, der den Alkomat-Test bei S durchführte, keiner mehr konkret an die besagte Amtshandlung erinnern, aber alle gaben übereinstimmend an, dass bei der Inanspruchnahme von Freiwilligkeit generell kein Druck in irgendeiner Form ausgeübt werde.

M S wurde in der Folge ab 20:36 Uhr im Polizeianhaltezentrum L. angehalten. Er wurde am nächsten Tag, dem 10.01.2017 von 08:44 bis 09:35 Uhr von Bezlnsp M H der Kripo L. einvernommen und um 10:00 Uhr aus der Haft entlassen.

Gegen M S wurde vom Kriminalreferat des Stadtpolizeikommandos L. mit Abschlussbericht gem. § 100 Abs. 2 StPO wegen des Verdachtes nach § 107 StGB (GZ B6/2933/2017 v 22.2.2017) sowie des Verdachtes nach den §§ 27 Abs. 2 und 30 Abs. 2 SMG (GZ B6/3147/17 v 6.2.2017) der Staatsanwaltschaft L. zur Anzeige gebracht.

Das Verfahren wegen Drogenkonsums wurde von der Staatsanwaltschaft L. am 8.2.2017 unter der Aktenzahl 51 BAZ 148/17t - 1 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Das gegen M S im Zusammenhang mit gegenständlicher Amtshandlung eingeleitete Verfahren zur Überprüfung der Verkehrszuverlässigkeit wurde am 11.04.2017 vom Referat SVA 2 - Verkehrsamt der Landespolizeidirektion Oberösterreich eingestellt (Zahl FE-166/2017).

Im Zusammenhang mit gegenständlicher Amtshandlung wurde von M S eine Beschwerde wegen Verletzung von Richtlinien beim Einschreiten nach § 89 Abs. 1 SPG beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eingebracht, welche am 17. März 2017 der Landespolizeidirektion Oberösterreich zur Bearbeitung übermittelt wurde. Den Angaben des Beschwerdeführers zufolge sei er zur Abgabe des Harntests mit der Drohung, er müsse andernfalls die Nacht im Polizeianhaltezentrum verbringen, genötigt worden; somit sei diese nicht freiwillig gewesen und er durch diese Vorgangsweise in seinem Recht gem. § 4 der Richtlinien-Verordnung, BGBl. Nr. 266 idgF, verletzt worden.

Das Büro Organisation, Strategie und Dienstvollzug der Landespolizeidirektion Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer am 13. April 2017 schriftlich mitgeteilt, dass aufgrund der Erhebungen eine Richtlinienverletzung seitens der vorgesetzten Stelle nicht nachvollzogen werden kann.

II. Rechtliche Würdigung

(...)

Nach ho. Ansicht erfolgte die Festnahme des M S gemäß § 170 Abs. Z 1 StPO zu Recht, weil er unmittelbar nach der Tat glaubwürdig der Begehung einer gefährlichen Drohung nach § 107 StGB beschuldigt wurde. Er wurde nach Abschluss der diesbezüglichen Erhebungen bzw. nach seiner Einvernahme durch die Kripo L. gemäß § 172 Abs. 2 StPO noch vor Ablauf der 48stündigen Frist freigelassen.

Vor seiner Anhaltung in einer Arrestzelle wurde M S gemäß § 7 Abs. 3 der Anhaltordnung vom Polizeiarzt Dr. P K auf seine Haftfähigkeit hin untersucht und dabei wegen seines offensichtlich durch Substanzen beeinträchtigten Zustandes zum Alkomat-Test sowie zur freiwilligen Harnabgabe aufgefordert.

Seitens der an jenem Tag Dienst versehenden Beamten wird ausgeschlossen, dass dabei in irgendeiner Form Druck oder Zwang ausgeübt worden sei.

Die Landespolizeidirektion Oberösterreich stellt daher den Antrag, die Richtlinien-beschwerde wegen angeblichen Zuwiderhandelns nach § 4 der Richtlinien-Verordnung kostenpflichtig als unberechtigt abzuweisen.

III. Kosten

An Kosten werden im Sinne der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-und Zwangsgewalt (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, verzeichnet.

Vorlageaufwand:   € 57,40

Schriftsatzaufwand:  € 368,80

Gegebenenfalls wird als Ersatz des Verhandlungsaufwandes der belangten Behörde € 461,00 geltend gemacht.“

[Hervorhebungen nicht übernommen]

Dieser Gegenschrift legte die belangte Behörde den Abschlussbericht betreffend Verdacht auf Verstöße des Bf gegen das Suchtmittelgesetz, den Abschlussbericht betreffend den Verdacht einer vom Bf ausgesprochenen gefährlichen Drohung, das Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung, die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft L. über die Einstellung des gegen den Bf geführten Verfahrens nach § 30 Abs 3 Z 1 SMG, die polizeiärztlichen Gutachten über die Haft- und Deliktsfähigkeit des Bf, die Aufenthaltsinformation über den Aufenthalt des Bf im PAZ von 9. auf 10. Jänner 2017, das Schreiben an den Rechtsanwalt des Bf vom 13. April 2017 und eine Stellungnahme des Stadtpolizeikommandos L. vom 29. März 2017 bei. Mit E-Mail vom 23. Mai 2017 legte die belangte Behörde ergänzend die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts L. vom 21. April 2017, 27 Hv 37/17v, vor, wonach der Bf wegen gefährlicher Drohung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt wurde.

I.3. Das Landesverwaltungsgericht OÖ hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in die Beschwerde, die Gegenschrift und den vorgelegten Verwaltungsakt, sowie durch Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2017, zu der der – rechtsfreundlich vertretene – Bf und ein Vertreter der belangten Behörde erschienen, sowie als Zeugen der Polizeiarzt, jener Polizist, der den Bf dem Polizeiarzt vorgeführt hat und bei dessen Untersuchung anwesend war, und die Gattin des Bf.

I.4. Es steht folgender entscheidungsrelevanter S a c h v e r h a l t fest:

Der Bf wurde am 9. Jänner 2017 um 19:15 Uhr vor dem Lokal „C B“ in x L., L. x, von Beamten der PI Sonderdienste festgenommen, nachdem um 18:54 Uhr bei der PI H. Anzeige erstattet wurde, dass der Bf einen Mann mit dem Umbringen bedrohe. Der Bf wurde aufgrund dieser Anzeige festgenommen und ins PAZ-L. verbracht, wo er dem Polizeiarzt zur Haft- und Deliktsfähigkeitsüberprüfung vorgeführt wurde. Im Zuge dieser Untersuchung – bei der ein Polizist anwesend war – wurde der Bf vom Polizeiarzt aufgefordert, Harn zur Durchführung eines Drogenharntests abzugeben.

Nach der Untersuchung durch den Polizeiarzt und der erfolgten Harnabgabe wurde der Bf weiter im PAZ angehalten und informierte seine Frau darüber telefonisch. Am nächsten Tag wurde der Bf – nach erfolgter Einvernahme durch die Kriminalpolizei – um 10:00 Uhr aus der Haft entlassen.

II. Der festgestellte Sachverhalt zum Grund für die Verhaftung ergibt sich aus der Beschwerde des Bf vom 20. Februar 2017, der Gegenschrift und dem vorgelegten Verwaltungsakt sowie den Ausführungen des Bf in der Verhandlung selbst.

Der zeugenschaftlich einvernommene Polizist, der während der gesamten polizeiärztlichen Untersuchung anwesend war, gab an, der Bf sei vom Polizeiarzt zur Harnabgabe aufgefordert worden. Die ergibt sich auch bereits aus der Beschwerde. Dass daraufhin länger diskutiert worden wäre, konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Den Alkomat-Test habe er mit dem Bf durchgeführt, er könne sich nicht erinnern, ob der Bf diesen hinterfragt hat. Sowohl der Alkomat- als auch der Harntest könnten aber abgelehnt werden.

Der zeugenschaftlich einvernommene Polizeiarzt gab an, der Harntest werde grundsätzlich durch das Formular verlangt, daher verlange er ihn auch standardmäßig immer. An den Bf konkret konnte sich der Polizeiarzt nicht erinnern. Er konnte sich daher nicht mehr erinnern, ob Äußerungen eines der anwesenden Polizisten den Bf zur Harnabgabe bewogen haben könnten. Er könne aber mit gutem Gewissen sagen, dass nie Druck ausgeübt werde, da es für ihn und seine Untersuchung völlig ohne Belang sei, ob ein Harntest durchgeführt wird oder nicht. Er brauche keinen Harntest für die Feststellung der Haft- und Deliktsfähigkeit, warum dieser im Formular aufscheint, müsse man beim zuständigen Ministerium erfragen. Wenn ein Häftling keinen Harn abgeben will oder kann, kreuze er dies einfach im Formular an und die Sache sei erledigt.

III. In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

III.1. Gemäß § 1 Abs 1 Anhalteordnung – AnhO idgF BGBl. II Nr. 439/2005 findet diese Verordnung auf Menschen Anwendung, die angehalten werden, nachdem sie von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen worden sind oder im Haftraum einer Sicherheitsbehörde eine mit Bescheid angeordnete Haft angetreten haben (Häftlinge).

Gemäß § 7 Abs 3 AnhO sind alle Häftlinge ohne unnötigen Aufschub, spätestens jedoch innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme ärztlich auf ihre Haftfähigkeit zu untersuchen. Sie haben die für die Beurteilung der Haftfähigkeit erforderlichen ärztlichen Untersuchungen zu dulden und an der Befunderstellung mitzuwirken. Verweigern Häftlinge die Mitwirkung an der ärztlichen Untersuchung, so ist von deren Haftfähigkeit solange auszugehen, als sie weder relevante Krankheitssymptome oder Verletzungen aufweisen noch sonst Grund besteht, an ihrer Haftfähigkeit zu zweifeln.

Gemäß § 1 Richtlinien-Verordnung – RLV, BGBl. Nr. 266/1993, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes innerhalb der Sicherheitsverwaltung (§ 2 Abs. 2 SPG) jene Aufgaben zu erfüllen, die im Rahmen des Exekutivdienstes, insbesondere durch die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu besorgen sind. In anderen Bereichen der Verwaltung haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes solche Aufgaben auf Grund besonderer gesetzlicher Anordnung zu erfüllen.

Gemäß § 4 RLV dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes – soll ein Mensch an einer Amtshandlung freiwillig mitwirken oder sie freiwillig dulden – diese Freiwilligkeit nur in Anspruch nehmen, wenn nach den Umständen des Falles kein Zweifel daran besteht, dass der Betroffene sich der Freiwilligkeit bewusst ist.

III.2.1. Die RLV gibt Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor. Sie richtet sich – sowohl ihrer Bezeichnung als auch ihrem Inhalt entsprechend – an Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

In seinem Erkenntnis vom 17.9.2002, 2000/01/0138, führte der Verwaltungsgerichtshof Folgendes aus (Hervorhebungen nicht im Original): „Die Richtlinien wurden für das ‘Einschreiten’ der Organe (§ 31 Abs. 1 SPG) erlassen, die sie bei der ‘Erfüllung ihrer Aufgaben’ (§ 5 Abs. 1 RLV) zu beachten haben. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist – unter Beachtung des Zwecks der Richtlinien, Konflikte zwischen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und Betroffenen zu mindern – unter ‘Einschreiten’ ein unmittelbar gegen einen Dritten gerichtetes oder sonst außenwirksames Amtshandeln zu verstehen (vgl. das Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0477). In diesem Sinne bedeutet ‘Aufgabenerfüllung’ nach der Richtlinienverordnung jeder Kontakt zwischen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und ‘Betroffenen’ im Zusammenhang mit (irgendeinem) ‘Einschreiten’. Es kommt demnach nicht darauf an, ob der unmittelbar die Amtshandlung vornehmende Beamte oder ein zwar beteiligter aber nicht unmittelbar einschreitender Beamter sich nicht richtlinienkonform verhält; beide sind den Richtlinien unterworfen.“

Wer zu den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu zählen ist, ist in § 5 Abs 2 SPG taxativ aufgezählt. Dies sind:

1. Angehörige des Wachkörpers Bundespolizei,

2. Angehörige der Gemeindewachkörper,

3. Angehörige des rechtskundigen Dienstes bei Sicherheitsbehörden, wenn diese Organe zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind, und

4. sonstige Angehörige der Landespolizeidirektionen und des Bundesministeriums für Inneres, wenn diese Organe die Grundausbildung für den Exekutivdienst (Polizeigrundausbildung) absolviert haben und zur Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigt sind.

Polizeiärzte sind keine Angehörigen von Wachkörpern oder des rechtskundigen Dienstes, sondern gemäß § 41 Abs 2 ÄrzteG Amtsärzte, die für eine Landespolizeidirektion oder das Bundesministerium für Inneres auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung oder eines öffentlichen rechtlichen Dienstverhältnisses tätig werden. Gemäß § 41 Abs 1 ÄrzteG sind Amtsärzte die bei den Sanitätsbehörden tätigen Ärzte, die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben.

Die Grundausbildungsverordnung Allgemeiner Verwaltungsdienst BMI, BGBl II Nr 154/2017, regelt in Anlage 2 exklusiv die Grundausbildung für Polizeiärzte. Diese ist weder mit der Grundausbildung für den Exekutivdienst vergleichbar, noch soll sie diese ersetzen.

Auch in der – der nunmehr geltenden Grundausbildungsverordnung – vorangegangenen Grundausbildungsverordnung bestand die Grundausbildung für den polizeiärztlichen Dienst aus juristischen, ökonomischen und organisatorischen sowie verwendungsspezifischen Modulen (§ 5 Abs 2a und Anlage 2). Eine praktische Verwendung im Rahmen der Grundausbildung war hingegen für Angehörige des polizeiärztlichen Dienstes explizit nicht vorgesehen (§ 5 Abs 4).

Polizeiärzte sind somit auch nicht unter § 5 Abs 2 Z 4 SPG zu subsumieren, da sie nicht die Grundausbildung für den Exekutivdienst absolvieren. Mangels möglicher Subsumtion unter § 5 Abs 2 SPG sind Polizeiärzte keine Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

Die RLV stellt einen Berufspflichtenkodex der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar und bezweckt, eine wirkungsvolle einheitliche Vorgangsweise der Sicherheitsexekutive sicherzustellen und die Gefahr von Konflikten mit den Betroffenen zu mindern (vgl VwGH 21.10.2011, 2010/03/0058, uHa VwGH 24.8.2008, 2003/01/0041, mwH).

Zumal ein Polizeiarzt kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist, ist das Handeln des Polizeiarztes bei der ggst Überprüfung der Haft- und Deliktsfähigkeit nicht an den Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu messen. Wenn der Polizeiarzt den Bf im Zuge der Aufforderung zur Harnabgabe nicht ausdrücklich über deren Freiwilligkeit aufgeklärt haben sollte, verletzte dies nicht § 4 RLV.

III.2.2. Entsprechend dem Wortlaut des § 7 Abs 3 AnhO sind alle Häftlinge (...) ärztlich auf ihre Haftfähigkeit zu untersuchen.

Die ggst Haftfähigkeitsprüfung war entsprechend § 7 Abs 3 AnhO von einem Arzt – im vorliegenden Fall vom Polizeiarzt – durchzuführen. Dass diese ärztliche Untersuchung unter „Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes“ zu subsumieren wäre, kann weder dem Regelungsinhalt des § 7 Abs 3 AnhO unterstellt werden, noch sind Polizeiärzte – wie unter III.2.1. festgehalten – Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Auch wenn es iSd oben zitierten Judikatur nicht darauf ankommt, ob der unmittelbar die Amtshandlung vornehmende Beamte oder ein zwar beteiligter aber nicht unmittelbar einschreitender Beamter sich nicht richtlinienkonform verhält, da beide den Richtlinien unterworfen sind, ist festzuhalten, dass eine ärztliche Untersuchung gemäß § 7 Abs 3 AnhO keine Amtshandlung iSd RLV darstellt und der dafür zuständige (Polizei)Arzt kein Organ der öffentlichen Sicherheit ist. Aus diesen Gründen ist die zitierte Judikatur im ggst. Fall nicht anwendbar. Auch eine allfällige Äußerung eines anwesenden – an der Untersuchung unbeteiligten – Polizisten macht die Untersuchung gemäß § 7 Abs 3 AnhO nicht zu einer Amtshandlung iSd RLV.

Hinsichtlich der Deliktsfähigkeitsüberprüfung erfolgte eine Befragung des Bf durch den Polizeiarzt. Auch aus dem dafür verwendeten Formular geht klar hervor, dass die ärztliche Untersuchung nicht ein Einschreiten eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes darstellt, sondern – wie die Haftfähigkeitsprüfung auch – der Erstellung eines polizeiamtsärztlichen Gutachtens dient. Dies ist auch daran ersichtlich, dass der erste Teil des Formulars (betreffend persönliche Daten des Häftlings, Vorfallsort und –zeit, Untersuchungsort und –zeit, Delikt, Alkomatergebnis bzw Ablehnung des Alkomat-Tests, Name des Staatsanwalts, der allfällig eine Blutabnahme gem § 123 StPO angeordnet hat) „vom Beamten auszufüllen“, jener, der das mit dem Häftling durchgeführte Anamnesegespräch dokumentiert, jedoch „vom Arzt auszufüllen“ ist. Im Rahmen dieses Anamnesegesprächs ist fakultativ ein Drogenharntest vorgesehen. Auch wenn auf diese Freiwilligkeit nicht ausdrücklich vom Amtsarzt hingewiesen worden sein sollte, so fand die Aufforderung dazu jedenfalls im Rahmen der ärztlichen Untersuchung der Deliktsfähigkeit statt, die nicht von einem Organ der öffentlichen Sicherheit durchgeführt wurde.

Weder die Untersuchung der Haft- noch jene der Deliktsfähigkeit stellt ein Handeln eines Organs der öffentlichen Sicherheit dar. Der untersuchende Polizeiarzt ist kein Organ der öffentlichen Sicherheit und sein Handeln daher nicht an der RLV zu messen. Auch allfällige Äußerungen eines unbeteiligten Organs der öffentlichen Sicherheit machen die ggst Untersuchungen nicht zu einer Amtshandlung iSd RLV.

Diese ärztlichen Untersuchungen sind somit nicht an den Vorgaben der RLV zu messen.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen.

III.2.3. Abgesehen davon ist Folgendes festzuhalten:

Der Bf brachte in seiner Beschwerde und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, dass er vom Polizeiarzt zur Harnabgabe aufgefordert worden sei. Nachdem er gesagt habe, er wolle keinen Harn abgeben, sei ihm vom anwesenden Polizisten erklärt worden, dann müsse er über Nacht im Polizeianhaltezentrum (PAZ) bleiben.

Der Polizeiarzt hat in seiner zeugenschaftlichen Einvernahme mehrfach betont, dass aus seiner Sicht die Durchführung eines Harnbefunds bzw eines Drogenharntests für die Beurteilung der Haft- und Deliktsfähigkeit völlig ohne Bedeutung sei, weshalb es ihm auch völlig einerlei sei, wenn ein Häftling diesen verweigere bzw angebe, dass er keinen Harn abgeben könne. Er würde darauf nicht bestehen. Ferner gab der Polizeiarzt an, sich an die konkrete Untersuchung nicht mehr erinnern zu können, er könne aber mit gutem Gewissen sagen, dass nie Druck hinsichtlich der Harnabgabe ausgeübt werde. Wenn dieser verweigert werde, werde dies im Formular vermerkt und die Angelegenheit sei erledigt.

Jener Polizist, der bei der polizeiärztlichen Untersuchung im Raum verblieben ist, gab an, sich nicht daran erinnern zu können, dass sich der Bf ursprünglich geweigert hätte, Harn abzugeben. Er könne sich nicht erinnern, dass um die Harnabgabe länger diskutiert worden sei. Er habe den Bf auf die Toilette begleitet und der Bf habe dort Harn abgegeben. Sowohl beim Alkomat- als auch beim Drogenharntest werde es zur Kenntnis genommen, wenn diese verweigert würden.

Die Ehefrau des Bf, die dieser zur Verhandlung als Zeugin mitbrachte, gab an, vom Bf am 9. Jänner 2017 gegen 21:00 Uhr angerufen und darüber informiert worden zu sein, dass er die Nacht im PAZ verbringen müsse. Auf die Frage, warum er dort verbleiben müsse, habe der Bf über den Vorwurf der gefährlichen Drohung berichtet und ferner angegeben, es sei ihm gesagt worden, wenn er Harn abgebe, könne er nach Hause gehen. Er habe Harn abgegeben, jetzt müsse er dennoch im PAZ bleiben.

Abgesehen davon, dass – wie oben ausgeführt – die ggst ärztliche Untersuchung keine Amtshandlung iSd RLV darstellt und der diese Untersuchung durchführende Polizeiarzt kein Organ der öffentlichen Sicherheit ist, kann das Landesverwaltungsgericht OÖ aufgrund der Aussagen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht erkennen, dass dem Bf tatsächlich vom anwesenden Polizisten in Aussicht gestellt wurde, er dürfe nach Absolvierung des Harntests nach Hause gehen.

Der Polizeiarzt hat zur gesamten Untersuchung des Bf keine Erinnerung, gab aber glaubwürdig an, mit gutem Gewissen sagen zu können, dass nie Druck zur Durchführung eines Harntest ausgeübt werde, da dieser Test für die Haft- und Deliktsfähigkeitsprüfung völlig irrelevant sei.

Auch der anwesende Polizist, der sich an die Untersuchung des Bf erinnern konnte, gab an, bloß wahrgenommen zu haben, dass der Bf vom Polizeiarzt zur Harnabgabe aufgefordert worden sei. Dass es zu einer Diskussion um die Harnabgabe oder einer Verweigerung derselben durch den Bf gekommen wäre, konnte sich der Zeuge jedoch nicht erinnern.

Dass die Ehefrau des Bf – durchaus glaubwürdig – wiedergab, was ihr der Bf am Telefon erzählt hat, trägt nicht wesentlich zur Sachverhaltsfeststellung bei, zumal diese nicht bei der Untersuchung anwesend war. Da sie keine eigenen Wahrnehmungen wiedergeben konnte, sondern lediglich die Erzählung des Bf (der ihr darüber hinaus in diesem Gespräch verschwieg, dass der Drogenharntest positiv ausfiel), kann aus der Aussage der Ehefrau des Bf nichts über den Ablauf der Untersuchung bzw die dabei gefallenen Äußerungen gewonnen werden.

Aus lebensnaher Betrachtungsweise ergibt sich jedoch, dass einem Polizeiarzt, der (seinen Angaben entsprechend) pro Dienst bis zu fünf derartiger Untersuchungen durchführt und einem Polizisten, der zwei bis drei Mal wöchentlich derartige Untersuchungen begleitet, aufgrund der Regelmäßigkeit und Häufigkeit dieser Tätigkeit „normale“ Abläufe nicht gesondert erinnerlich bleiben, Besonderheiten hingegen schon. So konnten beide – unter Wahrheitspflicht einvernommenen – Zeugen Situationen schildern, in denen die Harnabgabe verweigert wurde bzw diese Häftlingen nicht möglich war. Die Untersuchung des Bf blieb dem Polizeiarzt jedoch nicht in Erinnerung, der Polizist konnte sich zwar an die Untersuchung, nicht jedoch an besondere Vorkommnisse – insbesondere im Zusammenhang mit der Harnabnahme – erinnern.

Selbst wenn die ggst Beschwerde nicht bereits zurückzuweisen wäre, könnte die behauptete Richtlinienverletzung nicht festgestellt werden. Der Bf hat – wie er in der öffentlichen mündlichen Verhandlung bestätigte – am Harntest teilgenommen, weshalb die entsprechende Rubrik in den Untersuchungsformularen, die der Bf unterschrieben hat, angekreuzt ist. Das Vorbringen des Bf ist aufgrund der völlig glaubwürdigen wiederholten Aussage des Polizeiarztes, ihm sei der Harntest völlig egal, da er für die durchzuführenden Untersuchungen belanglos sei, nicht überzeugend. Vielmehr gab der Polizeiarzt an, dass es häufig vorkomme, dass ein Harntest verweigert werde oder praktisch nicht möglich sei, er vermerke dies im Formular und die Sache sei erledigt. Im Formular ist aber nicht angekreuzt, dass der Test abgelehnt oder nicht möglich gewesen wäre. Dass sich der Polizeiarzt an die ggst Untersuchung – sollte sie tatsächlich entsprechend dem Vorbringen des Bf abgelaufen sein – nicht erinnern konnte, erscheint nicht lebensnah, zumal der vom Bf geschilderte Ablauf offenbar völlig von der „Norm“ derartiger Untersuchungen abweicht.

Auch wenn der Bf (im Rahmen einer sicherlich nicht angenehmen Untersuchungssituation, der eine Verhaftung mit Handfesseln vorausgegangen ist) aus seiner persönlichen Einschätzung heraus angenommen haben mag, er dürfe nach der Harnabgabe nach Hause gehen, könnte aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens – abgesehen davon, dass die Beschwerde ohnehin zurückzuweisen ist – die behauptete Richtlinienverletzung nicht festgestellt werden. Selbst wenn die ggst Beschwerde nicht bereits zurückzuweisen wäre, würde sie den Bf somit nicht zum Erfolg führen.

III.3. Gemäß § 53 iVm § 35 Abs 1 VwGVG hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterliegende Partei. Gemäß § 35 Abs 3 ist die belangte Behörde obsiegende Partei, wenn die Beschwerde zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV wird die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wie folgt festgesetzt:

1.   Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei         737,60 Euro

2.   Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei         922,00 Euro

3.   Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei

57,40 Euro

4.   Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei

                                                                                368,80 Euro

5.   Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei         461,00 Euro

(...)

Beim oben erlangten Verfahrensergebnis hat der Bf dem Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach den §§ 35 und 53 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 517/2013, einen Aufwandersatz in Höhe von 887,20 Euro, (Ersatz des Vorlageaufwands, des Schriftsatzaufwands und des Verhandlungsaufwands) zu leisten.

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Einerseits existiert einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, von der nicht abgewichen wurde, andererseits ist die Frage der Beweiswürdigung nicht verallgemeinerungsfähig.

Schlagworte

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes – Begriff; Polizeiarzt; Richtlinienbeschwerde; Unzulässigkeit

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2017:LVwG.780066.20.ER

Zuletzt aktualisiert am

05.12.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten