TE OGH 2017/11/14 11Os109/17i

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Veröffentlicht am 14.11.2017
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Der Oberste Gerichtshof hat am 14. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Rechtshörers Biley als Schriftführer, in der Strafsache gegen Diakoo Z***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Juli 2017, GZ 91 Hv 38/17z-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Diakoo Z***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB (I) und des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 erster und dritter Fall StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er am 24. März 2017 in Wien

(I)  M***** A***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie am Hals packte, ihr den Mund und die Nase zuhielt, sie gegen das Bett drückte und an den Beinen zog, ihr die Unterhose auszog und mit ihr den Beischlaf vollzog;

(II)  mit M***** A***** gegen deren Willen und nach vorangegangener Einschüchterung den Beischlaf vorgenommen, indem er sie unter dem Eindruck der zu I genannten Tat (nach Fassung eines gesonderten Tatentschlusses, vgl US 5) ein weiteres Mal vaginal penetrierte.

Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5 und 8 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Vorsitzende hatte sich in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass der Angeklagte die Aussage der gemäß § 250 Abs 1 erster Satz StPO abgesondert vernommenen Zeugin A***** im Nebenzimmer zumindest akustisch mitverfolgen konnte (ON 18 S 11). Die im Sitzungssaal anwesende Verteidigerin machte von ihrem Fragerecht Gebrauch (ON 18 S 24). Der von der Verfahrensrüge (Z 3) behauptete Verstoß gegen die Vorschrift des § 250 Abs 1 letzter Satz StPO (§ 250 Abs 2 StPO) kann dahinstehen, weil jedenfalls unzweifelhaft erkennbar ist, dass die Formverletzung auf die Entscheidung keinen nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 StPO; RIS-Justiz RS0098252 [insbesondere T5]). Welche Information dem Angeklagten noch zu erteilen gewesen wäre, um der Intention des § 250 Abs 1 letzter Satz StPO Genüge zu tun, erklärt die Beschwerde überdies nicht.

Die aus den Aussagen gezogenen Schlüsse der Tatrichter (vgl dazu US 6 bis 10) können unter dem Aspekt der

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht bekämpft werden. Im Übrigen war – dem Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe zufolge – das Erstgericht nicht gehalten, sich mit jedem Detail sämtlicher Aussagen auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0106642).

Indem die Mängelrüge (Z 5) durch das Opfer hervorgerufene Missverständnisse des Angeklagten behauptet und eigene Beweiswerterwägungen anstellt, verlässt sie den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (Z 5 zweiter Fall; vgl dazu RIS-Justiz RS0118316).

Mit Aktenvermerk vom 24. August 2017, der mit den vom Obersten Gerichtshofs eingeholten Stellungnahmen der Anwesenden im Einklang steht, hielt der Vorsitzende fest, dass mit dem Angeklagten die Ausdehnung der Anklage besprochen, ihm die Aussage des Opfers vorgehalten und er dazu auch vernommen wurde (ON 1 S 9; ON 18 S 25).

Das von anderen Prämissen ausgehende Vorbringen entzieht sich einer inhaltlichen Erwiderung.

Bei gemäß § 263 Abs 1 StPO erfolgter Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung ist keine Vorbereitungsfrist vorgesehen. Das von der Beschwerde (nominell unter dem Aspekt der Z 8) angesprochene Recht des Angeklagten, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen, kann durch entsprechende Antragstellung in der Hauptverhandlung effektuiert werden. Einen – aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO bewehrten – Vertagungsantrag hat der Angeklagte aber nicht gestellt (vgl dazu RIS-Justiz

RS0098367). Hinzugefügt sei, dass sämtliche sexuelle Übergriffe betreffende Vorwürfe
– auch der der Anklageausdehnung – bereits Gegenstand des Ermittlungsverfahrens waren (ON 5 S 3).

Weshalb die – wie hier – vor Wiedereintritt des Beschwerdeführers in den Sitzungssaal erfolgte Ausdehnung der Anklage dem „Überraschungsverbot“ widersprechen sollte, oder wieso die Aburteilung von dessen Zustimmung abhängen sollte, obwohl die weitere von der Ausdehnung umfasste Tat unter kein strengeres Strafgesetz fiel als die in der Anklageschrift angeführte Tat, entbehrt der gebotenen Ableitung aus dem Gesetz (vgl § 263 Abs 1 erster und zweiter Satz StPO).

Gegenüber einem vom Gericht beigegebenen Verteidiger (§§ 61 f StPO) besteht

Manuduktionspflicht nur dann, wenn dieser offenkundig versagt (RIS-Justiz RS0096569 [T1]). Ein solches Versagen wird mit der Bezugnahme auf das Unterlassen von Informationen und einer (ergänzenden) Befragung des Angeklagten zum Vorwurf der ausgedehnten Anklage nicht aufgezeigt.

Die Prozessgesetze sehen nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde vor. Auf die nachträgliche Ergänzung der Beschwerdegründe in der Äußerung des Verteidigers vom 25. Oktober 2017 zur Stellungnahme der Generalprokuratur ist daher nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0100172).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 StPO bleibt anzumerken, dass die Wertung der Schulduneinsichtigkeit des Angeklagten als eine für die Nichtgewährung bedingter Strafnachsicht (primär mit-)entscheidende Tatsache (US 11) eine iSd § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS-Justiz RS0090897). Diesem von der Nichtigkeitsbeschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Rechnung zu tragen haben (RIS-Justiz RS0122140).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Schlagworte

3 Alle Os-Entscheidungen

Textnummer

E119903

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0110OS00109.17I.1114.000

Im RIS seit

01.12.2017

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2017
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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