TE OGH 2017/9/25 17Os11/17x

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Veröffentlicht am 25.09.2017
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. September 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Otto B***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Otto B***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 4. November 2016, GZ 23 Hv 38/16w-24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten Otto B***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Otto B***** – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. Dezember 2015 in D***** Dr. Reinold Bö***** wissentlich dazu bestimmt, als Stadtarzt der Stadt D*****, mithin als Beamter (im strafrechtlichen Sinn), seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, „nämlich die Unterbringung ohne Verlangen des Patienten nach § 8 UbG“ durch Ausstellung einer Bescheinigung nach dieser Gesetzesstelle hinsichtlich Maria Ba***** ohne deren vorherige persönliche Untersuchung „anzuordnen“, zu missbrauchen, indem er Dr. Reinold Bö***** in dessen Praxis aufsuchte und diesem schilderte, „dass die Mutter seiner Lebensgefährtin, Maria Erika Ba*****, die Familie terrorisiere und beschimpfe, die Tochter der Lebensgefährtin in Panik versetze, indem sie unangemeldet die Wohnung betrete oder Dinge gegen deren Fenster werfe und schließlich ihren Suizid angekündigt habe“, wobei er mit dem Vorsatz handelte, Maria Ba***** an deren Recht, „vor der Verbringung in eine psychiatrische Abteilung durch einen im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt oder Polizeiarzt zur Prüfung der Voraussetzungen der Unterbringung untersucht zu werden“ (ersichtlich gemeint [vgl US 24]: an ihrem Recht auf persönliche Freiheit, das nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf [vgl Art 5 Abs 1 lit e MRK, Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG]), zu schädigen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 (lit a) StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Otto B***** ist nicht berechtigt.

Dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht die von der Mängelrüge ins Treffen geführten Aussagen des Beschwerdeführers und des Mitangeklagten Dr. Reinold Bö***** keineswegs mit Stillschweigen übergangen, sondern diese im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich referiert, aus ihnen jedoch erkennbar nicht den Schluss gezogen, dass im Tatzeitpunkt „Gefahr im Verzug“ im Sinn des § 9 Abs 2 UbG (objektiv) vorgelegen oder vom Beschwerdeführer angenommen worden wäre (US 27 und 29). Indem die weitere Mängelrüge auf Grund eigenständiger beweiswürdigender Erwägungen und ausgehend von einer solchen (rechtlichen) Ausnahmesituation einen Schädigungsvorsatz des Beschwerdeführers in Abrede stellt, bekämpft sie bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) leitet Bedenken gegen die Feststellung zur Wissentlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis des unmittelbaren Täters (US 5 iVm US 24 und 28 f) großteils nicht „aus den Akten“, sondern bloß aus den Erwägungen der Tatrichter selbst ab (vgl RIS-Justiz RS0117961).

Soweit sie diese Konstatierung als „nicht logisch“ kritisiert, spricht die Rüge der Sache nach bloß das
– nicht entscheidende (RIS-Justiz RS0088761) – Motiv des Beschwerdeführers, Dr. Reinold Bö***** zur Ausstellung der Bescheinigung nach § 8 UbG ohne vorherige Untersuchung der Betroffenen zu bewegen, an. Der Verweis auf die (im Übrigen von der Beschwerde selbst ins Spiel gebrachte) persönliche Nahebeziehung des Beschwerdeführers zu deren Tochter und das Bestreben, dieser und ihren Kindern „zu helfen“ (US 4 und 29), als Beweggrund für das inkriminierte Verhalten begegnet zudem keinen Bedenken.

Indem der Beschwerdeführer aus vom Erstgericht ohnehin erörterten Beweisergebnissen (seiner Aussage [US 6 ff] und jener des Mitangeklagten [US 13 ff]) für ihn günstigere Schlussfolgerungen in Bezug auf die Veranlassung Dris. Reinold Bö***** zum Befugnismissbrauch, das Vorliegen von Gefahr in Verzug und darauf aufbauend seinen Schädigungsvorsatz zieht, weckt er ebenfalls keine erheblichen Bedenken gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).

Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), es fehlten Feststellungen zur Wissentlichkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf vorsätzlichen Fehlgebrauch der Dr. Reinold Bö***** eingeräumten Befugnis, als Organ des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, übergeht die dazu getroffenen Konstatierungen (US 5 iVm US 24 und 28 f). Weshalb in diesen nicht auch die Feststellung zumindest bedingten Vorsatzes des Beschwerdeführers in Bezug auf die (funktionale) Beamteneigenschaft des unmittelbaren Täters enthalten sein soll, wird von der weiteren Rüge nicht erklärt.

Den (im Urteilssachverhalt gelegenen) tatsächlichen Bezugspunkt verfehlt auch das Vorbringen, welches das Fehlen von Konstatierungen zu vom Beschwerdeführer gesetzten Bestimmungshandlungen behauptet. Warum dessen festgestelltes Verhalten, Dr. Reinold Bö***** – mit dem Ziel der Unterbringung von Maria Ba***** – zunächst telefonisch zu kontaktieren, dann persönlich aufzusuchen und „eindringlich die“ (zuvor im Urteil näher beschriebene) „Situation in seiner Familie“ zu schildern und diesen „durch seine Hinweise auf die besondere Dringlichkeit“ zur „Ausstellung der Bescheinigung“ zu veranlassen (US 4 f und 23), „keine taugliche Bestimmungshandlung im Sinne des § 12 StGB“ (vgl Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 42 ff [insbesondere Rz 50]; Fuchs AT I9 33/38 f; Kienapfel/Höpfel/Kert AT15 E 4 Rz 9 f) sein soll, erklärt der Beschwerdeführer nicht. Ebenso wenig legt er dar, welcher weiteren Konstatierungen es für die vorgenommene Subsumtion bedurft hätte (RIS-Justiz RS0099620).

Schließlich geht auch die mit Bezugnahme auf Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0040641) und Kommentarmeinungen zur rechtlichen Stellung vom Gericht beigezogener Sachverständiger (Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 74 Rz 15; Bertel in WK2 StGB § 302 Rz 7) vertretene Ansicht, Dr. Reinold Bö***** habe nicht als Beamter (im strafrechtlichen Sinn) gehandelt, nicht vom Urteilssachverhalt aus und verfehlt überdies die methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565). Zwar trifft es zu, dass Distrikts-, Gemeinde-, Kreis- und Sprengelärzte nach der Anordnung des § 197 Abs 1 ÄrzteG Untersuchungen zwecks Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 8 UbG „als nichtamtliche Sachverständige“ vorzunehmen haben. Im
– hier festgestellten – Fall einer Beiziehung des (hier: Stadt-)Arztes durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 9 Abs 1 UbG gibt der Arzt jedoch nicht bloß eine gutachterliche Äußerung (als Beweismittel für eine darauffolgende Entscheidung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes) ab, sondern trifft seinerseits die Entscheidung über die Verbringung der betroffenen Person in die psychiatrische Abteilung. Die Bescheinigung stellt der Sache nach einen an die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gerichteten Befehl dar, welcher in die subjektive Rechtssphäre der betroffenen Person eingreift. Er verschmilzt als normativer Akt mit der (tatsächlichen) Verbringung, stellt solcherart einen (der Sicherheitsbehörde zuzurechnenden) Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar und unterliegt als solcher der Kontrolle im Maßnahmenbeschwerde- und Amtshaftungsverfahren (
Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 177 ff; ders, Unterbringungsrecht II, 540 ff; Halmich, Praxiskommentar § 8 Anm 4 und 11; RIS-Justiz RS0113695; 1 Ob 251/00v [jeweils zum Amtshaftungsrecht]; VwGH 2000/11/0320; 99/11/0327). Die Ausstellung der Bescheinigung ist daher als solche ein Amtsgeschäft in Vollziehung der Gesetze. Die von der Rechtsrüge ins Treffen geführte Anordnung des § 197 Abs 1 ÄrzteG ist hingegen (im Zusammenhang mit der Regelung des Honoraranspruchs in Abs 2 und 3) dahingehend zu verstehen, dass der Gemeindearzt nicht als Organ der Gemeinde tätig wird; vielmehr ist sein Verhalten funktional der Sicherheitsbehörde zuzurechnen (AB 614 BlgNR 18. GP, 2; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts3 Rz 163 f; vgl VwGH 2004/11/0070), weshalb dem Beschwerdeführer im angefochtenen Urteil konsequenterweise Bestimmung Dris. Reinold Bö***** zum Fehlgebrauch der diesem als Organ des Bundes eingeräumten Befugnis angelastet wird (vgl Art 10 Abs 1 Z 7 B-VG).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E119591

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2017:0170OS00011.17X.0925.000

Im RIS seit

23.10.2017

Zuletzt aktualisiert am

29.10.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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